Zwischen Aufbruch und Widerstand
- Jost Springensguth
- 30. Mai
- 6 Min. Lesezeit
Koalition bringt erste Gesetze auf den Weg und in Rheinland-Pfalz ist das Reviersystem in Gefahr

Liebe Leserin, lieber Leser,
in Berlin setzt die neue Regierung Merz erste Duftmarken mit dem Anspruch als Arbeitskoalition. Zu den ersten Maßnahmen, die auf den Weg gebracht werden, gehören Entlastungsbeschlüsse für die Landwirtschaft. Und der Wolf wird mit dem Ziel eines kontrollierten Umgangs ins Bundesjagdgesetz aufgenommen. Anderswo beschäftigen sich Jägerinnen und Jäger sorgenvoll mit ihrer Zukunft. Gegen den Entwurf eines Landesjagdgesetzes, das auf Initiative einer grünen Ministerin auf den Weg gebracht wurde, erhebt sich in Rheinland-Pfalz massiver politischer und gesellschaftlicher Widerstand. Dass Jäger Naturschützer sind, beweist gleichzeitig in NRW eine Initiative auf Kreisebene, auf die wir in dieser Wochenkolumne eingehen. Und dann noch eine Information in eigener Sache: Unsere Blog- und Newsletterbeiträge übersteigen im Mai die Grenze von 200.000 monatlichen Nutzern bzw. Lesern. Für uns eine Rekordmarke als weiterer Ansporn!
Am Abend vor Himmelfahrt ging der Koalitionsausschuss für die Innenpolitik in die Startlöcher. Bisher hatte Friedrich Merz zusammen mit dem Außen- und dem Verteidigungsminister eher nach Brüssel, Moskau und Washington Zeichen gesetzt. Jetzt folgt der erste Schritt zu dem, was der Kanzler vor zwei Wochen im Parlament angekündigt hat: „Ich möchte, dass Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, schon im Sommer spüren, hier verändert sich langsam was zum Besseren.“ Söder übersetzte das erst einmal in der Pressekonferenz der Parteivorsitzenden nach dem Koalitionsausschusses in seine Sprache: „Tempo, Tempo, Tempo.“ Tatsächlich schien es am Mittwoch konstruktiv und produktiv zugegangen zu sein. Mancher Beobachter fügte noch an: „Ja gar harmonisch.“ Das wäre ja ein gutes Zeichen zu Beginn der Legislaturperiode.
Viele wollen, dass sich sofort was ändert. Machen wir uns nichts vor: Dem Startschuss folgen erst einmal im Detail komplette Gesetzesverfahren bis zur Umsetzung. Das geht dann aus dem Kabinett alles weiter über die Ausschüsse des Bundestages, dann ins Plenum und schließlich in den zustimmungspflichtigen Teilen durch den Bundesrat. In der Wirtschaft soll ein „Investitionsbooster“ mit ersten Maßnahmen aus dem Sondervermögen folgen. Dazu enthält unter anderem das „Sofortprogramm“ ein großes „Rentenpaket“, eine Erhöhung der Pendlerpauschale, die Mehrwertsteuersenkung in der Gastronomie, Korrekturen in der Migrationsgesetzgebung mit Abschaffung der „Turbo-Einbürgerung“ und bestehender Familiennachzugsregelung. Weiter gehören mit Blick auf den ländlichen Raum zum Paket in Stichworten: Aufnahme des Wolfes ins Bundesjagdgesetz, Wiedereinführung der Agrardieselvergütung, Abbau „übermäßiger bürokratischer Pflichten in der Landwirtschaft“, Anpassung der Regeln für Saisonarbeitskräfte und Erleichterungen beim Tierhaltungskennzeichnungsgesetz.
