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  • AutorenbildJost Springensguth

Sie haben sich nicht verrannt und sind nicht umgekehrt

Knapp 10.000 Bauern haben vor dem Brandenburger Tor in ihrer Aktionswoche noch einmal zentral demonstriert


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Bauerndemo
Symbolbild: doosenwhacker

Anders als zu seinen früheren Äußerungen ist es ja schon ein Fortschritt, wenn Christian Lindner am Montag gegenüber den Demonstranten bei der zentralen Kundgebung der Aktionswoche in Berlin „Verständnis für ihren Unmut“ zeigt. Und er gesteht zu, dass die Sparpläne seiner Regierung von den Bauern zu schnell und zu viel verlangt hätten. Reicht das und ist das glaubwürdig? Soviel zu den Buh-Rufen am Brandenburger Tor, über die gerade landauf, landab zu lesen ist. Vielleicht sollten beide Seiten andere und offensichtlich schon datierte Gesprächsformate konstruktiv nutzen. Auf solche Nachrichten warten wir in dieser Woche und darauf, was im Parlament am Ende daraus wird. Inzwischen hat sich ja wohl herumgesprochen, dass es bei der Beurteilung der Stimmungslage nicht nur um die Kfz-Steuer für die Landmaschinen und den sogenannten Agrardiesel geht. Es geht um mehr. 

 

Beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart rief Lindner noch – zweifellos unter dem Eindruck der zwei Tage vorher stattgefundenen unsinnigen Habeck-Blockade in Schlüttsiel – den Bauern zu: „Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um.“ Gleichzeitig bezeichnete er aber auch die bevorstehenden flächendeckenden Proteste und Blockaden als „unverhältnismäßig“ (SZ vom 7. Januar). Dabei meinte er das offensichtlich generell für alle, die sich mit ihren Treckern auf den Weg gemacht haben. Die abweisenden und vielleicht auch von dem einen oder anderen als unangemessen empfundenen Reaktionen, die Lindner am Montag vor dem Brandenburger Tor erlebte, müssen etwas mit der Haltung zu tun haben, das Problem über die Steuern hinaus wohl erkannt zu haben: Er würde zwar über alles sprechen, was der Produktivität nutze – wie etwa der Bürokratieabbau oder das Abrücken von unverhältnismäßig höheren Standards für die Tierhaltung. Er könne aber „nicht mehr staatliche Hilfe aus dem Bundeshaushalt“ versprechen. Die Betroffenen haben dazu aber eine andere Wahrnehmung, wer wem hilft, wenn es um das Stopfen von Etatlöchern geht. 

 

Inzwischen eine breite Debatte in Stadt und Land 

 

Die Schließung der 17-Milliarden-Lücke im Haushalt mit dem überproportionalen Anteil der Land- und Forstwirtschaft hat die Proteste im ganzen Lande und mit der zentralen Kundgebung in Berlin die Betroffenen auf die Beine gebracht. Darauf aufgesetzt hat sich ein breiter Strauß von Problemen, aus dem sich inzwischen eine breitgefächerte Debatte in Stadt und Land entwickelt hat. Viele Menschen haben wahrgenommen, was alles zu den Zukunftssorgen auf den überwiegend von Generation zu Generation weitergegebenen Höfen geführt hat. Dem Strukturwandel haben sich wie in anderen Wirtschaftsbereichen bäuerliche Familien nicht entzogen. Das belegen Zahlen und Statistiken. Aber: In jedem Einzelfall war und ist das schmerzlich genug. Wenn dann die Existenzprobleme durch Politik und nachgeordnete Behörden durch Beschlüsse, Auflagen, Detailvorschriften und Einflüssen außenstehender Interessenlagen aufgehäuft werden, entsteht das, was gern als aufgestaute Wut der Bauern wahrgenommen wird. Das ist dann eine nachvollziehbare Antwort auf empfundene Regelungswut. 

 

Wie in diesem Blog schon mehrfach angemerkt, geht es in einer Reihe von Einzelsituationen auch um Eigentumsfragen. Beispiel bietet eine generationengerechte Holznutzung in Forstbetrieben. Sie wird gesellschaftlich immer umstrittener. Es gibt nun einmal viele Waldbesitzer, die sich von einem freundlich erscheinenden Förster und Journalisten nicht das „Wohlleben“ ihrer Wälder durch gesellschaftlichen Druck vorschreiben lassen wollen. Sie ernten das, was Großväter gepflanzt haben und sie selbst setzen für ihre Enkel junge Bäume – übrigens überwiegend mit Blick auf Zukunftsverträglichkeit im Klimawandel. 

 

Lindner bewegt sich auf dünnem Eis

 

Und wenn es wie hier als Beispiel um Eigentum geht, wären wir wieder bei Lindner, dem Vorsitzenden der FDP. Er ist aktuell zuständig für die Finanzen und nicht für die anderen Fragen, die Land- und Forstwirte, Jäger und Fischer und damit alle Naturnutzer bewegen. Eigentum und Selbstständigkeit sind nun einmal Schwerpunktthemen der Liberalen. Deshalb bewegt sich Christian Lindner jetzt auf dünnem Eis. Er ist Vorsitzender einer Ampel-Partei, aber auch nur einer von mehreren am Kabinettstisch. Auf den Kanzler käme es an, der sich im Prinzip bei gesellschaftlich übergreifenden Themen in dieser Breite der Aktionswoche angesprochen fühlen muss. Scholz lässt sich offensichtlich nicht ansprechen. Er überlässt seinen Fachminister, sich von Ampelabsprachen abzusetzen, wobei Özdemir wiederum betont, ebenfalls nur ein Teil des Kabinetts zu sein … 

 

Der Kanzler selbst ermahnt die Bauern nur, Maß und Mitte nicht zu verlassen und sich nicht in ein „toxisches Gemisch zu begeben“. Da kann man schon Bilanz ziehen. Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat sich nach dem stürmischen Auftakt in einem kleinen Nordseehafen erfolgreich von rechtsradikalen Unterwanderern distanziert. Sie wurden weitgehend unsichtbar und ferngehalten. Gerade fast überall dort, wo auf Landes- und Ortsebene dezentral demonstriert und auch blockiert wurde. Jedenfalls ist es auch zum Abschluss dieser Aktionswoche überzeugend gelungen, Branchen- und Berufsstandprobleme spektakulär oben auf die Agenda zu setzen. 

 

Am Montagabend trudelte online die „Lage am Abend“ vom Spiegel ein: „Lohnt sich Erpressung? In der Politik schon“. Die ganze Geschichte heißt „Wie Lindner die Bauern umgarnen wollte – und scheiterte.“ Das Thema wird also zum Fortsetzungsroman. Die Aktionswoche ist damit wohl noch nicht beendet.

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