Bekenntnisse zum ländlichen Raum und was die Jägerschaft für den Naturschutz leistet
- Jost Springensguth
- vor 3 Tagen
- 6 Min. Lesezeit
Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundespolitik

Liebe Leserin, lieber Leser, „Mehr Sauerland für Deutschland“ versprach Friedrich Merz und meinte seine Einstellung zur Entwicklung des ländlichen Raumes – auch unter seiner Kanzlerschaft. Das löst er mit weiteren Zitaten und Bekenntnissen dazu ein, wenn er die Bundesländer bereist. Das ist die andere Seite des inzwischen zunehmend kritisierten Starts seiner Koalition mit der SPD. Auch von dort kommen Signale zur politischen Entdeckung des ländlichen Raumes. Das ist ein Thema dieses Wochenkommentars, um das es auch uns von natur+mensch geht, wenn wir Zusammenhänge und Strukturen im Lande beleuchten. Unsere Stiftung wurde übrigens vor 25 Jahren vom früheren Landwirtschaftsminister und Jagdverbandspräsidenten Jochen Borchert gegründet, um u.a. einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, wie aktiv Jäger am angewandten praktischen Naturschutz arbeiten. Das verdient Anerkennung.
Wenn unsere Beobachtung zutrifft, unterstreichen inzwischen eine Reihe von Kanzler-Zitaten einen auffälligen Unterschied zur Vergangenheit an der Spitze unserer Regierung. Keiner seiner Vorgänger oder Vorgängerin hat sich so klar und mehrfach zum ländlichen Raum und seiner Bedeutung für die Deutschen bekannt wie Friedrich Merz. Abgesehen von seiner gerade immer wieder demonstrierten Zuneigung zur eigenen Heimat im ländlichen Sauerland, lässt er da auch in seinem politischen Alltag nicht locker. Nach seiner ersten Duftmarke in diese Richtung mit der Äußerung in seiner Regierungserklärung im Mai „mir ist der Erhalt des ländlichen Raumes, seiner Kultur und seiner Lebensweise sehr wichtig“, bestätigt er das bei verschiedenen Auftritten im Lande. Im innenpolitischen Alltag scheint das Vertrauen des Kanzlers in die Leistungsfähigkeit des ländlichen Raumes ungebrochen. Wir erinnern uns an sein Wahlplakat „Mehr Sauerland für Deutschland“. Das scheint ihn weiter zu bewegen und wird schon auf andere Regionen übertragen. Das Landwirtschaftliche Wochenblatt in Bayern hat sich kürzlich in einem Kommentar auf sein Urlaubsdomizil am „schönen Tegernsee“ bezogen. Das Ehepaar Merz habe ein Haus (keine Villa) in Gmund. Die Autorin fügt an: „Geerbt, hört man. Mehr Oberbayern für Deutschland: Das wäre jedenfalls keine schlechte Perspektive.“ Das setzt sich also sogar in süddeutschen Köpfen etwas fest, wenn es um Bekenntnisse zu ländlichen Gefilden geht.
Das Malerische und Romantische macht natürlich nicht alleine die Strukturen in ländlichen Räumen aus. Gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen selbstverständlich Veränderungen bei den Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Menschen in ländlichen Räumen. Die Arbeitsplätze in der Landwirtschaft sind stark zurückgegangen, andere Sektoren gewinnen an Bedeutung. In ländlichen Räumen nehmen inzwischen produzierende Unternehmen und der Dienstleistungssektor einen dominierenden Anteil in der Branchenstruktur ein.
