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- Priorität eins für Agrarpolitik in Europa
Die Christdemokraten sollten ihrem Anspruch als Bauernpartei gerecht werden und nach dem Vorsitz im Agrarausschuss im Europaparlament greifen Die christdemokratische EVP hat die Europawahl haushoch gewonnen und im Europaparlament Gewicht zugelegt. Sie stellt nun 190 von 720 Sitzen und hat ihren Vorsprung vor den zweitplatzierten Sozialisten (136 Sitze) ausgebaut. Es kann sein, dass sie bis zur ersten Sitzungswoche Mitte Juli in Straßburg durch Übertritte von Parteien, die bislang bei der konservativen EKR-Fraktion waren, noch weitere Sitze dazugewinnt. Im Wahlkampf haben die Landwirtschaftspolitik und weitere Themen zum ländlichen Raum eine herausgehobene Rolle gespielt. Manfred Weber, der die europäische Parteienfamilie EVP sowie die Fraktion im Europaparlament leitet, hat während der Kampagne immer wieder betont, dass seine Partei die Bauernpartei sei. Nun muss er entscheiden, in welchen Politikbereichen die Christdemokraten ihre Schwerpunkte für die nächsten fünf Jahre setzen wollen. Der CSU-Vize aus Niederbayern hat bereits den Anspruch erhoben, dass die EVP den nächsten Agrarkommissar stellt. Die Kommissare werden von den Mitgliedstaaten vorgeschlagen. Im Gespräch ist bereits der Luxemburger Christoph Hansen für den Posten. Aber auch im neu gewählten Parlament sollten die Weichen so gestellt werden, dass die EVP ihrem Anspruch als Bauernpartei gerecht werden kann. Im Landwirtschaftsausschuss findet die Arbeit an den Gesetzentwürfen statt. Der oder die Abgeordnete, die den Landwirtschaftsausschuss leitet, hat viel Einfluss. Der Chef des Fachausschusses ist etwa dabei, wenn die beiden Co-Gesetzgeber, Parlament und Rat, letzte Hand an Gesetze legen. Kandidat steht bereit In der vergangenen Wahlperiode hatte erstmals der baden-württembergische Abgeordnete Norbert Lins (CDU) den Landwirtschaftsausschuss geleitet. Ob bei der Förderperiode für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) oder den Entlastungen von Bürokratie bis hin zur Wiederzulassung von Glyphosat – Lins hat vieles im Interesse der deutschen Landwirte erreicht. Die EVP sollte bei der Landwirtschaftspolitik im Europaparlament auf Kontinuität setzen und wieder den Vorsitz im Landwirtschaftsausschuss anstreben. Lins stünde bereit. Damit es dazu kommt, müsste allerdings EVP-Chef Manfred Weber seine Prioritäten anders setzen. Über Jahrzehnte haben die Christdemokraten zunächst nach dem Auswärtigen Ausschuss gegriffen, wenn zum Beginn der Wahlperiode die Chefposten der Ausschüsse verteilt wurden. Die Ausschussvorsitze sind sowohl zwischen den Fraktionen als auch zwischen den nationalen Delegationen in den Fraktionen heiß umkämpft. Dass Lins 2019 den Ausschussvorsitz bekam, war eher glücklicher Fügung zu verdanken. Die sechs anderen Fraktionen hatten sich entschieden, eine Brandmauer zur rechtsradikalen ID-Fraktion zu errichten und ihr den eigentlich zustehenden Agrarausschuss nicht zu geben. Nur so kam Lins dann zum Zuge. David McAllister, der ehemalige niedersächsische Ministerpräsident, leitet den Auswärtigen Ausschuss bereits seit 2016 und würde das Amt gern auch die nächsten fünf Jahre behalten. Da er EVP-Vize ist, hat sein Wunsch bei Manfred Weber vermutlich auch diesmal wieder Gewicht. Der Auswärtige Ausschuss macht aber keine Gesetzgebungsarbeit. Es sollte Weber darum gehen, möglichst viel von der Agenda der Christdemokraten umzusetzen. Dafür sollte er es diesmal nicht dem Zufall überlassen, sondern in der ersten Runde der Verteilung der Ausschussvorsitze nach dem Landwirtschaftsausschuss greifen.
- Politische Nachbeben der Europawahl – Auch Jäger und Landwirtschaft betroffen
Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, von wegen beginnende politische Sommerpause. Diese Woche wurde in Berlin und Brüssel hinter den Kulissen heftig um Geld und künftiges Spitzenpersonal gerungen. Die Staats- und Regierungschefs der EU müssen nach der Europawahl zentrale Posten in der Union neu vergeben. Das verlief im ersten Durchgang leider nicht so reibungslos wie von vielen erhofft, auch wenn sich etwa Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter begründete Hoffnung auf ein Verbleiben im Amt machen darf. Derweil versuchen die Spitzen der Ampelkoalition, Eckpunkte für den neuen Haushalt festzulegen. Es könnte sich um den letzten Versuch handeln, dieses bei der Europawahl so arg gebeutelte Bündnis vor dem endgültigen Aus zu bewahren. Wie bedeutsam Vorgänge gerade in Brüssel sein können, zeigt exemplarisch die jüngste Verabschiedung des umstrittene Renaturierungsgesetzes durch die Umweltminister der EU, nachdem bereits zuvor die Abgeordneten des Europaparlaments zugestimmt hatten. Künftig sollen mehr Bäume gepflanzt, Moore und Flüsse in ihren natürlichen Zustand zurückversetzt werden. Das Gesetz verpflichtet EU-Länder, bis 2030 mindestens je 20 Prozent der geschädigten Flächen und Meeresgebiete wiederherzustellen und bis 2050 alle bedrohten Ökosysteme. Kritik an dem Gesetz gibt es insbesondere aus der Landwirtschaft, wie wir auch in unserem Blog mehrfach thematisiert haben. Die Bauern fürchten um Anbauflächen, die sie unter anderem für die Erzeugung von Lebensmitteln benötigen. Für die Ausgestaltung des Gesetzes sind wie üblich die Länder zuständig. Das dürfte vielerorts – auch in Deutschland – noch für einigen Konfliktstoff mit den Betroffenen sorgen. Alle Bürger sind betroffen Die Auswirkungen der aktuellen Verhandlungen in Berlin und Brüssel werden für jeden einzelnen Bürger spürbar sein. Denn es stehen Entscheidungen von weitreichender Bedeutung für Wirtschaft und Sicherheit an – man denke nur an die Stichworte Ukrainekrieg und Klimakrise. Dies gilt nicht zuletzt für den ländlichen Raum, wo aber auch ganz andere, etwa jagdliche und landwirtschaftliche Probleme eine herausragende Rolle spielen. Wie eng gerade diese beiden Themen zusammengehören können, zeigt sich wieder einmal bei den Stichworten Wolf und Gänsejagd. So wurde jetzt im niedersächsischen Munster ein Wolfsriss in einem Mufflon-Gehege bestätigt. Das Wildgatter war seinerzeit zur Absicherung auf eine Höhe von 2,20 Meter gebracht und im oberen Bereich mit Stacheldraht sowie zwei Stromlitzen versehen worden. Damit wurde noch über die Richtlinie des Landes hinausgegangen, deren Einhaltung die Bedingung für Entschädigungszahlungen ist. Zudem wurden Gitter zum Schutz in den Boden eingegraben, um ein Eindringen von unten zu verhindern. Der Zaun könne weder mit einem einzelnen Sprung überwunden noch untergraben werden, hieß es seinerzeit in der örtlichen Presse. Doch jetzt hat es ein „Kletterer“ offenkundig geschafft, sich am Zaun hochzuziehen und auf die andere Seite zu gelangen. Sollte sich diese „Technik“ unter Wölfen verbreiten, droht dies zu einem größeren Problem zu werden. In jedem Fall zeigt der Vorgang, dass die bisherigen Schutzmaßnahmen auf Dauer nicht ausreichen könnten. Zu Recht sind insbesondere die Weidetierhalter wegen der ungehemmten Ausbreitung der Wölfe alarmiert. Die Politik sollte im Sinne dieser Naturnutzer wirksame Maßnahmen ergreifen. In Schleswig-Holstein kommt die Landesregierung jetzt den Wünschen der Bauern nach und will den Abschuss von Grau- und Nonnengänsen deutlich erleichtern. Hintergrund ist zunehmender Wildschaden, der für die Landwirte nach Angaben von Agrarminister Werner Schwarz zum Teil existenzbedrohend sei. Künftig soll die Jagd auf Graugänse bereits einen Monat früher