Vom Jagdschutz zum Naturschutz
- Christoph Boll

- 9. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 10. Sept.
Die alte Kluft zwischen Naturschützern und Jägern als Naturnutzern ist längst überwunden. Die Jagd hat sich als angewandter Naturschutz etabliert. Jäger tragen zu Erhalt oder Wiederherstellung von Biotopen, Arten und Naturgütern bei

Vor 150 Jahren – genau am 15. März 1875 – wird in Dresden mit dem Allgemeinen Deutschen Jagdschutzverein (ADJV) die erste deutschlandweite jagdliche Dachorganisation ins Leben gerufen. Die Motivation dazu wird im Gründungsaufruf unter anderem mit einem „in Deutschland immer mehr abnehmenden Wildstand, der in größerem Ausmaß auch wohl vorkommenden Wilddieberei und der mangelhaften Ausführung bestehender Schongesetze“ benannt.
Entsprechend werden in der verabschiedeten Satzung auch folgende Ziele formuliert: 1. Gegenseitige Unterstützung mit Beihilfen der Staatsbehörden im ganzen Deutschen Reich in Bezug auf die Durchführung der Gesetze über Jagdpolizei und Wildschonung. 2. Dem Unwesen der Wilddiebe und Jagdverbrecher energisch und mit allen gesetzlichen Mitteln entgegenzutreten. 3. Den Handel mit gestohlenem Wilde und Wildbret innerhalb der gesetzlichen Schonzeit möglichst zu verhindern. 4. Die Pflichttreue einzelner Jagdschutzbeamter durch Aussetzung von Belohnung anzuspornen. 5. Auf dem Gebiet der Gesetzgebung und der Beratung des neuen deutschen Reichsjagdgesetzes, vom Standpunkt des praktischen Jägers, seiner Meinung Ausdruck zu geben und darauf hinzuwirken, dass ein einheitliches Jagdgesetz und die Einführung der gleichen Schonzeiten im ganzen Deutschen Reiche zustande kommen.
Historische und gesellschaftliche Hintergründe
Nachvollziehbar ist das vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftlichen Entwicklung: Mit der Revolution geht 1848 das Jagdrecht an die Grundbesitzer, die Jagd wird bürgerlich. Viele leiten daraus das Recht ab, nach eigenem Ermessen waidwerken zu können – wie, wann und wo sie wollen. In der Chronik zum 50-jährigen Bestehen des ADJV heißt es deshalb drastisch: Die Gründer fühlten sich „berufen, in der Heimat dem wüsten Schauspiele einer blutigen Schlächterei der Pöbelmassen zu wehren, die das Wild zusammenknallten und obendrein den Anspruch erhoben, der neuen Freiheit und Herrlichkeit Richtung und Inhalt zu geben“.
Ob der DJV sich bei seiner Gründung am 30. November 1949 an solche Missstände erinnerte oder fürchtete, es könne erneut dazu kommen, sei dahingestellt. Jedenfalls knüpfte er mit seiner Namensgebung als Jagdschutzverband bewusst an die Tradition des ADJV an. In beiden Fällen wird das darin enthaltene Wort „Schutz“ eng ausgelegt und fast ausschließlich auf den begrenzten Bereich von Jagd und Wild bezogen.
Alte Gegensätze überwinden
Zunehmend aber setzte sich ein umfassenderer, flächendeckender Naturschutzbegriff durch, der den oft polemisch ins Feld geführten Gegensatz von Schützern und Nutzern aufhebt. Längst ist deshalb Jagd angewandter Naturschutz. Jäger haben einen direkten Zugriff auf die Fläche, wirken mit ihren Maßnahmen und Projekten in die Landschaft hinein. Denn sie haben regelmäßig direkten Kontakt zu den Grundeigentümern, von denen sie ihr Jagdrevier gepachtet haben. Durch die Länge der Pachtperiode, in der Regel neun bis zwölf Jahre, können Naturschutzprojekte langfristig angelegt werden.