Die politische Entdeckung des ländlichen Raumes
Bei seinem Antrittsbesuch in NRW, wie schon zuvor in Bayern, thematisierte Merz den ländlichen Raum am Beispiel einer Stadt in zentraler Funktion und ihre Vernetzung mit dem Umland: „Diese Symbiose zwischen ländlichem Raum und urbanem Zentrum hat mir immer schon gut gefallen. Und die kommt in wenigen Städten und Regionen so schön zum Ausdruck wie in Münster und dem Münsterland.“ Dort fand in der Provinz wie zuvor schon bei Söder auf der Zugspitze die Kabinettssitzung der Landesregierung (sorry, für Bayern korrekt „Staatsregierung“) statt. Und nicht weit vom zitierten Tagungsort der schwarz-grünen Regierung Wüst zum NRW-Antrittsbesuch des Kanzlers entfernt waren ähnliche Töne aus der anderen Richtung zu hören – wie schon kürzlich in diesem Newsletter aus Niedersachsen zitiert. In Lengerich, einer Kleinstadt am Teutoburger Wald, trat der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch fast gleichzeitig mit einem ähnlichen Zitat in Erscheinung: „Der ländliche Raum darf nicht abgehängt werden“. Irgendwie boomen jetzt Bekenntnisse zu den Regionen außerhalb der großen Ballungszentren, statt bisher lediglich einzelne Themen wie Landwirtschaft und Nachhaltigkeit, dabei oft verbunden mit urbanen Gedankenrichtungen, wie der ländliche Raum zu funktionieren habe.
Beispielgebend für diese Sichtweisen, die aus städtisch verorteten Köpfen das Land gestalten zu versuchen, ist eine andere politische Kraft, die sich von den Regierungsbänken verabschiedet hat und nun ihre neue Rolle in der Opposition sucht. Auch das war in dieser Woche ein politisches Thema: Der Abgang Habecks als Vizekanzler, Wirtschaftsminister und grüne Leitfigur war wohl für viele in seiner Partei schmerzhaft, in der Wirkung darüber hinaus allerdings irritierend. Wenn jetzt der Reformherbst der Ampel-Nachfolge nach der Sitzung des Koalitionsausschusses in dieser Woche beginnt, werden dazu auch Umkehrbeschlüsse zur Ära Scholz-Habeck-Lindner gehören. Beim Auto deutet sich das schon an. Der Leidensdruck bei den politisch in die E-Mobilität getriebenen Herstellern und Zulieferern wächst so dramatisch an, dass Berlin nun die EU drängen wird, die ehrgeizigen Terminziele zum Ende der Verbrenner-PKW aufzuweichen oder aufzugeben. Damit haben in der Regierung die Sozialdemokraten Schwierigkeiten, weil sie sich von eigenen Beschlüssen zu verabschieden haben. Und die Grünen werden dazu wohl rhetorisch scharfe Schwerter ziehen. Das kann für sie vielleicht die Phantomschmerzen beim Verlust ihrer Leitfiguren Baerbock und Habeck ein wenig ausgleichen.
Was bringt der Herbst – Reformen oder Reförmchen?
Nicht nur angesichts enttäuschender Umfragen und kritischer Reaktionen aus der Wirtschaft wächst der Reformdruck zum Herbst. So etwa, wenn vom Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing beim Bankentag gesagt wird: „Neue Impulse sind nötig, um dort anzuknüpfen, wo Deutschland im Frühsommer stand. Nach der Bundestagswahl war Aufbruch zu spüren: neue Dynamik, frischer Optimismus. Einiges davon scheint über den Sommer jedoch verloren gegangen zu sein. Die Schlagzeilen sind wieder überwiegend negativ. Und in der politischen Debatte stehen zu oft nicht Reformen im Mittelpunkt, sondern Dissonanzen". Deutschland fehle es nicht an Potential, aber an Mut und dem klaren Bekenntnis zur Veränderung". Da stellt sich die Frage, ob dies wirklich ein Herbst der Reformen oder nur Reförmchen wird. Im Koalitionsausschuss am Mittwoch ging es wohl mehr um den sichtbaren Umgang miteinander in der Koalition. In der Sache bleiben große Differenzen. Sie sind festzumachen an ihrem Ausmaß zwischen Merz und seiner Sozialministerin von der SPD.
Zur Nervosität tragen Umfragezahlen bei. Da ist der jüngste Deutschland-Trend mit der Feststellung, dass das Ansehen der Bundesregierung nach vier Monaten im Amt an einem Tiefstand angekommen sei. Aktuell sagen nur noch 22 Prozent, dass sie mit der Arbeit der Bundesregierung sehr zufrieden oder zufrieden sind. Und da ist der Schock aus Sachsen-Anhalt, wo Ministerpräsident Haseloff seinen Nachfolger ohne Amtsbonus in die Wahl schickt und die AfD bei der Sonntagsfrage weit vor der CDU liegt.