zum 1. Juli beginnen dürfen und dann wie bisher bis Ende Januar dauern. Bei der Nonnengans will der CDU-Politiker den Abschusszeitraum sogar um anderthalb Monate ausdehnen, und zwar von Mitte Januar bis Ende Februar. Der Beginn bleibt mit Anfang Oktober gleich. Bei Nonnengänsen bleiben Vogelschutzgebiete von einer Schusserlaubnis ausgeklammert, während es bei Graugänsen keine Einschränkung gibt. Grüne nicht mehr zuständig In den vergangenen zwei Legislaturperioden, als die Landwirtschaft noch mit Umwelt unter grüner Leitung in einem Ressort zusammengefasst war, hatten die Bauern mit ihren Forderungen nach einer leichteren Bejagung bei der Koalition kein Gehör gefunden. Nach den deutlichen Zugewinnen der CDU bei der letzten Landtagswahl ist der Ökopartei nur noch die Zuständigkeit für Umwelt geblieben. Die schleswig-holsteinischen Grünen lehnen die von der Union geplanten Änderungen strikt ab und beklagen eine mangelnde Abstimmung innerhalb der Koalition. Das grün geführte Umweltministerium will seine Auffassung jetzt in der formellen Anhörung Betroffener zur Verordnung einbringen. Die Änderung kann erst nach einer solch üblichen Anhörung final verabschiedet werden. Der Vorsitzende des Bauernverbandes, Klaus-Peter Lucht, bezeichnete die geplante Verlängerung der Jagdzeiten als das Mindeste, was geschehen müsse, um die Fraßschäden in der Landwirtschaft einzudämmen. Im Übrigen gefährde die Überpopulation die Gesundheit der Tiere, wie die zahlreichen Geflügelpestfälle bei den Wildgänsen gezeigt hätten. Außerdem würden durch die Gänse andere, für die Artenvielfalt bedeutsame Vogelarten verdrängt. Um alldem und den Schäden der Landwirtschaft entgegenzuwirken, seien weitergehende Maßnahmen erforderlich, wie etwa eine Reduzierung der Gelege. Derweil sorgen sich viele Landwirte in diesen Tagen wieder um das neuerliche Auftreten der Afrikanischen Schweinepest ASP. Nachdem es bereits Anfang des Monats einen ASP-Fall in einem Schweinemastbetrieb im Landkreis Vorpommern-Greifswald gegeben hatte, ist die gefährliche Tierseuche nun auch in Hessen nachgewiesen worden. Das betroffene Wildschwein war nah einer Landstraße südlich von Rüsselsheim im Landkreis Groß-Gerau gefunden worden. Jäger sollen besonders wachsam sein Die zuständigen Behörden arbeiten mit Hochdruck daran, die Tierseuche auf ein möglichst kleines Gebiet einzudämmen. Auch im benachbarten Rheinland-Pfalz und in anderen Bundesländern zeigt man sich zunehmend besorgt. So rief etwa das NRW-Agrarministerium vor allem Landwirte und Jäger dazu auf, weiterhin besonders wachsam und vorsorgend zu agieren. Das Auftreten der Tierseuche im südlichen Teil von Hessen zeige, wie hoch die Gefahr der Einschleppung sei. Nur gemeinsam könne man das Verbreiten der Seuche verhindern. Wie wichtig eine funktionierende Landwirtschaft für das soziale Leben in den Dörfern ist, hat die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Silvia Breher diese Woche treffend in einem Interview mit dem Bremer Weser-Kurier beschrieben: „Wenn der Bauer nicht mehr da ist, dann hast du niemanden mehr, der vor Ort in der Feuerwehr aktiv ist, der beim Osterfeuer mit dem Schlepper Holz zusammenfährt, der im Sommer bei einer Müllsammelaktion des Dorfes den Anhänger zur Verfügung stellt und die Tannenbaumaktion des Gemeindejugendrings unterstützt.“ Nur wo Wirtschaft funktioniere, sei auch Geld für Soziales und Engagement fürs Ehrenamt möglich, betonte Breher, die auf einem Bauernhof im Oldenburger Münsterland aufgewachsen ist und für das Landvolk als Juristin tätig war. Deshalb gehöre Wirtschaft zwingend in den ländlichen Raum. „Der ist nicht nur Naherholungsgebiet und das gute Umweltgewissen für Städter.“ Recht hat sie. Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination
- Der hohe Norden schiebt sich aufs Abstellgleis
Als erstes Bundesland spart Schleswig-Holstein beim Zugverkehr Schleswig-Holstein, das Urlaubsland im hohen Norden, streicht eine Reihe von Zugverbindungen zwischen Hamburg, Flensburg, Kiel und auch in Richtung Sylt. Aus Kostengründen. Als erstes Bundesland zieht Schleswig-Holstein Konsequenzen aus der Ankündigung des Bundes, Zuschüsse in Millionenhöhe zu kürzen. Andere Länder werden folgen. Seit jeher leben die Schleswig-Holsteiner mit schlechten Bahnverbindungen. Wer schnell bei einer Fernreise ans Ziel kommen möchte, stellt sein Auto in Hamburg ab und reist von der Hansestadt weiter. Die Anschlussverbindungen entsprechen nicht zeitgemäßen Ansprüchen. Schleswig-Holstein hat auf der Schiene den Anschluss verloren. Das Land verfügt deutschlandweit über das schlechteste Schienennetz und belegt den letzten Platz bei der Elektrifizierung. Zu diesem Desaster halten sich selbst die Grünen, Koalitionspartner der CDU-Landesregierung, im Hintergrund. Abgesehen von der einmal im Monat ausgerufenen Forderung nach einem Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen ist verkehrspolitisch von den Grünen im Landtag nichts zu hören. Klimaschutz avanciert – was den Bahnverkehr angeht – zum Fremdwort. Dies hält den Kieler Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) nicht davon ab, zwei Prozent seiner Bahnverbindungen zu streichen. Der aus Dänemark stammende Minister begründet dies mit dem Wegfall von Regionalisierungsmitteln des Bundes – es geht um insgesamt 570 Millionen Euro für die kommenden acht Jahre. Zudem werde das Land mit 52 Millionen Euro als Zuschüsse für das Deutschlandticket belastet, fügt Madsen hinzu. Vor allem ländlicher Raum betroffen „Verkehre abbestellen“, heißt es in der Behördensprache. Das Sparkonzept trifft vor allem den ländlichen Raum. Die Linien dorthin befinden sich auf der Streichliste ganz oben. Dazu gehören auch Busverbindungen, die auf der Sparliste stehen. Betroffen sind viele Pendler, die auf dem Lande wohnen und in den Städten ihren Arbeitsplatz haben. So wie in den Orten an der Westküste, von wo aus täglich an die 2000 Arbeitnehmer auf die Insel Sylt fahren. Sie werden ab Dezember auf mehrere Verbindungen, gerade auch spätabends, verzichten müssen. „Sylt hat keine Sonderrechte im ÖPNV“, sagt der Minister. Auf der Marschbahn von Hamburg nach Niebüll soll ausgerechnet am Wochenende eine Verbindung je Richtung entfallen. Zwischen Niebüll und Westerland sind mehrere Vormittagszüge an Werktagen auf der roten Streichliste. Insofern sind auch zahlreiche Touristen betroffen. Ein Beispiel für Passivität von Bahn und Land ist die bei der Ortschaft Lindaunis über die Schlei führende Eisenbahnbrücke, die seit über einem Jahr nicht mehr befahrbar ist. Dadurch fällt der Zugverkehr zwischen Kiel und Flensburg komplett aus, als Ersatz werden Busse eingesetzt. Die Erklärung der Bahn: Man finde keine Fachfirmen für die Reparaturarbeiten, heißt es lapidar. Die Urlaubsregion zwischen Schleswig und Kappeln verzeichnet ein Minus an Touristen, die in dieser Gegend auf den Bahnverkehr angewiesen sind. Über die ÖPNV-Misere gibt es bundesweit Klagen. So auch in Nordrhein-Westfalen, besonders im Münsterland, wo die Eurobahn die Bahnlinien betreibt. Dem Unternehmen fehlt das notwendige Personal, es zog die Notbremse. Dies führte zu Einschränkungen auf zahlreichen Strecken, die von Münster und Bielefeld aus ins Land führen. In Nordrhein-Westfalen stehen weitere Einschränkungen an. Ab September läuft die üppige Förderung des Landes bei Buslinien aus. Die Kreise schlagen Alarm, weil sie die Fehlbeträge in Millionenhöhe nicht stemmen können. Vorrangig betroffen sind auch hier die Menschen auf dem Lande.
