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  • Niedersachsens Umweltministerium reagiert auf Biber-Probleme

    Einst ausgerottet, breiten sich heute die Biber immer mehr aus. Weil es im Einzelfall zu Schäden kommen kann, hat das Umweltministerium in Hannover ein Handlungskonzept erarbeitet Foto: Erika Hartmann / pixelio.de Bereits 1856 galten Biber in Niedersachsen als ausgerottet. Nun kehren sie zurück – ein Erfolg für den Artenschutz. Die streng geschützten Tiere schwimmen wieder in Elbe, Ems und Hase, Leine, Aller und Oker. 229 Biberreviere und etwa 500 Einzeltiere zählte man 2019 im ganzen Land und eine weitere Ausbreitung ist wahrscheinlich. Vom Aussterben sind Biber also nicht mehr bedroht, sondern sie stehen auf der Vorwarnliste. Doch die geschickten Baumeister können Probleme verursachen: Sie untergraben Hochwasser-Deiche, unterspülen Straßen oder überfluten Äcker und gefährden damit die Ernte. Daher kommt es zunehmend zu Konflikten. Das niedersächsische Umweltministerium reagiert darauf mit einem „Handlungskonzept Biber“. Es berücksichtigt Beispiele aus anderen Bundesländern und neue Erkenntnisse und wird ständig fortgeschrieben. Ressortchef Christian Meyer will so pragmatische Lösungen finden. Für den Grünen-Politiker sind Biber zwar „überwiegend eine Bereicherung für die Gewässer in Niedersachsen“, aber durch vorbeugende Maßnahmen will er frühzeitig Konflikte verhindern. Runder Tisch erarbeitet ein „Handlungskonzept Biber“ Ein Runder Tisch hat daher ein „Handlungskonzept Biber“ erarbeitet. Beteiligt waren Untere Naturschutzbehörden, Landwirtschaftskammer, Landvolk, Unterhaltungsverbände, Ökologische Stationen, Anlieger von Gewässern, Jägerschaft und Waldbesitzer, Angler- und Umweltverbände – und auch der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) gehörte dazu. Meyer will anhand der Erfahrungen vor Ort prüfen, wie das Land betroffene Landwirte besser und auch finanziell unterstützten kann. „Dies werden wir im Dialog weiterentwickeln“, kündigte der Minister an. Zwar bringt die Rückkehr der Biber viele Vorteile für die natürliche Entwicklung der Gewässer und das Schaffen von Feuchtgebieten und Rückzugsräumen für Vögel und Insekten. Doch können die Tiere Schäden verursachen, etwa wenn sie Bäume annagen und fällen. Wenn die Deichsicherheit bedroht ist, kann das Kläranlagen, Bahn- und Straßendämme betreffen. Werden Feldränder oder Wege nahe an einem Gewässer untergraben, können Trecker und andere Landmaschinen einsinken und umkippen. „ Bibertäuscher“ und Bestandserfassung Geplant sind vorbeugende Maßnahmen wie Drahtmanschetten, die Einzelbäume vor Fraßschäden schützen. Außerdem setzt das Land auf „Bibertäuscher“, die den Wasserpegel an den Dämmen regulieren. Vorgesehen ist eine Koordinierungsstelle für das niedersächsische Bibermanagement, die auch bei schwierigen Einzelfallentscheidungen berät und neben den bereits ausgebildeten Biberberaterinnen und -beratern ehrenamtliche Bibersachverständige ausbildet. 2026 soll eine zentrale Anlaufstelle im Biosphärenreservat Elbtalaue entstehen. Alle sechs Jahre soll der Bestand erfasst werden. Dabei setzt das Umweltministerium auch auf die Ortskenntnis von Jägern und weiteren Akteuren. Eine Entnahme der Tiere gilt nur als letztes Mittel im Einzelfall. Dann soll ein Biber in einen anderen Lebensraum gebracht werden. Eine Bejagung sieht das Land Niedersachsen nicht vor, denn die Biber sind nach EU- und Bundesrecht streng geschützt. Landvolk fordert Obergrenzen und Aufnahme ins Jagdrecht Im Handlungskonzept finden sich auch Billigkeitsleistungen, also freiwillige finanzielle Leistungen des Staates, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Die Gelder könnten als Entschädigung für Fraß- und Vernässungsschäden, Flur- und Sachschäden, Schäden in Teichanlagen, in der Fischzucht und in der Forstwirtschaft infrage kommen. Diese Leitungen sieht das Ministerium als „akzeptanzfördernde Maßnahme“ an. Einen Extra-Topf für Biber will Minister Meyer allerdings nicht schaffen. Das Landvolk kritisierte den Entwurf: „Wir haben konkrete Vorschläge eingebracht, doch diese wurden kaum berücksichtigt“, erklärte Landvolkpräsident Holger Hennies. Er sieht erheblichen Nachbesserungsbedarf und fordert eine verlässliche staatliche Finanzierung für Präventionsmaßnahmen. Aus dem Landvolk gibt es Stimmen, Obergrenzen festzulegen. Der Biber müsse ins Jagdrecht aufgenommen und sein Schutzstatus gesenkt werden. Auch in anderen Ländern reagiert die Politik auf die zunehmende Zahl der Biber. So plant die Landesregierung in Baden-Württemberg eine landesweite Biberverordnung. Doch sie liegt auf Eis, weil Grüne und CDU sich in der Frage der Abschussregelung nicht einig sind.

  • Vom Jagdschutz zum Naturschutz

    Die alte Kluft zwischen Naturschützern und Jägern als Naturnutzern ist längst überwunden. Die Jagd hat sich als angewandter Naturschutz etabliert. Jäger tragen zu Erhalt oder Wiederherstellung von Biotopen, Arten und Naturgütern bei Foto: ChatGPT Vor 150 Jahren – genau am 15. März 1875 – wird in Dresden mit dem Allgemeinen Deutschen Jagdschutzverein (ADJV) die erste deutschlandweite jagdliche Dachorganisation ins Leben gerufen. Die Motivation dazu wird im Gründungsaufruf unter anderem mit einem „in Deutschland immer mehr abnehmenden Wildstand, der in größerem Ausmaß auch wohl vorkommenden Wilddieberei und der mangelhaften Ausführung bestehender Schongesetze“ benannt. Entsprechend werden in der verabschiedeten Satzung auch folgende Ziele formuliert: 1. Gegenseitige Unterstützung mit Beihilfen der Staatsbehörden im ganzen Deutschen Reich in Bezug auf die Durchführung der Gesetze über Jagdpolizei und Wildschonung. 2. Dem Unwesen der Wilddiebe und Jagdverbrecher energisch und mit allen gesetzlichen Mitteln entgegenzutreten. 3. Den Handel mit gestohlenem Wilde und Wildbret innerhalb der gesetzlichen Schonzeit möglichst zu verhindern. 4. Die Pflichttreue einzelner Jagdschutzbeamter durch Aussetzung von Belohnung anzuspornen. 5. Auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Beratung des neuen deutschen Reichsjagdgesetzes, vom Standpunkt des praktischen Jägers, seiner Meinung Ausdruck zu geben und darauf hinzuwirken, dass ein einheitliches Jagdgesetz und die Einführung der gleichen Schonzeiten im ganzen Deutschen Reiche zustande kommen. Historische und gesellschaftliche Hintergründe Nachvollziehbar ist das vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen Entwicklung: Mit der Revolution geht 1848 das Jagdrecht an die Grundbesitzer, die Jagd wird bürgerlich. Viele leiten daraus das Recht ab, nach eigenem Ermessen waidwerken zu können – wie, wann und wo sie wollen. In der Chronik zum 50-jährigen Bestehen des ADJV heißt es deshalb drastisch: Die Gründer fühlten sich „berufen, in der Heimat dem wüsten Schauspiele einer blutigen Schlächterei der Pöbelmassen zu wehren, die das Wild zusammenknallten und obendrein den Anspruch erhoben, der neuen Freiheit und Herrlichkeit Richtung und Inhalt zu geben“. Ob der DJV sich bei seiner Gründung am 30. November 1949 an solche Missstände erinnerte oder fürchtete, es könne erneut dazu kommen, sei dahingestellt. Jedenfalls knüpfte er mit seiner Namensgebung als Jagdschutzverband bewusst an die Tradition des ADJV an. In beiden Fällen wird das darin enthaltene Wort „Schutz“ eng ausgelegt und fast ausschließlich auf den begrenzten Bereich von Jagd und Wild bezogen. Alte Gegensätze überwinden Zunehmend aber setzte sich ein umfassenderer, flächendeckender Naturschutzbegriff durch, der den oft polemisch ins Feld geführten Gegensatz von Schützern und Nutzern aufhebt. Längst ist deshalb Jagd angewandter Naturschutz. Jäger haben einen direkten Zugriff auf die Fläche, wirken mit ihren Maßnahmen und Projekten in die Landschaft hinein. Denn sie haben regelmäßig direkten Kontakt zu den Grundeigentümern, von denen sie ihr Jagdrevier gepachtet haben. Durch die Länge der Pachtperiode, in der Regel neun bis zwölf Jahre, können Naturschutzprojekte langfristig angelegt werden. Die Stärke der Jäger ist der angewandte, praktische Naturschutz. Sie richten Ruhezonen ein und legen Äsungs- und Deckungsflächen oder Laichgewässer an, pflanzen Hecken und Gebüsche, Kräuter- und Blütenpflanzen oder pflegen Streuobstwiesen. Diese neuen Lebensräume kommen nicht nur dem Wild zugute. In unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft profitieren auch viele selten gewordene Reptilien, Vögel, Schmetterlinge, Hummeln und andere Insekten. Deshalb funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen Naturschützern vor Ort in aller Regel auch gut, auch wenn sich die Verbände auf Landes- oder Bundesebene ideologisch beharken. Ja, nicht wenige Jäger sind Mitglied in nichtjagdlichen Naturschutzorganisationen oder umgekehrt: Mitglieder nichtjagdlicher Naturschutzorganisationen sind auch Jäger. Sie eint das Ziel, die biologische Vielfalt zu bewahren. Dazu schützen sie gemeinsam Flächen, Arten und Naturgüter. Es geht dabei stets um Erhalt oder Wiederherstellung sowie nachhaltige Nutzung. Bewahrung der biologischen Vielfalt Über Einzelmaßnahmen hinaus haben Jäger in vielen Bundesländern eigene großflächige und langfristige Artenschutzprogramme begründet, etwa für Rebhuhn, Auerwild, Birkwild, Haselwild, für Großtrappe, Seehund und Fischotter. Da wird nicht nur gepflanzt und gesät, sondern auch wissenschaftlich gearbeitet. Es erfolgen Bestandserhebungen durch Frühjahrs- und Herbstzählungen, es werden Biotopstrukturen und Umweltfaktoren erfasst, Klima- und Witterungsdaten ausgewertet, bodenkundliche Werte ermittelt. Auf dieser Grundlage erfolgt die weitere Projektplanung. Die sich verändernde Einstellung war bereits erkennbar an der Mitgliedschaft des DJV im Deutschen Naturschutzring (DNR). Augenfällig und manifestiert wurde sie durch die Umbenennung des DJV im Jahr 2013. Dessen vollständiger offizieller Name lautet heute „Deutscher Jagdverband - Vereinigung der deutschen Landesjagdverbände für den Schutz von Wild, Jagd und Natur“. Er als Dachverband und fast alle seine Landesgliederungen sind anerkannte Naturschutzvereinigungen. Das belegt, dass auch der Staat längst die Jagd als angewandten Naturschutz würdigt. Jagd als angewandter Naturschutz anerkannt Eine Ausnahme ist der Landesjagdverband Nordrhein-Westfalen (LJV NRW). Auch er hat sich auf den Weg zur entsprechenden formalen Anerkennung gemacht. Augenfällig geschah das auf dem jüngsten Landesjägertag. Dort wurde explizit „die Förderung des Naturschutzes, des Umweltschutzes und der Landschaftspflege“ im Sinne der einschlägigen Bundes- und NRW-Landesgesetze in die Satzung aufgenommen. Inhaltlich dürfte sich dadurch aber wenig an der Arbeit des LJV ändern. Denn dass er sich den Zielen des Naturschutzes schon lange verschrieben hat, wird unter anderem in der verbandseigenen Wildtier- und Biotopschutz-Stiftung deutlich. Ausdrücklich dient sie der „Pflege und Förderung des Tierschutzes – insbesondere des Schutzes und der Hege der freilebenden Tierwelt und Sicherung ihrer Lebensgrundlagen unter Wahrung der Landeskultur – des Naturschutzes, der Landschaftspflege und des Umweltschutzes“. Ihr Zweck ist zudem die Förderung der Bildung und Erziehung durch Wissensvermittlung „insbesondere im Bereich des Natur- und Landschaftsschutzes“. Jährlich vergibt der LJV deshalb über die Stiftung als Anerkennung für herausragende Leistungen in der Lebensraumverbesserung und für entsprechende Leistungen in der Umweltpädagogik den Biotophegepreis und den Lernort-Natur-Preis.

