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  • Das kalte Grauen der Unterhändler

    Alles scheint möglich bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Unregierbare Bundesländer, ein Regierungsauftrag für die CDU. Oder sogar ein Ministerpräsident Höcke oder eine Ministerpräsidentin Wagenknecht Ein realistischer Spaßvogel hat einmal gesagt: Mit Prognosen ist das so eine Sache. Sie beziehen sich auf die Zukunft und sind deswegen unsicher. Wohl selten traf dieses Bonmot mehr zu als auf den Ausgang der beiden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am Sonntag und deren Folgen. Umfragen sehen im bevölkerungsreichsten Ost-Bundesland Sachsen ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CDU von Ministerpräsident Michael Kretschmer und der rechtspopulistischen AfD. Das links-nationalistische Bündnis Sahra Wagenknecht kommt auf zwölf Prozent, SPD und Grüne kämpfen gegen den Sturz aus dem Landtag, die FDP dürfte sicher an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Damit dürfte es für die Regierungsbildung in Dresden entscheidend darauf ankommen, ob die bisher seit der Wende ununterbrochen in Sachsen regierende CDU vor der AfD liegt. Könnte klappen, da gerade der Ministerpräsident Kretschmer im Ansehen in Sachsen hohe Zustimmungswerte genießt. Dies hat schon vor fünf Jahren der CDU dort auf den letzten Metern den Sieg beschert. Könnte aber auch nicht klappen. Wagenknecht als Außenpolitikerin Denn mittlerweile gibt es das BSW, das im Jahr 2024 die Regierungsbildung im bevölkerungsreichsten Ost-Bundesland fast zum politischen Kunststück erhebt. Denn Wagenknecht surft hemmungs- und skrupellos auf der im Osten weiter verbreiteten Russland-Versteher-Welle. Die deutsche Ukraine-Hilfe solle gestoppt werden, Putin und Russland hätten durch den Krieg nur ihre Rechte verlangt, die Moskau seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion nach und nach genommen worden sind. Der Feind, das ist die Nato, der Westen. Es lebe die deutsch-russische Freundschaft. Willkommen im postfaktischen Populisten-Klub: Kein gefährlicher Unsinn ist der Wagenknecht-Truppe historisch, moralisch oder politisch zu abstrus, als dass die Lafontaine-Frau diesen den Wählern nicht ins Ohr säuseln würde. Jetzt kündigte die in Jena geborene Allein-Unterhalterin sogar an, diese außenpolitischen Themen – zu denen auch ihr klares Nein gegen die Stationierung von Nato-Raketen in Ramstein (liegt bekanntlich in Rheinland-Pfalz) gehört – zu entscheidenden Schlüsselfragen von Koalitionsverhandlungen in den beiden Ländern machen zu wollen. Und das höchstpersönlich. Außenpolitik ist also ab sofort Länderkompetenz. Keine niederen Fragen der Bildungspolitik, der Entwicklung des ländlichen Raums, der Modernisierung der Infrastruktur abseits der mittleren Städte – Wagenknecht kann nur groß und ganz . Eine Drohung, die den möglichen Unterhändlern der CDU sowohl in Sachsen als auch in Thüringen das kalte Grauen bereiten dürfte. Fast unlösbare Lage in Thüringen Denn noch stärker auf das BSW dürfte CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt in Thüringen angewiesen sein. Dort dürfte – trotz aller Unschärfen in den Umfragen – die AfD als Sieger bei den am Sonntag stattfindenden Wahlen durchs Ziel gehen. Eine Partei, die nicht nur Björn Höcke als ihren Anführer feiert. Sondern eine Partei, deren Wurzeln tief ins braune Lage der Identitären Bewegung und des rechtsextremen Verlegers Götz Kubitschek reichen. Eine Partei, die der Verfassungsschutz beobachtet, die sich auch eng anlehnt an Putins Russland. Um Platz zwei streitet sich im Land der Dichter und Denker (Buchenwald ist nur 15 Kilometer entfernt von Weimar) die CDU, die gern nach der Ramelow-Zeit wieder den Chef in der Staatskanzlei stellen würde. Doch dazu fehlen mindestens 20 Prozent. Die SPD und die Grüne kämpfen auch in Thüringen mit dem Sturz in die politische Bedeutungslosigkeit; die Linkspartei dümpelt bei acht Prozent. Könnte reichen, könnte aber auch nicht reichen für ein Bündnis ohne AfD und BSW. Und wenn nicht? Dann droht entweder eine von der BSW geduldete AfD-Regierung in Erfurt. Oder die CDU müsste tatsächlich auf Wagenknecht zugehen, um Chancen für eine Koalition auszuloten. CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt darf das, weil die Bundes-CDU aus ihren Fehlern der Vergangenheit gelernt und dem Landesverband in Erfurt freie Hand gegeben hat. Doch Voigt hat klare Bedingungen gestellt. Die wichtigste davon lautet: Mit der dortigen BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf will er reden – nicht aber mit Sahra Wagenknecht. Denn Voigt, hier offenbar ganz klassisch als Landespolitiker unterwegs, will über die Probleme in seinem Land Thüringen verhandeln. Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Personalprobleme in Kitas, Schulen und Hochschulen, Förderung des ländlichen Raums, demographischer Abwärtstrend. Darüber kann Sahra Wagenknecht nur müde lächeln. Für Details hat sie keinen Sinn. Man frage mal in den Reihen der Linkspartei in Berlin. Jetzt also wird sich zeigen, ob das BSW eine echte Ein-Person-Partei ist, die sich an nordkoreanischen oder belorussischen Vorbildern ausrichtet. Oder wenigstens ein Mindestmaß an innerparteilicher Demokratie herrscht. Obsiegt Variante eins (und dafür spricht viel), dürfte das gerade in Thüringen der AfD in die Karten spielen, die sich der CDU gern als Junior-Partner für eine falsche bürgerlich-rechte Koalition andienen möchte. Die Höcke-Truppe als Retter des Landes. Schon wieder eine Horror-Vorstellung. Aber wie gesagt, mit Prognosen ist das so eine Sache.

  • Wird der Bauer im Dorf unerwünscht?

    Das Bundesumweltministerium will in „Dörflichen Wohngebieten“ den Schutz vor Lärm verschärfen. Die angepeilten Obergrenzen gefährden Gewerbe-, Agrarbetriebe und Bauernhöfe. Nicht praxistauglich, sagen auch die kommunalen Spitzenverbände Es geht um drei Dezibel (A). Das hört sich nach wenig an. Doch die Dezibel-Skala verläuft nicht linear wie ein Metermaß, sondern logarithmisch. Drei dB (A) mehr oder weniger in einer steil verlaufenden Kurve machen einen enormen Unterschied aus. Dies erklärt auch die Aufregung, mit der bundesweit Wirtschaftsverbände von der DIHK bis zum Deutschen Raiffeisenverband auf einen Referentenentwurf zur Änderung der „Technischen Anleitung (TA) zum Schutz gegen Lärm“ reagieren. Das Umweltministerium, so heißt es, wolle offenbar in diesen gemischten Gebieten die Gesamtlärmimmission mit einem Schlag halbieren. Was dies für Gewerbebetriebe oder Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetriebe bedeutet, kann man sich ausmalen. Sie fallen, wenn sie die geplanten Auflagen aus technischen oder finanziellen Gründen nicht erfüllen können, durchs Rost oder werden von Nachbarn, die vom Dorfleben vor allem Ruhe erwarten, mit Klagen überzogen. Wenn das umgesetzt wird, führt das mutmaßlich zu einer Verdrängung durch die Hintertür. Den Gebietstyp „Dörfliches Wohngebiet“ gibt es anders als das „Dorfgebiet“ erst seit wenigen Jahren. 2021 wurde das „Dörfliche Wohngebiet“ vom Gesetzgeber in die Baunutzungsverordnung aufgenommen. Im Zuge der Bauland-Mobilisierung sollte diese neue Einordnung eines dörflichen Bereichs dabei helfen, neuen Wohnraum auch dort zu schaffen, wo bereits Gewerbebetriebe, Höfe oder Läden ihren angestammten Platz haben. Befürchtungen durch Referentenentwurf des Umweltministeriums Fachleute gingen stets davon aus, dass „Dörfliche Wohngebiete“ sich bei den geltenden Immissionsrichtwerten nicht von „Dorfgebieten“ unterscheiden. Umso größer war jetzt das Erstaunen über den Referentenentwurf aus dem Bundesumweltministerium. „Tags 57 dB(A), nachts 42 dB(A)“, lautet der Vorschlag. Eine Abkehr von der gängigen Praxis, den jungen Gebietstyp beim Immissionsrecht so wie ein „Dorfgebiet“ (60/45) einzuordnen. Inzwischen hat sich sogar die Bundesrechtsanwaltskammer kritisch geäußert. Die angedachten Grenzwerte lägen nur zwei dB (A) über denen für ein „Allgemeines Wohngebiet“. Die politische Grundidee, die dörflichen Wohngebiete als Mischform zu stärken, gehe verloren. Noch ist der Referentenentwurf zur Änderung der TA Lärm nicht ressortabgestimmt. Aber die Stellungnahmen von außen sind eindeutig. Das Hauptstadtbüro Bioenergie, das vom Bundesverband Bioenergie e.V., dem Deutsche Bauernverband, dem Fachverband Biogas und der Fachverband Holzenergie getragen wird, sieht neben den Folgen für die Bioenergiebranche auch neue „unnötige Auflagen“ auf die Betriebe zukommen. Einmal mehr werde Bürokratie nicht ab-, sondern aufgebaut. Biomasseanlagen, Biogasanlagen und auch Holzheizkraftwerke würden beim neuen Lärm-Deckel an manchen Standorten gar unmöglich werden. Auch die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK), die die gesamte gewerbliche Wirtschaft vertritt, hält die im Ministerium erdachten Immissionsrichtwerte für die „Dörflichen Wohngebiete“ für deutlich zu niedrig. Viele Gewerbebetriebe würden dadurch eingeschränkt. Auch die Nutzung von Windenergie würde dadurch erschwert. Der Deutsche Raiffeisenverband, der Agrarhandel und der Deutsche Verband Tiernahrung, deren Mitglieder viele Betriebsstätten im Dorf führen, kritisieren unisono die neuen Grenzwerte. Der Handlungsspielraum der Unternehmen werde erheblich beeinträchtigt. Und das Konfliktpotenzial nehme dadurch zu. Gerade während der Erntezeit müssten die Betriebe auch nachts arbeiten können. Aber wie soll das gehen, wenn es sommertags nach 22 Uhr auf dem Hof oder im Agrarhandel nicht einmal mehr so laut sein darf wie in der Dorf-Kneipe? Ist der Bauer im Dorf unerwünscht?

