Unsere Kolumne zum Wochenende: Zugspitze, Ernährung und EU-Finanzen
- Jost Springensguth
- 19. Juli
- 7 Min. Lesezeit

Liebe Leserin, lieber Leser,
die politische Woche wurde von einem Zugspitz-Gipfel eingeleitet. Der Kanzler-Besuch in Bayern ging so hoch hinaus. Das Thema: Hat Merz das eingehalten, was er zur Sommerpause versprochen hat? Die EU-Präsidentin hat jetzt ehrgeizige Finanzpläne vorgestellt, die insbesondere auch unter den Bauern überall in Europa Widerstände auslösen. Weiter geht es um die Entwicklung unserer Ernährungswirtschaft und dabei um einen Großabnehmer für landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland. Das Kartellamt untersagte eine Übernahme und löst Sorgen unter Tiermastbetrieben aus. „Rücksicht macht Wege breit“ ist eine Aktion zum Verständnis für Begegnungen mit Erntefahrzeugen. Dazu kommt der „Wildverkehr“ in der Blattzeit des Rehwildes. Auch diese Kolumne zum Wochenende bietet damit eine breite Themenpalette.
Im Prinzip gehört das zum Kanzleralltag in der Startphase einer Legislaturperiode: Jetzt sind das die üblichen und damit anstehenden offiziellen Besuche nach Amtsantritt von Friedrich Merz in den Bundesländern. Der Auftakt fand nun in dieser Woche im Süden statt. Er hatte was von „Bayern first“. Die Inszenierung stammt natürlich von Markus Söder. Alles nach dem Motto „Wir sind nicht nur Spitze, sondern auch ein besonderes Bundesland“. Die formelle Sitzung des Münchner Landeskabinetts mit dem Bundeskanzler fand auf der Zugspitze statt. Motto: Wir ganz oben. Der Rahmen unten wirkte erst einmal wie ein Staatsbesuch, aber auf Kreisebene mit Landrat, Musikanten, Marketenderinnen und Abschreiten der Front vor angetretenen Gebirgsschützen und mit Salutschüssen. Die beiden Koalitionspartner auf Seiten der Union gingen dann an ihre Inhalte. Auf dem Tisch in der Sitzung lag ein vorformulierter Wunschzettel aus den Kabinettsressorts. In den Medienstatements war es dann weniger landespolitisch. Es ging mehr darum, was Deutschland bewegt, was die Koalition bis zu den Sommerferien des Parlaments liefern wollte und nun erledigt hat – und auch nicht. Das sind im Kern das „Investitions-Sofortprogramm“ des Bundes sowie die Migrationspolitik mit den von Dobrindt eingeleiteten Grenzkontrollen. Die Zugspitze liegt übrigens im Wahlkreis des Innenministers.
Die Eigenbilanz der Unionschefs in dieser Szenerie vor und auf dem höchsten Berg Deutschlands: „Es gab noch keine Bundesregierung, die in den ersten zehn Wochen so viel auf den Weg gebracht und abgeschlossen hat, wie diese“, sagt Merz. Und Söder schränkt ein: „Eins minus hätte es fast sein können, aber wegen letztem Freitag würde ich sagen, sind wir auf einer Zwei plus“. Das spielte auf den Koalitionsunfall mit noch nicht absehbaren Folgen in Sachen Richterwahl und die nicht eingehaltene Zusage zur Stromsteuer an.
„Konjunkturelles Abwärtsrisiko“
Im Kern geht es natürlich um unsere Konjunkturaussichten nach den Beschlüssen von Regierung, Bundesrat und Bundestag. Das steht auch nach den Umfragen bei Wählerinnen und Wählern mit oben auf der Wunschliste. Unsicherheiten bleiben mit Blick auf die unkalkulierbare Zollpolitik der USA. Das trifft alle Bereiche, auch die im ländlichen Raum verortete Wirtschaft mit dem oft unterschätzten Agrar- und Ernährungsanteil. Die Bundesbank jedenfalls befürchtet wegen der angedrohten hohen Zölle von US-Präsident Donald Trump immer noch erhebliche Belastungen für die deutsche Wirtschaft. Sollte der angekündigte Satz von 30 Prozent auf Importe aus der EU ab 1. August in Kraft treten, wäre dies ein „beachtliches konjunkturelles Abwärtsrisiko“ für die Konjunktur, warnen die Bundesbanker. Den deutschen Exporteuren drohe kurzfristig „zusätzlicher Gegenwind“ durch die US-Zollpolitik.