  • Bauern beklagen großen Ausverkauf von Agrarflächen

    Mehr Freiwilligkeit, weniger Vorgaben, eine bessere Ernährungssicherheit statt grüner Träumereien mit viel zu viel Bürokratie: ein Blick auf den schleswig-holsteinischen Landesbauerntag und damit eine starke Agrarregion Foto: Matthias Pätzold / pixelio.de Die auf dem schleswig-holsteinischen Landesbauerntag vorgetragenen Forderungen an die Politik sind von „bundesweiter Tragweite“. So formulierte es Ende vergangener Woche der Präsident des nördlichsten Bauernverbandes, Klaus-Peter Lucht vor rund 700 Landwirten. Damit eröffnete er den Landesbauerntag in Rendsburg, der mit der 75. Agrarmesse am Ufer des Nord-Ostsee-Kanals zusammenfällt. Agrarmessen haben unverändert überall in den ländlichen Regionen eine hohe Anziehungskraft und gelten als regionale Stimmungsbarometer mit Ausstrahlung auf das ganze Land. Die „Norla“, so heißt diese Leitmesse im Norden, meldet immer wieder Rekorde, so auch in diesem Jahr: 584 Aussteller sind in Rendsburg gemeldet, fast 80.000 Besucher passierten am Wochenende die Messetore. Zu jedem Bauerntag gehören Botschaften. So ging es in den Rede- und Diskussionsbeiträgen um Themen wie auskömmliche Milch- und Fleischpreise, die Zukunftssicherung der verbliebenen Höfe. Dabei verursacht der stete Verlust an Agrarflächen großes Kopfzerbrechen. Der ausufernde Landverkauf an Photovoltaik-Investoren müsse gestoppt werden. Das unterstrich Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Werner Schwarz (CDU). Er beklagte: „Tag für Tag gehen Flächen verloren. Photovoltaik gehört zuerst auf Dächer, an Gebäude, auf Konversionsflächen, aber nicht auf Wiesen oder Ackerland.“ Allein auf rund 50 Prozent der bisherigen landwirtschaftlichen Flächen auf beiden Seiten der Autobahn A7 zwischen Flensburg und Hamburg dominiert Photovoltaik statt Weizen, Gerste oder Raps. „Das ist im westlichen Niedersachsen noch schlimmer“, heizte ein Gast aus dem Ammerland die Diskussion an. „ In einer völlig anderen Welt als vor fünf Jahren“ Bauernchef Lucht beschreibt den schnellen Strukturwandel, von dem seine Branche betroffen ist, so: In der Landwirtschaft lebe man heute „in einer völlig anderen Welt als noch vor fünf Jahren“. Globale Bedrohungen und verletzliche Lieferketten machten aktuell die Ernährungssicherheit zur obersten Prämisse für die bundesweite Landwirtschaft. Im politischen Tun spiegele sich das aber nicht ausreichend wider. Lucht: „Die subjektive Wahrnehmung ist, dass 43 Prozent im Land die Grünen gewählt haben und nur 19 Prozent die CDU“, monierte Lucht und fügte hinzu: „Dabei war das letzte Landtags-Wahlergebnis genau anders herum.“ Klaus-Peter Lucht nahm damit das von den Grünen geführte Kieler Umweltministerium ins Visier. Die Zusammenarbeit lasse zu wünschen übrig. „Wir fühlen uns hin- und hergerissen. So beispielsweise beim Aushandeln von Zielvereinbarungen, die die Agrarverbände mit der Landesregierung zum Ostseeschutz formuliert haben. Das Gleiche gilt bei der Knickpflege", schimpfte Lucht. Knicks sind landestypisch zwischen Nord- und Ostsee die mit Bäumen und Sträuchern bepflanzten Erdwälle. Der Bauernpräsident beklagt, dass in Schleswig-Holstein Naturschutz einseitig zu Lasten der Landwirte gehe, Das gelte beispielsweise für die 4.600 Hektar, auf denen im Lande neue Naturschutzgebiete entstehen sollen. „Neue Flächen dafür zu nehmen, geht gar nicht, das lassen wir mit uns nicht machen“, kündigte Lucht unter lautem Beifall an. Er war so stark, dass das Stimmungsbarometer entsprechend nach unten ausschlug.

  • Bekenntnisse zum ländlichen Raum und was die Jägerschaft für den Naturschutz leistet