Landesjagdgesetze: Jetzt brodelt es in Rheinland-Pfalz
Wechseln wir weiter aktuell auf die Länderebene: Überall im Lande finden gegenwärtig die Landesjägertage statt. Während die meisten Bundesländer sich jagdpolitisch derzeit (teilweise wieder) in eher ruhigem Fahrwasser befinden, brodelt es nach Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern aktuell gerade in Rheinland-Pfalz gewaltig. Wie oft, wenn die Grünen an einer Landesregierung beteiligt sind, soll ans Landesjagdgesetz Hand angelegt werden. Und zwar nicht ein wenig, sondern grundlegend. Für den renommierten Staatsrechtler Prof. Dr. Johannes Dietlein sind mit dem ersten Gesetzentwurf veröffentlichte Überlegungen, Grundeigentümern auf deren Land ein Jagdausübungsrecht unabhängig von der Größe der Fläche einzuräumen, ein „Zündeln am Reviersystem“. Unser Autor Christoph Boll wird in einem Beitrag für unseren Blog in der kommenden Woche auf die hitzige Diskussion eingehen und erläutern, warum der Landesjagdverband für den 25. Juni unter dem Motto „Jetzt geht´s um alles“ zu einer Demonstration in der Landeshauptstadt Mainz aufgerufen hat. Vorher gibt es noch in einer dezentral angelegten Aktionswoche einzelne Demonstrationsveranstaltungen aus der Jägerschaft in kreativen Formen. So etwa Pfingstsonntag mit einem Protestmarsch der Kreisgruppe Bad Kreuznach auf dem Barfußpfad Bad Sobernheim mit der angekündigten klaren Botschaft „Das neue Jagdgesetz gefährdet unsere Jagdkultur, die Artenvielfalt und den ländlichen Raum.“
Preiskämpfe führen zu mehr Gemüse- und Obstimporten
Bleiben wir beim ländlichen Raum, der immer wieder durch einzelne Maßnahmen insgesamt zunehmend unter Druck gerät. So ist das schon alarmierend: Die beiden führenden Lebensmittel-Discounter haben in der letzten Woche spektakulär ihren Kampf um Marktanteile in Deutschland über nacheinander angekündigte großflächige Preissenkungen in die Werbung gebracht. Das wird zwangsläufig im vorgelagerten Raum der Erzeugung auf den Feldern, in Gewächshäusern, Ställen und auf den Agrar- und Obstflächen mutmaßlich schwere Folgen haben. Für Hubertus Beringmeier, den Verbandspräsidenten der westfälischen Bauern, kommen die beabsichtigten Preissenkungen zur Unzeit und senden falsche Signale an die Verbraucher. Er erinnert daran, dass die Produktion von hochwertigen, regional und nachhaltig erzeugten Lebensmittel unter den Gesichtspunkten wie Tierwohl, Nachhaltigkeit und Umwelt-, Natur- und Klimaschutz ihren Preis habe. Dem massiven Preisdruck könnten die Erzeuger langfristig nicht standhalten.
In dieselbe Richtung stößt der neue Generalsekretär des schleswig-holsteinischen Bauernverbandes, Michael Müller-Ruchholtz. Er warnt zusammen mit seinem Vorgänger Stephan Gersteuer davor, dass durch diese Entwicklung unsere Abhängigkeit von Lebensmittelimporten steigt. Als Grund führen die beiden in einem Gespräch mit den Zeitungen der Verlagsgruppe SHZ in Flensburg die immer schlechter werdenden Rahmenbedingungen für die heimische Landwirtschaft an. So erschwere eine überbordende Bürokratie ebenso wie Anpassungen an den Klimawandel bei uns die regionale Agrarproduktion. Der im Koalitionsvertrag formulierte Wunsch nach einer Steigerung des regionalen Anbaus sei unrealistisch, sagte Müller-Ruchholtz der Zeitungsgruppe. Er fügte an: „Wenn die spanischen Erdbeeren zu einem Bruchteil des Preises der deutschen angeboten werden, scheitert der Wunsch nach mehr Regionalität spätestens an der Ladenkasse.“ Die befürchteten Probleme macht der Generalsekretär des Bauernverbandes unter anderem auch an der Absicht fest, den Mindestlohn auf 15 Euro anzuheben. Spanische Obstbauern zahlten dagegen die dort geltenden Mindestsätze von 8,37 Euro. Das ist eine europäische Schieflage!
Dies lenkt auf eigene Wahrnehmungen in meinem unmittelbaren Umfeld hin: Dort haben drei Betriebe für Spargel und Erdbeeren nach jahrzehntelanger Hofladen-Tradition diese Produktion und die eigene Vermarktung eingestellt. Der Blick in die Gemüseregale bestätigt: Da kommt viel aus Spanien, Holland, Marokko oder anderswo. Irgendwie muss das alles zusammenhängen und zu Ungleichgewichten oder nicht erwünschten Entwicklungen im ländlichen Raum führen.
