Ein Europäer als Kanzler und Erwartungen auf dem Lande
- Ludwig Hintjens
- 8. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Wie der CDU-Politiker Merz in Brüssel wieder mehr das Gewicht Deutschlands in die Waagschale werfen will. Das verspricht auch viel für die nächste Periode gemeinsamer Agrarpolitik in Europa

Wenn Friedrich Merz in Brüssel ist, ist unverkennbar, dass der deutsche Kanzler seine politische Karriere in der EU-Politik begonnen hat. Als 33-Jähriger wurde er 1989 ins Europaparlament gewählt, dem er für eine Wahlperiode angehörte, um dann in den Bundestag zu wechseln. Merz versteht, wie die EU-Politik funktioniert. Und als deutscher Regierungschef hat er den Anspruch, die Europapolitik zu prägen. Noch wenige Tage, bevor er zum Kanzler gewählt wurde, versprach er Europa „mehr deutsche Führung“. Die EU werde mit der unter ihm geführten Regierung „die größten Unterstützer der EU bekommen“, die es jemals gegeben habe.
Und er hat mit dem Zuschnitt der Ministerien die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass er diesen Führungsanspruch auch umsetzen kann. Die Union stellt den Kanzler, den Wirtschafts-, den Landwirtschafts- und den Verkehrsminister. Damit sollte es möglich sein, künftig in Brüssel und Luxemburg bei den wichtigsten Ministerräten mit einer Stimme zu sprechen. Unter der Regierung von Olaf Scholz war davon nichts zu spüren. Weil SPD, Grüne und FDP bei vielen Fragen, etwa auch dem Artenschutz für den Wolf oder den Klimazielen für die Autohersteller, zerstritten waren, hat sich Deutschland immer wieder enthalten. Das war so auffällig, dass die ständige Enthaltung der Deutschen im EU-Jargon „German Vote“ (übersetzt: deutsche Stimme) genannt wurde.
Zeit der Zurückhaltung sollte vorbei sein
Das Gewicht Deutschlands muss schon bald in die Waagschale gelegt werden, wenn es etwa darum geht, die nächste Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) zu verhandeln. Die Kommission will ihren Vorschlag dazu noch vor der Sommerpause vorlegen. In den Jahren der Regierungen Scholz und auch Merkel haben die anderen EU-Staaten häufig bedauert, dass Deutschland sich so oft zurückgehalten hatte. Seine Prioritäten macht Merz mit seinen ersten Auslandsreisen deutlich, zu denen er bereits am ersten Tag nach seinem holprigen Start ins Kanzleramt aufgebrochen ist. Er reiste traditionell nach Paris, dem wichtigsten Verbündeten, dann nach Warschau. Es geht Merz darum, das Weimarer Dreieck wiederzubeleben, gemeinsame Waffenkäufe der Europäer vorzubereiten und die Unterstützung der Ukraine zu sichern. Am Freitag dann ist Merz in Brüssel und trifft Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie Ratspräsident António Costa.
Insbesondere Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzt auf Merz: Zwischen Scholz und Macron stimmte die Chemie nicht so richtig. Auch Angela Merkel ließ die ambitionierten Vorstöße von Macron für eine Vertiefung der EU, die er bei seiner Sorbonne-Rede vorgelegt hatte, weitgehend unerwidert. Macron rief Merz nach der gelungenen Kanzlerwahl zu: „Jetzt liegt es an uns, den deutsch-französischen Motor und das deutsch-französische Bewusstsein stärker denn je zu machen.“ Konkret können Deutschland und Frankreich ihre Zusammenarbeit etwa in den Bereichen Energie, Bürokratieabbau, Rüstung und Digitalisierung ausbauen.
Schon bei ihrem ersten Treffen auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs werden Merz und Macron über das Mercosur-Handelsabkommen sprechen. Aus Rücksicht auf die rebellischen französischen Bauern, die Mercosur vehement ablehnen, wollte Macron das Handelsabkommen blockieren. Merz setzt sich für das Abkommen ein, obwohl es auch bei den deutschen Bauern nicht populär ist. Merz hat der Präsidentin der Kommission, die für die Handelsabkommen allein zuständig ist, „volle Unterstützung“ zugesagt. Macron hat allerdings in jüngster Zeit angedeutet, dass er bei Mercosur vielleicht doch zustimmen könnte. Der Grund für seinen sich andeutenden Schwenk ist die aggressive Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump. Dem könnte Europa mit dem lange vorbereiteten Südamerika-Deal etwas entgegensetzen. Es wäre ein großer Erfolg für Merz, wenn er Macron eine Zusage abringen könnte. Das wäre dann das erste Mal, dass Merz seinem Anspruch gerecht würde, ein europäischer Kanzler zu sein.
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