  • Zwischen Verkehrskrise und Waldgesetz: Herausforderungen für den ländlichen Raum

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserin, lieber Leser, in unserem kommentierenden Wochenrückblick geht es beim Blick auf den ländlichen Raum nicht ohne das, was sich aktuell in der Politik tut. Wir erinnern uns an die Bauernproteste und fragen natürlich jetzt nach der Haushaltseinigung in der Ampel, wie viel Spielraum für die Erfüllung berechtigter Forderungen bleibt. So richtig handlungsfähig erscheint die Koalition dem Beobachter nicht mehr. Mit einer Ausnahme: Am Waldgesetz wird weitergearbeitet. Der zweite Referentenentwurf liegt vor und löst natürlich wieder kritische Reaktionen aus. Auf dem Berliner Parkett nimmt der Betrieb wieder Fahrt auf: Rückkehr aus den Sommerferien. Im Spiegel der Medien und entsprechenden Schlagzeilen bzw. Zitaten zum Zustand der Ampel war das gefühlt keine politische Pause. Irgendwie muss sich der Bundeskanzler als Entscheider in der Vorwoche virtuell beteiligt haben, als das Haushaltsloch nach Lindners Rückzieher auf andere Art als vor den Ferien geplant zu stopfen war. Das war eher so etwas wie Kunststopfen. Jedenfalls offiziell hat Olaf Scholz in dieser Woche seine ersten Amtstermine nach den Ferien absolviert. Da war zunächst der Besuch eines Volksfestes mit ländlichem Flair, dem Stoppelmarkt in Vechta: Für seine Rede dort habe ihm, so sagte Scholz, sein Partei-Co-Vorsitzender Klingbeil mit auf den Weg gegeben „Olaf, Du musst lustig sein“. Und dann zitierte er in seiner Stoppelmarkt-Rede einen Landwirtschaftspolitiker aus seiner Fraktion zu seinem Ausflug ins Oldenburger Münsterland: „Die Landwirte haben Dich mit Treckern besucht, jetzt planst Du wohl einen Gegenbesuch in Vechta.“ Da war er am Montag wirklich „ mittendrin“ , wenn es um die Bauern geht. Und deren Stimmung hat sich in dieser Woche keineswegs aufgehellt. So beklagte Bauernpräsident Joachim Rukwied eine aktuell deutlich schlechtere Getreideernte. Auszugehen sei von einer Menge von 39,3 Millionen Tonnen gegenüber 42 Millionen bei der Ernte 2023. Neben extrem nassem Wetter und fehlender Sonne seien dafür auch „verfehlte gesetzgeberische Vorgaben" verantwortlich, kritisierte Rukwied. So dürfte es nicht sein, dass Qualitätsweizen nachgefragt werde, die Landwirte aber aufgrund immer neuer Vorschriften etwa bei der Düngung nur noch Futterweizen erzeugen könnten. Mit der Stoppelmarkt-Rede des Kanzlers war's das dann wohl für diese Woche mit dem Spaß in der Politik. Den hat den Regierenden weniger die Opposition verdorben als Beiträge aus dem eigenen Ampel-Lager. Der Rede in Vechta folgte im benachbarten Bremen die Teilnahme an einer Einbürgerungsfeier für diejenigen, die in der Hansestadt in den letzten Monaten die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben. Am Mittwoch flimmerten dann die Bilder von der ersten Kabinettssitzung in Tagesschau und Heute über die Bildschirme. Und das mit dem Eindruck dokumentierter Harmonie in diesem Moment. So, als ob nichts gewesen sei. In den Berichten wurde allerdings nicht ausgeblendet, was sich da vorher abgespielt hatte. Da war der Grünen Co-Chef Omid Nouripour. Er hatte die eigene Regierung als „Übergangskoalition nach der Ära Merkel“ bezeichnet. Das ist wohl für ihn inzwischen aus der Koalition mit ihrem zu Beginn hoffnungsvollen oder auch vielversprechenden Vertrags-Label „Fortschritt wagen“ geworden. Wir erinnern uns: Zum Ende der zitierten Ära Merkel gab es überwiegend Stimmen, wie überdrüssig man der großen Koalition zu zweit sei. Jetzt bestätigt sich langsam die Fehleinschätzung zu der damals weit verbreitet irrigen Meinung, zu dritt wäre alles einfacher. Da war weiter Robert Habeck, der sich anschickt, für die Grünen bei anhaltend zwölf Prozent in den Sonntagsfragen, die großen Stiefel als Kanzlerkandidat anzuziehen. Er steuerte als seinen Beitrag zum Koalitionsklima diese Bestätigung bei: „Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister werden.“ Und Lindner hatte zuvor umgekehrt festgestellt, dass er das ebenfalls unter einem Kanzler Habeck nicht werde. Mit dem Ernst der Themenlage hat dieses Geplänkel nicht viel zu tun. Das sind nicht die Botschaften, die wir uns von einer Regierung wünschen, die handeln müsste. Auch bei den Bürgergesprächen, die der Kanzler absolviert, wird er neben den warnenden Stimmen aus den Verbänden „direkt von unten“ Fragen zur unklaren Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland hören. Oder zur inneren Sicherheit im Lande. Letztlich geht es auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Man mag's vielleicht in Berlin nicht mehr hören, aber dieser Zusammenhalt ist nun einmal besonders in den östlichen Bundesländern nicht nur gefährdet, sondern in Teilen kaum noch existent. Das offensichtlich verbreitete Gefühl, dass die Stimmung vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und vor allem Thüringen bereits von einer durchgängigen Protesthaltung geprägt wird, findet keine schlüssigen Antworten. Dabei schlagen die in diesem Blog zugegebenermaßen auch wiederholten Problembeschreibungen offensichtlich durch: Es geht um die Zukunft abgehängter und dünn besiedelter Regionen. Dort, wo Feld und Wald nicht nur die Landschaften, sondern auch die Menschen mit ihrer Abhängigkeit von gegebenen Wirtschaftsstrukturen prägen, wird nach Lösungen gefragt. Es wird einfach nicht geglaubt, dass zum Beispiel das machbar ist, was in Sachsen die SPD-Spitzenkandidatin im Programm erklärt: dass der „Verkehr in ganz Sachsen einfach, bezahlbar und klimafreundlich läuft“ . Deshalb braucht es mehr Bus- und Bahn-Verbindungen im ländlichen Raum. Wie soll das gehen, wenn gleichzeitig durch den abschließenden Haushaltsbeschluss in Berlin die Bahnen in allen Sparten in weitere Nöte gedrängt werden? Am Wochenende wird die bisher kaum wahrgenommene Bahn-Tochter DB-InfraGo bekanntgeben, welche Folgen die so durch den Bund erzwungene Kapitalerhöhung haben wird. Sie betreibt das Schienennetz und die Bahnhöfe, hat alles zu sanieren und erhebt von den Bahnbetreibern entsprechende Gebühren. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung ist zu erwarten, dass die Trassenpreise bei Fernzügen etwa um zehn Prozent, bei Güterzügen um 15 Prozent und bei S-Bahnen sowie im Regionalverkehr sogar um 23 Prozent (gerundet) steigen. Irgendwie passt da was mit den politischen Zielen nicht mehr zusammen. Der Verkehr im ländlichen Raum vor schweren Zeiten Die Folgen sind nicht nur dort ein Thema, wo Landtagswahlkämpfe in den Schlussspurt zum 1. September (Sachsen, Thüringen) gehen, sondern überall, wo öffentlicher Verkehr auch entlegene Regionen versorgen soll. Der grüne Verkehrsminister Oliver Krischer in NRW zeichnet schon Szenarien als Folge der Ampel-Haushaltseinigung auf, indem er bereits droht, dass im Lande viele ÖPNV-Strecken stillgelegt werden müssten. Und in Schleswig-Holstein wird der Regionalverkehr bereits eingeschränkt. Dazu kommt noch, dass die Busunternehmen Alarm schlagen, weil sie durch das Deutschlandticket zusätzliche Belastungen zu stemmen haben und die Kosten für das Personal „durch die Decke gehen“ , wie aus dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen zu hören ist. Und bei der Umstellung auf die gewünschte E-Mobilität laufen die Förderungen bei wesentlich höheren Fahrzeugkosten inzwischen aus. Ein Busbetreiber im Norden: „Wir sehen nicht mehr, dass das ohne Angebotskürzungen ausgehen kann.“ Da braut sich also etwas in der gesamten Verkehrsstruktur zusammen, was am Ende mit ungedeckten Schecks der Berliner Haushaltspolitik zusammenhängt. Waldgesetz: Der zweite Versuch Im Frühjahr gab es ein nicht vergessenes Aufregerthema: Es ging um die während der Zeit der „Grünen Woche“ bekanntgewordene Überarbeitung des Bundeswaldgesetzes. Ich erinnere mich an eine Diskussionsveranstaltung auf dieser Messe, wo selbst Fachleute nicht zu überzeugen waren, warum es überhaupt zu der von grünen Politikern und zuzuordnenden Ministerialbeamten sowie Organisationen wie dem NABU betriebenen Gesetzesnovelle kommen soll. In unserem Blog hieß damals die Schlagzeile: „Das Waldgesetz, die nächste Kampfansage“ . Die betroffenen Waldeigentümer nannten den zwischen Bundeslandwirtschafts- und Bundesumweltministerium abgestimmten Entwurf eine „allenfalls erste Diskussionsgrundlage mit vielen handwerklichen Mängeln“ . „Unsere Mitgliedschaft lehnt den Entwurf in Gänze ab“ , sagte Präsident Bitter von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände e.V. und Max von Elverfeld, der Vorsitzende der „Familienbetriebe Land und Forst“, fand in dem Gesetzentwurf mit geplanten neuen Straftatbeständen und Bußgeldvorschriften den „Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber den Forstleuten vor Ort“. Jetzt liegt der zweite Entwurf und damit die zweite Diskussionsgrundlage vor. Sie wird zu weiteren Debatten über die Wald- und Forstpolitik führen. Beim ersten Blick in die zweite Version sind Änderungen zu erkennen, wonach für den Privatwald angedrohte Sanktionen abgeschwächt wurden. Wir werden die Reaktionen der Verbände bei der weiteren Diskussion natürlich verfolgen. Kritische Töne an den Veränderungen liegen seit dieser Woche bereits vom NABU auf dem Tisch. Er gehört zu den Auslösern der Gesetzesnovelle und beklagt bereits beim zweiten Entwurf „Verwässerungen“. Notwendige Maßnahmen würden in die Freiwilligkeit geschoben. Diese Äußerung allein spricht unserer Auffassung nach für die Änderungen im zweiten Referentenentwurf für ein neues Bundeswaldgesetz – wenn es denn überhaupt sein muss. Sicher ist: Es bleibt immer noch genügend Spielraum für behördliche Eingriffe in die Entscheidungsspielräume privater Waldbesitzer. Zum Beispiel bei der Wahl von Baumarten und dem Verbot größerer Kahlschläge bis hin zum Schutz von „stehendem Totholz“ . Die Sehnsucht nach mehr „Öko“ bleibt klar erkennbar , aber es gibt auch Zugeständnisse an die Vernunft. Beispiel: „Der Wald dient – neben seiner Eigenschaft als Ökosystem und Lebensgrundlage – auch der heimischen Erzeugung und Versorgung mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz. Dies sichert die Rohstoffbasis der heimischen Holzwirtschaft und leistet einen relevanten Beitrag zur Deckung der Inlandsnachfrage nach nachhaltig erzeugtem Holz und trägt über die Speicherung von Kohlenstoff im Holz und insbesondere in langlebigen Holzprodukten zum Klimaschutz bei.“ Sachkundige Jäger dürfte es freuen, dass sogar das Freihalten von Offenland Niederschlag findet und damit „Wald vor Wild“ -Ideologien Grenzen setzt. Zumindest ebenso wichtig sind klarere Vorgaben gegen den ausufernden Druck durch Freizeit-Nutzung. Die Ausweisung von Betretungsverboten und Wegegeboten wird erleichtert. Mal sehen, was davon im Gesetzgebungsverfahren Bestand hat. Noch ein kleiner Hinweis zum Thema Jagd: In unserem Blog finden Sie in dieser Woche den dritten Teil der Serie von Christoph Boll über Jagd und Jäger, Wild und Wald im Spiegel der Literatur im jeweiligen Zeitgeist und der Wirklichkeit. Am Mittwoch erscheint der vierte und letzte Teil, den ich dann wieder zur Lektüre empfehle. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein erholsames Wochenende, das vielleicht auch ein wenig Zeit für die Lektüre unserer Beiträge zum Thema natur+mensch zulässt. Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination

  • Klimasünder Landwirtschaft?

    Wie berechtigt sind die Forderungen, einen Handel für Verschmutzungszertifikate (ETS) für die europäische Landwirtschaft aufzubauen Da sich extreme Wetterereignisse häufen, sind Landwirte in Europa Hauptleidtragende des Klimawandels. Das Wechselspiel zwischen Landwirtschaft und Klimaschutz ist komplexer als in anderen Wirtschaftsbereichen. Die Landwirtschaft schützt zum einen das Klima, etwa indem CO₂ aus der Atmosphäre in Pflanzen eingelagert und zum Beispiel in Holz für die Bauwirtschaft dauerhaft gebunden wird. Doch die Branche emittiert auch klimaschädliche Gase. Und deswegen gibt es Überlegungen, auch für die Landwirtschaft einen EU-weiten Handel mit Verschmutzungszertifikaten (ETS) aufzubauen. Sicher: Der ETS für Industrieemissionen hat sich als marktwirtschaftliches Instrument zum Abbau von CO₂-Emissionen bewährt. Ob aber ein ETS für die Landwirtschaft Priorität haben sollte, das muss bezweifelt werden. Zwei Gründe sind dafür ausschlaggebend: Zum einen machen klimaschädliche Gase, die ihren Ursprung in der Landwirtschaft haben, mit rund sieben Prozent nur einen vergleichsweise geringen Anteil an der Gesamtbelastung aus. Vor allem aber: Der Großteil der Klimagase in der Landwirtschaft entsteht bei der Verdauung der Tiere oder nach der Ausbringung des natürlichen Düngers auf die Böden. Das heißt, die schädlichen Gase, vor allem Methan und Lachgas, sind Emissionen, die bei den natürlichen Produktionsbedingungen der Bauern freigesetzt werden. Dafür einen verpflichtenden Abbaupfad zu entwerfen wie etwa beim Einsatz von fossiler Energie in der Industrie, würde die Viehhaltung an sich infrage stellen.   Um es konkret zu machen: Etwa die Hälfte der Klimagase der deutschen Landwirtschaft entsteht in Form von Methan bei der Verdauung des Viehs. 2022 betrugen die Emissionen der deutschen Landwirtschaft insgesamt etwa 53,3 Millionen Tonnen. Ein weiteres Viertel ist Lachgas, das aus den Böden freigesetzt wird. Das restliche Viertel der Emissionen kommt von der Ausbringung des natürlichen Düngers, der Lagerung von Pflanzengärresten, Kalkung und Harnstoffanwendungen. Das CO₂, das bei der Verbrennung von Diesel in Traktoren und Mähdreschern und beim Heizen entsteht, ist dagegen zu vernachlässigen. Die Landwirtschaft lebt beim Fleisch nicht über ihr Verhältnisse Der Ausstoß von Methan durch wiederkäuende Rinder gilt als besonders klimaschädlich. Methan und Lachgas haben ein deutlich höheres Potenzial, das Klima zu schädigen, als etwa Kohlendioxid. Allerdings streiten Wissenschaftler zunehmend darüber, ob Methan von Tieren genauso klimaschädlich ist wie anderes Methan. Außerdem hilft ein Blick darauf, wie es um die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch in Deutschland bestellt ist. Bei Rind, Kalb und Hühnerfleisch liegt der Selbstversorgungsgrad der deutschen Landwirtschaft etwa bei 100 Prozent. Lediglich bei Schwein wird hierzulande 30 Prozent mehr geschlachtet, als von den deutschen Verbrauchern gegessen wird. Die deutschen Landwirte produzieren mit der Ausnahme von Schweinen weitgehend, um die Bedürfnisse der deutschen Verbraucher zu befriedigen. Die deutsche Landwirtschaft lebt also beim Fleisch nicht über ihre Verhältnisse. Die Reduktion des Methananteils der deutschen Landwirtschaft wäre nur zu haben, wenn entweder drastisch weniger Fleisch gegessen oder im großen Stil Fleisch importiert würde. Beides wäre problematisch: Der verordnete Umstieg auf vegetarische Kost wäre eine Bevormundung der Verbraucher. Der Import von Fleisch würde Emissionen anderswo entstehen lassen. Interessant in diesem Zusammenhang: Ursula von der Leyen, die bisherige und künftige Chefin der EU-Kommission, hat die mögliche Einführung eines ETS für den Agrarbereich in ihrer Bewerbungsrede im Juli vor dem Europaparlament mit keinem Wort erwähnt. Dies kann als Hinweis gewertet werden, dass ein Agri-ETS auf ihrer Prioritätenliste eher im unteren Bereich angesiedelt ist.