- „Bei mir ist alles weg“
Jahrelang litten die Obst- und Weinbauern in Ostdeutschland unter der Trockenheit. In diesem Jahr schlug Ende April der Frost zu. Die Ernteausfälle sind massiv. Viele Betriebe werden dies wirtschaftlich nicht überleben Die Zahlen sind verheerend. Ernteausfälle bei Obst und Wein von bis zu 100 Prozent haben zahlreiche Obst- und Weinanbaubetriebe in fast allen östlichen Bundesländern an den Rand des wirtschaftlichen Ruins getrieben. Damit steht eine ganze traditionell wichtige Branche der Landwirtschaft auf der Kippe. Beispiel Sachsen-Anhalt: Im ganzen Land berichten die Obstbauern von den katastrophalen Folgen des Frostes, der Ende April übers Land gekommen war. Damals erfroren viele Blüten – auch der Wein nahm großen Schaden. Im Süden des Landes sagte Obstbauer Axel Neutag von der Obstproduktion Höhnstedt gegenüber dem MDR Sachsen-Anhalt, die Aprikosenernte falle dieses Jahr komplett aus. Bei Kirschen und Pflaumen betrage der Ernteausfall voraussichtlich etwa 90 Prozent. Bei den Sauerkirschen seien die Frostschäden so massiv, dass „wir keine Leiter an die Bäume stellen werden, weil es einfach zu wenige Früchte sind und der Ernte-Aufwand zu groß ist.“ Bei Äpfeln und Birnen sehe es etwas besser aus. Etwas besser, nicht wirklich gut. Eingeleitete Schutzmaßnahmen, mit denen die Obstbauern versucht hatten, die Bäume vor dem Frost zu schützen, haben vielerorts nicht gereicht. Einige Obstbauern haben zum Beispiel versucht, mit Feuertonnen zwischen den Bäumen den Frost zu besiegen. Vergeblich. Betriebe in kritischer Situation Beispiel Brandenburg: Fachleute der Landwirtschaftskammer und der Obst- und Gartenbaubetriebe schätzen die Frostschäden dort in diesem Jahr auf 10 bis 14 Millionen Euro. Im Obstanbau in Brandenburg dominieren Äpfel, gefolgt von Süßkirschen. Der Vorsitzende der Fachgruppe Obstbau beim Gartenbauverband Berlin-Brandenburg, Thomas Bröcker, rechnete im Gespräch mit Journalisten ebenfalls mit massiven Ertragsausfällen beim Baumobst. Es sei relativ kritisch für die Betriebe, sagte er. Der Mann weiß, wovon er spricht, weil er selbst zahlreiche Apfelplantagen in Brandenburg bewirtschaftet. „Bei mir ist alles weg.“ Laut Bröcker hat der Frost bei Betrieben in tiefen Lagen und Senken die Obsternte komplett zerstört. Aber auch in höheren Lagen gebe es Ausfälle von 70 bis 80 Prozent. Dies weckt in vielen Regionen und bei vielen Betrieben böse Erinnerungen an die Jahre 2018 und 2019, in denen ebenfalls der einsetzende Frost und dann die folgende Trockenheit im Sommer fast die gesamte Ernte vernichtet hatten. Auch beim Weinanbau südlich – in Sachsen und Sachsen-Anhalt – ist die aktuelle Lage nach den Wetter-Turbulenzen schlecht. Der sächsische Weinbauverband bezifferte vor einigen Tagen die Schadenssumme auf rund 34 Millionen Euro beziffert. Bitter, da gerade die Qualität des Weins aus der Region Saale-Unstrut international sehr gelobt wird. Länder prüfen Hilfen Die Probleme rufen im Jahr der Landtagswahlen die Politik auf den Plan. Das sächsische Kabinett kündigte Hilfen an. „Die Obstbauern haben mit der Trockenheit in den vergangenen Jahren ohnehin schon schwierige Zeiten hinter sich“, sagte Agrarminister Wolfram Günther (Grüne) in Dresden. Man wolle verhindern, dass Betriebe aufgeben müssten und Anbauflächen verschwinden, da sowohl der Obst- als auch der Weinanbau zur sächsischen Kulturgeschichte und landwirtschaftlichen Identität gehörten. Insgesamt stehen 22 Millionen Euro zur Verfügung. Betroffene Betriebe können nach Angaben des Landesagrarministeriums Anträge bei der Sächsischen Aufbaubank stellen. Voraussetzung: Die Betriebe müssten nachweisen, dass sie mehr als 30 Prozent der durchschnittlichen Jahreserzeugung verloren hätten. Leider kein Problem für viele. Auch die Möglichkeit, Kurzarbeitergeld für die Mitarbeiter zu beantragen, wird intern diskutiert. In Brandenburg können Obstbauern noch in diesem Jahr mit ersten Hilfen rechnen. Um Betriebsaufgaben zu verhindern, werden Abschlagszahlungen noch im Jahr 2024 angestrebt, eine endgültige Auszahlung soll Mitte 2025 erfolgen, wie ein Regierungssprecher erklärte. Ob das alles reichen wird, dieser Branche eine Zukunft zu geben, ist höchst unklar. Viele Betriebe, oft familiengeführt und mit viel Aufwand und Geld aus Trümmern der Landwirtschaftlichen Produktionsgesellschaften (LPG) der untergegangenen DDR entwickelt, überlegen aktuell aufzugeben. Private Versicherungen haben die meisten Betriebe nicht. „Wir müssen jetzt die Rechnungen und Gehälter bezahlen. Wenn wir keine Ernte haben, werden wir auch keine Erträge und Gewinne haben“, sagt ein Obstbauer aus Dresden-Pillnitz. Er wartet jetzt ab, in welcher Höhe und mit welchen Auflagen die staatliche Unterstützung kommt. „Wenn das irgendwie nicht passt, dann drehe ich den Schlüssel um. Endgültig.“
- Tante Emma kehrt zurück
Dorfläden sind mehr als ein Lückenfüller. Sie stehen für Nähe, Gemeinschaft und Regionales. Auf dem Land setzen sich immer mehr Menschen für die Rückkehr des Mini-Markts ein Die Supermärkte mit Vollsortiment, die vor Jahrzehnten in fast jeder kleinen Kommune zum Ortsbild gehörten, sind längst geschlossen. Hier und dort erinnern verblasste Ladenschilder oder lädierte Leuchtreklamen an das Nahversorgungsangebot vergangener Tage. Doch so blank, wie es anfangs schien, stehen viele Dörfer inzwischen nicht mehr da. Wer mit offenen Augen über Land fährt, findet in den Ortschaften immer häufiger kleine Läden, die mit regionalen und frischen Produkten aufwarten. Kleine Geschäfte, die früher liebevoll „Tante-Emma-Laden“ genannt wurden, kehren zurück. Und es werden immer mehr. Die Pioniere der Anfangszeit haben längst viele Nachahmer gefunden. Beim Verein Dorfladen-Netzwerk geht man inzwischen von weit über 500 Geschäften aus. „So nah, so frisch, so Vinnum.“ Griffige Slogans wie dieser Leitspruch eines Dorfladens in einem 1000-Seelen-Flecken im Münsterland drücken aus, womit diese neuen Nahversorger punkten: Sie sind schnell zu erreichen, bieten frische Lebensmittel aus der Region an und stellen einen Identifikationspunkt im Ort dar. In Vinnum haben es über 120 Bürgerinnen und Bürgern geschafft, die dauerhafte Grundversorgung mit Lebensmitteln und Artikeln des täglichen Bedarfs zu sichern. In Schapdetten, ebenfalls ein Dorf im Münsterland, hat der kleine Laden im Ortskern bereits sein zehnjähriges Bestehen gebührend gefeiert und plant nun einen Umzug an einen neuen Standort. Getragen wird auch hier das Geschäft von einer großen Gruppe engagierter Bürger. In der Regel sorgt Hilfe zur Selbsthilfe dafür, dass zwischen Küste und Alpen immer mehr neue Dorfläden entstehen. Wenn viele Einwohner sich darüber ärgern, dass sie wegen jeder Kleinigkeit in die nächste größere Stadt fahren müssen, liegt es nah, die Dorfladen-Frage zu stellen. Netzwerke helfen bei Gründung Längst gibt es Netzwerke und informative Plattformen, die bei einer