Warten auf die Wende
- Jürgen Wermser

- 29. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundespolitik

Liebe Leserinnen und Leser,
in unserem Wochenkommentar blicken wir auf den Zustand der schwarz-roten Koalition gegen Ende der parlamentarischen Sommerpause, speziell angesichts der Herausforderungen im ländlichen Raum. Des Weiteren befassen wir uns angesichts neuer Entwicklungen unter anderem mit der zunehmenden Ausbreitung des Wolfes und den damit verbundenen Konsequenzen für Naturnutzer. Auch in Großstädten wie Hamburg schaffen Wildtiere wie Nutrias mittlerweile Probleme. Zum Schluss blicken wir voraus auf unseren Blog in der kommenden Woche zum Thema Auslandsjagd. Diese ist längst ein Massenphänomen und nicht mehr reichen Eliten vorbehalten. Schnell wird dem Jäger aber ein Trophäenkult unterstellt, wenn er auf fremden Wechseln pirscht. Doch die Reduzierung der Jagd auf die Trophäe ist irreführend.
Schauen wir zum Ende dieser Woche zunächst nach Würzburg. Dort haben gestern und vorgestern die Spitzen der Koalitionsfraktionen von Union und SPD über ihr Programm für das zweite Halbjahr beraten. Eine solche Veranstaltung war dringend notwendig. Denn die Bilanz seit dem Regierungsantritt ist durchwachsen. Vor allem in der Wirtschafts- und Sozialpolitik besteht noch reichlich Luft nach oben. Es fehlt vielfach der Mut zu wirklich tiefgreifenden strukturellen Reformen. Auch wurden Absprachen wie bei der Wahl zum Bundesverfassungsgericht in letzter Minute nicht eingehalten. Oder man streitet auf offener Bühne über mögliche Kürzungen im Sozialbereich sowie über denkbare Steuererhöhungen. In der Öffentlichkeit muss der Eindruck entstehen, die Koalition ziehe nicht an einem Strang, um die Probleme des Landes tatsächlich zu lösen. Jüngstes Beispiel dafür ist die geplante Wiedereinführung der Wehrpflicht. Es gibt sehr gute Gründe, hier gleich zu Beginn mehr verpflichtende Elemente zu schaffen. Insofern hatte Außenminister Wadephul mit seinem überraschend angedrohten Veto im Kabinett von der Sache her recht. Doch weshalb griff er nicht einfach zum Telefonhörer, um mit dem Kollegen Pistorius über seine Bedenken zu sprechen? Stattdessen wurde sein Einwand nach einem Tag von der Regierungsspitze kassiert. Ergebnis: Alles bleibt wie ursprünglich geplant, nur der fatale Eindruck von Uneinigkeit und Sprachlosigkeit zwischen Ministern hallt nach. Das kann man fraglos besser machen.
Umgang mit Wolf bleibt Dauerärgernis
Auch im ländlichen Raum wartet man gespannt auf die von Kanzler Merz und seinen Koalitionspartnern versprochene Wende zum Positiven. Wie im Rest der Republik belasten dort wirtschaftliche Wachstumsschwäche, Fachkräftemangel, Bürokratie und die allzu schleppende Digitalisierung in Verwaltung und Infrastruktur. Hinzu kommen spezifisch ländliche Herausforderungen wie die Zukunft der Landwirtschaft und die generelle Nutzung der Natur – alles Themenbereiche, die wir in unserem Blog besonders im Blick haben. Ein Dauerärgernis ist hier der Umgang mit dem Wolf. Mittlerweile scheint sich zwar in Brüssel und Berlin endlich die Einsicht durchzusetzen, dass der bisherige Schutzstatus nicht mehr zeitgemäß ist. Doch damit allein ist es nicht getan. Entscheidend bleibt, dass die Veränderungen auch vor Ort etwa für Landwirte und speziell Weidetierhalter spürbar werden. Denn die Wölfe breiten sich weiter aus. Wie die Süddeutsche Zeitung kürzlich berichtete, wächst mittlerweile auch im Fichtelgebirge die Unruhe. Am dortigen Schneeberg hat sich jetzt ein Wolfsrudel etabliert. Es ist auf drei Fotos dokumentiert, von denen ein Bild eine Wölfin mit Gesäuge und das jüngste Foto vier Welpen zeigt. Es gab in der Region zwar schon lange Hinweise auf Wölfe. Aber dies waren Jungwölfe auf Wanderschaft gewesen. Die Stimmung der Nutztierhalter in der Region sei gerade geprägt von Ohnmacht und Unsicherheit, meldet der Bayerische Rundfunk und beruft sich dabei auf den örtlichen Geschäftsführer des Bauernverbands. Und ein Landwirt kündigte an, dass er seine Bisonhaltung aufgeben werde. Er befürchte, dass das Rudel die Wildrinder in Aufruhr versetzen könnte und diese dann aus ihrem umzäunten Gehege auf eine angrenzende Bundesstraße ausbrechen.