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundespolitik Liebe Leserin, lieber Leser, „Mehr Sauerland für Deutschland“ versprach Friedrich Merz und meinte seine Einstellung zur Entwicklung des ländlichen Raumes – auch unter seiner Kanzlerschaft. Das löst er mit weiteren Zitaten und Bekenntnissen dazu ein, wenn er die Bundesländer bereist. Das ist die andere Seite des inzwischen zunehmend kritisierten Starts seiner Koalition mit der SPD. Auch von dort kommen Signale zur politischen Entdeckung des ländlichen Raumes. Das ist ein Thema dieses Wochenkommentars, um das es auch uns von natur+mensch geht, wenn wir Zusammenhänge und Strukturen im Lande beleuchten. Unsere Stiftung wurde übrigens vor 25 Jahren vom früheren Landwirtschaftsminister und Jagdverbandspräsidenten Jochen Borchert gegründet, um u.a. einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, wie aktiv Jäger am angewandten praktischen Naturschutz arbeiten. Das verdient Anerkennung. Wenn unsere Beobachtung zutrifft, unterstreichen inzwischen eine Reihe von Kanzler-Zitaten einen auffälligen Unterschied zur Vergangenheit an der Spitze unserer Regierung. Keiner seiner Vorgänger oder Vorgängerin hat sich so klar und mehrfach zum ländlichen Raum und seiner Bedeutung für die Deutschen bekannt wie Friedrich Merz. Abgesehen von seiner gerade immer wieder demonstrierten Zuneigung zur eigenen Heimat im ländlichen Sauerland, lässt er da auch in seinem politischen Alltag nicht locker. Nach seiner ersten Duftmarke in diese Richtung mit der Äußerung in seiner Regierungserklärung im Mai „mir ist der Erhalt des ländlichen Raumes, seiner Kultur und seiner Lebensweise sehr wichtig“, bestätigt er das bei verschiedenen Auftritten im Lande. Im innenpolitischen Alltag scheint das Vertrauen des Kanzlers in die Leistungsfähigkeit des ländlichen Raumes ungebrochen. Wir erinnern uns an sein Wahlplakat „Mehr Sauerland für Deutschland“ . Das scheint ihn weiter zu bewegen und wird schon auf andere Regionen übertragen. Das Landwirtschaftliche Wochenblatt in Bayern hat sich kürzlich in einem Kommentar auf sein Urlaubsdomizil am „schönen Tegernsee“ bezogen. Das Ehepaar Merz habe ein Haus (keine Villa) in Gmund. Die Autorin fügt an: „Geerbt, hört man. Mehr Oberbayern für Deutschland: Das wäre jedenfalls keine schlechte Perspektive.“ Das setzt sich also sogar in süddeutschen Köpfen etwas fest, wenn es um Bekenntnisse zu ländlichen Gefilden geht.   Das Malerische und Romantische macht natürlich nicht alleine die Strukturen in ländlichen Räumen aus. Gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen selbstverständlich Veränderungen bei den Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Menschen in ländlichen Räumen . Die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sind stark zurückgegangen, andere Sektoren gewinnen an Bedeutung. In ländlichen Räumen nehmen inzwischen produzierende Unternehmen und der Dienstleistungssektor einen dominierenden Anteil in der Branchenstruktur ein. Zum Spendenformular Die politische Entdeckung des ländlichen Raumes   Bei seinem Antrittsbesuch in NRW, wie schon zuvor in Bayern, thematisierte Merz den ländlichen Raum am Beispiel einer Stadt in zentraler Funktion und ihre Vernetzung mit dem Umland: „Diese Symbiose zwischen ländlichem Raum und urbanem Zentrum hat mir immer schon gut gefallen. Und die kommt in wenigen Städten und Regionen so schön zum Ausdruck wie in Münster und dem Münsterland.“  Dort fand in der Provinz wie zuvor schon bei Söder auf der Zugspitze die Kabinettssitzung der Landesregierung (sorry, für Bayern korrekt „Staatsregierung“) statt. Und nicht weit vom zitierten Tagungsort der schwarz-grünen Regierung Wüst zum NRW-Antrittsbesuch des Kanzlers entfernt waren ähnliche Töne aus der anderen Richtung zu hören – wie schon kürzlich in diesem Newsletter aus Niedersachsen zitiert. In Lengerich, einer Kleinstadt am Teutoburger Wald, trat der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch fast gleichzeitig mit einem ähnlichen Zitat in Erscheinung: „Der ländliche Raum darf nicht abgehängt werden“ . Irgendwie boomen jetzt Bekenntnisse zu den Regionen außerhalb der großen Ballungszentren, statt bisher lediglich einzelne Themen wie Landwirtschaft und Nachhaltigkeit, dabei oft verbunden mit urbanen Gedankenrichtungen, wie der ländliche Raum zu funktionieren habe.   Beispielgebend für diese Sichtweisen, die aus städtisch verorteten Köpfen das Land gestalten zu versuchen, ist eine andere politische Kraft, die sich von den Regierungsbänken verabschiedet hat und nun ihre neue Rolle in der Opposition  sucht. Auch das war in dieser Woche ein politisches Thema: Der Abgang Habecks als Vizekanzler, Wirtschaftsminister und grüne Leitfigur war wohl für viele in seiner Partei schmerzhaft, in der Wirkung darüber hinaus allerdings irritierend. Wenn jetzt der Reformherbst der Ampel-Nachfolge nach der Sitzung des Koalitionsausschusses in dieser Woche beginnt, werden dazu auch Umkehrbeschlüsse zur Ära Scholz-Habeck-Lindner gehören. Beim Auto deutet sich das schon an. Der Leidensdruck bei den politisch in die E-Mobilität getriebenen Herstellern und Zulieferern wächst so dramatisch an, dass Berlin nun die EU drängen wird, die ehrgeizigen Terminziele zum Ende der Verbrenner-PKW aufzuweichen oder aufzugeben. Damit haben in der Regierung die Sozialdemokraten Schwierigkeiten, weil sie sich von eigenen Beschlüssen zu verabschieden haben. Und die Grünen werden dazu wohl rhetorisch scharfe Schwerter ziehen. Das kann für sie vielleicht die Phantomschmerzen beim Verlust ihrer Leitfiguren Baerbock und Habeck ein wenig ausgleichen.   Was bringt der Herbst – Reformen oder Reförmchen?   Nicht nur angesichts enttäuschender Umfragen und kritischer Reaktionen aus der Wirtschaft wächst der Reformdruck zum Herbst . So etwa, wenn vom Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing beim Bankentag gesagt wird : „Neue Impulse sind nötig, um dort anzuknüpfen, wo Deutschland im Frühsommer stand. Nach der Bundestagswahl war Aufbruch zu spüren: neue Dynamik, frischer Optimismus. Einiges davon scheint über den Sommer jedoch verloren gegangen zu sein. Die Schlagzeilen sind wieder überwiegend negativ. Und in der politischen Debatte stehen zu oft nicht Reformen im Mittelpunkt, sondern Dissonanzen" . Deutschland fehle es nicht an Potential, aber an Mut und dem klaren Bekenntnis zur Veränderung". Da stellt sich die Frage, ob dies wirklich ein Herbst der Reformen oder nur Reförmchen wird. Im Koalitionsausschuss am Mittwoch ging es wohl mehr um den sichtbaren Umgang miteinander in der Koalition. In der Sache bleiben große Differenzen. Sie sind festzumachen an ihrem Ausmaß zwischen Merz und seiner Sozialministerin von der SPD.   Zur Nervosität tragen Umfragezahlen bei. Da ist der jüngste Deutschland-Trend mit der Feststellung, dass das Ansehen der Bundesregierung nach vier Monaten im Amt an einem Tiefstand angekommen sei. A ktuell sagen nur noch 22 Prozent, dass sie mit der Arbeit der Bundesregierung sehr zufrieden oder zufrieden sind. Und da ist der Schock aus Sachsen-Anhalt , wo Ministerpräsident Haseloff seinen Nachfolger ohne Amtsbonus in die Wahl schickt und die AfD bei der Sonntagsfrage weit vor der CDU liegt.   Still, aber konsequent und zielführend   Mehr Reformeifer zeichnet sich dagegen im Bereich der Landwirtschaft schon ab . Still aber konsequent und nach ersten Eindrücken zielführend positioniert sich Alois Rainer als Landwirtschaftsminister mit einem Kontrastprogramm zu seinem grünen Vorgänger Cem Özdemir. Bei der Vorstellung des inzwischen mit seinen positiven Ergebnissen bekannten Ernteberichtes betont er, mit seinem Kurswechsel im Hause die landwirtschaftlichen Betriebe wieder zu entlasten. Er zeigt sich jedenfalls ziemlich entschlossen, die Agrar- und Ernährungswirtschaft zu stärken. „Wir halten Wort mit weniger Bürokratie, mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Planungssicherheit.“      Den Nutztierhaltern, Jägerinnen und Jägern verspricht er weiter, bis Januar ein neues Jagdrecht vorzulegen, in das der Wolf aufgenommen werde. Er wolle für eine neue Regelung sorgen, die auch rechtssicher sei. Das versicherte er schon im letzten Monat bei der jährlichen „Hauptalmbegehung“ bei Ruhpolding mit seiner bayerischen Amtskollegin Kaniber. Noch entschlossenere Töne sind aus der österreichischen Nachbarschaft in den Alpen zu hören. Dort fordert inzwischen der Tiroler Politiker Franz Hörl, der nach einem Bericht der Zeitung „Krone“ für die ÖVP voraussichtlich in Kürze in den Nationalrat zurückkehrt, Entschlossenheit zu einer Jagdgesetznovelle. Damit solle eine generelle Bejagung von Wölfen und Bären ermöglicht werden, weil sich die Berichte über Angriffe auf Nutztiere mehren würden. Die Stimmung in Österreich ist jedenfalls zu diesem Thema ebenso gereizt wie bei uns im Norden an den Deichen mit Wolfs- und Goldschakalrissen.   Jäger aktiv im angewandten und praktischen Naturschutz   Hier die Nutzer, dort die Schützer  – noch immer denken manche in diesen tradierten und meistens ideologiebehafteten Kategorien. Wie selbstverständlich ordnen sie dabei die Jäger den Nutzern zu. Das ist längst überholt. Jäger sind aktiv im angewandten, praktischen Naturschutz. Sie richten Ruhezonen ein und legen Äsungs- und Deckungsflächen oder Laichgewässer an, pflanzen Hecken und Gebüsche, Kräuter- und Blütenpflanzen oder pflegen Streuobstwiesen. Diese neuen Lebensräume kommen nicht nur dem Wild zugute. In unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft profitieren auch viele selten gewordene Reptilien, Vögel, Schmetterlinge, Hummeln und andere Insekten. In seinem Blog-Beitrag in der kommenden Woche wird unser Autor Christoph Boll zeigen, wie sich der Jagdschutz vergangener Zeiten zum modernen angewandten Naturschutz gewandelt hat. Der DJV hat diesen Prozess 2013 in einer Namensänderung nachvollzogen. Heute heißt er Deutscher Jagdverband - Vereinigung der deutschen Landesjagdverbände für den Schutz von Wild, Jagd und Natur. Richtigerweise ist er als Dachorganisation ebenso wie fast alle seine Landesgliederungen längst als Naturschutzverband anerkannt. Naturerlebnisse gehören für viele zu einem erholsamen Wochenende. Die Frage, wer sie alles schützt, wird zu oft einseitig beantwortet. Das bleibt ein Thema für uns in der Stiftung natur+mensch, die sich seit 25 Jahren für eine wildtierfreundliche Natur einsetzt und für die Landschaftspflege arbeitet. In diesem Sinne und mit diesem Wochenkommentar verbleibe ich      Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination

  • Kampf gegen einen Vielfraß

    Seit 100 Jahren ist der Japankäfer weltweit auf dem Vormarsch. Jetzt droht der Einzug des Schädlings in deutsche Obst- und Gemüseplantagen, Weinberge, Wälder und Parks. Das Landwirtschaftsministerium ist alarmiert und ruft zur Mithilfe auf Foto: Joseph Berger, Bugwood.org , Popillia japonica (59) , CC BY 3.0 US Er ist etwas kleiner als die Ein-Cent-Münze. Doch überall dort, wo der Japankäfer in Scharen auftritt, hinterlässt er kahlgefressene Flächen, skelettierte Blätter und zerstörte Wurzeln. Ob Eiche, Spargel, Mais, Apfel, Wein oder Wiese – der am Kopf metallisch grün glänzende Käfer mit den braunen Flügeln und markanten weißen Haarbüscheln an den Seiten und am Hinterteil verschmäht kaum etwas. Weit über 300 Pflanzenarten stehen auf seinem „Speiseplan“. „Man könnte fast sagen, er frisst alles, was grün ist“, formulierte es kürzlich Käferforscher Jens Esser gegenüber dem SWR. In den USA, in Italien und der Schweiz verursacht das Insekt bei zahlreichen Kulturpflanzen jährlich Schäden in dreistelliger Millionenhöhe. Wer die Homepage des Bundeslandwirtschaftsministeriums aufruft, findet dort seit dem 26. August Informationen über eine groß angelegte Kampagne. Sie trägt den Titel „Japankäfer stoppen“. Ein Fund des Schädlings ist meldepflichtig Unmissverständlich warnt das Ministerium vor den weitreichenden Folgen einer Verbreitung des gefräßigen Käfers und bittet die Bevölkerung eindringlich darum, jeden Fund oder Verdacht mit Datum und Fundort dem zuständigen Pflanzenschutzdienst mitzuteilen. Wer einen Japankäfer entdeckt, muss handeln. Ein Fund ist meldepflichtig. Viel Zeit bleibt nicht, denn die Weibchen legen zwischen 40 und 60 Eier – bevorzugt in feuchte Wiesenböden und Weideflächen. Vom Ei bis zum erwachsenen Käfer vergeht ein Jahr. In Deutschland, so das Ministerium, sei der Japankäfer bisher nicht „etabliert“, es habe aber erste Gebiete mit Käferbefall gegeben. Im Juli entdeckte man ihn in Freiburg und im August in Trebur in Südhessen. Der Japankäfer hat sich dort angesiedelt und auf niedrigem Niveau vermehrt. In Baden-Württemberg und in Hessen unternimmt man inzwischen alles, um den Schädling vor Ort auszurotten. Im letzten Jahr im Südwesten aufgetaucht 2024 sorgte der Japankäfer erstmals in einer deutschen Region für Alarmstimmung. Betroffen waren Städte und Gemeinden in Südbaden an der deutsch-schweizerischen Grenze. Auf der schweizerischen Seite waren zahlreiche Exemplare des Käfers in einem Rollrasen entdeckt worden. Nach weiteren Funden wurde eine sogenannte Pufferzone im Landkreis Lörrach eingerichtet. Betriebe oder auch Privatpersonen, die in der großen Zone lagen, mussten Grünschnitt oder Erde zwischenlagern und durften das Material nicht weitertransportieren. Zu groß war die Angst davor, dass sich der Käfer ausbreitet. Die Bekämpfung des Japankäfers erfolgt auf Basis einer EU-Verordnung sowie des Pflanzenschutzgesetzes und Pflanzengesundheitsgesetzes. Sie ist europaweit geregelt. Zwar gehören Vögel, Maulwürfe oder Spitzmäuse zu den natürlichen Feinden des Japankäfers. Doch wenn der Vielfraß in Massen auftritt, haben diese Tiere gegen die invasive und schädliche Käferart keine Chance. Eine Bekämpfung ist aus Sicht von Experten auch deshalb in jedem Fall sehr dringend. Notfallplan und erste Zulassung zur chemischen Bekämpfung In Italien und der Schweiz werden parasitäre Fadenwürmer, sogenannte Nematoden, und insektenpathogene Pilze gegen den Japankäfer eingesetzt. Es gab erfolgreiche Versuche, den Käferlarven und -puppen mit der Motorfräse das Überleben schwer zu machen. In sehr stark befallenen Gebieten wurde der Boden mit Folie abgedeckt, um die Käfer im Sommer am Ausflug zu hindern. Darüber hinaus wurden Trichterfallen mit synthetischen Lockstoffen aufgestellt, aus denen die Schädlinge nicht mehr entkommen können. In einem Notfallplan des Julius-Kühn-Instituts (Bundesforschungsinstituts für Kulturpflanzen) für den Japankäfer wird auch die chemische Bekämpfung erläutert. Dazu gehört der Einsatz von Kontaktgiften. Netze werden mit einem Insektizid imprägniert. Darunter befindet sich der Lockstoff. Fachleute sprechen von einer Attract-and-Kill-Strategie – anlocken und töten. Erste Notfallzulassungen für die Bekämpfung des erwachsenen Käfers wurden in den vergangenen Wochen bereits vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit erteilt. Landwirte und Gartenbesitzer müssen bundesweit wachsam sein, denn auch die klimatischen Veränderungen begünstigen den Vormarsch.

  • Weinanbau: „Schwierigste Lage der Nachkriegszeit“

    Die deutschen Weine sind von guter Qualität. Doch Klimawandel, teure Produktionskosten und die Zölle machen den Winzern das Leben schwer. Sehr schwer Foto: Grace Winter / pixelio.de Da klingt schon etwas wie Verzweiflung durch. „Es würde allen helfen, wenn die Deutschen pro Kopf eine Flasche Wein mehr trinken würden.“ Veröffentlicht wurde dieser Aufruf vom Verein der Zukunftsinitiative Deutscher Weinbau, einem Zusammenschluss von Winzerinnen und Winzern aus Deutschland. Dabei gehe es, so teilte der Verein mit, nicht darum, grundsätzlich mehr Wein zu konsumieren. Es geht um die Herkunft Made in Germany. „Es geht uns darum, dass der deutsche Verbraucher eine Flasche deutschen Wein pro Jahr und pro Kopf mehr kaufen und trinken soll – und zwar anstelle einer Flasche importierten Weins .“ Es geht um eine bewusste Kaufentscheidung, um heimische Betriebe zu stärken, präzisierte der Verein kurz vor der jetzt bundesweit beginnenden Weinlese seine Kaufempfehlung. Ein Aufruf, der vor dem sehr ernsten Hintergrund einer bisher noch nie dagewesenen Krise des europäischen und damit des deutschen Weinanbaus erfolgt. Innerhalb der nächsten Wochen droht Hunderten Winzerbetrieben in allen Anbauregionen das wirtschaftliche Aus. Und das trotz einer qualitativ guten Trauben-Ernte und eines anerkannt guten Qualitätsstandards der heimischen Tropfen. Verkaufspreise unter Erzeugerkosten Die übervollen Rebstöcke sind für die Winzer also nicht nur gute Nachricht, denn eine Überproduktion bedroht auch die Qualität. Die Winzer müssten nun eingreifen und überzählige Trauben vorzeitig abschneiden. So könnten sich die Beeren am Stock besser entwickeln, ablesbar in höheren Mostgewichten, hieß es. Das Mostgewicht gibt den Zuckergehalt an. Die aktuelle Lage ist „dramatisch“, die Preise für Trauben- und Fassweine liegen aktuell bei nur 40 bis 60 Cent pro Liter und damit weit unterhalb der Produktionskosten. Bereits im vergangenen Jahr habe es ähnlich niedrige Preise gegeben; ein zweites Jahr in Folge auf diesem Verkaufsniveau bedeute für viele Betriebe das wirtschaftliche Ende. Beispiel Rheinland-Pfalz: Auch die dortige Weinbauministerin Daniela Schmitt (FDP) sieht den Weinbau in einer existenziellen Krise und sagt das Verschwinden zahlreicher Betrieb voraus. „Ich glaube, wir werden eine massive Marktbereinigung bekommen, 20 bis 30 Prozent der Betriebe werden verschwinden, einige ganz still“, sagte die FDP-Politikerin. „Es ist die schwierigste Lage der Nachkriegszeit. Wir müssen von einer existenziellen Krise sprechen.“ Rheinland-Pfalz ist in Deutschland das Weinbauland Nummer eins, unter anderem mit den zwei großen Anbaugebieten Rheinhessen und Pfalz. Die Krise der Weinbranche beziehe auch andere Branchen mit ein. Gerade der Tourismus in der sonst eher strukturschwachen Mosel-Region lebe vom traditionell bewährten Zusammenspiel mit dem Weinanbau zum Beispiel an der Mosel. Viele Hotels und Gasthöfe locken ihre solvente Kundschaft gern mit Besuchen auf Weingütern – mitsamt Verkaufsveranstaltungen. Dumpingpreise im Supermarkt Die Gründe für den Absturz der heimischen Weinbranche sind weniger hausgemacht, haben sich doch gerade jüngere Winzer aufgemacht, verstärkt auf qualitativ hochwertige Weine zu setzen. Doch der Umstieg auch auf ökologische Erzeugung zum Beispiel ohne Pestizide ist teuer, der Verbraucher – wie in fast allen Bereichen gerade im landwirtschaftlichen Segment – goutiert das beim Kauf aber nur in geringem Maße. Die Zehn-Euro-Marke ist für viele Kunden immer noch eine Schallmauer, angesichts der steigenden Inflation gerade im Bereich Lebensmittel wird diese Grenze eher höher als niedriger. Ein großer Teil der Weine auch aus deutscher Produktion wird nämlich über die Supermärkte verkauft. Hier geht es ums Prinzip Masse, nicht unbedingt Klasse. Gerade Discounter zahlen den Winzern für ihre Produkte aber eher Dumpingpreise. Stark gestiegene Kosten für Energie und Personal machen den Winzern zusätzlich zu schaffen. Den Rest dürften den europäischen Betrieben jetzt die hohen US-Zölle geben. Gerade in den Staaten war deutscher Wein in der Vergangenheit durchaus ein Verkaufsschlager. Flexibilität ist jetzt gefragt, wieder einmal. Noch einmal die rheinland-pfälzische Landwirtschaftsministerin Daniele Schmitt: „Viele Winzer haben nur auf einen Absatzmarkt gesetzt, vor allem an der Mosel. Es ist aber wichtig, neue Märkte zu erschließen.“ Als Beispiele für neue, interessante Märkte nannte die Ministerin Japan und Indien.