EU-Finanzpläne lösen Unruhe aus
Eine saftige Kürzung des Agrarbudgets um ein Fünftel schlägt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für die nächste Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Jahre 2028 bis 2034 vor. Die Bauern sollen statt 387 Milliarden Euro, wie in diesem Siebenjahreszeitraum, nur noch 300 Milliarden Euro aus den Fördertöpfen der EU bekommen. Und dabei gibt es noch nicht einmal einen Ausgleich für die Geldentwertung der vergangenen und der kommenden Jahre. Sie will zudem die Direktzahlungen ab jährlich von 20.000 Euro abschmelzen und ab 100.000 Euro ganz kappen. Die Mitgliedstaaten sollen zwar darüber hinaus weitere Gelder aus ihren Zuweisungen aus Brüssel für die ländlichen Räume frei machen können. Unser Autor und EU-Experte Ludwig Hintjens bemerkt dazu: „Wie viel davon bei den Landwirten ankommt, das ist offen.“ Die Bauernverbände drohen bereits mit neuen Protesten, im Europaparlament und in den Regierungen der Mitgliedstaaten formiert sich der Widerstand. Eins ist sicher: Die Wut wird sich in der Sommerpause nicht legen, dafür ist sie zu groß.
Apropos Konjunktur: Die deutsche Ernährungsindustrie verzeichnete im April 2025 einen preisbereinigten Umsatzgewinn von plus 1,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Während der Inlandsmarkt um 2,3 Prozent stieg, sank das Auslandsgeschäft um 0,8 Prozent. Das macht Hoffnung im ländlichen Raum. Immerhin erzielten unsere Lebensmittelhersteller einen Umsatz von 20,6 Milliarden Euro. Das entspricht nach Angaben der Bundesvereinigung der Ernährungsindustrie (BVE) in dieser Woche einem nominalen Zuwachs von 5,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die knapp 6.000 Ernährung produzierenden Betriebe erwirtschaften übrigens einen jährlichen Umsatz von 232,7 Mrd. Euro. Mit rund 658.000 Beschäftigten ist diese Branche bei den Beschäftigtenzahlen damit der viertgrößte Industriezweig Deutschlands und nach Umsatz sogar der drittgrößte. Dabei ist die Branche überwiegend mittelständisch geprägt: 90 Prozent der Unternehmen der deutschen Ernährungsindustrie gehören dem Mittelstand an.
Entwicklung eines Unternehmens zum Big Player
Dazu gehört auch die Premium Food Group in Rheda-Wiedenbrück. Sie leistet inzwischen als Big Player einen erheblichen Anteil an diesen Zahlen und der zitierten Gesamtentwicklung. Die Premium Food Group ist das Familienunternehmen, das wir bisher unter Tönnies im urbanen Raum mit Fleischprodukten an „sämtlichen Bedientheken in Deutschland vom Supermarkt über Metzgereien bis zu Caterern“ kennen. Und im ländlichen Raum als größten Fleischproduzenten und damit bedeutendsten Abnehmer der Schweinemastbetriebe – und einen der führenden Abnehmer von Rindermastbetrieben an mehreren Standorten in Deutschland. Das ist für die Landwirtschaft wie auch für die Ernährungswirtschaft mit seiner dynamischen Entwicklung wie auch inzwischen für das Kartellamt relevant. Die bisher weniger bekannte, aber große neue Firmenmarke hat zugleich etwas mit der Entwicklung des westfälischen Unternehmens vom reinen Schlachtkonzern zu einem breit aufgestellten Lebensmittelproduzenten zu tun. Der Geschäftsführende Gesellschafter der Premium Food Group, Maximilian Tönnies, erläuterte in dieser Woche gegenüber der Wirtschaftspublizistischen Vereinigung (WPV) in Düsseldorf diesen Wandel. Das ist im Prinzip die Entwicklung zum aktuell größten Lieferanten des deutschen Lebensmitteleinzelhandels – übrigens vor Unternehmen wie Oetker und Müllermilch.