Derweil rechnen Experten in Sachsen in den kommenden Wochen laut dpa wieder mit mehr Angriffen von Wölfen auf Nutztiere. Seit Anfang August sei es in mehreren Gebieten bereits zu neun Rissen gekommen, teilte die Fachstelle Wolf im Landesamt für Umwelt, Geologie und Landwirtschaft mit. In allen Fällen habe man den Wolf mit hinreichender Sicherheit als Verursacher bestätigen können. Bei sechs der acht betroffenen Schafherden habe es einen Mindestschutz gegeben. In einem der Fälle sei ein Kalb gerissen worden. Bis Ende Juli waren in Sachsen 91 Schadensfälle bei Weidetieren gemeldet worden. In 55 Fällen konnte der Wolf mit großer Sicherheit als Verursacher bestimmt werden. 194 Weidetiere wurden getötet und 28 verletzt. Elf Tiere gelten als vermisst.
Auch in den Jagdrevieren macht sich die zunehmende Ausbreitung der Wölfe bemerkbar. So wurde etwa in Mecklenburg-Vorpommern im vergangenen Jagdjahr 2024/25 deutlich weniger Wild erlegt. Jäger schossen in diesem Bundesland 59.631 Wildschweine – fast 19 Prozent weniger als im Schnitt der letzten zehn Jahre, wie das Umweltministerium in Schwerin mitteilte. Bei Damwild beträgt der Rückgang demnach 18 Prozent, bei Rehwild neun Prozent. Ein solcher Rückgang sei in Ländern wie Brandenburg oder Sachsen bereits früher als in MV festzustellen gewesen, erläuterte Minister Till Backhaus (SPD): „Besonders in Brandenburg sind die Strecken in den letzten zehn Jahren rückläufig. Damit kann ein Zusammenhang mit der Ausbreitung des Wolfes abgeleitet werden.“
Nutrias auch in Hamburg
Wie die zurückkehrenden Wölfe, die allerdings früher hier beheimatet waren, bereiten auch Nutrias als Neuankömmlinge vor allem im ländlichen Raum zunehmend Sorgen. Wie schon in einem Newsletter Anfang des Monats berichtet, breiten sich die ursprünglich aus Südamerika stammenden Tiere weiter aus. Sie untergraben Uferböschungen und Deiche und gefährden damit den Hochwasserschutz. Der Deutsche Jagdverband fordert deshalb vom Bund eine Aufnahme der Nutrias in das Bundesjagdgesetz und ein Bekenntnis zur Fangjagd, zumal es in den meisten Bundesländern bereits eine Jagdzeit oder entsprechende Sondergenehmigungen gibt. Laut DJV kamen Nutrias im Jahr 2023 in 35 Prozent der untersuchten 23.000 Jagdreviere vor. Dies entspreche einer Verdopplung der Zahlen gegenüber dem Jahr 2015. Auch vor Großstädten machen die Nager längst nicht mehr halt. So breiten sie sich in den Hamburger Bezirken Wandsbek und Nord derzeit verstärkt aus, wie in dieser Woche der Senat der Hansestadt auf eine kleine Anfrage des CDU-Abgeordneten Ralf Niedmers mitteilte. Genaue Zahlen zur Größe der Population konnte der Senat nicht machen. Es sei aber davon auszugehen, dass die Tiere alle geeigneten Lebensräume in der Stadt erreichen könnten, hieß es. Das Beispiel Nutrias in Hamburg bestätigt einmal mehr, wie wichtig auch für die Bewohner von Ballungsräumen das Verständnis für solche natürlichen Zusammenhänge ist – eine Erfahrung, die auch die Bewohner mancher Berliner Stadtgebiete in ihren Gärten angesichts der dortigen Wildschweinplage gemacht haben …
Auslandsjagd als Massenphänomen
Ein anderes Thema. Nicht nur die Politiker haben den Sommerurlaub beendet. Auch in den meisten Bundesländern sind die Ferien vorbei. Mancher Jäger wird sie genutzt haben, um in fernen Revieren zu jagen, sei es zur Rehbrunft im europäischen Ausland oder gar in Afrika. Mit ihrem Interesse, fremde Kulturen, neue Menschen und Orte kennenzulernen, unterscheiden sich Jäger nicht von anderen Reisenden. Sie reizt zudem, unbekanntes Wild zu erleben und zu erlegen. Auslandsjagd ist längst ein Massenphänomen und nicht mehr reichen Eliten vorbehalten. Schnell wird dem Jäger aber ein Trophäenkult unterstellt, wenn er auf fremden Wechseln pirscht. Doch die Reduzierung der Jagd auf die Trophäe ist irreführend. In einem Blog-Beitrag wird unser Autor Christoph Boll in der kommenden Woche den Jagdtourismus beleuchten und zeigen, dass die Suche heimischer Jäger nach dem Waidmannsheil in fernen Gefilden besonders in Afrika zum Schutz des Wildes und der Biotope beiträgt und eine wesentliche Einnahmequelle zur Finanzierung des dortigen Naturschutzes ist. Außerdem profitiert nicht zuletzt die örtliche Bevölkerung. Jagdtourismus ist also nicht per se verwerflich. Entscheidend ist das Wie.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und eine gute, für Sie positive Woche
Mit den besten Grüßen
Ihr Jürgen Wermser
Redaktionsleitung/Koordination







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