Jetzt propagiert Ursula von der Leyen den „clean industrial deal“: Was der Paradigmenwechsel in der EU-Landwirtschaftspolitik konkret für die Bauern bedeutet
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will sich in den nächsten fünf Jahren in der Landwirtschaftspolitik vor allem um die Anpassung an den Klimawandel kümmern. Während im vergangenen Mandat auch in der Agrarpolitik der Klima- und der Artenschutz im Zentrum von Vorschlägen ihrer Kommission standen, soll es nun darum gehen, die Landwirtschaft und die Lebensmittel produzierende Branche in einem umfassenden Sinn widerstandsfähiger zu machen.
Der Paradigmenwechsel wird nicht allen gefallen. Vor allem nicht den Umweltlobbyisten, die in den vergangenen fünf Jahren des Green Deal und eines ihren Argumenten besonders zugeneigten Kommissionsvizes Frans Timmermans viele Verbote und restriktive Maßnahmen durchsetzen konnten. Der Green Deal ist Geschichte, jetzt ist der „clean industrial deal“ (sauberer industrieller Deal) angesagt, wie die bisherige und künftige Kommissionspräsidentin in ihren Leitlinien schreibt.
Was können Bauern und Lebensmittelindustrie konkret von Brüssel erwarten? Die EU dürfte, von der Leyen hat dies in ihrer Rede am 18. Juli bereits angekündigt, Zuschüsse zu Ernteausfallversicherungen zahlen. Wenn also Starkregen, Blitzeis oder Dürre die Ernte verhageln, dann soll der finanzielle Schaden den Bauern von einer Versicherung ausgeglichen werden. In Italien etwa wird dieses Modell bereits seit Jahren mit Erfolg praktiziert. Auch im Südwesten Deutschlands gibt es erste Erfahrungen.
Von Israel lernen
Gerade im Mittelmeerraum hat sich die Wasserknappheit schon dramatisch verschärft. In vielen Regionen in der südlichen EU stellt man sich bereits die Frage, ob wegen chronischen Wassermangels der Anbau von Feldfrüchten und Sonderkulturen perspektivisch ganz ausfallen muss. Die Kommission will bald eine Strategie zur Sicherung der Wasservorräte vorlegen. Hier könnte Europa von Israel lernen: Dort wird das Wasser für die prosperierende Landwirtschaft in Meerentsalzungsanlagen gewonnen. Zunächst fließt es durch die Haushalte, um nach der Aufbereitung als Brauchwasser auf den Feldern wiederverwendet zu werden.
Extreme Wetterbedingungen setzen die Pflanzen unter zusätzlichen Stress, sodass der Schädlingsdruck zunimmt. Das bedeutet, dass die Pflanzen besser gegen vermehrt auftretende Schädlinge und Krankheiten geschützt werden müssen. Von der Kommission wird erwartet, dass sie einen neuen Aufschlag im Pflanzenschutzrecht macht. Zulassungen neuer Wirkstoffe sowie Wiederzulassung bewährter Mittel müssen schneller und unbürokratischer vonstattengehen. Zudem muss sichergestellt werden, dass in ein und derselben Regelungszone auch die gleichen Mittel zugelassen sind. Bislang kann davon nicht die Rede sein. Daher haben die Bauern in der EU auch nicht die gleichen Wettbewerbsbedingungen. Dies gilt im Übrigen nicht nur für den Pflanzenschutz: Auch beim Tierwohl sattelt etwa die Bundesregierung regelmäßig drauf, weswegen Tierhaltung in Deutschland und Tierhaltung in Südosteuropa nicht vergleichbar sind. Wenn es um Resilienz für die Landwirtschaft geht, dann muss dies Folgen für die EU-Handelspolitik haben. Dann darf der Markt für Produkte aus dem Mercosur-Raum oder aus der Ukraine nur dann geöffnet sein, wenn die Anforderungen vergleichbar sind.
Und auch beim Artenschutz muss die Kommission handeln und einen neuen Vorschlag für die Vogelschutz- sowie die FFH-Artenschutzrichtlinie vorlegen. Nicht nur Dürren und Extremwetterereignisse setzen den Ernten und Viehbeständen zu, sondern auch einige ehemals vom Aussterben bedrohte Tierarten, die sich inzwischen gut entwickelt haben. Bislang stand der Wolf im Mittelpunkt dieser Debatten. Doch auch Bär, Biber sowie Vogelarten wie Gänse, Saatkrähe und Kormorane sind im Begriff zur Plage zu werden.
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