  • Vom Grünen-Star zum Sündenbock

    Klein-Klein ist nicht die Sache des Energieministers. Speziell im ländlichen Raum, in dem er sich als ehemaliger Agrarminister im Norden auskennen müsste, kann Robert Habeck nicht mehr punkten Die akuten Kanzler-Ambitionen des Bundeswirtschaftsministers sind ein Musterbeispiel für Selbstüberschätzung. Und trauriger Höhepunkt eines von Ehrgeiz getriebenen Versagens. Nicht nur bei den Grünen galt Robert Habeck mal als Bauern-Versteher mit Sinn für Realitäten. Seine Jahre als Landwirtschaftsminister in Kiel brachte er mit Anstand hinter sich, wurde zu einer Symbolfigur für den scheinbar gelungenen Reifeprozess von der Protest- zur Volkspartei. Seine Ambitionen auf Höheres waren noch vor der letzten Bundestagswahl kein Fall für die Satire. Heute ist der Mann von der dänischen Grenze zum Beispiel dafür geworden, dass nennenswerte Teile der Grünen die Bodenhaftung verloren haben. Habecks langanhaltendes Schweigen zu den willkürlichen Subventionskürzungen beim Agrar-Diesel entsetzte zudem Parteifreunde im ländlichen Raum – auch seinen Parteifreund Cem Özdemir, dem kaum jemand Nähe zum ländlichen Raum zutraute, als er Bundeslandwirtschaftsminister wurde. Habeck, dachten langjährige Weggefährten, hätte es besser wissen müssen. So musste er kleinlaut miterleben, wie der Bauern-Protest die Regierung zum Einlenken zwang. Die ganz großen Räder der Industrie- und Klimapolitik Hinter dieser Episode steht der begründete Verdacht, dass der Affront gegen das Landvolk zum trotzigen Versuch gehörte, die Subventionsorgien zu retten, mit denen der Wirtschaftsminister an den ganz großen Rädern der Industrie- und Klima-Politik drehen möchte. Bis hin zu Staatshilfen für Großkonzerne, die es am Ende mit den nationalen Interessen so genau nicht nehmen. Derweil fühlen sich Normalverbraucher zunehmend durch die rigorosen Versuche, die Republik zum Öko-Musterknaben zu wandeln , überfordert.  Zum Aufreger wurde da das sogenannte Gebäudeenergiegesetz mit den für Habecks Politikstil typischen Begleiterscheinungen. Er löste zunächst Goldgräberstimmung in der Heizungsbranche aus. Dabei zeigte sich bei den im europäischen Vergleich horrenden Preisen für hoch subventionierte Wärmepumpen, dass sie sich bei unseren Strompreisen nicht rechnen. Dass dabei auch noch eine peinliche Trauzeugen-Affäre im Spiel war, versucht der Minister mit ihm eigener Nonchalance beiseite zu wischen: „Ich habe jetzt keine Lust mehr, zurückzuschauen.“ Dabei wäre gelegentlicher Blick zurück hilfreich, um aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen: Zum Beispiel aus Habecks Sinneswandel bei Versuchen, dem Klimawandel mit technischen Lösungen beizukommen. Vor wenigen Jahren noch bezeichnete Habeck die Idee, Kohlendioxid in Speichern einzulagern, ebenso als Teufelszeug wie die Wasserstofftechnologie. Bis die in Umweltfragen pragmatischen Dänen gleich nebenan vorführten, wie sich mit solchen Methoden nicht nur der Umwelt nützen, sondern sich damit sogar noch Geld verdienen lässt. … und Geld spielt anscheinend keine Rolle Wie fast immer dem grünen Mainstream folgend ist der Mann mit den Kanzler-Ambitionen momentan dabei, den nächsten Fehler zu begehen: Sein Widerstand gegen Pläne der Niederländer, in der Nordsee nach Gas zu bohren, geht einher mit den Plänen für ein weiteres Gas-Terminal auf Rügen , um noch mehr teures Fracking-Gas aus Übersee zu importieren. Beim (Wahl-)Volk kommt die Botschaft an, dass Geld anscheinend keine Rolle spielt. Irgendwie logisch, dass die Spendierhosen des Kabinettskollegen Habeck regelmäßig auf den Widerstand des Bundesfinanzministers stoßen. Aber auch Ordnungsrufe aus dem Bundesverfassungsgericht hindern ihn nicht, regelmäßig höchst beleidigt auf Spar-Zwänge zu reagieren. Er denkt halt gern in höheren Kategorien. Und schweigt meistens vornehm, wenn Umweltpolitik im Kleinen krachend scheitert. Zum Beispiel bei der Bahn mit ihrem Rückzug aus dem ländlichen Raum und einer Preispolitik, die Güterverkehrskunden in Scharen zurück zum Lastwagentransport zwingt. Fatale Rückzieher – wohl auch unter dem Druck des Kanzleramts – zerstören zugleich Vertrauen. Etwa wenn wortwörtlich über Nacht Subventionen für Elektroautos oder (horrende) Energieberater-Honorare gekürzt werden. „Und täglich grüßt das Murmeltier“, hat Habeck mit dem ihm eigenen Charme auf Fragen nach der Haushaltsdisziplin reagiert. Während nahezu zeitgleich durchsickerte, dass in „grünen“ Ministerien am eben erst aufgegebenen Plan zum Verbot von Holzheizungen gearbeitet wird und ländliche Windpark-Genossenschaften immer noch über den kaum ausgelichteten Bürokratie-Dschungel klagen. Klein-Klein ist halt nicht die Sache des Energieministers.

  • Aus dem Paradies vertrieben – Jäger sind keine Phantasten

    Von der Antike bis zur Urbanisierung, von der höfischen Angelegenheit zu aktuellen gesellschaftlichen Konflikten: Jagd und Jäger, Wild und Wald im Spiegel der Literatur im jeweiligen Zeitgeist und der Wirklichkeit. Eine Serie für „ natur + mensch “ Teil 1 und Teil 2 unserer Serie Mit der Aufklärung hat sich der Blick auf die Welt geändert. Die bürgerliche Gesellschaft mit ihren sozialen Verwerfungen und Konflikten rückt zunehmend in das Zentrum der Betrachtung. So zielt auch August Wilhelm Ifflands Stück „Die Jäger. Ein ländliches Sittengemälde“ (1785) mit seiner Kritik am Luxus und der Verkennung natürlicher Lebensrhythmen auf das Gute. Im Mittelpunkt des Geschehens steht die Familie des Oberförsters Gottfried Warberger zu Weißenburg. Sie ist der Inbegriff der Redlichkeit auf allen Ebenen. Das Stück wurde im ganzen deutschen Sprachraum erfolgreich, nachdem Goethe es zur Neueröffnung des Weimarer Hoftheaters 1791 gewählt hatte. Goethe selbst setzt diese Stoßrichtung fort mit seiner Erzählung „Novelle“ (1828). Er hatte sie bereits 1797 unter dem Titel „Die Jagd“ entworfen. Dort geht es um eine ganz neue Art zu jagen: Die Geschichte geht nicht vom Beutemachen aus, sondern von der Erziehung des jungen Jägers zu Selbstbeherrschung und Identifikation mit dem Jagdobjekt. Trieb und Verstand, Instinkt und Wille werden harmonisiert. Dieses Ideal ist nun das höhere Jagdziel, das noch heute in mancher (Jung-)Jäger-Belehrung als Ethos anklingt. Dem entspricht, dass der Leser der Grimmschen, aber auch anderer Märchen sehr selten erfährt, welchem Wild der Jäger nachstellt. Joseph von Eichendorff formuliert es euphorisch: „Aus der Büchse sprühend Funken! Immer höher schwillt die Brust! Wild und Jäger todestrunken. In die grüne Nacht versunken – O du schöne Jägerslust!“ In den Sagen und Märchen ist das Tier nur wichtig, wenn es Ungeheuer oder andere Plagen sind, die die Menschen bedrohen und die die Jagenden bezwingen. Dass sie dabei auch fantastische, geheimnisvolle oder gar zauberhafte Waffen wie einen schwarzen Spieß oder eine Windbüchse einsetzen, niemals vorbei und sogar um die Ecke schießen können, gehört eben zur Welt der Märchen – oder anders gesagt in das weite Feld des Jägerlateins. Verwundbarkeit von Flora und Fauna nicht ausblenden Doch Jäger sind keine Phantasten. Aber in der weiteren Historie ist ihr sozialer Abstieg unaufhaltsam, sowohl in der literarischen als auch in der realen Welt. Anette von Droste-Hülshoff weiß um 1840 in ihrem Gedicht „Am Turm“ immerhin noch eine klare Rangfolge zu benennen: „Wär´ ich ein Jäger auf freier Flur, ein Stück nur von einem Soldaten, wär ich ein Mann doch mindestens nur, …“ Jäger ist also immer noch mehr als Mann oder Soldat. Er ist das Sinnbild des selbstbestimmten Menschen. Doch damit ist es an der Wende zum 20. Jahrhundert ebenso vorbei wie mit dem empathischen Einssein des Menschen mit der Natur. Der bekannte Jäger-Schriftsteller Hermann Löns beschwört zwar noch die Jagd als Heimat und Erfüllung der Sehnsucht nach Authentizität. Zugleich kann er sich der kühlen naturwissenschaftlichen Rationalität nicht mehr entziehen und die Verwundbarkeit von Flora und Fauna nicht ausblenden. Er wird zum frühen Verfechter des Naturschutzes und zugleich zum Vorläufer all jener, die bis heute die Hege als Auftrag verstehen, in einer vom Menschen gestalteten Umwelt dem Wild und seinem Lebensraum zum Recht zu verhelfen. Dieter Stahmann, ehemaliger Vorsitzender des Forums lebendige Jagdkultur, hat in seinem Beitrag „Den Worten auf der Spur“ im Sonderheft „Die Jagd“ der Zeitschrift WILD UND HUND diesen Zweispalt beschrieben. Nach dem Abbruch des Biologie-Studiums lehnt Löns „in seinen späteren Jahren sogar die Darwin´sche Evolutionstheorie ab, weil er sich seine Wunder der Natur nicht durch abstraktes Denken zerstören lassen wollte“. Löns begreift dabei den Menschen als elementaren Bestandteil der Natur, nicht als Fremdkörper. Immer diese grässlichen Jagdgeschichten Der aus einem Försterhaushalt stammende Ludwig Thoma, der zunächst selbst den Beruf des Vaters ergreifen wollte und Jäger war, kann selbst in seinem literarischen Werk die Kluft nicht mehr überwinden. „Nein! Dass der gemütliche Nachmittag so gestört werden musste! Immer diese grässlichen Jagdgeschichten!“, heißt es in der 1921 veröffentlichten Erzählung „Der Jagerloisl. Eine Tegernseer Geschichte“. So klagt die aus der Weltstadt Berlin stammende (zugereiste) selbstbewusste Henny Fehse. Für sie und ihre Familie ist der Titelheld längst nicht mehr der Vornehme, sondern er verkörpert das „Derbe“. Sie spricht gar davon, es gehe zu „wie bei den Wilden“. Der Loisl aber vertritt eine Passion, die Henny nie nachvollziehen kann: „i red von der richtigen Jagerei, net vom Umanandschieß’n und Schind’n und Umbringa, was Haar und Federn hat“. So sehr Thoma auch den bodenständigen jungen Mann als Naturideal glorifiziert, so sehr kann er den gesellschaftlichen Gegenentwurf des urbanen Bürgertums nicht mehr ausblenden. Damit deutet sich zugleich die Wandlung von Natur und der damit verbundenen Jagd als Zentrum des Seins zum Abseitigen, Hinterwäldlerischen an, das sogar im Exzess der zügellosen Sportjagd enden kann. Die ganz überwiegende Mehrheit der aufgeklärten Menschen hat sich heute ganz und gar von der romantischen Sichtweise entfernt. Eine emphatische literarische Naturbeschreibung und Jagdschilderung nehmen sie als Kitsch wahr. Und sie ist es wohl auch, solange sie vordergründig und allein schwärmerisch bleibt. Eine Ursache mag sein, dass die Autoren die Jagd kaum noch in Kategorien und Begriffen vermitteln können, die eine breite Öffentlichkeit versteht – sei es aus schriftstellerischem Mangel oder weil es Verständnis-Defizite auf Seiten der Leser gibt. Zu konstatieren bleibt allemal: Jäger und Nichtjäger sprechen nicht – oder nicht mehr – dieselbe Sprache. Ab dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts wird dieser Themenbereich deshalb literarisch immer schwerer darstellbar, bis er ab den 1970er Jahren nahezu obsolet wird. Teil 1  und Teil 2  unserer Serie

