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Unsere Kolumne zum Wochenende: Erste Hoffnungsschimmer und wütende Proteste

  • Autorenbild: Jost Springensguth
    Jost Springensguth
  • 7. Juni
  • 6 Min. Lesezeit
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Liebe Leserin, lieber Leser,


die Woche vor dem Pfingstfest hinterlässt vielfältige Eindrücke, auf die wir mit Blick auf den ländlichen Raum in diesem Beitrag eingehen. In Wahrnehmungen, aber auch in Zahlen und Daten scheint die Zuversicht der Deutschen wieder zu steigen. Neben der Reise des Kanzlers nach Washington kommt außer der Außen- auch die Innenpolitik auf Touren. Dazu blicken wir unter anderem auf einen ersten Auftritt unseres neuen Landwirtschafts- und Ernährungsministers Alois Rainer. Derweil weiten sich auf Landesebene in Rheinland-Pfalz Proteste zu einer großen Welle aus. Wo früher Grüne demonstrierten, gehen jetzt die Gegner grüner Jagdideologien auf die Straße.


Deutschland ist Anfang Juni mit Blick auf Politik und Konjunktur von einem ersten Hoffnungsschimmer geprägt. Die Wirtschaft ankurbeln, Arbeitsplätze sichern und ein dauerhaft höheres Wirtschaftswachstum schaffen sei das vordringliche Ziel der Bundesregierung, sagte Finanzminister Klingbeil bei Vorlage des Kabinettsbeschlusses über den sogenannten Investitions-Booster. Jedenfalls beginnt die neue Regierung, ihre Ankündigungen in formalen Schritten umzusetzen. Merz und Klingbeil wollen bis zur Sommerpause und auch darüber hinaus ihre Füße auf dem Gaspedal halten. Es mehren sich die Stimmen aus der Wirtschaft wie etwa diese: „Langsam ist eine Aufbruchsstimmung zu spüren“ (Gerhard Wiesheu, Vorstandssprecher des Bankhauses Metzler).


Was dabei auf den ländlichen Raum entfällt und dort wirksam wird, ist natürlich noch schwer vorher zu sagen. Gleichwohl scheinen sich die Konjunkturprognosen aufzuhellen. Selbst die Baubranche gibt sich für die kommenden Monate wieder optimistisch, wie das Münchner Ifo-Institut feststellte. Die gestiegene Zahl an Baugenehmigungen im ersten Quartal sei ein kleiner Hoffnungsschimmer. Bundesministerin Hubertz (SPD) will schon bald im Parlament vier Änderungen im Baugesetzbuch auf den Weg bringen. Bis 2030 soll es im Planungsverfahren für bestimmte Vorhaben Erleichterungen geben, um das Bauen schneller, günstiger und einfacher werden zu lassen.


Ernährung als Thema voller Emotionen


Schauen wir dann einmal auf das uns naheliegende Thema Ernährung. Das wird politisch immer wieder auch sehr emotional debattiert. Wenn ein neuer Landwirtschaftsminister bekennender Fleischesser ist und in diesem Fall auch noch den Beruf des Metzgers hat, so steht er natürlich in krassem Gegensatz zu seinem Vorgänger. Der war – ebenso bekennend – Vegetarier. Im Moment verändern sich Tonarten und Umgang nach dem Amtswechsel im Ministerium. Noch bevor Alois Rainer (CSU) als Nachfolger von Cem Özdemir (Grüne) das Agrar- und Ernährungsministerium übernommen hat, gab es scharfe und auch polemische Töne von Organisationen wie BUND und Greenpeace auf erste Äußerungen des neuen Ministers. So wurde ihm bereits vorgehalten, er pflege die „aus der Zeit gefallene Mär von günstigen Fleischpreisen“. Rainer hat nichts anderes gemacht, als sich bei diesem Thema erst einmal auf eine Preisbildung nach Prinzipien des Marktes – also nach Angebot und Nachfrage – zu beziehen. Seine Worte wie „Ich bin ein großer Freund der sozialen Marktwirtschaft. Fleischpreise macht nicht der Minister, sondern der Markt“ bringen natürlich die zitierten Umwelt-NGOs auf die Palme.


