Unsere Kolumne zum Wochenende: Finanzbeschlüsse und Stimmungen auf dem Lande
- Jost Springensguth

- 1. Aug.
- 6 Min. Lesezeit

Liebe Leserin, lieber Leser, nicht überall ist der Sommer zu genießen. Zu kalt, zu regnerisch und windig – also usselig, sagt man im Rheinland. Die Stimmung könnte man auch auf die Politik dieser Woche übertragen. Bevor sich die überwiegende Zahl der Kabinettsmitglieder in den Urlaub verabschiedet hat, wurden in Berlin noch die angekündigten Etat- und Finanzbeschlüsse gefasst. Die Schuldenaufnahme und die schwächelnde Konjunktur machen auch Sorgen. Im Folgenden gehen wir weiter auf Stimmungen und Leistungen in unseren ländlichen Regionen ein. Sie bilden einen bedeutenden Wirtschaftsraum. Mit Blick auf Fauna und Flora ist nicht alles ungetrübt. Ein neuer Schädling ist im Anmarsch. „Gut Ding braucht Weile“, gehört dann zu unseren weiteren Feststellungen, wenn es wieder einmal um den Wolf geht.
Die auslaufende Woche begann mit viel Aufregung und endete mit der letzten Dienstreise des Kanzlers vor einem kleinen Urlaub. Nach einer ersten Erleichterung, dass mit dem Zoll-Deal zwischen dem US-Präsidenten und der EU-Kommissionschefin das Schlimmste letzten Sonntag verhütet wurde, macht sich doch weiter Ernüchterung breit. In Europa lassen sich bei 27 Mitgliedstaaten der Union solche Verabredungen nun einmal nicht so einfach durchsetzen wie das Donald Trump in den USA per Dekret mit einfacher Unterschrift erledigt. Jetzt herrscht neben der Kritik etwa aus Frankreich erst einmal Unsicherheit, ob der schottische Handschlag wirklich gilt und ob diesseits des Atlantiks überhaupt umzusetzen ist, was Präsidentin und Präsident vereinbart haben. Nicht alle Folgen sind abseh- und kalkulierbar. Die Auswirkungen auf Agrar- und Ernährungsprodukte scheinen weitgehend ausgenommen zu sein. Das hat unser Autor Ludwig Hintjens in Brüssel recherchiert und gestern in seinem Beitrag analysiert.
Sowohl Friedrich Merz als auch sein Koalitionspartner Finanzminister Lars Klingbeil haben sich bis zur Sommerpause große Ziele gesetzt. Und sie haben pünktlich die aktuelle Etatplanung durch das Kabinett gebracht. Trotz der hohen Schuldenaufnahme, über die wir in diesen Tagen überall gelesen und gehört haben, bleibt Klingbeil zuversichtlich: „Wir investieren jetzt in die Zukunft“, verteidigte der Finanzminister seine Investitions-, Schulden- und 2027 folgenden Konsolidierungspläne. „Es braucht natürlich Zeit, bis das beschlossene Investitions-Sofortprogramm mit Steueranreizen wirkt.“
Konjunkturerholung und Hoffnungsschimmer
So verabschiedete man sich erst einmal in kurze Ferien. Der Kanzler hatte gestern noch seinen dritten Antrittsbesuch in den Bundesländern im Kalender, danach will er sich daheim im Sauerland erholen. Klingbeil zieht´s mit Familie ein paar Tage ans Meer und dann in die Berge. Entspannend kann das für beide gleichwohl kaum werden, wenn sie im Urlaub die Medienauswertungen aus ihren Büros erhalten. Bei der beschlossenen Rekordhaushaltsplanung tun sich große Lücken auf, die durch die erhoffte Konjunkturentwicklung geschlossen werden sollen. In diese Hoffnung passen allerdings die aktuellen Wirtschaftsdaten aus dieser Woche noch nicht. Das Statistische Bundesamt musste seine jüngsten Schätzungen leicht nach unten korrigieren. Demnach ist das Bruttoinlandsprodukt weiter um 0,1 Punkte geschrumpft. Mit Wohlwollen kann man das vielleicht noch als Querbewegung interpretieren. Aufwärts geht´s jedenfalls damit noch nicht. Und die Statistik aus der Bundesanstalt für Arbeit passt dazu. Die Zahl der Arbeitslosen liegt jetzt knapp unterhalb von drei Millionen.