  • Aus Liebe zum eigenen Dorf

    Dorfkümmerer – das klingt nach betreutem Landleben. Tatsächlich sind die Frauen und Männer vielerorts Helfer in Alltagsfragen. Und ihre Zahl wächst Demografischer Wandel, Wegzug, schlechte Verkehrsanbindung, geschlossene Läden – auf dem Land herrscht auch bei gutem Wetter nicht nur eitel Sonnenschein. Die täglichen Dinge wie der notwendige Arztbesuch oder Einkauf, die Angst vor Einsamkeit oder der unerfüllte Wunsch nach einem Treffpunkt für die Kinder des Ortes können Themen sein, die Dorfkümmerer aktiv werden lassen. Gerade in östlichen Bundesländern wie Brandenburg und Thüringen oder auch im Norden in Schleswig-Holstein hat man gute Erfahrung mit diesem System der Hilfe zur Selbsthilfe gemacht. Andernorts wie zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern oder Niedersachsen sind geschulte Dorfmoderatorinnen und -moderatoren im Einsatz. Ob Kümmerer oder Moderator – ihr Kernziel ist durchaus ähnlich: Sie alle wollen das Leben auf dem Land, im weit abgelegenen Ortsteil einer Kleinstadt oder einem Dorf einfacher und besser machen. „Ich kümmere mich darum“ – ein Satz, den man häufig hört. Doch wer dieses Versprechen gibt, muss zuhören, anpacken und wissen, wie er ein Problem oder eine Aufgabe löst. Gerade in Thüringen hat man offenbar so gute Erfahrungen mit dem Dorfkümmerer gemacht, dass sich die Zahl der aktiven und festen Ansprechpartner binnen zwei Jahren auf 70 verdoppelt hat. Ein Auslöser ist das Landesprogramm „Solidarisches Zusammenleben der Generationen“. Es besteht auf verschiedenen Bausteinen. Zu ihnen gehört das Kümmerer-Modell, das auf dem Land immer mehr Schule macht und – auch das ist wichtig – auf einem soliden finanziellen Fundament steht. Thüringen hat in diesem Jahr rund 16 Millionen Euro im Haushalt für das Landesprogramm bereitgestellt. Dorfkümmerer als Gewinn für den ländlichen Raum Aus diesem Topf bedienen sich Kreise und Kommunen. Im Landkreis Gotha zum Beispiel, wo Dorfkümmerer seit 2021 tätig sind, stehen 150.000 Euro bereit. „Die Dorfkümmerinnen und Dorfkümmerer sind ein Gewinn für den ländlichen Raum“, sagt Landrat Onno Eckert. „Sie sind wichtige Ansprechpartnerinnen und -partner für alle Generationen und gestalten das Dorfleben aktiv mit.“ Gute und richtige Lösungen finden – so verstehen viele Dorfkümmerer, die ehrenamtlich oder im Rahmen einer Aushilfstätigkeit aktiv sind, ihre Aufgabe. Sie kennen Ansprechpartner und Akteure vor Ort, verfügen meist über gute Netzwerke und scheuen nicht den Kontakt zu Behörden oder Organisationen. Konkret kann es so aussehen, dass sie Fahrdienste zum Nachbarort organisieren, Treffen für jung und alt vorbereiten und durchführen, in manchen kleinen Streitfällen vermitteln oder Behördenschreiben übersetzen. Bei den Treffen der Kümmerer, die nicht allein agieren müssen, machen viele Beispiele aus der Praxis die Runde. Dorfgemeinschaften brauchen heutzutage Unterstützung In der Akademie für ländliche Räume Schleswig-Holstein e.V. in Flintbek trafen sich erst kürzlich die Dorfkümmerer des Landes zum Austausch. Auch bei dieser Tagung wurde deutlich, dass die damit einhergehende Stärkung des ländlichen Raums auf ganz verschiedenen und den örtlichen Gegebenheiten angepassten Wegen erfolgt. Dorfgemeinschaften brauchen heutzutage eindeutig Unterstützung. Denn alte und tragfähige Strukturen, die jahrzehntelang ein Garant für ein gutes Leben auf dem Dorf waren, brechen immer mehr weg. Vereine finden wenig Nachwuchs, Junge gehen, Alte bleiben. Dass heute in vielen kleinen Orten und Siedlungen Dorfkümmerer und Dorfmoderatoren aktiv sind, ist auf jeden Fall zu begrüßen. Denn es braucht Personen, die sich darum bemühen, die eigene Gemeinde generationenübergreifend zukunftsfähig und lebendig zu halten oder dorthin zu entwickeln.

  • Doppelte Ernte: Solarstrom auf dem Acker

    Agri-PV kombiniert Stromerzeugung und landwirtschaftliche Produktion. Für die Landwirte bringt die Technik eine zusätzliche Einnahmequelle und weitere Vorteile. Doch es gibt auch Nachteile Oben wird Strom produziert, unten Obst angebaut oder Wein, Hopfen, Getreide, Kartoffeln. Agri-PV (PV für Photovoltaik) macht es möglich. Hinter diesem Begriff verbirgt sich eine innovative Technik, bei der die Erzeugung von Solarstrom mit Landwirtschaft verknüpft wird – eine effiziente Doppelnutzung. Bauern profitieren von einer zusätzlichen Einkommensquelle und tragen gleichzeitig zur Energiewende bei. Eine Win-win-Situation. Die Photovoltaik-Module werden bei Agri-PV je nach Kultur bodennah oder sogar vier, fünf, sechs Meter auf Ständern über der Erde aufgestellt, sodass Trecker oder Mähdrescher darunter durchfahren können. Diverse Konstruktionen sind möglich, zum Beispiel senkrecht aufgestellte Solarmodule, die in zwei Richtungen Sonnenstrahlen aufnehmen – das Fachwort dafür lautet bifazial (es bedeutet „zweigesichtig“). Oder Solarmodule, die sich mit dem Lauf der Sonne drehen, sogenannte getrackte Anlagen. Sie bringen einen höheren Ertrag als fest installierte Module. Es müssen mindestens zwei Drittel der landwirtschaftlichen Ernte im Vergleich zur vorherigen Nutzung ohne Anlage erzielt werden. Schutz vor Frost, Hagel, Starkregen Der Vorteil von Agri-PV angesichts der knappen, umkämpften Ressource Land: Anders als bei den Photovoltaik-Freiflächenanlagen, die stärker in die Umwelt eingreifen und Ackerfläche vernichten, können Landwirte weiter säen und ernten und die Anbauflächen für die Herstellung von Lebensmitteln nutzen. Ein anderer Vorteil: Wenn die nächste Generation das Grundstück erbt, spart sie Erbschaftssteuer, weil die Grundstücke weiterhin als landwirtschaftliche Flächen eingestuft werden. Solarmodule können zugleich vor Starkregen, Frost und Hagel schützen. Und Erfahrungen zeigen, dass sich in regenarmen Zeiten ein höherer Ertrag bei Feldfrüchten wie Winterweizen und Hafer erzielen lässt, weil weniger Wasser verdunstet. Klingt alles erst einmal vielversprechend. Aber auch wenn die Vorteile überwiegen, bringt Agri-PV im Ackerbau und Gartenbau Nachteile mit sich. So verändern die Anlagen das Landschaftsbild. Im Vergleich zu Freiflächenanlagen sind sie häufig teurer, und sie liefern weniger Strom pro Fläche. Dass die Module Schatten werfen, kann sich negativ auf den Ertrag der Ernte auswirken. Dies führt zum Beispiel dazu, dass Körner nicht richtig reifen oder Äpfel eine andere Farbe annehmen. Mais, eine der am häufigsten angebauten Nutzpflanzen, erweist sich als nur bedingt geeignet: Die Pflanzen wachsen zu hoch. Und nicht immer passen die breiten, modernen Maschinen durch die Reihen zwischen den Solarmodulen. Hier gilt es, noch weitere Erfahrungen zu sammeln. Maximal 15 Prozent Flächenverlust Mit der Optimierung der Anlagen und generell mit den Herausforderungen befassen sich Forscher des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Der Gründervater Adolf Goetzberger hatte schon 1981 die Idee der doppelten Ernte. Heute erstellen die Wissenschaftler landwirtschaftliche und technische Analysen, begleiten Pilotprojekte und bewerten die Agri-PV-Anlagen mit Blick auf mögliche Umweltrisiken und Wettbewerbsfähigkeit. Zusammen mit der Universität Hohenheim, dem Deutschen Institut für Normung und weiteren Wissenschaftlern hat das Fraunhofer-ISE die DIN-Spezifikation DIN SPEC 91434 entwickelt – und so Qualitätskriterien festgelegt. So darf etwa der Flächenverlust durch die Installation bei einer Bewirtschaftung unter der Agri-PV-Anlage maximal zehn Prozent betragen und bei einer Bewirtschaftung dazwischen höchstens 15 Prozent. „ Vier Prozent der Ackerflächen würden reichen“ Das Fraunhofer-Institut sieht in Agri-PV große Chancen: „Nur rund vier Prozent der deutschen Agrarflächen würden ausreichen, um mit hoch aufgeständerter Agri-PV bilanziell den gesamten aktuellen Strombedarf in Deutschland zu decken“, heißt es in einem Leitfaden . Doch um hier weiterzukommen, ist die Akzeptanz der Anlagen entscheidend. Zwingend erforderlich ist es daher, dass Bürgerinnen und Bürger frühzeitig eingebunden und umfassend informiert werden. Die erste kommerzielle Agri-PV-Großanlage – eine getrackte Anlage – hat Anfang August Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU) eingeweiht. In Schlier bei Ravensburg wird an drei Standorten auf 14 Hektar Ackerfläche Strom aus der Energie der Sonne erzeugt. Jedes Jahr soll diese riesige Anlage etwa 14 Millionen Kilowattstunden Strom liefern – und sie soll weiteren Großanlagen als Vorbild dienen.

