Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche
Liebe Leserinnen und Leser,
in diesem Wochenkommentar lesen Sie etwas zum verlängerten Tauziehen um den neuen Bundeshaushalt. Es wurde gestern mit „Umschichtung von Geldern für die Deutsche Bahn“ beendet. Das Procedere vorher war ein weiterer Beitrag zu Zweifeln an der Ampelkoalition, wie uns unter anderem das ZDF-Politbarometer belegt. Mit dem vorläufigen Scheitern der Innenministerin vor dem Bundesverwaltungsgericht bei ihrem versuchten Verbot eines rechtsextremen Magazins sowie ihren geplanten Änderungen am Waffengesetz zieht Nancy Faeser zunehmend Kritik auf sich. Mehr als nur Sorgen macht weiter die zunehmende Ausbreitung der Afrikanischen Schweinepest.
Üblicherweise dient eine Sommerpause dazu, sich zu erholen und neue Kraft für die bevorstehenden Aufgaben zu tanken. Das gilt auch für Politiker in der sitzungsfreien Zeit des Bundestags. Doch in Berlin scheint man derzeit vor allem damit beschäftigt, die Sommerzeit mit einem quälenden Weiter-so zu füllen. Man nehme nur den leidigen Haushaltsstreit. Von der vor wenigen Wochen groß verkündeten Einigung und neuen Harmonie ist zwischenzeitlich wenig geblieben – so wenigstens der auch von den Ampelparteien nach Kräften vermittelte Eindruck in der Öffentlichkeit. Die gestern kurz vor Toresschluss gefundene Lösung steht deswegen unter dem Verdacht, schon bald wieder nur noch Makulatur zu sein. Wie die trotzdem verbliebene Lücke am Ende noch geschlossen wird, bleibt vage: Die Regierung setzt auf eine Lösung im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung. So jedenfalls heißt es offiziell. Damit hat das Parlament eine Vorlage, die Fragen weiter offenlässt.
Regierungspolitiker haben sich bisher mit wechselseitigen Etatwünschen überzogen und teils beißende Kritik am jeweiligen Koalitionspartner geübt – so als säße man nicht gemeinsam am Kabinettstisch, sondern auf den Oppositionsbänken. Das ist fatal, denn ein solcher Streit ist lähmend und stellt allen Beteiligten ein schlechtes Zeugnis aus. Denn die Aufgabe einer Regierung ist nicht, alles besser zu wissen, sondern möglichst viel besser zu machen. Anders gesagt: Weniger streiten, mehr handeln. Doch davon kann bei der Ampel in ihrem aktuellen Zustand und trotz der Einigung gestern nun wirklich keine Rede sein.
Ein besonders betrübliches Schauspiel bietet wieder einmal die Bundesinnenministerin. So hat das Bundesverwaltungsgericht jetzt Nancy Faesers Verbot des rechtsextremen Magazins „compact“ vorerst teilweise aufgehoben. Das ist eine böse Schlappe für die SPD-Ministerin. Denn so politisch skandalös und verabscheuungswürdig das AfD-nahe Blatt auch sein mag, von einer Bundesministerin muss man gerade in solch brisanten Fällen ein rechtskonformes, kluges und kühles Vorgehen erwarten. Der Kampf gegen rechtsextreme Umtriebe sollte von allen demokratischen Kräften energisch geführt werden. Aber gerade Amtsinhaber dürfen dabei niemals das politische Augenmaß verlieren.
Verschärfung des Waffenrechts
Ein vergleichbares Muster zeichnet sich bei der von Faeser geplanten Verschärfung des Waffenrechts ab. Nach den Vorstellungen der SPD-Ministerin sollen Messer künftig nur noch mit einer Klingenlänge von sechs Zentimetern statt bisher zwölf Zentimetern mitgeführt werden dürfen. Das ist Aktionismus und stellt nicht zuletzt Jäger unter einen öffentlichen Generalverdacht. Zwar ist auch hier das Motiv der Ministerin grundsätzlich nachvollziehbar: Gewalt und Kriminalität gerade in Großstädten weiter einzudämmen. Aber für eine grundlegende Änderung müsste die SPD-Politikerin andere Maßnahmen vorantreiben: eine bessere Jugend- und Integrationsarbeit vor allem in sozialen Brennpunkten, mehr Polizeikontrollen, die Justiz-, Sicherheits- und Waffenbehörden personell und materiell besser ausstatten und vieles mehr. All dies ist teuer und im politischen Alltag nur mühsam zu bewältigen. Gleichwohl gehört das Bohren solch politisch dicker Bretter zu den Pflichten einer Ministerin.
Kein Wunder, dass die Kritik an dem von Faeser geplanten Messerverbot heftig ausfällt. So erklärte etwa Marc Henrichmann, in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zuständiger Berichterstatter für das Waffenrecht, dies sei ein faktenferner Vorstoß. Er schaffe lediglich ein falsches Gefühl von Sicherheit, ohne die tatsächliche Gefährdungslage zu verbessern. Wer eine Gewalttat plane, werde sich auch zukünftig nicht an Regeln halten. Individuelle und kontrollierbare Waffenverbote für Straftäter, Gefährder und Extremisten seien der Schlüssel für echte Sicherheit, so Henrichmann.
Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kritisierte die von Faeser geplanten Messerverbote als „Symbolpolitik“. Die Zunahme an Messerdelikten in den vergangenen Jahren sei besorgniserregend. Aber das Tragen von Messern sei jetzt schon nur sehr eingeschränkt erlaubt. Die Tötung eines Polizisten auf dem Marktplatz in Mannheim etwa wurde „mit einem Messer verübt, dessen Mitführung schon nach geltendem Recht verboten war und ist“, betonte der CSU-Politiker.
Gesellschaftlicher Werteverfall
Die Messerkriminalität ist vor dem Hintergrund einer zunehmenden Gewaltbereitschaft in Teilen der Bevölkerung zu sehen. Man denke nur an die skandalösen Attacken gegen Rettungs- und Einsatzkräfte bei Unfällen oder Naturkatastrophen. Wer anderen Menschen hilft, sollte eigentlich Respekt und Dankbarkeit erwarten. Stattdessen werden sie selbst Opfer von Gewalt. Plakativer können Verrohung und gesellschaftlicher Werteverfall kaum sichtbar werden.
Selbst die niedergelassenen Ärzte haben jetzt wegen zunehmender Gewalt von Patienten die Politik um Hilfe gerufen. Aggressives Verhalten, verbale Bedrohung bis hin zu Tätlichkeiten seien ein wachsendes Problem in Arztpraxen, berichtete der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV, Andreas Gassen, in einem NOZ-Interview. Bundesjustizminister Marco Buschmann reagierte mittlerweile und sagte, man wolle klären, ob das geplante Gesetz zum besseren Schutz von Einsatz- und Rettungskräften, etwa in Notaufnahmen, auch auf Arztpraxen ausgeweitet werden könne. So weit, so gut. Doch hätte man da als Minister nicht von selbst mehr Initiative zeigen und ein Zeichen für alle Helfer – auch die ehrenamtlichen – setzen können? Wieder einmal drohen hier von Seiten der Koalition politisch halbe Sachen.
Vor diesem Hintergrund ist allzu verständlich, dass die Bürger der Koalition momentan ein schlechtes Zeugnis ausstellen. So sagten 58 Prozent der Befragten im jüngsten ZDF-Politbarometer, dass Bundeskanzler Olaf Scholz seine Arbeit nicht gut mache und es ihm an Führungsstärke fehlen. Für 62 Prozent leistet die Ampel schlechte Arbeit. Diese schlechten Werte sind ein Problem für den Kanzler und für alle Koalitionsparteien. Vor allem aber sind sie ein drastischer Hinweis auf die Zustände in unserem Land. Vieles geht nicht richtig voran, von der Digitalisierung über die Verbesserung der Infrastruktur bis hin zu einer Belebung der wirtschaftlichen Dynamik – von einer effizienten und sozial ausgewogenen Energiewende ganz zu schweigen.
Schuld an den Streitigkeiten, insbesondere über den Bundeshaushalt, ist für 35 Prozent der Befragten hauptsächlich die FDP, während hier 13 Prozent die Grünen und sieben Prozent die SPD nennen. 35 Prozent meinen laut ZDF-Politbarometer, alle Ampelpartner seien gleichermaßen verantwortlich. Egal, wer hier letztlich Recht hat: Es bleibt das Bild einer uneinigen Regierung, die stark mit sich selbst beschäftigt ist, statt den Blick nach vorn auf gemeinsame Lösungsansätze zu richten. Augenscheinlich wird von den Koalitionären vorrangig versucht, sich parteipolitisch für die kommenden Landtagswahlen und insbesondere für die Bundestagswahl im September 2025 zu profilieren. Dass Robert Habeck jetzt erstmals öffentlich sein Interesse an der Kanzlerkandidatur der Grünen bekundet hat, passt in dieses Bild. Ob der Begriff Kanzlerkandidatur allerdings bei einer Partei wie den Grünen passend wirkt, die im aktuellen ZDF-Politbarometer in der Sonntagsfrage auf nur 13 Prozent kommen, ist eine andere Frage.
Gefährliche Tierseuche breitet sich aus
Zum Schluss noch ein ganz anderes Thema, das im ländlichen Raum, insbesondere in Schweinemastbetrieben und in der Jagd besonders große Sorgen auslöst: die zunehmende Ausbreitung der Afrikanische Schweinepest. Seit Juni hatten sich die Fälle der gefährlichen Tierseuche in Hessen gehäuft. Jetzt ist auch erstmals ein infiziertes Wildschwein in Baden-Württemberg tot aufgefunden worden. Um den Fundort bei Hemsbach herrscht in einer 15-Kilometer-Zone Jagdverbot, um die Wildschweine nicht aufzuschrecken. Außerhalb gibt es eine Zone, in der umso intensiver gejagt wird, damit kranke Tiere möglichst keine Artgenossen mehr finden, die sie anstecken können. In Hessen hatten sich acht Hausschweine in unterschiedlichen Betrieben mit dem Virus infiziert. Die Folgen für die betroffenen Landwirte sind fatal. Aus den Sperrbezirken nehmen Schlachthöfe zum Teil auch gesunde Tiere nicht ab. Am Ende führt die Entwicklung zu massenhaft behördlich veranlassten Tötungen. Das kann für betroffene Betriebe zu wachsender Existenzgefährdung führen. Lassen Sie uns hoffen, dass sich die Lage nicht weiter zuspitzt.
Ihnen, liebe Leser und Leserinnen, wünsche ich eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen
Ihr Jürgen Wermser, Redaktionsleitung/Koordination
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