Gründung helfen. Das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie hat erst kürzlich einen Leitfaden für Gründung und Betrieb eines Dorfladens neu aufgelegt. Die frei im Netz verfügbare Broschüre enthält wertvolle Hinweise und gute Ratschläge. So wie in Bayern geht man auch in anderen Bundesländern davon aus, dass die Nachfrage nach Dorfläden aufgrund der wachsenden Attraktivität der ländlichen Räume weiter ansteigen wird. Inzwischen machen sich vielerorts nicht nur Bürgerinitiativen und Organisationen, sondern auch Kommunen selbst Gedanken darüber, wie sie den Laden zurück ins Dorf holen können. Laut der Broschüre „Der Dorfladen in Bayern“ haben sich im Laufe der Jahre verschiedene Modelle durchgesetzt. Die Liste reicht von der Gründung eines Dorfladens auf genossenschaftlicher Basis durch Bürgerengagement bis hin zum kooperativen Betreibermodell, an dem Kommune, Bürger und eine örtliche Hilfsorganisation beteiligt sind. Dorfläden, das fällt auf, sind in der Regel maßgeschneidert. Sie können nur dann erfolgreich sein, wenn sie die örtlichen Gegebenheiten und Wünsche der Menschen berücksichtigen. Inzwischen wird vom „Dorfbegegnungsladen“ gesprochen. Der etwas sperrige Name macht deutlich, dass es um mehr geht als um frische Brötchen oder das gerade einmal wieder in der Küche fehlende Ei. Der Dorfladen ist in diesem Fall Treffpunkt der Menschen, ein Anlaufpunkt gleichermaßen für Familien und Alte. Sitzecken, kleine Cafés oder bestuhlte Terrassen runden das Angebot ab. Mal trifft man sich im Dorfladen zum „Erzählkaffee“, mal zum Grillnachmittag. Dorfläden können zudem ein wichtiges Bindeglied zwischen den landwirtschaftlichen Produzenten in der Region und den Verbrauchern vor Ort sein. „Ein Dorfladen, der sich auf regionale Produkte fokussiert, fördert (…) die Identifikation der Gemeinschaft mit ihrer Umgebung. Die Verbindung zu den Produzenten schafft Vertrauen, Transparenz und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit“, heißt es im bayerischen Leitfaden. Auffällig ist dabei, dass die Dorfläden an vielen Stellen auf moderne Technik setzen, um möglichst flexibel zu arbeiten. Sie können, wenn sie Self-Scan-Systeme verwenden, dann sogar mit besonders verbraucherfreundlichen Öffnungszeiten punkten. Wenn Tante Emma das gewusst hätte …
- Miethammer im Speckgürtel
Berlin ist zu laut, zu kaputt – und vor allem zu teuer. Doch jetzt beschleunigt sich der Preisauftrieb auch in den umliegenden Regionen stark. Mit Folgen für das Zusammenleben von Einheimischen und Zugezogenen Der junge Mitarbeiter einer großen Beratungsfirma in Berlin-Mitte hat ein Problem. Sein Vermieter hat vor einem halben Jahr seine Wohnung vor den Toren der Hauptstadt verkauft – an einen bulgarischen Investor. Der hat alles auf Vordermann gebracht, renoviert, das Dach gemacht, ohne Zweifel. Aber dann kam der Hammer: David erhielt vor zwei Wochen die Nachricht, dass der fleißige Vermieter die Miete für die knapp 90 Quadratmeter teure Wohnung um zwölf Prozent anhebt. Zwölf Prozent bei einer Miete von 890 Euro. Das kann sich der Vater von zwei kleinen Mädchen aber nicht leisten. Kein Einzelfall, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage bezüglich der Situation im Mietmarkt in Deutschland zu entnehmen ist. In keiner Region in Deutschland sind in den vergangenen zwei Jahren die Mieten (konkret für neue Mietverträge) so stark gestiegen wie in einem Gebiet rund um die Hauptstadt Berlin. Besonders hart ist es in Brandenburg: Plus 30 Prozent müssen Mieter in diesem Bundesland mehr zahlen als vor einem Jahr. Dies gilt für Neuverträge von Mietwohnungen oder nach einem Eigentümerwechsel. Berlin strahlt aufs Umfeld ab Ein Grund ist natürlich die Anziehungskraft der Metropole Berlin und ihrer vornehmen Vorstadt Potsdam, in denen gut betuchte Bürger aus dem Westen schon kurz nach der Wende viel alte Bau- und Wohnsubstanz gekauft haben und schon immer teuer vermieten konnten. Die prominentesten Namen sind Günther Jauch und der ehemalige SAP-Manager Hasso Plattner, der sich gleich noch ein schönes Impressionisten-Museum in Potsdam-Mitte gekauft hat. Dieser Run auf Potsdam, das schon zu Zeiten der Weimarer Republik viel Prominenz anlockte, hat in den 90er Jahren im Umfeld von Berlin für erhebliche Verwerfungen in der Bevölkerungsstruktur von ganz Brandenburg gesorgt. Jetzt hält Potsdam den traurigen Rekord, mit knapp 32 Prozent Aufschlag die höchsten Mietsteigerungen in ganz Deutschland zu verzeichnen – deutlich vor München. Entwarnung ist nicht in Sicht, ganz im Gegenteil: Aktuell gibt es den zweiten Preisschub, der sogar bis in den Nordwesten und Südosten von Brandenburg zu spüren ist. Durch die Ansiedlung der Tesla Gigafactory Berlin-Brandenburg sind die Miet- und Baupreise nicht nur im Umfeld der märkischen Gemeinde Grünheide in die Höhe gegangen. Auch der Berliner Flughafen mit seinem Hunger nach qualifiziertem und anderem Personal schafft weiter steigende Nachfrage und steigende Mieten. Shuttle-Busse sorgen dafür, dass die Menschen sogar in weiter entfernten Regionen wohnen können und mobil sind. Städte wie Königs Wusterhausen und Landkreise wie Teltow-Fläming wachsen immer stärker, die politisch Verantwortlichen haben Probleme, für die vielen Familien gute und attraktive Infrastruktur vorzuhalten. Soziologen verweisen zudem auf das Problem, wie und ob sich Zuziehende und „Einheimische“ mit ihren Werten, Lebenseinstellungen und auch Einkommen vertragen. Stadt und Land, das ist eben mehr als falsche Romantik vom Leben im Grünen. Da prallen schon mal Welten aufeinander. Kein Zurück nach Berlin Ein Zurück nach Berlin dürfte es für viele aber nicht geben. Denn dort steigen die Mietpreise ebenfalls immer stärker. Nach Angaben der Bundesregierung verteuerten sich die Mieten in der Hauptstadt um 26,7 Prozent – und das sogar in Vierteln wie Friedrichshain, Moabit und dem Wedding, die vor zwei, drei Jahren noch als wenig attraktiv galten, heute aber „in“ sind. Nach einem Bericht des Nachrichtenportals Spiegel Online kann sich ein Drittel der Berliner Haushalte auf dem freien Markt schon jetzt keine Wohnung mehr leisten. Mehr als jeder zweite Berliner Mieter-Haushalt verdient nach der veröffentlichen Studie des Mietervereins so wenig, dass er „Anspruch auf staatliche Hilfe wie einen Wohnberechtigungsschein für Sozialwohnungen“ hat. All dies hat Auswirkungen – auch auf den jungen Vater, der als Alleinerziehender ein Wohnungsproblem hat. Natürlich wäre er bereit, für seinen Weg zur Arbeit in Berlin-Mitte mehr als die 60 Minuten einzuplanen, da sich die Kinder in der „Provinz“ eigentlich ganz wohlfühlen und an Berlin nicht hängen. „Aber ich habe überhaupt keine Chance auf eine Besichtigung für eine Wohnung“, sagt der studierte Betriebswirt. Schon heute gibt es auf eine freie Wohnung in Königs Wusterhausen 80 Bewerbungen. Und da hat er als Berufsanfänger keine Chance, den Zuschlag zu bekommen.