  • Tauziehen um den Haushalt – Faeser in der Kritik – Sorgen wegen Schweinepest

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, in diesem Wochenkommentar lesen Sie etwas zum verlängerten Tauziehen um den neuen Bundeshaushalt. Es wurde gestern mit „Umschichtung von Geldern für die Deutsche Bahn“ beendet. Das Procedere vorher war ein weiterer Beitrag zu Zweifeln an der Ampelkoalition, wie uns unter anderem das ZDF-Politbarometer belegt. Mit dem vorläufigen Scheitern der Innenministerin vor dem Bundesverwaltungsgericht bei ihrem versuchten Verbot eines rechtsextremen Magazins sowie ihren geplanten Änderungen am Waffengesetz zieht Nancy Faeser zunehmend Kritik auf sich. Mehr als nur Sorgen macht weiter die zunehmende Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest. Üblicherweise dient eine Sommerpause dazu, sich zu erholen und neue Kraft für die bevorstehenden Aufgaben zu tanken. Das gilt auch für Politiker in der sitzungsfreien Zeit des Bundestags. Doch in Berlin scheint man derzeit vor allem damit beschäftigt, die Sommerzeit mit einem quälenden Weiter-so zu füllen. Man nehme nur den leidigen Haushaltsstreit. Von der vor wenigen Wochen groß verkündeten Einigung und neuen Harmonie ist zwischenzeitlich wenig geblieben – so wenigstens der auch von den Ampelparteien nach Kräften vermittelte Eindruck in der Öffentlichkeit. Die gestern kurz vor Toresschluss gefundene Lösung steht deswegen unter dem Verdacht, schon bald wieder nur noch Makulatur zu sein. Wie die trotzdem verbliebene Lücke am Ende noch geschlossen wird, bleibt vage: Die Regierung setzt auf eine Lösung im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung. So jedenfalls heißt es offiziell. Damit hat das Parlament eine Vorlage, die Fragen weiter offenlässt. Regierungspolitiker haben sich bisher mit wechselseitigen Etatwünschen überzogen und teils beißende Kritik am jeweiligen Koalitionspartner geübt – so als säße man nicht gemeinsam am Kabinettstisch, sondern auf den Oppositionsbänken. Das ist fatal, denn ein solcher Streit ist lähmend und stellt allen Beteiligten ein schlechtes Zeugnis aus. Denn die Aufgabe einer Regierung ist nicht, alles besser zu wissen, sondern möglichst viel besser zu machen. Anders gesagt: Weniger streiten, mehr handeln . Doch davon kann bei der Ampel in ihrem aktuellen Zustand und trotz der Einigung gestern nun wirklich keine Rede sein. Ein besonders betrübliches Schauspiel bietet wieder einmal die Bundesinnenministerin. So hat das Bundesverwaltungsgericht jetzt Nancy Faesers Verbot des rechtsextremen Magazins „compact“ vorerst teilweise aufgehoben. Das ist eine böse Schlappe für die SPD-Ministerin. Denn so politisch skandalös und verabscheuungswürdig das AfD-nahe Blatt auch sein mag, von einer Bundesministerin muss man gerade in solch brisanten Fällen ein rechtskonformes, kluges und kühles Vorgehen erwarten. Der Kampf gegen rechtsextreme Umtriebe sollte von allen demokratischen Kräften energisch geführt werden. Aber gerade Amtsinhaber dürfen dabei niemals das politische Augenmaß verlieren. Verschärfung des Waffenrechts Ein vergleichbares Muster zeichnet sich bei der von Faeser geplanten Verschärfung des Waffenrechts ab. Nach den Vorstellungen der SPD-Ministerin sollen Messer künftig nur noch mit einer Klingenlänge von sechs Zentimetern statt bisher zwölf Zentimetern mitgeführt werden dürfen. Das ist Aktionismus und stellt nicht zuletzt Jäger unter einen öffentlichen Generalverdacht. Zwar ist auch hier das Motiv der Ministerin grundsätzlich nachvollziehbar: Gewalt und Kriminalität gerade in Großstädten weiter einzudämmen. Aber für eine grundlegende Änderung müsste die SPD-Politikerin andere Maßnahmen vorantreiben: eine bessere Jugend- und Integrationsarbeit vor allem in sozialen Brennpunkten, mehr Polizeikontrollen, die Justiz-, Sicherheits- und Waffenbehörden personell und materiell besser ausstatten und vieles mehr. All dies ist teuer und im politischen Alltag nur mühsam zu bewältigen. Gleichwohl gehört das Bohren solch politisch dicker Bretter zu den Pflichten einer Ministerin. Kein Wunder, dass die Kritik an dem von Faeser geplanten Messerverbot heftig ausfällt. So erklärte etwa Marc Henrichmann, in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zuständiger Berichterstatter für das Waffenrecht, dies sei ein faktenferner Vorstoß. Er schaffe lediglich ein falsches Gefühl von Sicherheit , ohne die tatsächliche Gefährdungslage zu verbessern. Wer eine Gewalttat plane, werde sich auch zukünftig nicht an Regeln halten. Individuelle und kontrollierbare Waffenverbote für Straftäter, Gefährder und Extremisten seien der Schlüssel für echte Sicherheit,  so Henrichmann. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kritisierte die von Faeser geplanten Messerverbote als „Symbolpolitik“. Die Zunahme an Messerdelikten in den vergangenen Jahren sei besorgniserregend. Aber das Tragen von Messern sei jetzt schon nur sehr eingeschränkt erlaubt. Die Tötung eines Polizisten auf dem Marktplatz in Mannheim etwa wurde „mit einem Messer verübt, dessen Mitführung schon nach geltendem Recht verboten war und ist“, betonte der CSU-Politiker. Gesellschaftlicher Werteverfall Die Messerkriminalität ist vor dem Hintergrund einer zunehmenden Gewaltbereitschaft in Teilen der Bevölkerung zu sehen. Man denke nur an die skandalösen Attacken gegen Rettungs- und Einsatzkräfte bei Unfällen oder Naturkatastrophen. Wer anderen Menschen hilft, sollte eigentlich Respekt und Dankbarkeit erwarten. Stattdessen werden sie selbst Opfer von Gewalt. Plakativer können Verrohung und gesellschaftlicher Werteverfall kaum sichtbar werden. Selbst die niedergelassenen Ärzte haben jetzt wegen zunehmender Gewalt von Patienten die Politik um Hilfe gerufen. Aggressives Verhalten, verbale Bedrohung bis hin zu Tätlichkeiten seien ein wachsendes Problem in Arztpraxen, berichtete der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV, Andreas Gassen, in einem NOZ-Interview. Bundesjustizminister Marco Buschmann reagierte mittlerweile und sagte, man wolle klären, ob das geplante Gesetz zum besseren Schutz von Einsatz- und Rettungskräften, etwa in Notaufnahmen, auch auf Arztpraxen ausgeweitet werden könne. So weit, so gut. Doch hätte man da als Minister nicht von selbst mehr Initiative zeigen und ein Zeichen für alle Helfer – auch die ehrenamtlichen – setzen können? Wieder einmal drohen hier von Seiten der Koalition politisch halbe Sachen. Vor diesem Hintergrund ist allzu verständlich, dass die Bürger der Koalition momentan ein schlechtes Zeugnis ausstellen. So sagten 58 Prozent der Befragten im jüngsten ZDF-Politbarometer, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seine Arbeit nicht gut mache und es ihm an Führungsstärke fehlen. Für 62 Prozent leistet die Ampel schlechte Arbeit. Diese schlechten Werte sind ein Problem für den Kanzler und für alle Koalitionsparteien. Vor allem aber sind sie ein drastischer Hinweis auf die Zustände in unserem Land. Vieles geht nicht richtig voran, von der Digitalisierung über die Verbesserung der Infrastruktur bis hin zu einer Belebung der wirtschaftlichen Dynamik – von einer effizienten und sozial ausgewogenen Energiewende ganz zu schweigen. Schuld an den Streitigkeiten, insbesondere über den Bundeshaushalt, ist für 35 Prozent der Befragten hauptsächlich die FDP, während hier 13 Prozent die Grünen und sieben Prozent die SPD nennen. 35 Prozent meinen laut ZDF-Politbarometer, alle Ampelpartner seien gleichermaßen verantwortlich. Egal, wer hier letztlich Recht hat: Es bleibt das Bild einer uneinigen Regierung,  die stark mit sich selbst beschäftigt ist, statt den Blick nach vorn auf gemeinsame Lösungsansätze zu richten. Augenscheinlich wird von den Koalitionären vorrangig versucht, sich parteipolitisch für die kommenden Landtagswahlen und insbesondere für die Bundestagswahl im September 2025 zu profilieren. Dass Robert Habeck jetzt erstmals öffentlich sein Interesse an der Kanzlerkandidatur der Grünen bekundet hat, passt in dieses Bild. Ob der Begriff Kanzlerkandidatur allerdings bei einer Partei wie den Grünen passend wirkt, die im aktuellen ZDF-Politbarometer in der Sonntagsfrage auf nur 13 Prozent kommen, ist eine andere Frage. Gefährliche Tierseuche breitet sich aus Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema, das im ländlichen Raum, insbesondere in Schweinemastbetrieben und in der Jagd besonders große Sorgen auslöst: die zunehmende Ausbreitung der Afrikanische Schweinepest. Seit Juni hatten sich die Fälle der gefährlichen Tierseuche in Hessen gehäuft. Jetzt ist auch erstmals ein infiziertes Wildschwein in Baden-Württemberg tot aufgefunden worden. Um den Fundort bei Hemsbach herrscht in einer 15-Kilometer-Zone Jagdverbot , um die Wildschweine nicht aufzuschrecken. Außerhalb gibt es eine Zone, in der umso intensiver gejagt wird, damit kranke Tiere möglichst keine Artgenossen mehr finden, die sie anstecken können. In Hessen hatten sich acht Hausschweine in unterschiedlichen Betrieben mit dem Virus infiziert. Die Folgen für die betroffenen Landwirte sind fatal. Aus den Sperrbezirken nehmen Schlachthöfe zum Teil auch gesunde Tiere nicht ab. Am Ende führt die Entwicklung zu massenhaft behördlich veranlassten Tötungen. Das kann für betroffene Betriebe zu wachsender Existenzgefährdung führen. Lassen Sie uns hoffen, dass sich die Lage nicht weiter zuspitzt. Ihnen, liebe Leser und Leserinnen, wünsche ich eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser, Redaktionsleitung/Koordination