Dieser Minister tut der Branche gut“


Wie sich in dieser Zeit die Töne ändern, war letzte Woche beim Außenwirtschaftstag in Berlin zu spüren. Der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Christian von Boetticher, betonte auf der exportorientierten Tagung im Außenministerium, dass es jetzt der Branche einfach guttue, dass Minister Rainer mal vor Publikum sage, dass er gerne Fleisch esse – wie übrigens 88 Prozent der Bevölkerung. Auf der zitierten Veranstaltung vor mehreren hundert Branchenvertretern machte der neue Minister deutlich, dass die neue Regierung entschlossen sei, neue Wege zu gehen. Dazu kündigte er an, die Bürokratie in seinem Ressort Landwirtschaft, Ernährung und Heimat systematisch hinterfragen und abbauen zu wollen.


Die Agrar- und Ernährungswirtschaft gehört zu den exportstärksten Branchen Deutschlands – und zu den verletzlichsten. Lieferkettenkrisen, Zölle, geopolitische Konflikte: Kaum ein Sektor spürt globale Spannungen so unmittelbar, stellt der Verband fest. Rainer versicherte dazu: „Von kleinen Familienbetrieben bis zu den Global Playern – wir stehen hinter Ihnen.“ Auch bei Gegenwind. Mit über vier Millionen Beschäftigten und einem Exportanteil von rund 33 Prozent sei die deutsche Agrar- und Ernährungswirtschaft einer der leistungsfähigsten Wirtschaftszweige unseres Landes.


Politbarometer: Vertrauen steigt wieder


Dass der Politikbetrieb damit erstaunlich ruhig, aber entschlossen nach dem Ampel-Aus in die neue Legislaturperiode gestartet ist, schlägt sich auch in ersten Umfragen nieder, wenn man sich etwa die Ergebnisse des Politbarometers in dieser Woche ansieht. Die Union hatte mit Friedrich Merz die Wahl zwar gewonnen, war mit den bescheidenen Prozenten unter 30 eben nicht als Muskelprotz in die Koalitionsverhandlungen gegangen. Das große Thema ist nun zunächst erst einmal die Außen- und Sicherheitspolitik, bei der in erster Linie der Kanzler und sein Verteidigungsminister Punkte machen. So merkt das Forschungsinstitut Infratest Dimap, das das Politbarometer für die ARD erstellt, in dieser Woche an: „Insgesamt konnte der Kanzler in seinem ersten Monat im neuen Amt stärker als alle anderen Kabinettsmitglieder an Vertrauen unter den Wahlberechtigten zulegen“. Sein Zufriedenheitswert sei von 25 % im April auf aktuelle 39 % gestiegen. Nur Boris Pistorius ist auch im neuen Kabinett der Einzige, der eine Mehrheit von 61 Prozent der Deutschen hinter sich weiß.


Auch die aktuelle Sonntagsfrage wird im Wesentlichen auf außen- und sicherheitspolitische Gründe zurückzuführen sein. Jedenfalls ist die Union mit 29 % bei der Frage, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, wieder knapper unter der 30 %-Marke gelandet. Der Abstand zur AfD (unverändert 23 %) ist jedenfalls damit wieder leicht gewachsen. Das dürfte sich nach dem allen Einschätzungen zufolge gut gegangenen Besuch des Kanzlers in Washington verfestigen. Jedenfalls wird es der AfD nicht gefallen, dass sie im Oval Office kein Thema war.


Aufreger der Woche: Ein neuer Räuber auf Sylt


Auf Themen, die zu den Aufregern dieser Woche gehören, sind wir mehrfach und in dieser Woche in unserem Blog natur+mensch eingegangen. Da ist zum einen auf Sylt das Inseldrama um den Goldschakal. Jedenfalls beschäftigt dieses Tier neben dem Wolf zunehmend Weidetierhalter und hier natürlich Einheimische und Urlauber. Der Goldschakal, der dort in letzten Tagen fast 100 Lämmer und Schafe gerissen hat, löst unter anderem große Sorgen um die Deichsicherheit aus. So warten nach Schilderung unseres Autors Jürgen Muhl die Insel und das Land darauf, dass der behördlich genehmigten Ausnahmeregelung zur „Entnahme“ schnell Taten folgen.