  • Beim Jagdtourismus entscheidet das Wie

    Die Jagd scheidet die Geister. Das gilt noch mehr für die Auslandsjagd und den Jagdtourismus. Dabei gibt es gute Gründe, sein Waidmannsheil in fernen Gefilden zu suchen. Entscheidend ist das Wie Foto: ChatGPT Mit ihrem Interesse, fremde Kulturen, neue Menschen und Orte kennenzulernen, unterscheiden sich Jäger nicht von anderen Reisenden. Sie reizt zudem, unbekanntes Wild zu erleben und zu erlegen. Deshalb besuchen sie Nordamerika, Zentralasien oder den schwarzen Kontinent. Insofern ist Auslandsjagd längst ein Massenphänomen und nicht mehr reichen Eliten vorbehalten. Schnell wird dem Jäger aber ein Trophäenkult unterstellt, wenn er auf fremden Wechseln pirscht. Selbst gestandene Waidmänner rümpfen gelegentlich die Nase, wenn es um Elefanten- oder Löwenjagd geht. Doch die Reduzierung der Jagd auf die Trophäe ist irreführend – wobei gegen eine Trophäe als Erinnerungsstück nichts spricht, wenn sie waidgerecht erbeutet wird. Zunächst bieten fremde Länder und Reviere nur Jagderlebnisse, die es daheim nicht gibt. Die Auslandsjagd wird, besonders wenn es um Afrika geht, von Kritikern gerne als vermeintliches Erbe der Kolonialzeit geschmäht, die darüber oft die Jagd insgesamt diskreditieren wollen. Dabei wird von Jagdgegnern gerne das Klischee des „alten weißen Mannes“ als Trophäenjäger transportiert. Man erinnere sich nur an die Kritik die auf den spanischen König Juan Carlos 2012 niederprasselte, als seine Elefantenjagd in Botswana wegen eines Unfalls öffentlich bekannt wurde. Überhaupt wird die öffentliche Wahrnehmung der Auslandsjagd von gefühlsbetonten Botschaften und Bildern geprägt. Dabei nehmen die Gegner es mit der Wahrheit nicht immer so genau. Naturschutzfachlich keine Einwände Bestes Beispiel dafür ist der Löwe „Cecil“, den ein amerikanischer Zahnarzt vor ziemlich genau zehn Jahren in Simbabwe nahe zum Hwange Nationalpark erlegte. Eigentlich war das ebenso wenig etwas Besonderes wie die Tatsache, dass er ein Sendehalsband trug. Auch naturschutzfachlich gab es bei dem Löwen in einem Alter jenseits der Reproduktionsphase keine Einwände. Gleichwohl wurde ein weltweiter Sturm der Entrüstung zum Thema Auslandsjagd und Artenschutz mit bis zu 12.000 redaktionellen Beiträgen täglich entfacht. Emotionen und Hass feierten in den sozialen Netzwerken fröhliche Urstände. Stars und Sternchen plädierten für ein Ende der Jagd in Afrika. In der Folge erließen Länder wie Frankreich und die Niederlande Einfuhrverbote fürJagdtrophäen vermeintlich gefährdeter Tierarten. In den USA gab es ein spezielles Cecil-Gesetz und etwa 40 Fluggesellschaften verkündeten, künftig keine Jagdtrophäen transportieren zu wollen. Völlig ausgeblendet wurde, dass die Jagd absolut legal war, was sich auch daran zeigt, dass niemand sich jemals deswegen gerichtlich verantworten musste. Dabei zeichnete sich die gesamte Kampagne, die in Ländern wie Sambia oder Tansania die Jagdeinnahmen so massiv einbrechen ließ, dass sie Naturschutz nicht mehr finanzieren konnten, durch sehr wenig Sach- und Fachkenntnis aus. Vorbehalte ohne Sach- und Fachkenntnis Fakt ist, dass die nachhaltige Jagd in Afrika jährlich nur sehr wenige Tiere der Wildbahn entnimmt. Der Autor Dr. Rolf Baldus, der 13 Jahre als Wildschützer in Tansania gearbeitet hat, beziffert ihre Zahl mit rund 120.000. Es möge für eine „verstädterte, naturferne Bevölkerung“ in Europa und Nordamerika schwer einzusehen sein, dass die kontrollierte Bejagung gefährdeter oder seltener Tiere zu ihrem Erhalt beitragen kann, weil sie ihnen einen Wert verleiht und vielerorts erheblich zur Sicherung der ländlichen Lebensgrundlagen beiträgt, zumal viele Regionen für den oft als Alternative genannten Fototourismus ungeeignet sind und die Erträge pro Jagdgast viel höher sind als im Massentourismus. So wird mit den Gastjägern ein wesentlicher Teil des Geldes erwirtschaftet, ohne das weder der Unterhalt teurer Nationalparks noch der Schutz gefährdeter Arten zu finanzieren wäre. Es entstehen also materielle Anreize für den Erhalt des Wildes, um es dauerhaft nutzen zu können. Nimmt man dem Wild diesen Wert, wird ihm vielfach die Lebensgrundlage entzogen, weil das Land anderen Nutzungsformen zugeführt wird. Dadurch verschwindet das Wild und große Gebiete gehen für die Natur verloren. Durch legale und nachhaltige Jagd hingegen ist in den vergangenen 100 Jahren noch keine einzige Tierart ausgerottet worden. Dass das Gegenteil der Fall ist und jagdliche Nutzung auch gefährdeten Tierarten oft zu einer positiven Entwicklung verhilft, belegt Baldus an zahlreichen Beispielen. Jagdliche Nutzung hilft bedrohten Arten Deshalb ist auch nicht verwunderlich, dass die Weltnaturschutzunion IUCN die kontrollierte Jagd als Mittel des Naturschutzes anerkennt und das Washingtoner Artenschutzabkommen CITES selbst die Aus- und Einfuhr der Jagdtrophäen gefährdeter Tierarten genehmigt, wenn dies zu ihrem Erhalt beiträgt. Außerdem bezeichnet die UN-Konvention CBD Naturschutz und nachhaltige Nutzung als die beiden Pfeiler für Artenvielfalt. Vor diesem Hintergrund sagt der Internationale Jagdrat: „Let Africa speak.“ Anders formuliert: Es ist eine besondere Form des Neokolonialismus, von Europa aus entscheiden zu wollen, was anderswo auf der Welt gejagt werden darf. Natürlich gibt es in vielen armen Ländern etliche negative Faktoren für bedrohte Arten: Wilderei, Korruption, zu hohe Abschussquoten, Lebensraumverlust durch wachsende Bevölkerung und Mensch-Tier-Konflikte. Wer dem als Jagdtourist begegnen will, achtet darauf, nicht die billigsten Jagden zu buchen, sondern nachhaltige, ethisch einwandfreie und in den Naturschutz eingebundene Angebote, bei denen auch Geld bei der Bevölkerung vor Ort bleibt. Denen, die das befolgen, sagt Baldus: „Schämen Sie sich nicht dafür, dass Sie in Afrika jagen! Da gibt es nichts zu verheimlichen! Erklären Sie stattdessen, was guten Jagdtourismus ausmacht. Denken Sie dabei an Wolfgang Burhenne: ‚Wir Jäger gehören zu den wenigen, deren Passion durch internationales Recht geschützt ist!‘“