  • Wenn die Weltkriegsgranate hochgeht

    Bei Hitze und Trockenheit wird es gefährlich. Bomben aus dem Weltkrieg oder den Beständen der heute nicht mehr existierenden Armeen können explodieren, wenn es im Wald oder auf dem Feld brennt. Mit schweren Folgen für Mensch und Natur In Granzin probt man jetzt schon mal den Ernstfall. Der gut 100 Einwohner zählende Ort im Müritz-Nationalpark liegt ganz nahe an einem Manövergelände, auf dem bis Anfang der 1990er Jahre Panzer und Angriffswagen der damaligen Sowjetarmee den Dritten Weltkrieg geprobt haben. Mit dem Fall der Mauer und dem Abzug der damals noch sowjetischen Truppen blieben auch in dem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern tonnenweise Munition, Bomben und chemische Kampfstoffe einfach neben Bäumen und im Erdreich liegen. Fängt es – wie 2019 und 2022 – in den Wäldern an zu brennen , werden all diese Risiken im Erdreich scharf. Und genau auf diese Gefahr wollen sich die Behörden im Landkreis Ludwigslust-Parchim jetzt mit einer Probeevakuierung besser vorbereiten. Vor allem geht es darum, Menschen, die sich nicht mehr selbst aus der Gefahrenzone bringen können oder wollen, schnell in Sicherheit zu bringen. Dafür müssen Abläufe besser koordiniert werden. Altlasten aus der Geschichte Dabei ist das kleine Dorf Granzin wahrlich kein Einzelfall. In Deutschland liegen 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch immer Millionen Blindgänger und militärisches Material in der Erde. In Ost und West, in den Bergen, in den Städten, in der Ostsee. Besonders viel Gefahrenmaterial findet man im Großraum Berlin, in Brandenburg und teilweise in Mecklenburg-Vorpommern. Denn dort fanden in den Jahren Ende 1944 und Mai 1945 die schwersten Bodenkämpfe zwischen Deutschen und Russen statt. Und all diese Regionen waren nach dem 8. Mai 1945 bevorzugte Übungsgebiete der Roten Armee und der Nationalen Volksarmee der DDR. Es wurde 40 Jahre geschossen und gebombt, Granaten und Kampfstoffe wurden ausprobiert – ohne Verantwortung für das, was mit den Flächen passierte und welches Erbe man der Generation danach hinterließ. Private Waldeigentümer gab es nicht, ökologische Interessen durften noch nicht einmal artikuliert werden angesichts der ruhmreichen Sowjetarmee und ihrer Vasallen-Streitkräfte. Bei den als Rüstungsaltlasten bezeichneten Grundstücken handelt es sich laut Definition um Altstandorte und Altablagerungen, auf denen Explosivstoffe, Brand- und Rauchstoffe, chemische Kampfmittel, Produktionsrückstände entwickelt, erprobt, hergestellt, verarbeitet, gelagert oder vernichtet wurden. Grund genug für das Land Mecklenburg-Vorpommern, die etwa 10.000 Hektar hochgradig belasteten Waldflächen in 20 Jahren von allen militärischen Altlasten räumen zu wollen. Nach dem Abzug der Roten Armee in den frühen 90er Jahren und der Auflösung der Nationalen Volksarmee wurden die Flächen und Liegenschaften dort einfach aufgegeben. „Das Maximale war ein Zaun, den die dort aufgestellt haben“, sagt ein Kenner der Materie. Karten oder weitergehende Informationen, wo denn die teilweise noch immer scharfe Übungsmunition liegt, gab und gibt es nur in Ausnahmefällen. Privaten Waldbauern, die zum Teil aus dem Westen wieder in ihre Heimat zurückkehrten und ihr Eigentum auch zurückerlangten, hatten ebenso wie die staatliche Forstverwaltung oft überhaupt keinen Überblick über die bestehenden und gefährlichen Altlasten. Es gilt die höchste Gefahrenstufe Fast genau vor zwei Jahren erfuhren diese Altlasten kurz neue mediale Aufmerksamkeit. Im feinen Berliner Grunewald erschwerten im Erdreich liegende Weltkriegsbomben und Granaten das Löschen eines Waldbrandes in der Hauptstadt. Feuerwehr und Kampfmittelräumdienst waren tagelang im Großeinsatz, die Tagesschau berichtete live, die Liveticker glühten. Detonationen waren sogar bis Berlin-Mitte zu hören – dementsprechend fielen das Medienecho und das Gruseln der Hauptstadtpresse auch groß aus. So viel Medienecho erfahren die anderen ländlichen Regionen nicht: Im Hitzesommer 2019 brannte es auch in der direkten Nähe des ehemaligen Truppenübungsplatzes bei Lübtheen. Noch 20 Jahre nach dem Abzug der Militärs gilt die höchste Gefahrenklasse 4. Besonders problematisch: Nach Angaben des Landkreises Ludwigslust-Parchim liegen auf dem rund 4100 Hektar großen Übungsplatz Kampfmittel in unbekannten Mengen und teilweise unbekannter Art. Unzählige Granaten und Munition explodierten. Die Brandbekämpfung war lebensgefährlich. Nur vom Rand und in sicherer Entfernung sowie aus der Luft konnten die Brandherde bekämpft werden, mehrere Ortschaften in unmittelbarer Nähe des Feuers mussten damals evakuiert werden. Auch rund um den früheren Truppenübungsplatz Granzin liegen mehrere Dörfer innerhalb des Sicherheitsgürtels von 1.000 Metern, die im Brandfall ebenfalls geräumt werden müssen. Darauf will man jetzt mindestens in Granzin besser vorbereitet sein.