Freude an der Natur durch persönliches Erleben
Ein großes Anliegen unserer Stiftung ist es, Freude an der Natur durch persönliches Erleben zu wecken. Das geht auch in großstädtischen Bereichen, wie die Schule Natur im Grugapark Essen belegt. Sie feiert gerade ihr 30-jähriges Bestehen. Der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen gratulierte: „Die Schule Natur ist ein wunderbarer Ort, an dem Kinder und Jugendliche die Natur entdecken und gleichzeitig viel über den Umweltschutz lernen können. Ob als außerschulischer Lernort für Kitagruppen und Schulklassen oder für den privaten Rahmen mit Fachführungen, Kindergeburtstagen, Ferienprogrammen – für alle ist etwas dabei!", Auf Initiativen dieser Art weist unsere Stiftung natur+mensch gerne hin.
Zu ähnlichen Aktionen gehört auch eine Initiative wie die der Kreisjägerschaft Unna. Sie hat mit einer Crowdfunding-Aktion ein großes Naturschutzprojekt „Unsere Natur“ gestartet. Darüber berichtet in ihrer neuesten Ausgabe die Verbandszeitschrift „Rheinisch-Westfälischer Jäger“. Das Projekt verbindet Naturschutz mit landwirtschaftlicher Praxis und jagdlichem Sachverstand. Es geht um praktische Maßnahmen gegen den Rückgang typischer Offenlandarten wie Rebhuhn, Kiebitz, Feldlerche, Goldammer, Wiesenschafstelze sowie Niederwildarten wie Fasan und Feldhase. Zentraler Bestandteil des Projekts ist die individuelle und kostenfreie Beratung teilnehmender Landwirte durch die Stiftung Westfälische Kulturlandschaft. Finanziert wird die Aktion durch viele Einzelspenden, die die Volksbank Unna jeweils bis zu zehn Euro aufstockt. Johannes Laurenz, der Vorsitzende der KJS Unna: „Naturschutz ist mehr als Bäume pflanzen.“ Wir werden demnächst in unserem Blog auf dieses beispielhafte Projekt für den Natur- und Artenschutz eingehen.
Auch wir wollen als Stiftung mit unserer Arbeit und Projekten einer fortschreitenden Naturentfremdung der Menschen entgegenwirken. So geht es uns unter anderem darum, natürliche Lebensräume erlebbar zu machen – und zwar ausdrücklich auch durch die Förderung von Bildung und Erziehung. Interessierten Gruppen wird von unserer Stiftung natur+mensch mit diesem Ziel ein Lernort-Natur-Rucksack als naturpädagogische Grundausstattung für den Einsatz in Schulen und Kitas angeboten. So haben zum Beispiel aktuell eine Reihe von Rotary-Clubs in Deutschland das Projekt aufgegriffen und als Partner den Themenrucksack hauptsächlich Grundschulen übergeben.
Über 200.000 Nutzer besuchen und lesen natur+mensch in diesem Monat
Unsere Initiativen und Projekte begleiten wir mit unserer Öffentlichkeitsarbeit, zu der neben dem Blog dieser Newsletter und die Informationen mit laufend neuen Artikeln und Posts gehören. Die professionellen Beiträge, die Themen wie Natur, Jagd und den ländlichen Raum vernetzt aufgreifen, sowie alle Projekte von natur+mensch werden durch Spenden finanziert. Dass sich das lohnt, belegen unsere aktuellen Reichweiten. In diesem Monat erreichen wir über die E-Mail-Zustellung, die Verbreitung der Artikel über die Onlineseiten und über die verschiedenen Social-Media-Netze erstmals über 200.000 Nutzer. Bis zum letzten Sonntag waren es so schon genau 195.599. Mit allen Aktiven und der Redaktion natur+mensch spüren wir, dass sich die Arbeit lohnt. Wir freuen uns über jede Unterstützung, damit wir noch mehr erreichen können.
Und zum Schluss ein Blick nach vorn: In weniger als 250 Tagen startet die JAGD & HUND 2026 in Dortmund – Europas größte Jagdmesse! „Die Planungen laufen auf Hochtouren, renommierte Aussteller haben sich bereits angekündigt, und das Rahmenprogramm verspricht spannende Highlights für Jäger, Sportschützen, Hundefreunde und Naturbegeisterte,“ schreiben die Initiatoren.
So können wir allen Gründen zu Protesten auch mit Vorfreude auf unsere Naturerlebnisse mit Blick in den Kalender des nächsten Jahres ins Wochenende gehen. In diesem Sinne verbleibe ich mit herzlichen Grüßen und Waidmannsheil
Ihr Jost Springensguth
Redaktionsleitung / Koordination
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