Erschütterung der Grundmauern des Jagdrechts


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Für den zweiten Aufreger sorgt eine noch verbliebene Ampel-Koalition. Das ist die in Rheinland-Pfalz. Dort werden auf Betreiben von Umweltministerin Katrin Eder durch ein nach unserer Auffassung falsch angelegtes neues Landesjagdgesetz Grundmauern des Jagdrechts erschüttert“. So haben wir jedenfalls die Schlagzeile über den Text unseres Autors Christoph Boll in dieser Woche formuliert. Bevor es am 25. Juni in Mainz am Rheinufer zwischen Kaiserstor und Theodor-Heuss-Brücke zu einer Großkundgebung kommt, protestieren jetzt schon die Jäger im Lande – vielfältig, flächendeckend und mit unzähligen kreativen Aktionen. So an diesem Wochenende in Zell, Bad Dürkheim, Landau, Bitburg, Hachenburg, Koblenz, Bad Sobernheim, Bad Ems und vielen weiteren Orten im Lande. Nach Nordrhein-Westfalen vor gut zehn Jahren und Niedersachsen in diesem Jahr steigt damit die Protestwelle gegen grüne Jagdrechtsveränderungen noch einmal auf bisher nicht bekannte Ausmaße.


In dem Gesetzentwurf, der von der Umweltministerin durchs Kabinett und ins Parlament gebracht wurde, sollen bisher bewährte Strukturen und Regeln für Wild, Wald und Jagd drastisch verändert – man kann auch sagen „auf den Kopf gestellt werden“. Unter anderem geht es um massive Einschränkungen für Pächter und Jagdgenossenschaften. Die Wildschadenhaftung soll drastisch ausgeweitet werden. Und die Jägerinnen und Jäger haben für sie unerträglich hohe behördliche Abschusspläne zu erwarten. Der Jagddruck insbesondere auf Reh- und Rotwild soll mit Zwangsmaßnahmen erhöht werden. Das Prinzip „Wald und Wild“, für das wir stehen, soll damit praktisch außer Kraft gesetzt werden.


Es gibt noch einen weiteren Aspekt, bei dem es darum geht, dem Wild seine Chancen zu belassen. Zu dem im zitierten Gesetzentwurf angestrebten erhöhten Jagddruck gehört auch ein technischer Aspekt. Der Einsatz von Nachtsichttechnik gehört längst zum jagdlichen Alltag, ist aber zum Beispiel mit dem Einsatz vom Wärmebildvorsatzgeräten auf der Jagdwaffe umstritten. Wir haben in einem Beitrag in unserem Blog kürzlich gegenseitige Positionen aufgeführt.


In Hessen wurde kürzlich eine Bundesratsinitiative zur weiteren Ausweitung der Nachtzieltechnik auf dem Weg gebracht. Dazu haben sich jetzt das „Forum Lebendige Jagdkultur“ und der „Steinfelder Kreis“ kritisch gemeldet. Das sei in Wahrheit ein weiterer Schritt in Richtung einer rein technischen Jagdausübung, die mit waidgerechter Hege wenig zu tun habe. Das Wild werde zunehmend zur Zielscheibe in einem künstlich beleuchteten Raum, der natürliche Rhythmen ignoriere. Das Argument, mit dieser Technik Wildschäden zu reduzieren, sei ein technokratischer Fehlschluss: Denn die Nachtjagd mit Hochleistungsoptik erzeuge Stress, Unruhe und Bewegungsdruck. Die Initiatoren rufen zu einem Einsatz für eine Jagd auf, die sich nicht selbst abschaffe. Und: Man wehre sich gegen den Forst als Befehlshaber. Damit schließt sich der Kreis von Argumenten, die wir schon zum Thema Wald und Wild im Zusammenhang der Gesetzespläne für Rheinland-Pfalz zitiert haben.


Bleibt die Erkenntnis nach dieser Wochenbetrachtung: Zum Thema Jagd gibt es vielfältige Positionen. Sie setzen allerdings eins nicht außer Kraft: Die Konfliktlinie verläuft nicht zwischen Natur und Jägern. Sie verläuft zwischen Naturferne und Naturnähe.


In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes Pfingstfest, vielleicht auch voller schöner Naturerlebnisse mit vielfältigen Eindrücken

Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination

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