- Özdemir macht den Kretschmann
Der Bundeslandwirtschaftsminister versucht ganz im Sinn seines baden-württembergischen Ministerpräsidenten, die Grünen bei den Themen Sicherheit, Zuwanderung und Islamismus zu positionieren – und damit sich selbst Es klingt wie ein geübter Doppelpass. Und höchstwahrscheinlich ist es auch einer. Die beiden Zuspieler heißen Cem Özdemir und Winfried Kretschmann. Sie tragen ein dünnes grünes Trikot und versuchen, ihrer nach dem Europawahl-Debakel geschockten Partei ein neues, erfolgreicheres Spielsystem beizubringen. Dass dies Auswirkungen besonders auf Baden-Württemberg haben dürfte, ist dabei sonnenklar. Schließlich suchen die Grünen im Südwesten, wenn auch noch unauffällig, für den 2026 endgültig in die Polit-Rente gehenden Kretschmann nach einem populären und kompetenten Nachfolger, der das Zeug zum Ministerpräsidenten hat. Und der vor allem jenen Ländle-Kurs verkörpert, den man im Südwesten mehrheitsfähig ökokonservativ nennt. Es geht also um mehr als nur um eine von den beiden eingeforderte „harte Analyse“ der Europa-Pleite. Was auf dem Spiel steht, ist der bundesweit einzige grüne Landesvater-Posten, jene Regierungsfähigkeit in Baden-Württemberg an sich, die 2026 ohne den Stimmenfischer Kretschmann an eine auch rechnerisch mögliche christlich-liberale Koalition verloren werden könnte. Und so fragt Özdemir, der auf den letzten Drücker ins Berliner Ampel-Kabinett gerückte Landwirtschaftsminister, mit eigenem politischen Gewicht zwar, wenngleich mit Kretschmanns Zunge: „Schaffen es Demokraten zu zeigen, dass wir Probleme lösen können?“ Bei Kretschmann klingt das dann so: „Wollen die Grünen Bündnispartei oder Milieupartei sein?“ Özdemirs Doppelpass-Antwort lautet: „Entweder können wir es, dann werden wir wieder gestärkt, oder wir können es nicht, dann verlieren wir halt zu Recht.“ Özdemir und Kretschmann machen sich auf, ihre Grünen aus dem Öko-Themenloch zu neuen Ufern zu führen. Themen, die schwarz-grüne Übereinstimmungen geradezu suchen. Der Ruf nach „mehr Klarheit“ mag da noch im rhetorischen Allerlei untergehen, aber wo diese Klarheit erreicht werden muss, lässt aufhorchen: bei den Themen Sicherheit und Migration nämlich. Gerade dort würden die Grünen nicht als welche mit guten Antworten wahrgenommen – und hätten deshalb durchaus nachvollziehbar Vertrauen eingebüßt. Und dann fällt das Wort, das die Grünen noch länger beschäftigen dürfte: Mitte. Anspruch der Grünen sei es, in die Mitte der Gesellschaft „auszugreifen“, sagt Özdemir. Das aber schaffe man nur, wenn man die Sorgen der „normalen Menschen“ in den Mittelpunkt rücke. In der Konsequenz bedeute das: Wer die breite Bevölkerung mit Themen wie dem Klimaschutz erreichen wolle, müsse wissen, „dass der Kompromiss dazugehört“. Weil man nicht erwarten könne, dass ich mit 14 Prozent 50 Prozent der Politik verändern könne. Das ist Kretschmann in Reinkultur. Anderer Umgang mit Islamismus Özdemir fordert von seiner Partei zudem mehr Klarheit beim Umgang mit Islamismus. Er wünsche sich, dass die Grünen da genauso „glasklar“ aufgestellt seien wie bei der Bekämpfung des Rechtsradikalismus. Seine Botschaft heißt: Die Grünen können auch Sicherheit. Und Zuwanderung steuern. Es wird spannend sein zu sehen, ob sich diese Rufe aus dem Südwesten auf der grünen Bundesebene Gehör und Entgegenkommen verschaffen können. Bisher war Baden-Württemberg da eher der belächelte Sondererfolgsfall ohne größere richtungsweisende Bedeutung. Özdemir also folgt Kretschmann, aber auch ohne Chance auf das Ministerpräsidentenamt? Die Hinweise verdichten sich mit jedem neuen Sargnagel, den die Ampel in ihr Bündnis treibt. Und wer weiß? Vielleicht gelingt ihm bis zur nächsten Landtagswahl 2026 ja noch ein ganz besonderer Coup, sozusagen sein landespolitisches Gesellenstück. Es geht um Boris Palmer, jenen unangefochtenen Tübinger Oberbürgermeister von grüner Herkunft und zurzeit in Freie-Wähler-Kreistags-Gegenwart. Palmer nämlich, von seinen alten Parteifreunden nicht nur ob seiner hochprovokanten, nicht selten höchststrittigen Zuwanderungsthesen aus programmatischer Abscheu verbannt, liebäugelt ein gutes Jahr nach seinem Austritt mit einer Rückkehr zu den Grünen. Mit Hoffnung auf mehr? Typisch Palmer. Und Özdemir? Er kann sich das durchaus vorstellen. „Menschen für immer abschreiben, das sollte man ganz selten machen“, betont Özdemir. Palmer sei ein hervorragender Oberbürgermeister und hätte, wenn er seine Facebook-Schnellschüsse bleiben ließe, „natürlich seinen Platz“. Und Özdemir „wäre glücklich, wenn es so wäre“. Sollte Özdemir Palmer zurückholen können, wäre es der eindeutig formulierte Anspruch auf die Kretschmann-Nachfolge. Eine klare Richtungsvorgabe für den Wahlkampf obendrein. Und eine Zerreißprobe vielleicht nur am Rande. Man darf gespannt sein, welche Doppelpässe noch zwischen Stuttgart und Berlin trainiert werden.