  • Green Deal ist Geschichte

    Jetzt propagiert Ursula von der Leyen den „clean industrial deal“: Was der Paradigmenwechsel in der EU-Landwirtschaftspolitik konkret für die Bauern bedeutet Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will sich in den nächsten fünf Jahren in der Landwirtschaftspolitik vor allem um die Anpassung an den Klimawandel kümmern. Während im vergangenen Mandat auch in der Agrarpolitik der Klima- und der Artenschutz im Zentrum von Vorschlägen ihrer Kommission standen, soll es nun darum gehen, die Landwirtschaft und die Lebensmittel produzierende Branche in einem umfassenden Sinn widerstandsfähiger zu machen. Der Paradigmenwechsel wird nicht allen gefallen. Vor allem nicht den Umweltlobbyisten, die in den vergangenen fünf Jahren des Green Deal und eines ihren Argumenten besonders zugeneigten Kommissionsvizes Frans Timmermans viele Verbote und restriktive Maßnahmen durchsetzen konnten. Der Green Deal ist Geschichte, jetzt ist der „clean industrial deal“ (sauberer industrieller Deal) angesagt, wie die bisherige und künftige Kommissionspräsidentin in ihren Leitlinien schreibt. Was können Bauern und Lebensmittelindustrie konkret von Brüssel erwarten? Die EU dürfte, von der Leyen hat dies in ihrer Rede am 18. Juli bereits angekündigt, Zuschüsse zu Ernteausfallversicherungen zahlen. Wenn also Starkregen, Blitzeis oder Dürre die Ernte verhageln, dann soll der finanzielle Schaden den Bauern von einer Versicherung ausgeglichen werden. In Italien etwa wird dieses Modell bereits seit Jahren mit Erfolg praktiziert. Auch im Südwesten Deutschlands gibt es erste Erfahrungen. Von Israel lernen Gerade im Mittelmeerraum hat sich die Wasserknappheit schon dramatisch verschärft. In vielen Regionen in der südlichen EU stellt man sich bereits die Frage, ob wegen chronischen Wassermangels der Anbau von Feldfrüchten und Sonderkulturen perspektivisch ganz ausfallen muss. Die Kommission will bald eine Strategie zur Sicherung der Wasservorräte vorlegen. Hier könnte Europa von Israel lernen: Dort wird das Wasser für die prosperierende Landwirtschaft in Meerentsalzungsanlagen gewonnen. Zunächst fließt es durch die Haushalte, um nach der Aufbereitung als Brauchwasser auf den Feldern wiederverwendet zu werden. Extreme Wetterbedingungen setzen die Pflanzen unter zusätzlichen Stress, sodass der Schädlingsdruck zunimmt. Das bedeutet, dass die Pflanzen besser gegen vermehrt auftretende Schädlinge und Krankheiten geschützt werden müssen. Von der Kommission wird erwartet, dass sie einen neuen Aufschlag im Pflanzenschutzrecht macht. Zulassungen neuer Wirkstoffe sowie Wiederzulassung bewährter Mittel müssen schneller und unbürokratischer vonstattengehen. Zudem muss sichergestellt werden, dass in ein und derselben Regelungszone auch die gleichen Mittel zugelassen sind. Bislang kann davon nicht die Rede sein. Daher haben die Bauern in der EU auch nicht die gleichen Wettbewerbsbedingungen. Dies gilt im Übrigen nicht nur für den Pflanzenschutz: Auch beim Tierwohl sattelt etwa die Bundesregierung regelmäßig drauf, weswegen Tierhaltung in Deutschland und Tierhaltung in Südosteuropa nicht vergleichbar sind. Wenn es um Resilienz für die Landwirtschaft geht, dann muss dies Folgen für die EU-Handelspolitik haben. Dann darf der Markt für Produkte aus dem Mercosur-Raum oder aus der Ukraine nur dann geöffnet sein, wenn die Anforderungen vergleichbar sind. Und auch beim Artenschutz muss die Kommission handeln und einen neuen Vorschlag für die  Vogelschutz- sowie die FFH-Artenschutzrichtlinie vorlegen. Nicht nur Dürren und Extremwetterereignisse setzen den Ernten und Viehbeständen zu, sondern auch einige ehemals vom Aussterben bedrohte Tierarten, die sich inzwischen gut entwickelt haben. Bislang stand der Wolf im Mittelpunkt dieser Debatten. Doch auch Bär, Biber sowie Vogelarten wie Gänse, Saatkrähe und Kormorane sind im Begriff zur Plage zu werden.

  • Sagenhaft edel – „Der gelernte Jäger“

    Von der Antike bis zur Urbanisierung, von der höfischen Angelegenheit zu aktuellen gesellschaftlichen Konflikten: Jagd und Jäger, Wild und Wald im Spiegel der Literatur im jeweiligen Zeitgeist und der Wirklichkeit. Eine Serie für „ natur + mensch “ Teil 1 unserer Serie finden Sie hier . Ein Jäger muss kein Prinz sein, um eine Prinzessin zu heiraten. Das lehrt die Geschichte „Der gelernte Jäger“. Sie gehört zu jenen mehr als 200 Sagen und Märchen, die die Brüder Grimm zu Beginn des 19. Jahrhunderts gesammelt haben. Wie der Bayerische Landesjagdverband festgestellt hat, kommen in fast der Hälfte von ihnen die Themenbereiche Natur, Wild und Wald, Jagd und Jäger vor. Da es stets mittelalterliche Geschichten sind, ist der gesellschaftlichen Realität jener Zeit folgend der König der Eigentümer des Waldes und folglich der Herr der Jagd. Waidwerk ist also immer höfische Angelegenheit. Und es führt durchaus häufiger zur Heirat. So findet der König oder der Prinz als angehender König in den Märchen „Brüderchen und Schwesterchen“, „Die sechs Schwäne“ und „Allerleirauh“ auf der Jagd seine zukünftige Frau. Jagd ist der standesgemäße Rahmen für lebenswichtige und staatstragende Entscheidungen. Als Spiegel gesellschaftlicher Wirklichkeit sind Sagen, Fabeln und Märchen besonders nah an der Masse der Bevölkerung. Auch wenn die Brüder Grimm vor der Veröffentlichung die Märchen in unterschiedlichem Maße überarbeitet und stilistisch geformt haben, darf unterstellt werden, dass aus ihnen in gehörigem Umfang der Volksmund spricht. Für den ist durchaus möglich, dass der Jäger eine Prinzessin heiratet, wie er es im Märchen „Der singende Knochen“ vermag. Dabei erklärt nicht allein die Befreiung des Landes von einem Ungeheuer – in diesem Fall einem großen Wildschwein – den sagenhaften gesellschaftlichen Aufstieg. „Der gelernte Jäger“ übt mit der Tat nicht nur ein königliches Privileg aus, sondern er wird nach dem Tod des Herrschers sogar dessen Nachfolger. Ritterlichkeit und Waidgerechtigkeit gehen Hand in Hand Der Jäger ist also sowohl als Ehemann der Königstochter als auch auf dem Thron standesgemäß. Und das, obwohl er doch eigentlich nur Teil des Hofgesindes ist. Ihn adelt seine Profession, das edle Waidwerk. Es ist ein hohes Amt und beansprucht höchste Ehre. Im Märchen sind deshalb Jäger nahezu immer Menschen mit aufrechter, ehrlicher Gesinnung. So folgt der Jäger auch nicht dem Befehl, Schneewittchen zu töten, sondern hat Mitleid und lässt sie im Wald frei. Ritterlichkeit und Waidgerechtigkeit gehen Hand in Hand. Beide entspringen einer inneren, einer seelischen Haltung. Sie ist die Basis eines sittlichen Standards, der einen gesellschaftlichen Kodex normiert. Wie das Turnier der Ritter folgt auch die Jagd festen Regeln. Wer die rechte innere Haltung nicht hat, gleichwohl aber jagt oder sich als Jäger ausgibt, ist ein gemeiner Schuft, ein mieser Charakter. Dazu zählt der Rattenfänger von Hameln, der die Kinder im Jägerkleid entführt. In späterer Zeit kann sogar der die Obrigkeit vertretende Berufsjäger der Schuft sein, wenn er zum Handlanger der Repression wird. Es kommt in diesem Fall also zur verkehrten Welt, in der sogar der Wilderer – zum Freischützen mutiert – das Gute repräsentiert. Das Lied vom Georg Jennerwein belegt dies beispielhaft. Noch Marie von Ebner-Eschenbachs 1883 veröffentlichte Geschichte vom Krambambuli hatte die gegensätzliche Sichtweise. Selbst der leibhaftige Teufel kann sich wie in Jeremias Gotthelfs Novelle „Die schwarze Spinne“ (1842) als Jäger verkleiden. Selbst der böse Wolf hat menschliche Züge Auch der verbrecherische Koch geht im Märchen „Die Nelke“ auf die Jagd „wie ein vornehmer Mann“, der er aber eben nicht ist. Er verstellt sich also, wenn er jagt, maßt sich eine innere Haltung an, die ihm nicht eigen ist. Wer sich unberechtigt den Jagdrock anzieht, muss entlarvt werden. Weil die Jagd in dieser Weltsicht – anders als heute – immer eine Männerdomäne ist, gilt das selbst für die Frau mit den besten Motiven. Das zeigt die Geschlechterprobe im Märchen „Die zwölf Jäger“. Dem entsprechen die damals bekannten Grundlinien des Jagdmotivs in der deutschen Literatur: Jagd als Privileg der männlich dominierten oberen Gesellschaftsschichten, Empathie mit den notleidenden Tieren, Anthropologisierung der Tiere selbst durch Übertragung. Im Märchen hat eben selbst der böse Wolf menschliche Züge. Er personifiziert wie in „Rotkäppchen“ und „Der Wolf und die sieben Geißlein“ das Niederträchtige und Hinterhältige. Dem tritt der Jäger in seiner Beschützerrolle entgegen. Folglich ist nur konsequent und gerecht, dass der Jäger kommt, den Wolf, der Rotkäppchen gefressen hat, aufschneidet und auf diese Weise die Wendung zum Guten bringt. Da passt ins romantische Bild, dass auch die Diskussion jener Zeit um den Berufsstand des Jägers diesen in besonderer gesellschaftlicher Verantwortung sah. Nachdem schon Heinrich Wilhelm Döbels „Neueröffnete Jäger-Practica“ (1750) sich mit der Basis der Jägerausbildung beschäftigt hatte, schlug Johann Jacob Büchtings „Kurzgefaßter Entwurf der Jägerey“ (1756, 1768, 1814) einen neuen Ausbildungsstandard vor. In der von ihm verfassten Einleitung betont der Hallenser Mathematiker Johann Joachim Lange die moralische Verpflichtung des Jägers, der sachverständig, treu, einfühlsam, standhaft und in Gerichtsfällen verschwiegen zu sein habe. Teil 3 lesen Sie am kommenden Mittwoch in unserem Blog.

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