Nachtsichttechnik als Fluch und Segen
- Christoph Boll
- vor 3 Tagen
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Nachtsichtgeräte gehören längst zum jagdlichen Alltag. Der Einsatz der modernen Technik bleibt jedoch umstritten. Jagdliche Auffassungen stehen sich unversöhnlich gegenüber

Naturforscher, das Militär, die Polizei, Sicherheitsdienste und auch Privatpersonen nutzen Nachtsichtgeräte. Doch nirgendwo sind sie so umstritten wie bei der Jagd. Längst werden mehr Wildschweine in stockfinsterer Nacht erlegt als in den Vollmondphasen. Für die Inhaber von Feldrevieren oder zumindest großen Wiesen und Ackerflächen sind Infrarot- und Wärmebildgeräte ein Segen. Denn vielfach hat der landwirtschaftliche Kulturpflanzenanbau über Jahre stark zugenommen. Das Schwarzwild hat sich enorm vermehrt. Jagd- und Freizeitdruck in den Revieren sind größer geworden. Das Wild hat seinen Lebenszyklus den veränderten Bedingungen angepasst, die Äsungs- und Wechselaktivitäten in die tiefe Nacht verlegt. Auch wenn das nicht überall gleichermaßen gilt, so haben sich doch flächendeckend die Wechselbeziehungen zwischen Landwirtschaft, Wild und Mensch verändert.
Enorme Vorteile bietet schon die Möglichkeit, Wild bei Nacht zu beobachten und über weite Entfernung zu erkennen. So lässt sich der Wildbestand im Revier viel besser einschätzen. Beim nächtlichen Ansitz, etwa an der Kirrung, war früher im Zwielicht des Mondes allenfalls die Wildart richtig anzusprechen. Nur Vollmond und sternenklarer Himmel, am besten in Verbindung mit einer guten Schneedecke, boten nahezu optimale Sichtbedingungen. Oft aber war im trüben Zwielicht auch mit einem guten Zielfernrohr kaum auszumachen, wo vorne und hinten des Stückes ist. Es kam vermehrt zu Schüssen mittendrauf oder zu sogenannten Paketschüssen, also zu Schüssen, bei denen mehrere Tiere unerkannt hintereinander standen.
Restlichtverstärker und Wärmebildgeräte als Vorteil
Heute hingegen erlauben sowohl Restlichtverstärker als auch Wärmebildgeräte, Details zu erkennen und jedes einzelne Stück sicher anzusprechen. Ein Überläuferkeiler ist damit beispielsweise an Gewaff, Widerrist, Pürzel und Quaste klar identifizierbar und von einer Bache zu unterscheiden. Deutlich weniger führende Muttertiere werden erlegt. Im Feld sind zudem Entfernungen deutlich besser einzuschätzen.
Unter dem Strich bedeutet das: Waidgerechtes Jagen, für das der saubere und schnellstmöglich tödliche Schuss unerlässlich ist, wird bei Nacht mit moderner Technik erleichtert und in manchen Bereichen überhaupt erst möglich. Auch das nächtliche Finden eines erlegten Stückes, das noch eine Todesflucht gemacht hat, ist leichter. Mit einem leistungsstarken Nachtsichtgerät wird Schweiß am Anschuss sichtbar, dieser dadurch leichter auffindbar. Oft kann der Schweißspur gefolgt werden und das verendete Stück ist selbst durch Bewuchs und bei schlechtem Wetter auch in größerer Entfernung zu sehen. Der Schütze kann also selbst noch in der Nacht das Stück bergen und muss nicht am nächsten Morgen einen Schweißhundführer um die Nachsuche bitten oder mit dem eigenen Vierbeiner ans Werk gehen. Viel wertvolles Wildbret wird gerettet, weil es nicht verhitzt.
Aber wie so häufig gibt es auch den unvernünftigen oder sogar unverantwortlichen Umgang mit der modernen Technik. Da gibt es durchaus Jäger, die sie nicht nur nutzen, um auf Sauen oder Raubwild anzulegen. Auch Reh, Hirsch und Muffel ereilt die Kugel zu nachtschlafender Stunde. Befürchtungen vermehrter nichtlegaler Verwendung gehen einher mit der heftigen Kritik von Traditionalisten. Sie befürchten den Niedergang von jagdlichen Sitten und Moral und bringen die Verwendung von Nachtsichttechnik in Verbindung mit militärischen Einsatzgrundsätzen. Da ist dann schnell vom „Teufelszeug“ die Rede.
„Teufelszeug“ und sachliche Kritik
Auch wer in seiner Kritik nicht so weit geht und meint, Jagd und Jäger müssen aus den Veränderungen nur das Beste machen, erkennt zumeist, dass der Fortschritt zumindest kritisch reflektiert werden sollte. So meinte der damalige Hauptgeschäftsführer des Landesjagdverbandes Baden-Württemberg, Dr. Erhard Jauch, mit den Nachtsichtgeräten verbunden sei ein „weiterer Dammbruch“. Das stimme ihn nachdenklich und er ergänzte: „Ich bin kein Technikverächter – aber: Die Grenzen werden immer mehr verschoben.“
Sehr substanzielle Bedenken kommen aus dem Lager der Nachsuchenführer, die vor allzu viel Technikgläubigkeit warnen. Denn selbst ein großer Fleck Lungenschweiß ist im hohen Gras kaum zu detektieren. Und bereits bei etwas höherem Bewuchs, in Gräben oder hinter Wurzeltellern lassen sich allein mit einer Wärmebildkamera selbst größere Wildkörper nicht finden.
Kaum auszumachen ist, ob die Profis zu mehr oder weniger Einsätzen gerufen werden. Sehr wohl hat sich das Einsatzspektrum verschoben. Sie registrieren, dass zu oft vermeintlich tote Stücke angegangen werden, die dann doch noch hoch werden. Statt das Wild in Ruhe sterben zu lassen und es am nächsten Tag einzusammeln, komme es zu einer langen Nachsuche.
Wobei insgesamt offenbar besonders die langen Totsuchen mit Leber- und Waidwundtreffern weitgehend weggefallen sind. Gerade diese Arbeiten aber sind in regelmäßigen Abständen nötig, damit ein junger Hund und sein Führer zu einem leistungsstarken, erfahrenen Team heranreifen. Dadurch wächst die Gefahr, dass Gespanne mit den vermehrt bleibenden Kontrollsuchen sowie schweren Einsätzen bei Gebrech- und Laufschüssen überfordert sind. Denn sie erfordern den firmen Hund.
Nicht wenige Schweißhundeführer stellen fest, dass mit technischer Unterstützung vermehrt Wild angepirscht und vom Zielstock aus beschossen wird. Die Schussabgabe ist dann deutlich schwieriger als von einem Hochsitz mit fester Auflage für das Gewehr. Dadurch habe sich der vermeintliche „Streukreis“ deutlich erweitert und es komme häufiger zu Krell- und Gebrechschüssen sowie sonstigen Randtreffern, so das Fazit.
Es geht also darum, die eigene Verantwortung und Grenzen der Schießfertigkeit zu erkennen.
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