Still, aber konsequent und zielführend
Mehr Reformeifer zeichnet sich dagegen im Bereich der Landwirtschaft schon ab. Still aber konsequent und nach ersten Eindrücken zielführend positioniert sich Alois Rainer als Landwirtschaftsminister mit einem Kontrastprogramm zu seinem grünen Vorgänger Cem Özdemir. Bei der Vorstellung des inzwischen mit seinen positiven Ergebnissen bekannten Ernteberichtes betont er, mit seinem Kurswechsel im Hause die landwirtschaftlichen Betriebe wieder zu entlasten. Er zeigt sich jedenfalls ziemlich entschlossen, die Agrar- und Ernährungswirtschaft zu stärken. „Wir halten Wort mit weniger Bürokratie, mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Planungssicherheit.“
Den Nutztierhaltern, Jägerinnen und Jägern verspricht er weiter, bis Januar ein neues Jagdrecht vorzulegen, in das der Wolf aufgenommen werde. Er wolle für eine neue Regelung sorgen, die auch rechtssicher sei. Das versicherte er schon im letzten Monat bei der jährlichen „Hauptalmbegehung“ bei Ruhpolding mit seiner bayerischen Amtskollegin Kaniber. Noch entschlossenere Töne sind aus der österreichischen Nachbarschaft in den Alpen zu hören. Dort fordert inzwischen der Tiroler Politiker Franz Hörl, der nach einem Bericht der Zeitung „Krone“ für die ÖVP voraussichtlich in Kürze in den Nationalrat zurückkehrt, Entschlossenheit zu einer Jagdgesetznovelle. Damit solle eine generelle Bejagung von Wölfen und Bären ermöglicht werden, weil sich die Berichte über Angriffe auf Nutztiere mehren würden. Die Stimmung in Österreich ist jedenfalls zu diesem Thema ebenso gereizt wie bei uns im Norden an den Deichen mit Wolfs- und Goldschakalrissen.
Jäger aktiv im angewandten und praktischen Naturschutz
Hier die Nutzer, dort die Schützer – noch immer denken manche in diesen tradierten und meistens ideologiebehafteten Kategorien. Wie selbstverständlich ordnen sie dabei die Jäger den Nutzern zu. Das ist längst überholt. Jäger sind aktiv im angewandten, praktischen Naturschutz. Sie richten Ruhezonen ein und legen Äsungs- und Deckungsflächen oder Laichgewässer an, pflanzen Hecken und Gebüsche, Kräuter- und Blütenpflanzen oder pflegen Streuobstwiesen. Diese neuen Lebensräume kommen nicht nur dem Wild zugute. In unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft profitieren auch viele selten gewordene Reptilien, Vögel, Schmetterlinge, Hummeln und andere Insekten. In seinem Blog-Beitrag in der kommenden Woche wird unser Autor Christoph Boll zeigen, wie sich der Jagdschutz vergangener Zeiten zum modernen angewandten Naturschutz gewandelt hat. Der DJV hat diesen Prozess 2013 in einer Namensänderung nachvollzogen. Heute heißt er Deutscher Jagdverband - Vereinigung der deutschen Landesjagdverbände für den Schutz von Wild, Jagd und Natur. Richtigerweise ist er als Dachorganisation ebenso wie fast alle seine Landesgliederungen längst als Naturschutzverband anerkannt.
Naturerlebnisse gehören für viele zu einem erholsamen Wochenende. Die Frage, wer sie alles schützt, wird zu oft einseitig beantwortet. Das bleibt ein Thema für uns in der Stiftung natur+mensch, die sich seit 25 Jahren für eine wildtierfreundliche Natur einsetzt und für die Landschaftspflege arbeitet.
In diesem Sinne und mit diesem Wochenkommentar verbleibe ich
Ihr
Jost Springensguth
Redaktionsleitung / Koordination
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