Maximilian Tönnies beginnt mit der Geschichte der Entwicklung von einer kleinstädtisch geprägten Familien-Metzgerei der Großeltern über Bernd und Clemens Tönnies zu einem führenden Lebensmittelproduzenten in Deutschland und Europa. Aktuell repräsentiert er die Zukunftsgeneration im operativen Geschäft. Die aktuelle Unternehmensphase wird in den kommunizierten Zahlen so beschrieben: 7,8 Milliarden Umsatz, 21.000 Mitarbeiter, über die deutschen Standorte hinaus in neun Ländern in der Produktion aktiv und mit aktuell besonderem Fokus auf Dänemark und Großbritannien. Geliefert werden die Produkte (jeweils auch nach unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten) nahezu weltweit. Die Exportrate beträgt 50 %. Neben Fleisch und Wurst produziert die Premium Food Group auch Convenience-Produkte. Dazu kommen in der wachsenden Produktpalette nach Tönnies-Angaben in der Breite unter anderem auch Tierfutter, alternative Proteine, Logistik und Lagerhaltung für Ultrafrische- und Tiefkühlprodukte (TEVEX) und am Ende auch branchenbezogenen Versicherungsleistungen. Dabei legt das Unternehmen Wert auf seine Nachhaltigkeitsstrategie. Das bezieht die Tierproduzenten ein. Von der Tierhaltung über die Verarbeitung bis zur Verpackung setze man auf nachhaltige und ressourcenschonende Prozesse. So berate das Unternehmen die Lieferanten-Höfe – insbesondere beim Umbau zu tierfreundlichen Haltungsmethoden.
Im Fokus der Wirtschaftspresse steht aktuell gerade nach der WPV-Veranstaltung der juristische und politische Widerstand gegen die durch das Kartellamt im Juni untersagte Übernahme von süddeutschen Produktionsstandorten der konkurrierenden Vion-Food-Group mit Sitz in den Niederlanden. Vion hatte 2024 entschieden, sich aus dem deutschen Markt zurückzuziehen und auf die Benelux-Länder zu konzentrieren. Danach seien – so das Kartellamt – in Bezug auf bisherige Vion-Standorte Fusionen geprüft und in Abstimmung mit der EU-Kommission bislang auch freigegeben worden. Nun geht es um süddeutsche Standorte, insbesondere Crailsheim, Waldkraiburg und Buchloe mit erheblichen Auswirkungen auf zurzeit noch dort zuliefernde Mastbetriebe in Baden-Württemberg und Bayern. Maximilian Tönnies warnt vor den Folgen: Dies sei ein harter Schlag für die Landwirte in Süddeutschland. Unter ihnen ist nach der Übernahmeuntersagung Furcht vor einer Schließung durch Vion groß. Es geht mangels Alternativen um den drohenden Wegbruch gewohnter Absatzmärkte. Dabei spielen für die landwirtschaftlichen Lieferanten die viel diskutierten Transportzeiten zum Schlachthof eine besondere Rolle. Und es geht natürlich um die noch dort Beschäftigten. Das Kartellamt hat offensichtlich mehr die Marktstrukturen für den Absatz im Auge und weniger die Auswirkung auf die bäuerlichen Betriebe. Insgesamt liegt auf der Branche erheblicher Druck, der zu den Schließungen führt. Die Premium Food Group hätten viele Hilferufe von Seiten der Bäuerinnen und Bauern erreicht. Neben dem Schritt vor das zuständige OLG Düsseldorf erwägt Tönnies nun eine „ministerielle Prüfung“. Die sogenannte „Ministerlaubnis“ kann der Kartellentscheidung folgen, wenn überragendes Interesse der Allgemeinheit besteht. Hier geht es um Beschäftigte und Landwirte. Dazu habe das Unternehmen in Rheda-Wiedenbrück ein Zukunftskonzept bei hoher Investitionsbereitschaft.