Die Stärke der Jäger ist der angewandte, praktische Naturschutz. Sie richten Ruhezonen ein und legen Äsungs- und Deckungsflächen oder Laichgewässer an, pflanzen Hecken und Gebüsche, Kräuter- und Blütenpflanzen oder pflegen Streuobstwiesen. Diese neuen Lebensräume kommen nicht nur dem Wild zugute. In unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft profitieren auch viele selten gewordene Reptilien, Vögel, Schmetterlinge, Hummeln und andere Insekten.
Deshalb funktioniert die Zusammenarbeit mit anderen Naturschützern vor Ort in aller Regel auch gut, auch wenn sich die Verbände auf Landes- oder Bundesebene ideologisch beharken. Ja, nicht wenige Jäger sind Mitglied in nichtjagdlichen Naturschutzorganisationen oder umgekehrt: Mitglieder nichtjagdlicher Naturschutzorganisationen sind auch Jäger. Sie eint das Ziel, die biologische Vielfalt zu bewahren. Dazu schützen sie gemeinsam Flächen, Arten und Naturgüter. Es geht dabei stets um Erhalt oder Wiederherstellung sowie nachhaltige Nutzung.
Bewahrung der biologischen Vielfalt
Über Einzelmaßnahmen hinaus haben Jäger in vielen Bundesländern eigene großflächige und langfristige Artenschutzprogramme begründet, etwa für Rebhuhn, Auerwild, Birkwild, Haselwild, für Großtrappe, Seehund und Fischotter. Da wird nicht nur gepflanzt und gesät, sondern auch wissenschaftlich gearbeitet. Es erfolgen Bestandserhebungen durch Frühjahrs- und Herbstzählungen, es werden Biotopstrukturen und Umweltfaktoren erfasst, Klima- und Witterungsdaten ausgewertet, bodenkundliche Werte ermittelt. Auf dieser Grundlage erfolgt die weitere Projektplanung.
Die sich verändernde Einstellung war bereits erkennbar an der Mitgliedschaft des DJV im Deutschen Naturschutzring (DNR). Augenfällig und manifestiert wurde sie durch die Umbenennung des DJV im Jahr 2013. Dessen vollständiger offizieller Name lautet heute „Deutscher Jagdverband - Vereinigung der deutschen Landesjagdverbände für den Schutz von Wild, Jagd und Natur“. Er als Dachverband und fast alle seine Landesgliederungen sind anerkannte Naturschutzvereinigungen. Das belegt, dass auch der Staat längst die Jagd als angewandten Naturschutz würdigt.
Jagd als angewandter Naturschutz anerkannt
Eine Ausnahme ist der Landesjagdverband Nordrhein-Westfalen (LJV NRW). Auch er hat sich auf den Weg zur entsprechenden formalen Anerkennung gemacht. Augenfällig geschah das auf dem jüngsten Landesjägertag. Dort wurde explizit „die Förderung des Naturschutzes, des Umweltschutzes und der Landschaftspflege“ im Sinne der einschlägigen Bundes- und NRW-Landesgesetze in die Satzung aufgenommen. Inhaltlich dürfte sich dadurch aber wenig an der Arbeit des LJV ändern. Denn dass er sich den Zielen des Naturschutzes schon lange verschrieben hat, wird unter anderem in der verbandseigenen Wildtier- und Biotopschutz-Stiftung deutlich.
Ausdrücklich dient sie der „Pflege und Förderung des Tierschutzes – insbesondere des Schutzes und der Hege der freilebenden Tierwelt und Sicherung ihrer Lebensgrundlagen unter Wahrung der Landeskultur – des Naturschutzes, der Landschaftspflege und des Umweltschutzes“. Ihr Zweck ist zudem die Förderung der Bildung und Erziehung durch Wissensvermittlung „insbesondere im Bereich des Natur- und Landschaftsschutzes“. Jährlich vergibt der LJV deshalb über die Stiftung als Anerkennung für herausragende Leistungen in der Lebensraumverbesserung und für entsprechende Leistungen in der Umweltpädagogik den Biotophegepreis und den Lernort-Natur-Preis.






Kommentare