In Bezug auf die Agrarwirtschaft wird zunehmend eine verlässliche und sachbezogene Politik auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene angemahnt. Landwirtschaft und Agrarhandel wird es derzeit schwer gemacht

Wenn politische Ankündigung auf wirtschaftliche Realität trifft, geht das momentan nicht immer gut. Die Agravis Raiffeisen AG, mit über 6800 Beschäftigten und einem Konzernumsatz von 8,8 Mrd. Euro (2023) einer der bundesweit größten Partner der Landwirtschaft, kann ein Lied davon singen. „Die Zurücknahme des SUR-Projektes auf EU-Ebene zur Reduzierung des Pflanzenschutzeinsatzes oder der leidvolle Umgang mit der Agrardieselvergütung seien hier einmal exemplarisch genannt, um zu verdeutlichen, auf welchem Zick-Zack-Kurs Landwirtschaft und Agrarhandel wirtschaftlich langfristige Entscheidungen treffen müssen“, beklagte der Vorstandsvorsitzende Dr. Dirk Klöckler kürzlich auf der Hauptversammlung in Münster.
Köckler warnte vor zu viel Reglementierung: „Wir müssen weg von einer Verbots- und hin zu einer Anreizpolitik.“ So sei es zwar ein logischer Weg, CO2 zu verteuern, damit Knappheit zu generieren und im Sinne der sozialen, nachhaltigen Marktwirtschaft zu flankieren. Daneben sei es aber angebracht, über praxistaugliche und einfache sowie naheliegende Möglichkeiten der CO2-Reduktion nachzudenken.
Der Konzernchef, der selbst vom Hof stammt, Landwirtschaft gelernt und Agrarwissenschaften studiert hat, sprach die Logistik an. Er frage sich, warum in Deutschland das zulässige Gesamtgewicht bei E-Lkw auf 42 Tonnen – trotz oder wegen schwerer Batterien – und bei „normalen“ Lkw auf 40 Tonnen begrenzt ist. In vielen anderen europäischen Ländern sei die Zuladung deutlich höher. „Hier können wir ohne Zögern die zuladbaren Lasten um 10 oder 15 Prozent auf mindestens 44 Tonnen zulässiges Gesamtgewicht beim konventionellen Verbrenner-Lkw erhöhen. Das würde bedeuten, dass Touren eingespart und Emissionen gesenkt werden könnten. Weiterhin würden wir so das Verkehrsaufkommen reduzieren und dem Fahrermangel entgegentreten.“ Agravis baue auch in diesem Jahr neue Tankstellen der herkömmlichen Art und Weise. Köckler: „Denn wir wissen, dass der Verbrennermotor in den kommenden 15, 20 Jahren weiter genutzt wird. Gerade auf dem Land und im Segment Schwerlast.“
Bekenntnis zur Ernährung und Nutztierhaltung
Deutlich fiel auf der Hauptversammlung das Bekenntnis zur Ernährung und Haltung von Nutztieren aus. „Wir glauben fest an eine Stabilisierung der Tierbestände“, betonte Dirk Köckler und unterstützte die Förderung einer innovativ-nachhaltigen Landwirtschaft. „Dazu gehört auch die Diskussion um Tierwohl und Tierwohlabgabe. Ja, im Grundsatz befürworten wir natürlich den Vorschlag der Zukunftskommission Landwirtschaft, eine Mehrwertsteuererhöhung für Fleischprodukte zu realisieren. Schließlich kostet der Umbau der Tierhaltung Geld – und dieses Geld kann aus den Mehreinnahmen einer Mehrwertsteuererhöhung kommen.“ Doch dabei sei eines wichtig: Das Geld müsse zu 100 Prozent bei den Tierhaltern ankommen. Es müsse gelingen, die Mehreinnahmen in Investitionen in die Ställe zu bringen.
Stützen des ländlichen Raumes
Landwirtschaft und Agrarhandel sind für den Agravis-Chef „Stützen des ländlichen Raumes“. Dieser werde ohne eine effiziente Landwirtschaft nicht funktionieren. „Dabei unterscheide ich auch nicht zwischen konventioneller und biologisch betriebener Landwirtschaft. Aber eine Bio-Strategie des Bundeslandwirtschaftsministers Özdemir, wonach 30 Prozent der Betriebe bis 2030 auf Ökolandbau umstellen sollen, ist mit Blick auf die Realität kritisch zu hinterfragen.“ Landwirtschaft sei insgesamt ein wichtiger Treiber von Innovation und Nachhaltigkeit und habe nichts mit Bullerbü-Romantik zu tun.
Als genossenschaftliches Unternehmen sehe es die Agravis als ihre Aufgabe an, sich für die Zukunftsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft einzusetzen. „Es geht um nicht weniger als den Agrarstandort Deutschland“, verdeutlichte Köckler.
Mehr denn je sei es auch wichtig, sich in Berlin und Brüssel Gehör zu verschaffen und sichtbar zu sein. „Wir können uns bei 8,8 Mrd. Euro Umsatz und somit als ‘Top 100 der umsatzstärksten Unternehmen‘ in Deutschland nicht einfach wegducken. Wir haben als Agravis und als Branche eine Wertehaltung – und das artikulieren wir in Abstimmung mit dem Deutschen Raiffeisenverband als unserem Spitzenverband.“
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