  • Auf ein Selfie in die Berge – oder: wie die Natur überstrapaziert wird

    Ins Berner Oberland kommen seit dem Ende der Pandemie viele Pauschaltouristen aus Asien. Klassische Urlaubsregionen in den Alpen fürchten die Veränderungen und die Luftverschmutzung durch zusätzlichen Verkehr KI-Bild: Gemini Vor allem im Sommer kommen sie, frühmorgens oder am Spätnachmittag. Sie kommen zu Fuß, machen Selfies vor der Wiese mitten im Dorf Adelboden im Berner Oberland mit dem hochalpinen Panorama. Ganz rechts hinter ihnen der Großlohner mit 3055 Meter Höhe. Viele sind augenscheinlich auf den Flitterwochen, die Bräute –ganz in Weiß gekleidet – gehen manchmal auf die Wiese und werfen vor der Kamera das herrlich duftende Heu in die Höhe. An manchen Tagen kommen sie in Scharen. Die Erfahrung des „Overtourism“ machen nicht nur Venedig, Mallorca oder Amsterdam, sondern es trifft zunehmend beliebte und malerisch erscheinende Alpenregionen, wie wir es in diesem Beitrag für natur+mensch an dem Beispiel Adelboden in der Schweiz schildern. Wir greifen das Thema auf, weil dort Eingriffe in die Natur und natürliche Abläufe erfolgen, die Einheimische, insbesondere Bergbauern auf den Almen, in der geschilderten Intensität zunehmend erleben und – besser gesagt – auch hinnehmen müssen. An vielen Stellen regt sich Protest gegen unkontrollierte Touristenströme. Der Begriff „Overtourism“ stammt von der Welttourismusorganisation UNTWO, die damit Auswirkungen des Tourismus beschreibt, die das tägliche Leben der Einwohner und auch das Besuchserlebnis über ein normales Maß hinaus stören. Ein zu ein großer Anteil an Touristen kann so zu einem Störfaktor werden, der das Leben der Einheimischen belastet. Zurück zu unserem erlebten Beispiel in der Schweiz: In das Gesicht der Touristen dort im Berner Oberland steht die Freude darüber geschrieben, dass sie die Gerüche, die klare Bergluft und den Blick auf den schneebedeckten Wildstrubel-Gletscher zum ersten Mal persönlich erleben. Sie kommen aus Asien, viele Inder und Pakistanis sind darunter, viele sind Touristen aus den Golfstaaten. Frauen sind zuweilen voll verschleiert. Vor allem im August, wenn sich in Adelboden in der dritten Kalenderwoche Dutzende ultraorthodoxe jüdische Familien treffen, zu denen vielfach zahlreiche Kinder gehören, sind das für die Einheimischen und die Urlauber aus Europa völlig neue Eindrücke. Die Busparkplätze reichen schon nicht mehr aus Die asiatischen Touristen, die vor dem legendären Norro-Hügel posieren, wo Generationen von Kindern ihre ersten Rodel- und Skierfahrungen gemacht haben, sind nur für eine Nacht im Dorf. Im Hotel, das Teil des Pauschalarrangements ist, haben sie den Abstecher zur Wiese als Tipp beim Einchecken mitbekommen. Jeden Abend in der Sommersaison quälen sich sechs bis acht Reisebusse aus dem 850 Meter hoch gelegenen Frutigen auf 1350 Meter Höhe nach Adelboden. Die Busparkplätze in dem 3000-Einwohner-Dorf reichen schon nicht mehr aus. Ein Hotelier mit indischen Wurzeln betreibt seit einigen Jahren ein Traditionshaus am Ort und hat dem Tourismus von Asiaten den Weg hierhin gebahnt. Viele Menschen im Berner Oberland leben vom Tourismus. Auch in Adelboden freuen sich die Gastronomen über die neuen Gäste. Doch es gibt auch Stimmen, denen es zu viel wird. Sie schimpfen über die Verkehrsbelastung. Es sind nicht nur die Busse, es kommen auch Individualtouristen. Die Mietwagen in der Schweiz sind fast alle in Appenzell-Innerrhoden angemeldet. SUVs mit Schweizer „AI“-Kennzeichen sind verpönt im Land. Auch in Adelboden, wenn viele Fahrer mit Mietwagen die beschauliche Dorfstraße mit den zulässigen 50 Kilometern pro Stunde passieren. Oben in den Bergen und auf den Wanderwegen sind die vielen neuen Touristen nicht so häufig zu sehen. Die Pauschaltouristen bleiben ja meist nur eine Nacht. In Slots zur Auffahrt mit der Bergbahn Nach Adelboden schwappt eine Welle asiatischer Touristen herüber, die anderswo im Berner Oberland bereits Grenzen überschritten hat. Der Oeschinensee ist einer der schönsten Bergseen im Jungfrau-Aletsch-Gebiet. Der Ansturm ist so groß geworden, dass Touristen einen Slot buchen müssen für die Seilbahn. Zu Fuß eine knappe Stunde den Berg herauf von Kandersteg, das ist auch eine Alternative. Hier gibt es noch keine Beschränkungen. Auch der Blausee, ebenfalls im Kandertal, ist sehr belastet mit Touristen im Sommer. In Lauterbrunnen, einem Ort mit 2300 Einwohnern im Kanton Bern, wurden 2023 insgesamt 881.000 „Logiernächte“ gezählt. Das sind statistisch 383 touristische Übernachtungen pro Einwohner. Damit ist der Ort deutlich höher belastet als Paris, das 13 Millionen Einwohner hat und auf 85 Millionen touristische Übernachtungen kam. Das sind statistisch 6,5 Touristen-Übernachtungen pro Einwohner. Zuweilen sind die sozialen Medien der Auslöser für hohe Besucherzahlen. So etwa in Iseltwald. Dort gibt es einen Steg an einem Bergsee, auf dem eine romantische Szene des koreanischen Netflix-Dramas „Crash Landing on You“ gedreht wurde. Fans posteten einen Besuch vor Ort bei Tiktok. Seitdem wollen so viele Paare aus Südostasien ein Selfie von dem Steg, dass die Gemeinde den Zugang begrenzen musste. Der Besuch der öffentlichen Toilette kostet jetzt auch einige Fränkli. Wasserfälle sind auch ein beliebtes Fotomotiv bei Touristen. Unweit von Adelboden stürzen die Wassermassen spektakulär von den Engstligen, einer Alb am Fuß des Gletschers, ins Tal. In Adelboden fürchten die Menschen schon, dass die Engstligen-Wasserfälle bei den Touristen hoch in den Kurs kommen.

  • Warten auf die Wende

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundespolitik Liebe Leserinnen und Leser, in unserem Wochenkommentar blicken wir auf den Zustand der schwarz-roten Koalition gegen Ende der parlamentarischen Sommerpause, speziell angesichts der Herausforderungen im ländlichen Raum. Des Weiteren befassen wir uns angesichts neuer Entwicklungen unter anderem mit der zunehmenden Ausbreitung des Wolfes und den damit verbundenen Konsequenzen für Naturnutzer. Auch in Großstädten wie Hamburg schaffen Wildtiere wie Nutrias mittlerweile Probleme. Zum Schluss blicken wir voraus auf unseren Blog in der kommenden Woche zum Thema Auslandsjagd. Diese ist längst ein Massenphänomen und nicht mehr reichen Eliten vorbehalten. Schnell wird dem Jäger aber ein Trophäenkult unterstellt, wenn er auf fremden Wechseln pirscht. Doch die Reduzierung der Jagd auf die Trophäe ist irreführend. Schauen wir zum Ende dieser Woche zunächst nach Würzburg. Dort haben gestern und vorgestern die Spitzen der Koalitionsfraktionen von Union und SPD über ihr Programm für das zweite Halbjahr beraten. Eine solche Veranstaltung war dringend notwendig. Denn die Bilanz seit dem Regierungsantritt ist durchwachsen. Vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik besteht  noch reichlich Luft nach oben . Es fehlt vielfach der Mut zu wirklich tiefgreifenden strukturellen Reformen. Auch wurden Absprachen wie bei der Wahl zum Bundesverfassungsgericht in letzter Minute nicht eingehalten. Oder man streitet auf offener Bühne über mögliche Kürzungen im Sozialbereich sowie über denkbare Steuererhöhungen. In der Öffentlichkeit muss der Eindruck entstehen, die Koalition ziehe nicht an einem Strang, um die Probleme des Landes tatsächlich zu lösen. Jüngstes Beispiel dafür ist die geplante Wiedereinführung der Wehrpflicht . Es gibt sehr gute Gründe, hier gleich zu Beginn mehr verpflichtende Elemente zu schaffen. Insofern hatte Außenminister Wadephul mit seinem überraschend angedrohten Veto im Kabinett von der Sache her recht. Doch weshalb griff er nicht einfach zum Telefonhörer, um mit dem Kollegen Pistorius über seine Bedenken zu sprechen? Stattdessen wurde sein Einwand nach einem Tag von der Regierungsspitze kassiert. Ergebnis: Alles bleibt wie ursprünglich geplant, nur der fatale Eindruck von Uneinigkeit und Sprachlosigkeit zwischen Ministern hallt nach. Das kann man fraglos besser machen. Umgang mit Wolf bleibt Dauerärgernis Auch im ländlichen Raum wartet man gespannt auf die von Kanzler Merz und seinen Koalitionspartnern versprochene Wende zum Positiven. Wie im Rest der Republik belasten dort wirtschaftliche Wachstumsschwäche, Fachkräftemangel, Bürokratie und die allzu schleppende Digitalisierung in Verwaltung und Infrastruktur. Hinzu kommen spezifisch ländliche Herausforderungen wie die Zukunft der Landwirtschaft und die generelle Nutzung der Natur – alles Themenbereiche, die wir in unserem Blog besonders im Blick haben. Ein Dauerärgernis ist hier der Umgang mit dem Wolf. Mittlerweile scheint sich zwar in Brüssel und Berlin endlich die Einsicht durchzusetzen, dass der bisherige Schutzstatus nicht mehr zeitgemäß ist. Doch damit allein ist es nicht getan. Entscheidend bleibt, dass die Veränderungen auch vor Ort etwa für Landwirte und speziell Weidetierhalter spürbar werden. Denn die Wölfe breiten sich weiter aus. Wie die Süddeutsche Zeitung kürzlich berichtete, wächst mittlerweile auch im Fichtelgebirge die Unruhe. Am dortigen Schneeberg hat sich jetzt ein Wolfsrudel etabliert. Es ist auf drei Fotos dokumentiert, von denen ein Bild eine Wölfin mit Gesäuge und das jüngste Foto vier Welpen zeigt. Es gab in der Region zwar schon lange Hinweise auf Wölfe. Aber dies waren Jungwölfe auf Wanderschaft gewesen. Die Stimmung der Nutztierhalter  in der Region sei gerade geprägt von Ohnmacht und Unsicherheit , meldet der Bayerische Rundfunk und beruft sich dabei auf den örtlichen Geschäftsführer des Bauernverbands. Und ein Landwirt kündigte an, dass er seine Bisonhaltung aufgeben werde. Er befürchte, dass das Rudel die Wildrinder in Aufruhr versetzen könnte und diese dann aus ihrem umzäunten Gehege auf eine angrenzende Bundesstraße ausbrechen. Zum Spendenformular Derweil rechnen Experten in Sachsen in den kommenden Wochen laut dpa wieder mit mehr Angriffen von Wölfen auf Nutztiere. Seit Anfang August sei es in mehreren Gebieten bereits zu neun Rissen gekommen , teilte die Fachstelle Wolf im Landesamt für Umwelt, Geologie und Landwirtschaft mit. In allen Fällen habe man den Wolf mit hinreichender Sicherheit als Verursacher bestätigen können. Bei sechs der acht betroffenen Schafherden habe es einen Mindestschutz gegeben. In einem der Fälle sei ein Kalb gerissen worden. Bis Ende Juli waren in Sachsen 91 Schadensfälle bei Weidetieren gemeldet worden. In 55 Fällen konnte der Wolf mit großer Sicherheit als Verursacher bestimmt werden. 194 Weidetiere wurden getötet und 28 verletzt. Elf Tiere gelten als vermisst. Auch in den Jagdrevieren macht sich die zunehmende Ausbreitung der Wölfe bemerkbar. So wurde etwa in Mecklenburg-Vorpommern im vergangenen Jagdjahr 2024/25 deutlich weniger Wild erlegt. Jäger schossen in diesem Bundesland 59.631 Wildschweine – fast 19 Prozent weniger als im Schnitt der letzten zehn Jahre, wie das Umweltministerium in Schwerin mitteilte. Bei Damwild beträgt der Rückgang demnach 18 Prozent, bei Rehwild neun Prozent. Ein solcher Rückgang sei in Ländern wie Brandenburg oder Sachsen bereits früher als in MV festzustellen gewesen, erläuterte Minister Till Backhaus (SPD): „ Besonders in Brandenburg sind die Strecken in den letzten zehn Jahren rückläufig. Damit kann ein Zusammenhang mit der Ausbreitung des Wolfes abgeleitet werden.“ Nutrias auch in Hamburg Wie die zurückkehrenden Wölfe, die allerdings früher hier beheimatet waren, bereiten auch Nutrias als Neuankömmlinge vor allem im ländlichen Raum zunehmend Sorgen. Wie schon in einem Newsletter Anfang des Monats berichtet , breiten sich die ursprünglich aus Südamerika stammenden Tiere weiter aus. Sie untergraben Uferböschungen und Deiche und gefährden damit den Hochwasserschutz. Der Deutsche Jagdverband fordert deshalb vom Bund eine Aufnahme der Nutrias in das Bundesjagdgesetz und ein Bekenntnis zur Fangjagd, zumal es in den meisten Bundesländern bereits eine Jagdzeit oder entsprechende Sondergenehmigungen gibt. Laut DJV kamen Nutrias im Jahr 2023 in 35 Prozent der untersuchten 23.000 Jagdreviere vor. Dies entspreche einer  Verdopplung der Zahlen gegenüber dem Jahr 2015. Auch vor Großstädten machen die Nager längst nicht mehr halt. So breiten sie sich in den Hamburger Bezirken Wandsbek und Nord derzeit verstärkt aus, wie in dieser Woche der Senat der Hansestadt auf eine kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Ralf Niedmers mitteilte. Genaue Zahlen zur Größe der Population konnte der Senat nicht machen. Es sei aber davon auszugehen, dass die Tiere alle geeigneten Lebensräume in der Stadt erreichen könnten, hieß es. Das Beispiel Nutrias in Hamburg bestätigt einmal mehr, wie wichtig auch für die Bewohner von Ballungsräumen das Verständnis für solche natürlichen Zusammenhänge ist – eine Erfahrung, die auch die Bewohner mancher Berliner Stadtgebiete in ihren Gärten angesichts der dortigen Wildschweinplage gemacht haben … Auslandsjagd als Massenphänomen Ein anderes Thema. Nicht nur die Politiker haben den Sommerurlaub beendet. Auch in den meisten Bundesländern sind die Ferien vorbei. Mancher Jäger wird sie genutzt haben, um in fernen Revieren zu jagen, sei es zur Rehbrunft im europäischen Ausland oder gar in Afrika. Mit ihrem Interesse, fremde Kulturen, neue Menschen und Orte kennenzulernen, unterscheiden sich Jäger nicht von anderen Reisenden. Sie reizt zudem, unbekanntes Wild zu erleben und zu erlegen. Auslandsjagd ist längst ein Massenphänomen und nicht mehr reichen Eliten vorbehalten. Schnell wird dem Jäger aber ein Trophäenkult unterstellt, wenn er auf fremden Wechseln pirscht. Doch die Reduzierung der Jagd auf die Trophäe ist irreführend. In einem Blog-Beitrag wird unser Autor Christoph Boll in der kommenden Woche den Jagdtourismus beleuchten und zeigen, dass die Suche heimischer Jäger nach dem Waidmannsheil in fernen Gefilden besonders in Afrika zum Schutz des Wildes und der Biotope beiträgt und eine wesentliche Einnahmequelle zur Finanzierung des dortigen Naturschutzes ist. Außerdem profitiert nicht zuletzt die örtliche Bevölkerung. Jagdtourismus ist also nicht per se verwerflich. Entscheidend ist das Wie. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und eine gute, für Sie positive Woche Mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination

  • „Unsere Wälder haben Dauerstress“

    Der Wald hat sich trotz der relativ günstigen Witterung des Jahres 2024 und des Vorjahres 2023 bislang immer noch nicht von den Folgen der extrem trocken-heißen Sommer 2018 bis 2020 erholt Foto: schemmi / pixelio.de Der Zustand des Waldes und seine Entwicklung in Zeiten des Klimawandels sind immer wieder Gegenstand der Berichterstattung in den Publikumsmedien. So hieß es im Juni zum Beispiel in der ARD-Tagesschau : „ Der Zustand der deutschen Wälder bleibt angesichts von Hitze, Trockenheit und Schädlingen ernst. 80 Prozent der Fichten, Kiefern, Buchen und Eichen sind krank. Bundesagrarminister Alois Rainer (CSU) drückte das bei der Vorstellung dies jährlichen Berichtes über unsere Wälder so aus: ‚Unsere Wälder haben Dauerstress‘.“ Wir zitieren aus dem jüngsten Waldzustandsbericht die Beschreibungen für einzelne Baumarten: Fichte Bei der Fichte ist eine leichte Verbesserung der mittleren Kronenverlichtung festzustellen (von 28,6 auf 27,2%). Dies kann allerdings ein Effekt des flächendeckenden Absterbens der Fichten sein, da abgestorbene Bäume in der Stichprobe durch neue Bäume am Aufnahmepunkt ersetzt werden. Kiefer Die mittlere Kronenverlichtung bleibt bei der Kiefer bei 22,5 % gegenüber dem Vorjahr auf etwa gleichem Niveau. Die Kiefer weist unter den betrachteten Artengruppen den besten durchschnittlichen Kronenzustand auf, auch wenn seit 2019 insgesamt eine deutliche Verschlechterung zu erkennen ist. Buche Bei der Buche ist der Anteil der deutlichen Kronenverlichtung mit 46 % auf dem Niveau des Vorjahres geblieben. Der Anteil ohne Verlichtungen hat sich mit 18 % (vgl. 2023: 15 %) leicht verbessert. Die mittlere Kronenverlichtung ist mit 28,5 % unverändert. Eiche Eine zunehmende Verschlechterung ist bei der Eiche festzustellen, von 27,6 % im letzten Jahr auf 29,3 %. Im Waldzustandsbericht wird beschrieben, welche Rolle die Wälder im Klimaschutz spielen. Danach ist der Wald ist ein wichtiger Kohlenstoffspeicher in Deutschland. 1.184 Mio. Tonnen Kohlenstoff (108 Tonnen Kohlenstoff je Hektar) sind derzeit in den lebenden Bäumen gebunden. Im Totholz sind weitere 46,1 Mio. Tonnen Kohlenstoff gebunden. Durch die Speicherung von Kohlenstoff in langlebigen Holzprodukten wird diese positive Klimawirkung der Wälder weitergetragen. Jeder Kubikmeter Holz enthält etwa 0,3 Tonnen Kohlenstoff, der in Produkten wie Holzhäusern oder Möbeln jahrzehntelang gebunden ist. Wenn Holz dabei energieintensive Materialien wie Zement oder Stahl ersetzt, werden Treibhausgasemissionen, die bei der Produktion dieser Materialien entstehen, in erheblichem Ausmaß eingespart. Hinzu kommt die energetische Verwendung von Holz, die einen Beitrag zur Verringerung des Einsatzes fossiler Brennstoffe leistet. Quelle: BLMEH-Waldzustandserhebung