Unsere Themen in der nächsten Woche
Um die Zukunft landwirtschaftlicher Strukturen geht es aktuell auch in Niedersachsen, wo das zuständige Ministerium die Pacht von Agrarflächen über ein neues Gesetz neu regeln will. Unser Autor Christian Urlage befasst sich zeitnah in unserem Blog mit der Frage, ob das sogenannte Agrarstruktursicherungs- und Agrarstrukturverbesserungsgesetz Abhilfe schaffen kann. Der aktuelle Gesetzentwurf der Ressortchefin und langjährigen Grünen-Politikerin Miriam Staudte stößt wegen befürchteter Eingriffe in Grundrechte bei Betroffenen auf erhebliche Kritik. Schon 2017 war ein ähnlicher Gesetzentwurf aus Hannover umstritten. Der Verband Familienbetriebe Land und Forst ließ seinerzeit ein Rechtsgutachten erstellen. Der Kölner Jurist Otto Depenheuer kam zu dem Schluss, der Entwurf verstoße gegen mehrere Grundrechte wie die Eigentumsgarantie und die Berufsfreiheit.
In diesen Tagen beginnt die Brunft des Rehwildes. Passionierte Bockjäger fiebern diesen vier Wochen jährlich entgegen, besonders in den Niederwildrevieren. Gilt der Rehbock doch als Hirsch des kleinen Mannes. Auf der Suche nach paarungsbereiten Ricken wird mancher zuvor unbekannte Trughirsch sichtbar. Die jährliche Rehwildstrecke erreicht seit Jahren immer neue Rekordwerte und liegt inzwischen bei bundesweit mehr als 1,3 Millionen Stücken. Jagdgegnern ist jedes davon eines zu viel. Anderen können mit Hinweis auf die Notwendigkeit des Waldumbaus und deshalb erforderlicher Verbissminimierung gar nicht genug Rehe erlegt werden. In einem weiteren Blog-Beitrag beleuchtet unser Autor Christoph Boll in der kommenden Woche die Biologie unserer kleinsten Schalenwildart und die Konfliktlinien, zwischen denen sie lebt.

In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wurde der Gesprächskreis Jagd, Fischerei und Natur nach der Wahl neu besetzt. Unser Stiftungsratsmitglied bei natur+mensch, MdB Marc Henrichmann, hat den Vorsitz übernommen. Gemeinsam mit seinem Stellvertreter Christian Moser MdB will er sich damit verstärkt für den Schutz und die nachhaltige Nutzung unserer natürlichen Lebensgrundlagen einsetzen. „Mit Respekt vor der Natur und Wertschätzung für unsere Jäger, Fischer und Naturschützer“, schreibt Henrichmann dazu bei Facebook. Sein Vorgänger war sein Bundestagskollege Henning Otte, der nun Wehrbeauftragter ist.
Während der Ernte ist auf Feld- und Wirtschaftswegen reichlich Betrieb: In kurzen Zeitfenstern rücken große Maschinen aus, um das Getreide von den Feldern einzufahren. Gleichzeitig treiben steigende Temperaturen immer mehr Menschen nach draußen in die Natur. Bei Fahrradfahrern, Spaziergängern und Hundehaltern sind landwirtschaftliche Wege abseits von vielbefahrenen Straßen besonders beliebt. In der Erntezeit kreuzen sich dann die Wege von Ausflüglern mit großen landwirtschaftlichen Geräten wie Schleppern, Anhängern und Mähdreschern. Darauf weisen der Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV), die Landesverkehrswacht und die Provinzial-Versicherung mit der gestern vorgestellten Aktion „Rücksicht macht Wege breit“ hin. Wir werden darüber berichten.
Zunächst passt das zu meinen guten Wünschen zum Wochenende!
Ihr Jost Springensguth
Redaktionsleitung / Koordination
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