- Bittere Niederlage für Ampelkoalition – Tauziehen um neue Jagdgesetze
Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, mittlerweile sollte auch dem letzten Ampel-Politiker klar sein: Die Bürger wollen eine andere Politik als in den vergangenen drei Jahren. Der Ausgang der Europawahl mit seinen massiven Stimmenverlusten für SPD und Grüne hat in dieser Hinsicht an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriggelassen. Der Begriff Denkzettel klingt in diesem Zusammenhang fast schon zu harmlos. Entsprechend nervös bis hin zu schockiert haben führende Politiker von SPD und Grünen auf das für sie verheerende Votum reagiert. Die entscheidende Frage ist: Wie geht es nun weiter? Es gibt bislang keinerlei Anzeichen, dass SPD, Grüne und Liberale künftig in zentralen Fragen tatsächlich stärker aufeinander zugehen werden. Im Gegenteil, vielerorts verlautete, man wolle künftig die eigene Parteiposition noch deutlicher als bisher verfechten. Diese Koalition ist geprägt von Konflikten und nicht von Kompromissen. Für reine Parteiideologen mag ein Kampf für die jeweils reine Lehre ehrenvoll wirken, aber am Ende zahlen die Bürger dafür die Zeche. Es drohen wechselseitige inhaltliche Blockaden, die praktische Erfolge verhindern. Es wird daher höchste Zeit, dass den vielen Worten von mehr Bürgernähe endlich auch die entsprechenden Taten folgen. Dies gilt auf Bundes-, aber auch auf Landesebene. Für ein vernünftiges Miteinander Ein Beispiel von vielen ist etwa der Umgang mit dem Wolf. Dessen seit Jahren ungehinderte Ausbreitung in Deutschland verursacht zahlreiche Konflikte und Probleme. Immer mehr betroffenen Bürgern und Naturnutzern beginnt der Geduldsfaden zu reißen. So haben jetzt 35 Bürgermeister aus dem Schwarzwald eine Resolution an die Stuttgarter Landesregierung unterschrieben. Darin wird gefordert, dass der Wolf bereits nach nur einem Angriff auf ein Nutztier abgeschossen werden darf. Es gehe um ein vernünftiges Miteinander von Mensch und Tier. Die EU-Kommission wird aufgefordert, den Wolf nicht mehr als streng geschützt einzustufen. Die Situation in den Gemeinden spitzt sich nach Aussage der Bürgermeister immer weiter zu. Landwirte seien in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht und würden um ihre Weidetiere bangen. Einwohner und Touristen hätten inzwischen zunehmend Angst vor Ausflügen in Waldgebiete und würden Wanderwege meiden. Man fordere jetzt neue Maßnahmen, um nicht von der Wolfspopulation überrollt zu werden, heißt es in der Resolution der Bürgermeister weiter. Vertreter der Landesregierung signalisierten Solidarität, aber verwiesen zugleich auf die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten durch das EU-Recht. Kein Wort, dass man mögliche Spielräume konsequenter als bisher ausreizen wolle. Im Klartext bedeutet dies: politisch schöne Worte, aber keine Taten. Die „Wolfsfreunde“, die das Raubtier seit jeher verklären und um jeden Preis schützen wollen, wird es freuen. Ein weiteres Beispiel für bürgerferne Politik speziell gegenüber dem ländlichen Raum sind die heftigen Auseinandersetzungen um geplante Novellen von Landesjagdgesetzen, so beispielsweise in Brandenburg und Rheinland-Pfalz. Darüber haben wir mehrfach ausführlich und kritisch berichtet. Jäger wehren sich heftig gegen Versuche, das Prinzip Wald vor Wild rücksichtslos durchzusetzen. So regt sich in Rheinland-Pfalz weiter scharfer Widerstand gegen die jetzt bekannten Eckpunkte zum zweiten Entwurf des Landesjagdgesetzes, die gerade dem zuständigen Landesjagdverband (LJV) vorgestellt wurden. Danach sind einige umstrittene Vorstellungen des dort zuständigen „Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität“ aus dem ersten Entwurf verändert worden. Das ist einer Mitteilung des LJV aus dieser Woche zu entnehmen. Danach sollen nun die Begriffe Waidgerechtigkeit und Hege im Gesetz verankert bleiben. Das stark umstrittene Thema Eigentümerjagderlaubnis ist laut LJV ebenfalls vom Tisch. Und die ursprünglich geplante Verpflichtung der Jäger zur Kitzrettung soll entfallen. Jagdaufseher soll es weiter geben, die Rotwildhegegemeinschaften erhalten bleiben und der Elterntierschutz in der Jagd weiter gelten. Das sind einige der 23 Punkte, die der Landesjagdverband durchgesetzt hat. Gleichwohl gibt sich LJV-Präsident Dieter Mahr nicht zufrieden: „Wir haben auch noch dicke Bretter zu bohren. Mit der Regelung zum Kreisjagdmeister können wir ebenso wenig einverstanden sein wie mit dem Verbot der lebenden Ente, das offenbar bleiben soll. Massive Bauchschmerzen bereitet uns auch noch die Funktionsweise der Rotwildhegegemeinschaften, die wir aber immerhin retten konnten. Hier bleiben wir am Ball und treten weiter für unsere Positionen ein“, betonte Mahr dazu in der Pressemitteilung zu dem Thema. Verfahren wird sich hinziehen Der Kampf sei noch nicht vorbei und das Verfahren werde sich hinziehen, lautet die Einschätzung des Landesjagdverbandes. Aufgrund der zahlreichen Änderungen müsse die zweite Fassung des Entwurfs noch einmal durch diverse Gremien und eine Ressortabstimmung innerhalb der Mainzer Landesregierung. Erst zu Beginn des kommenden Jahres soll der Entwurf dann erneut den Ministerrat des Landes passieren und dem Parlament zugeleitet werden. Und erst zu diesem Zeitpunkt würden die betroffenen Verbände auch in den genauen Wortlaut des neuen Entwurfs eingeweiht. Derweil regt sich unverändert Widerstand auch gegen den überarbeiteten Entwurf. In den sozialen Medien, unter anderem auch in einer WhatsApp-Gruppe in Rheinland-Pfalz. Dort werden kritische Reaktionen von der Basis diskutiert. In diesem Zusammenhang erschienen in einer Regionalzeitung dort Anzeigen: „Ja zum selbstbestimmten Ländlichen Raum – Nein zum grünen Landesjagdgesetz“. Besonders kämpft damit auch der Landesverband der Berufsjäger gegen das Gesetz und für mehr Eigentumsrechte und mehr Wildtierschutz. Das Thema Landesjagdgesetze wird uns also weiter dort und auch in anderen Bundesländern erhalten bleiben. Alle reden von Arten- und Tierschutz. Doch wenn es um die Wildtiere geht, ist es damit nicht gut bestellt. Die bewährten Regeln der Waidgerechtigkeit gelten nicht mehr viel, wenn Klima- und Naturschutz vermeintlich die zunehmend rigorose Bekämpfung von Reh, Hirsch und Sauen erfordern. Obwohl es genug Beispiele dafür gibt, dass jagdliche Kompetenz das Miteinander von Menschen, Wald und Wild ohne jene Grausamkeiten ermöglicht, die sich eingeschlichen haben. 20 Jahre ist es her, dass namhafte Wissenschaftler und Praktiker einen offenen Brief an die zuständigen Minister richteten. Damals ging es vor allem um die gnadenlose Hatz aufs Schwarzwild: „Die überwiegende Mehrheit der Jäger ist nicht bereit, Jagdmethoden von Wildererbanden zu übernehmen. Der zurzeit geführte Krieg gegen das Schwarzwild, Nachtjagd mit künstlichen Lichtquellen, fehlende Schonzeit, Abschuss von nicht verwertbarem Jungwild, ist nicht hinnehmbar.“ „Die Mensch-Wildtier-Beziehung ist ein Prüfstein für unseren Umgang mit der gesamten Natur“, schrieben die Autoren damals. Die Situation ist seither nicht besser geworden, sondern in Bezug auf aktuelle Jagdrechtsnovellen eher noch schlimmer. Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination
- Bauen in der Krise – kompliziert, zu teuer und zu lange