  • Die EU-Entwaldungsverordnung und ihre Folgen

    Jeder spricht über Entbürokratisierung. Jeder? Nein, die EU geht einen anderen Weg. Bald wird die geplante Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten als sogenannte EU-Entwaldungsverordnung ihre Wucht auch bei uns entfalten Foto: Alan_Frijns Auf Druck der EVP und vor allem der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wurde in der EU-Bürokratie im Herbst 2024 der Fuß etwas vom Gaspedal genommen. Für die Entwaldungsverordnung (EUDR) aus Brüssel gab es dann für die kleineren und mittleren Unternehmen aus der Forst- und Waldwirtschaft eine Gnadenfrist. Sie läuft bald ab. Für die großen Unternehmen gilt die sich verschärfende Dokumentationspflicht bereits ab Ende dieses Jahres. Am 1. Juli 2026 fallen alle Unternehmen aus diesem Wirtschaftszweig unter die neue Entwaldungsverordnung. Das trifft dann auch die kleineren und mittleren Familienbetriebe aus dem Bereich der Holz- und Forstwirtschaft. Um was geht es? Die neue EU-Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR) hat das Ziel, entsprechende Lieferketten sicherzustellen, die frei von Rodung und nicht von Waldabholzungen ausgehen. Dies soll der zunehmenden Verödung ganzer Gebiete und des Raubbaus an Grün- und Naturflächen vor allem in Asien und Afrika entgegenwirken. Dazu regelt die EUDR in allen EU-Mitgliedstaaten, dass bestimmte Rohstoffe und Erzeugnisse nur dann für den europäischen Markt ein- oder ausgeführt oder für ihn bereitgestellt werden dürfen, wenn diese nicht mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen. Mit der Verordnung gelten unternehmerische Sorgfaltspflichten beispielsweise für den Handel mit Soja, Ölpalme, Rindern, Kaffee, Kakao, Kautschuk und Holz sowie daraus hergestellten genannten Erzeugnissen. Welche Konsequenzen hat dies für unsere Land- und Forstwirtschaft? Laut neuer Entwaldungsverordnung dürfen Rohstoffe und Erzeugnisse nur dann in der EU in Verkehr gebracht, auf dem Markt bereitgestellt oder ausgeführt werden, wenn sie entwaldungs- und waldschädigungsfrei sind. Das bedeutet, dass sie nicht auf Flächen produziert worden sein dürfen, auf denen seit dem 31. Dezember 2020 Entwaldung oder Waldschädigung stattgefunden hat. Zudem müssen die Rohstoffe und Erzeugnisse mit den Gesetzen des Ursprungslands im Einklang stehen und unter Beachtung der in der Verordnung spezifizierten, elementaren Menschenrechte produziert worden sein. Mit einer Sorgfaltserklärung müssen die Erfüllung der Sorgfaltspflicht und die Einhaltung der Verordnung bestätigt werden. Was tut die Bundesregierung? Anders als sein Vorgänger Cem Özdemir (Grüne) versucht Landwirtschaftsminister Alois Rainer eine praxistaugliche Umsetzung der Verordnung zu moderieren. „Die Bundesregierung setzt sich daher auf EU-Ebene unter anderem dafür ein, dass die Primärerzeugung von Holz, Rindern und Soja in Deutschland und anderen Ländern ohne Entwaldungsrisiko bei der Anwendung der EUDR durch die Einführung einer ‚Null-Risiko-Variante‘ entlastet wird", lässt der CSU-Politiker erklären. Auch unnötige Bürokratie oder gar eine noch härtere Umsetzung des EU-Rechts in nationales Recht wird es mit Rainer nicht geben.  Als unmittelbar geltendes Unionsrecht muss die Verordnung nicht in nationales Recht umgesetzt werden. Um die Verpflichtungen aus der Verordnung vollständig und bundeseinheitlich zu erfüllen, sind jedoch zusätzliche gesetzliche Durchführungsbestimmungen in einem nationalen Gesetz erforderlich. Es sind insbesondere Regelungen zu Zuständigkeiten und Befugnissen der beteiligten deutschen Behörden sowie zur nationalen Ausgestaltung der Ordnungswidrigkeits- und Strafbestimmungen zu treffen. Übersetzt: Ein gewisser Spielraum bleibt den deutschen Behörden. Was sagen die Betroffenen? Der Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR) und der Bauernverband hatten sich maßgeblich für eine zeitliche Verschiebung der Entwaldungsverordnung ausgesprochen. Im Herbst 2024 zeigte man sich dann auch zufrieden, dass die EU die Anwendung um zunächst ein Jahr verschob. Jetzt verstreicht die Frist und am grundsätzlichen Problem ändert sich nichts. „Die EUDR schließt einen Großteil der Forstbetriebe faktisch vom Markt aus“, kritisiert Max von Elverfeldt, Vorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst. „Was mit mehr Nachhaltigkeit begann, droht nun durch Überregulierung in einen Rückschritt für Marktzugang und Versorgungssicherheit umzuschlagen.“ Der Verband begrüßt daher die Forderung der Länder nach einer global geltenden Null-Risiko-Variante, die praxisferne Dokumentationspflichten in risikoarmen Regionen vermeiden soll. Die Familienbetriebe Land und Forst warnen zudem vor den internationalen Auswirkungen der EUDR. Gerade kleine Kooperativen und Betriebe in Entwicklungsländern könnten die Anforderungen kaum erfüllen und würden so vom Markt verdrängt – mit erheblichen sozialen und ökologischen Risiken. Der Deutsche Forstwirtschaftsrat ist die Stimme für rund zwei Millionen private und öffentliche Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer, die die Fläche von etwa 11,4 Millionen Hektar Wald in Deutschland nachhaltig pflegen und bewirtschaften. Die Mitgliedsorganisationen des DFWR vertreten den Privat-, Staats- und Körperschaftswald, die Forstwissenschaft, die mit der Forstwirtschaft verbundenen berufsständischen Verbände und weitere mit der Erhaltung und Förderung des Waldes und der Forstwirtschaft befasste Organisationen.

  • Social Media funktioniert wie bei Gänsen

    Am und auf dem Wasser geht es zu wie auf Social-Media-Plattformen: Mutige Graugänse werden „Influencer“, erkundungsfreudige „Follower“ Foto: Kurt F. Domnik / pixelio.de Mensch und Tier haben mehr gemeinsam, als man gemeinhin denkt. Das belegt eine neue Studie unter der Leitung der Konrad Lorenz Forschungsstelle (KLF) für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien. Sie lässt eine alte Frage der Verhaltensbiologie in neuem Licht erscheinen: Warum erlangen bestimmte Individuen innerhalb einer Gruppe mehr Einfluss als andere? Die Forschungsergebnisse zeigen: Mutige – aber nicht aggressive – Graugänse werden tendenziell eher zu sogenannten Influencern, während erkundungsfreudige Tiere dazu neigen, ihnen zu folgen. Diese Verhaltensmuster weisen auf ein feines Zusammenspiel von Persönlichkeit und sozialen Rollen bei kollektiven Bewegungsentscheidungen hin. Die Ergebnisse wurden aktuell im Fachjournal iScience veröffentlicht. Während einfache Interaktionsregeln erklären können, wie sich Tiergruppen gemeinsam bewegen, ist über die langfristige Stabilität sozialer Rollen in freier Wildbahn wenig bekannt – ebenso darüber, warum manche Tiere erfolgreicher kollektive Entscheidungen beeinflussen als andere, so die Universität Wien. Um diese Dynamiken besser zu verstehen, untersuchte das Forschungsteam mit Sonia Kleindorfer an der Spitze, ob einzelne Graugänse über Jahre hinweg stabile Tendenzen zum Initiieren oder Folgen zeigen – und ob sich diese Rollen durch Persönlichkeitsmerkmale wie Mut, Aggressivität und Erkundungsfreude vorhersagen lassen. Die Wissenschaftler beobachteten eine individuell markierte Grauganspopulation an der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal. Dabei handelt es sich um eine Schar, die ursprünglich in den 1970er Jahren von Nobelpreisträger Konrad Lorenz etabliert wurde. Vier Jahre lang dokumentierten die Forscherinnen und Forscher Hunderte kollektiver Abflüge: Wer ist gestartet, wer folgte, wie groß waren die Gruppen? Parallel dazu erfolgten standardisierte Verhaltenstests. Dabei ging es um die Fluchtinitiationsdistanz, die Rückschlüsse auf den Mut zulässt, die Reaktion auf einen Spiegel als Ausdruck der Aggressivität und den Umgang mit unbekannten Objekten, der Ausdruck der Erkundungsfreude ist. Ziel war es, ein besseres Verständnis dafür zu bekommen, wie individuelle Unterschiede die Bewegungsentscheidungen und den Informationsfluss in der Gruppe beeinflussen. Mutige Influencer und erkundungsfreudige Follower Die Studie liefert nach Angaben der Universität Wien zwei zentrale Erkenntnisse: „Erstens zeigen einzelne Graugänse über Jahre hinweg stabile Persönlichkeitsmerkmale – Mut, Aggressivität und Erkundungsfreude. Zweitens bewegen sie sich täglich in wechselnden Untergruppen zwischen verschiedenen Futter- und Schlafplätzen. Die Ergebnisse zeigen: Bei mutigen Individuen gibt es eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass andere ihrem Abflugruf folgen. Diejenigen, die folgen, sind meist erkundungsfreudig – und bevorzugen mutige gegenüber aggressiven oder dominanten Scharmitgliedern.“ Die Schar steht täglich vor einem Zielkonflikt: Soll die Sicherheit vertrauter Orte den Vorzug erhalten, setzt man auf die potenziellen Vorteile unbekannter Gebiete. Bei der Entscheidung helfen mutige Persönlichkeiten, dieses Risiko zu managen, indem sie Sicherheit bei Ausflügen in unsichere Umgebungen bieten. Erkundungsfreudige Individuen hingegen tragen zur Entdeckung neuer Möglichkeiten bei – und verbreiten Innovation durch soziales Lernen. Anders als erwartet war Aggressivität kein ausschlaggebender Faktor für den Einfluss während kollektiver Abflüge – obwohl aggressivere Gänse häufig höhere soziale Ränge einnehmen. Die einflussreichsten Influencer waren mutig, aber nicht aggressiv. Die Wissenschaftler sehen darin einen Hinweis auf einen schützenden, nicht dominanten Führungsstil. Diese mutigen Individuen bieten Stabilität, während erkundungsfreudige Follower neue Chancen aufspüren und weitervermitteln. Neue Perspektiven auf kollektive Entscheidungsfindung „Diese Forschung hilft zu erklären, warum bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zu dauerhaftem Einfluss führen“, sagt Studienleiterin Sonia Kleindorfer. „Wichtiger noch: Sie lenkt den Blick auf die Follower – eine Gruppe, die in unserer menschlichen Fixierung auf Macht und Ressourcen oft übersehen wird. Was wäre, wenn Follower aktiv entscheiden, wem sie folgen, basierend auf dem Nutzen, den sie daraus ziehen? Das verschiebt den Fokus auf die kognitiven Fähigkeiten der Follower und stellt traditionelle Vorstellungen davon infrage, welche Eigenschaften im sozialen Einfluss zählen.“ Indem sie den Blick von aggressiven, dominanten Individuen, die oft durch Einschüchterung Einfluss gewinnen, hin zu den sozialen und kognitiven Strategien der Follower richtet, eröffnet diese Studie neue Perspektiven auf kollektive Entscheidungsfindung, soziales Lernen und kulturelle Evolution. Das gilt nicht nur für Graugänse, sondern auch für viele andere soziale Tierarten, bis hin zum Menschen.

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