Bei Hitze und Trockenheit wird es gefährlich. Bomben aus dem Weltkrieg oder den Beständen der heute nicht mehr existierenden Armeen können explodieren, wenn es im Wald oder auf dem Feld brennt. Mit schweren Folgen für Mensch und Natur
In Granzin probt man jetzt schon mal den Ernstfall. Der gut 100 Einwohner zählende Ort im Müritz-Nationalpark liegt ganz nahe an einem Manövergelände, auf dem bis Anfang der 1990er Jahre Panzer und Angriffswagen der damaligen Sowjetarmee den Dritten Weltkrieg geprobt haben. Mit dem Fall der Mauer und dem Abzug der damals noch sowjetischen Truppen blieben auch in dem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern tonnenweise Munition, Bomben und chemische Kampfstoffe einfach neben Bäumen und im Erdreich liegen. Fängt es – wie 2019 und 2022 – in den Wäldern an zu brennen, werden all diese Risiken im Erdreich scharf.
Und genau auf diese Gefahr wollen sich die Behörden im Landkreis Ludwigslust-Parchim jetzt mit einer Probeevakuierung besser vorbereiten. Vor allem geht es darum, Menschen, die sich nicht mehr selbst aus der Gefahrenzone bringen können oder wollen, schnell in Sicherheit zu bringen. Dafür müssen Abläufe besser koordiniert werden.
Altlasten aus der Geschichte
Dabei ist das kleine Dorf Granzin wahrlich kein Einzelfall. In Deutschland liegen 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch immer Millionen Blindgänger und militärisches Material in der Erde. In Ost und West, in den Bergen, in den Städten, in der Ostsee. Besonders viel Gefahrenmaterial findet man im Großraum Berlin, in Brandenburg und teilweise in Mecklenburg-Vorpommern. Denn dort fanden in den Jahren Ende 1944 und Mai 1945 die schwersten Bodenkämpfe zwischen Deutschen und Russen statt. Und all diese Regionen waren nach dem 8. Mai 1945 bevorzugte Übungsgebiete der Roten Armee und der Nationalen Volksarmee der DDR. Es wurde 40 Jahre geschossen und gebombt, Granaten und Kampfstoffe wurden ausprobiert – ohne Verantwortung für das, was mit den Flächen passierte und welches Erbe man der Generation danach hinterließ. Private Waldeigentümer gab es nicht, ökologische Interessen durften noch nicht einmal artikuliert werden angesichts der ruhmreichen Sowjetarmee und ihrer Vasallen-Streitkräfte.
Bei den als Rüstungsaltlasten bezeichneten Grundstücken handelt es sich laut Definition um Altstandorte und Altablagerungen, auf denen Explosivstoffe, Brand- und Rauchstoffe, chemische Kampfmittel, Produktionsrückstände entwickelt, erprobt, hergestellt, verarbeitet, gelagert oder vernichtet wurden. Grund genug für das Land Mecklenburg-Vorpommern, die etwa 10.000 Hektar hochgradig belasteten Waldflächen in 20 Jahren von allen militärischen Altlasten räumen zu wollen.
Nach dem Abzug der Roten Armee in den frühen 90er Jahren und der Auflösung der Nationalen Volksarmee wurden die Flächen und Liegenschaften dort einfach aufgegeben. „Das Maximale war ein Zaun, den die dort aufgestellt haben“, sagt ein Kenner der Materie. Karten oder weitergehende Informationen, wo denn die teilweise noch immer scharfe Übungsmunition liegt, gab und gibt es nur in Ausnahmefällen. Privaten Waldbauern, die zum Teil aus dem Westen wieder in ihre Heimat zurückkehrten und ihr Eigentum auch zurückerlangten, hatten ebenso wie die staatliche Forstverwaltung oft überhaupt keinen Überblick über die bestehenden und gefährlichen Altlasten.
Es gilt die höchste Gefahrenstufe
Fast genau vor zwei Jahren erfuhren diese Altlasten kurz neue mediale Aufmerksamkeit. Im feinen Berliner Grunewald erschwerten im Erdreich liegende Weltkriegsbomben und Granaten das Löschen eines Waldbrandes in der Hauptstadt. Feuerwehr und Kampfmittelräumdienst waren tagelang im Großeinsatz, die Tagesschau berichtete live, die Liveticker glühten. Detonationen waren sogar bis Berlin-Mitte zu hören – dementsprechend fielen das Medienecho und das Gruseln der Hauptstadtpresse auch groß aus.
So viel Medienecho erfahren die anderen ländlichen Regionen nicht: Im Hitzesommer 2019 brannte es auch in der direkten Nähe des ehemaligen Truppenübungsplatzes bei Lübtheen. Noch 20 Jahre nach dem Abzug der Militärs gilt die höchste Gefahrenklasse 4. Besonders problematisch: Nach Angaben des Landkreises Ludwigslust-Parchim liegen auf dem rund 4100 Hektar großen Übungsplatz Kampfmittel in unbekannten Mengen und teilweise unbekannter Art. Unzählige Granaten und Munition explodierten. Die Brandbekämpfung war lebensgefährlich. Nur vom Rand und in sicherer Entfernung sowie aus der Luft konnten die Brandherde bekämpft werden, mehrere Ortschaften in unmittelbarer Nähe des Feuers mussten damals evakuiert werden. Auch rund um den früheren Truppenübungsplatz Granzin liegen mehrere Dörfer innerhalb des Sicherheitsgürtels von 1.000 Metern, die im Brandfall ebenfalls geräumt werden müssen. Darauf will man jetzt mindestens in Granzin besser vorbereitet sein.
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