Kaum jemand will noch bauen. Die Zahl der Genehmigungen ist dramatisch zurückgegangen, die Auftragslage prekär. Die Krise im Wohnungsbau wird auch die Wohngemeinnützigkeit nicht lösen Bauen in Deutschland ist aktuell zu kompliziert, zu teuer und es dauert zu lange. Und weil sich die Baubranche mit diesen Problemen herumschlägt, nannte der Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), Peter Hübner, kürzlich erschreckende Zahlen: Für dieses Jahr droht demnach der Abbau von nicht weniger als 10.000 Stellen und ein sinkender Erlös von vier Prozent. Nach einer Umfrage des HDB erwartet fast jedes Bauunternehmen, dass der Umsatz einbricht. Kein Wunder, dass die Stimmung düster ist. Kaum jemand will noch bauen. Die Zahl der Genehmigungen ist dramatisch zurückgegangen, die Auftragslage prekär. Und selbst wenn eine Wohnung genehmigt wird, heißt das noch lange nicht, dass sie tatsächlich gebaut wird. Beim Wohnungsbau steckt die Bundesrepublik daher seit mehreren Jahren in einer tiefen Krise. Mit der Folge, dass wegen der hohen Nachfrage die Mieten steigen. Längst können sich tausende Familien eine Wohnung in den Metropolen nicht mehr leisten, und nicht allein Geringverdiener, sondern auch Menschen mit mittlerem Einkommen müssen ins Umland ausweichen. Zwar können sie die Vorzüge des Landlebens genießen. Doch unfreiwillig werden sie zu Pendlern, manche sogar zu Fernpendlern – mit allen nachteiligen Folgen für die Natur und das Klima. Steigende Zinsen, teure Baumaterialien und Überregulierung Die Gründe für den nachlassenden Wohnungsbau sind vielfältig: Steigende Kreditzinsen, weltweite Unsicherheit und höhere Baukosten wegen teurer Materialien zählen dazu. Aber auch ständig neue Vorgaben des Staates, während zugleich die öffentliche Verwaltung bei der dringend erforderlichen Digitalisierung nicht Schritt hält. Ebenso notwendig ist ein Abbau von Bürokratie und Überregulierung hin zu einem verschlankten Bauordnungsrecht. Ländliche Kommunen brauchen ebenso wie Großstädte mehr Möglichkeiten in der Raumplanung. Als die Ampel-Parteien am 7. Dezember 2021 den Koalitionsvertrag unterzeichneten, kündigten sie noch vollmundig einen „Aufbruch in der Bau-, Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik“ an. Wörtlich hieß es: „Wir werden das Bauen und Wohnen der Zukunft bezahlbar, klimaneutral, nachhaltig, barrierearm, innovativ und mit lebendigen öffentlichen Räumen gestalten. Dabei haben wir die Vielfalt der Rahmenbedingungen und Wohnformen und individuellen Bedürfnisse der Menschen in ländlichen und urbanen Räumen im Blick.“ Als Ziel peilte die Koalition aus SPD, FDP und Grünen den Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr an, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Für eine Förderung durch den Bund fehlt das Geld Schön wäre es. Aber dieses Ziel hat die Ampel klar verfehlt, denn tatsächlich wurden 2023 und im Jahr davor lediglich 295.000 Wohnungen fertiggestellt. In diesem Jahr könnten es nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) weniger als 250.000 Einheiten sein. Und es ist nicht erkennbar, dass der Bund Investitionen in den Wohnungsbau angemessen fördert, etwa durch steuerliche Anreize oder die Aufstockung von Förderprogrammen für Familien. Im Bundeshaushalt fehlt dafür das Geld, wie Bauministerin Klara Geywitz und Finanzminister Christian Lindner einräumen mussten. Stattdessen hat das Kabinett nun die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit beschlossen – ein umstrittener Schritt. Denn die Wohngemeinnützigkeit hat die Regierung von Helmut Kohl 1990 wegen zahlreicher negativer Erfahrungen abgeschafft: Misswirtschaft, Fehlentwicklungen im Städtebau und zu viel Bürokratie sprachen dagegen, ebenso Skandale um die „Neue Heimat“. Und Wohngemeinnützigkeit löst auch nicht das Problem, dass zu wenig Wohnungen errichtet werden, wenn sich später die Miete nicht rentiert. Daher reagierten viele Beteiligte skeptisch, zum Beispiel der Deutsche Mieterbund: Der Präsident Lukas Siebenkotten erklärte, die Wohngemeinnützigkeit werde „nicht den Durchbruch bringen“. Ähnlich sieht es der Spitzenverband der Deutschen Wohnungswirtschaft GdW, der erklärte, angesichts des riesigen Wohnungsmangels reichten die Pläne bei weitem nicht aus. „Bezahlbarer Wohnraum lässt sich nur dauerhaft sichern, wenn Bund, Länder und Kommunen gemeinsam ihre Hausaufgaben machen“, betonte der Spitzenverband. Dafür braucht es ausreichend bezahlbaren Grund und Boden und ein funktionierendes Fördersystem.
- Wer bestellt, zahlt!
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert einen EU-Kommissar als Anwalt für die seit langem sträflich vernachlässigten kommunalen Interessen Wenn das mal keine gute Idee ist! Und die Zeit nach der Europawahl dafür wie geschaffen. Der Deutsche Städte- und Gemeindetag schlägt vor, ein neues Aufgabenfeld für einen EU-Kommissar zu definieren – eines, das sich um die Belange, Interessen und finanziellen Mittel der Kommunen in Europa kümmert. Mit anderen Worten: eine Person, die sich speziell mit den kommunalen Interessen und ihrer finanziellen Ausstattung befasst. Europa, das haben die Wahlen gezeigt, braucht mehr Bürgernähe, mehr Transparenz, mehr Fassbares, braucht mehr konkretes Handeln und praktikables Denken, das nicht im Brüsseler Bürokraten-Dickicht ausgeheckt wird, sondern dort, wo Beschlüsse und Verordnungen folgenreich umgesetzt werden müssen, akzeptiert und gestemmt werden kann. Andre Berghegger, der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindetags, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt: Die Kommunen brauchen einen Vertreter in der Kommission, der vom Ende her denkt und die Folgen europäischer Entscheidungen abschätzt. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Der Beispiele, wie über die Köpfe der Kommunen entschieden wird, mehr noch, bei denen sie als Betroffene gar keine Rolle spielen, sind genug. Da ist etwa jene Datenschutzgrundverordnung, mit der sich jeder kleine Verein beschäftigen muss und damit in den tiefsten Bürokratiemorast gezogen wird. Was das vor Ort bedeutet, war der Kommission offensichtlich weder bekannt noch wichtig. Die EU als Bürokratieungeheuer bis in das letzte Dorf: So macht Europa keinen Spaß. Proporz statt Bürgernähe Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die gute Idee nicht Wirklichkeit wird. Die Besetzung der Kommission und ihre Schwerpunkte gehorchen anderen Regeln. Proporz statt Bürgernähe, so war es und so wird es bleiben. Nicht zuletzt, weil der Vorschlag des Städte- und Gemeindebundes eine weitreichende finanzielle Neubesinnung erforderte. Und beim Geld hört bekanntlich nicht nur in Brüssel der Spaß auf. Auf sieben Milliarden Euro beziffert Berghegger das jährliche Defizit der deutschen Kommunen, auch weil Teil- und Anschubfinanzierungen durch die EU ein Tropfen auf den heißen Stein sind. Sein Vorschlag: Das in Artikel 104a des Grundgesetzes als Grundsatz des deutschen Staatsrechts verankerte Konnexitätsprinzip zwischen Bundesländern und Kommunen solle auf die EU-Ebene übertragen werden. Das heißt im Prinzip: Aufgabenwahrnehmung und Finanzverantwortung gehören grundsätzlich zusammen. Diejenige Ebene im föderalistischen Staat, der die Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe obliegt, ist für die damit verbundene Finanzierung verantwortlich. Kurz gesagt: Wer die Musik bestellt, zahlt auch die Kapelle. Zu schön, um wahr zu sein? Zu schlüssig, um in Europa auf Gegenliebe zu stoßen? Wer sich über das Image der EU Sorgen macht, wird schnell eine Antwort finden.
- Brandbeschleuniger im Osten
Die Ergebnisse der Europa- und Kommunalwahlen in den neuen Ländern verheißen nichts Gutes für die anstehenden Landtagswahlen im Sommer und Herbst. Die AfD ist fast überall stärkste Partei. Aber unschlagbar ist sie nicht, wie ein Blick in die Fläche zeigt Die Europawahl und ihre europapolitischen Auswirkungen beherrschen in dieser Woche naturgemäß die Schlagzeilen. Dazu werden die innenpolitischen Konsequenzen politisch, medial und soziologisch hin und her gewendet. Was bedeutet das desaströse Abschneiden der Ampelparteien für die Zukunft des Kanzlers? Ein Kanzler, der seinen kommunikationsunfähigen Style wohl als einziger in diesem Land noch irgendwie schick findet, der aber seine Koalition in Mittäterschaft mit den moralisierend-weltfremden Grünen mit Wucht in den Abgrund reißt. Und – auch das wird im Zuge der Europawahl auf allen Kanälen und Tonlagen besprochen und bewertet – was bedeutet das gute Ergebnis der AfD vor allem im Osten der Republik für die anstehenden Landtagswahlen? Wie kann es sein, dass eine von Skandalen durchschüttelte Partei in allen neuen Bundesländern vorn liegt, obwohl (oder vielleicht auch weil) sie von den staatlichen Behörden als rechtsextrem eingestuft wird? AfD ist im Osten „Volkspartei“ Lehre eins: Die AfD ist in fast allen Regionen des Ostens eine Volkspartei. Das ist die Realität im Jahr 2024. Sie liegt mit deutlichem Abstand fast überall nach den Europawahlen und Kommunalwahlen an erster Stelle, vor der CDU. Auf Platz drei das linksnationalistische Bündnis Sahra Wagenknecht, dessen demokratische Gesinnung ebenfalls mehr als unsicher ist. Obwohl die AfD gerade bei den Stichwahlen in Thüringen keinen einzigen Kreis und keine größere Stadt erobern konnte, sind die Rechtspopulisten in vielen kommunalen Vertretungen dort stärkste Kraft. Noch schlimmer ist es in Sachsen: In einigen Regionen des Erzgebirges liegen die „Freien Sachsen“ bei 15 Prozent. Eine Partei, die offen rechtsradikal ist, in deren Reihen bekennende NPD-Vertreter mitwirken. Hier erwächst den ebenfalls rechten AfDlern auf dem rechten Rand eine noch radikalere Konkurrenz, die Böses erahnen lässt für die Zeit nach dem 1. September. Der Tag, an dem in Sachsen ein neuer Landtag gewählt wird. Wird die AfD dann noch radikaler, um sich der unliebsamen Konkurrenz von ganz rechts zu erwehren? Lehre zwei: Es gibt im Wählerverhalten im Osten ein Stadt-Land-Gefälle, ohne Zweifel. Die höchsten Stimmengewinne erzielt die AfD nach wie vor in strukturschwachen Regionen wie Südthüringen oder Ostsachsen. Aber auch in Chemnitz, Dresden und sogar im eher linksalternativ angehauchten Leipzig erhält die AfD Ergebnisse von bis zu 20 Prozent. Probleme in der ländlichen Infrastruktur (zu wenig Ärzte, zu wenige Schulen, ausgedünnter öffentlicher Personennahverkehr, anhaltender Bevölkerungsschwund, Wolfsplage) mögen zwar im ländlichen Raum näher an der Lebenswirklichkeit der Menschen sein. Aber auch die Großstadt und deren Milieus sind nicht immun gegen rechtspopulistische Lockangebote. Lehre drei: Das Berliner Regierungsgebaren wirkt im Osten stärker. Wie ein Brandbeschleuniger haben Habeck-Lemke-Baerbock das Gefühl zwischen Görlitz und Dessau, zwischen Rostock und Gera verstärkt, von „denen in Berlin“ nicht gesehen zu werden. Beispiel Heizungsgesetz: Modernisierungsvorgaben für das kleine Häuschen aus den 60er Jahren wecken bei vielen einkommensschwachen Familien vor allem im ländlichen Raum das Gefühl, finanziell überfordert zu sein. Erst die Erfahrungen der Nach-Wende, dann der Euro. Dann 2015 und die Flüchtlingskrise. Und jetzt geht es an die eigenen vier Wände, ans eigene Häuschen? Dieses Gefühl scheint die Proteststimmung noch mehr angeheizt zu haben. Die Einstufung der Partei als rechtsextrem durch den Verfassungsschutz, das völkisch-nationalistische Geraune des Björn Höcke aus Thüringen ist da vielen einfach egal. Wie geht es jetzt weiter? In Thüringen gelang es der AfD nicht, wieder einen Posten als Landrat oder Bürgermeister zu stellen. Einer genügt im thüringischen Kreis Sonneberg offenbar. Ob das so bleibt: unklar. In Sachsen geht es nach der ersten Runde am Sonntag vielerorts bald in die Stichwahlen. Und dann stehen die Landtagswahlen an. Natürlich verfügt gerade Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer über einen Amtsbonus, ist populär. Ihm könnte es gelingen, seine CDU doch noch als stärkste Kraft in den Dresdener Landtag zu führen. Ob dies Mario Voigt, Spitzenkandidat der CDU in Thüringen, schaffen wird, ist angesichts eines Rückstands von sechs Prozentpunkten gegenüber der Höcke-AfD eher unsicher. Ob die Christdemokraten aber Schützenhilfe von einer am Abgrund taumelnden Ampel-Regierung erfahren oder ob dies weiter auf die AfD einzahlt – ebenfalls kaum vorherzusagen.
- Der Green Deal wurde abgestraft
Europa nach den Wahlen: Die Mehrheitsverhältnisse im neuen Europaparlament haben sich verschoben. Dadurch ergeben sich neue Spielräume in der Agrar- und Umweltpolitik Die Grünen sind die größten Verlierer der Europawahl. Sie haben rund ein Drittel ihrer Sitze im Europaparlament eingebüßt. Diese Niederlage kommt nicht von ungefähr. Die Partei, die Namensgeberin für den Green Deal war, hat dafür einen Tribut leisten müssen. Der Umbau der Volkswirtschaft nach Kriterien wie Klima- und Artenschutz sowie Nachhaltigkeit, wie ihn die Von-der-Leyen-Kommission angepackt hat, ist bei den Wählern nicht gut angekommen. Die starren Vorgaben wie Sanierungspflicht, Glyphosatverbot sowie die Umwandlung von fruchtbarem Ackerland in Brachflächen haben viele Menschen verärgert. 360 Millionen Europäer waren zu den Wahlen zum zehnten Europaparlament aufgerufen. Gerade einmal die Hälfte von ihnen hat ihre Stimme abgegeben. Als Fazit kann man festhalten: Die Volksvertretung der Europäer ist konservativer geworden. Wahlgewinner sind die Christdemokraten, die zehn Abgeordnete dazu gewonnen haben und mit 185 von 720 Sitzen ihren Vorsprung vor den Sozialisten mit 134 Sitzen ausbauen konnten. Gewonnen haben auch die rechts von der christdemokratischen EVP stehenden Konservativen von der EKR (73 Sitze) sowie die rechtsradikale Fraktion ID, die von 49 auf 59 Sitze zugelegt hat. Noch weiter rechts außen ist die deutsche AfD zu verorten. Hinweise auf Korruption für China und Russland, Verharmlosung der Nazi-Verbrechen, ja selbst vom Rauswurf der AfD aus der Fraktion durch Frankreichs Rechtsextreme Marine Le Pen ließen sich die Anhänger der AfD nicht von ihrer Wahlentscheidung abbringen. Rund 20 Prozent der Abgeordneten im Europaparlament sind nun sehr rechten und rechtsextremen Parteien zuzuordnen. Die EKR-Fraktion sollte man nicht über einen Kamm scheren. Europahasser gibt es hier etwa in den Reihen der polnischen PiS. Rund die Hälfte der Fraktion arbeitet aber konstruktiv mit. Eine Zustimmung des Parlaments zu dem Entlastungspaket für die Landwirte hätte es beispielsweise ohne ihre Stimmen nicht gegeben. Unter den neuen Mehrheitsverhältnissen wären etliche unpopulären Beschlüsse des Green Deals aus der vergangenen Wahlperiode künftig nicht mehr möglich. Die Zusammensetzung des künftigen Europaparlaments bietet Perspektiven für eine weniger ideologiebehaftete Politik. Bislang war die Volksvertretung der Europäer für die linke Schlagseite bekannt. Gesetzgebungsvorschläge der Kommission in der Umwelt- und Agrarpolitik wurden vom Parlament regelmäßig angeschärft. Und es war den Mitgliedstaaten im Ministerrat vorbehalten, für Mäßigung zu sorgen. Das könnte in Zukunft anders werden. Schon jetzt ist absehbar, dass auf das Europaparlament wichtige Entscheidungen zukommen. So steht die Neuausrichtung der Agrarpolitik an. Die Kommission dürfte 2025 einen Vorschlag für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) machen, der dann danach in beiden Kammern verhandelt wird. Das Parlament dürfte nun eher den Schwerpunkt auf Wahrung der Einkommen der Landwirte, Nahrungsmittelsicherheit und Handelsverträge legen, ambitionierte Ausbauziele für den Ökolandbau sowie Pestizidverbote könnten hintangestellt werden. Auch in der Verkehrspolitik wird es neue Spielräume geben. Wenn die Kommission das Wahlversprechen von CDU und CSU einlöst und den Ausstieg aus dem Verbrenner-Ausstieg vorschlägt, könnte es dafür diesmal eine Mehrheit geben.