Leistungsstärken im ländlichen Raum
Zu diesen Hinweisen passt eine Einordnung der Bedeutung ländlicher Räume für unsere gesamte Wirtschaftsentwicklung. Sie wurde in dieser Woche durch den Präsidenten der Deutschen Industrie und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, vorgenommen. „Der ländliche Raum wird unterschätzt. Er bietet nicht nur Natur und Erholung, sondern ist auch ein bedeutender Wirtschaftsraum – und das weit über die Landwirtschaft hinaus. Es sind ländliche Räume, die die Transformation vorantreiben.“ Das sagte der Wirtschaftsmann in einem Interview des Redaktionsnetzwerkes Deutschland (RND). Dazu gehört zunächst sein Hinweis, was allein vom Lande aus für die Energiewende geleistet werde. In dem zitierten Gespräch, das in einer Reihe von Regionalzeitungen erschien, erläuterte er, warum die Wirtschaft in den Regionen stärker ist als oft gedacht. Rund die Hälfte der gesamten Bruttowertschöpfung finde dort statt und bei der industriellen Wertschöpfung sind es sogar fast zwei Drittel. Der Erfinder des Begriffs „Hidden Champions“, Hermann Simon, habe ermittelt, dass 46 Prozent aller heimlichen Weltmarktführer aus Deutschland aus dem ländlichen Raum stammen; 70 Prozent haben dort ihren Sitz. „Nicht Berlin und Hamburg geben auf den Weltmärkten den Takt vor, sondern die Schwäbische Alb, das Allgäu oder Ostwestfalen-Lippe.“
Ein neuer Schädling im Anmarsch
Wenn es dort wiederum um Agrar, Forst und Jagd geht, werden gegenseitige strukturelle Abhängigkeiten und ein Zusammenspiel verschiedener Wirtschaftsbereiche immer wieder deutlich. Blicken wir auf unsere Wälder, sehen wir in vielen Regionen noch die Folgen des Schädlingsbefalls durch den Borkenkäfer, der seit 2018 auf viele Schadens-Milliarden beziffert wird. Das steht immer wieder in Zusammenhang aktueller Wechselwirkungen mit Klimaverwerfungen wie Trockenheit, Orkanen oder Erosionen bei Hochwasserereignissen. Auf den Feldern droht uns nun aktuell ein anderer Mega-Schädling mit möglicherweise kaum beherrschbaren Folgen.
Die Rede ist von der Schilfglasflügelzikade. Sie hat das Potenzial, Kartoffelbauern sowie Rüben- und Gemüsebauern das wirtschaftliche Überleben unmöglich zu machen. Gerade Biobauern sind aufs Schwerste betroffen. Das Insekt – es steht immer noch auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten – hat sich mit krankmachenden Bakterien infiziert und ist aus dem angestammten Lebensraum Schilf übergesprungen auf Kulturpflanzen. Die Zikade saugt mit ihrem Rüssel an den Pflanzen und infiziert sie so. Sie werden welk, die Früchte ungenießbar. Schon jetzt sind in weiten Teilen Südwestdeutschlands Zuckerrüben, Spargel, Rote Beete und Kartoffeln massiv geschädigt. Die Zikade ist auf einem Siegeszug von Süden nach Norden. Beunruhigend ist, dass buchstäblich noch nichts gefunden wurde, um sie zu stoppen. Weil sie so mobil ist, machen Insektizide nur einem Bruchteil der Populationen den Garaus. Experten gehen davon aus, dass gegen die Erreger nur resistente Arten helfen würden. Dafür müsste aber die bislang verbotene „Neue Gentechnik“ erlaubt werden. Außerdem würde es wohl mindestens zehn Jahre dauern, resistente Arten zu finden. Nicht nur die Bauern sind in einer ausweglosen Lage. Zucker- und Pommes-Frites-Fabriken stehen vor dem Aus, wenn Wertschöpfungsketten reißen. Die Lebensmittelsicherheit ist bedroht. Damit befasst sich ebenfalls unser bereits zitierter Autor Ludwig Hintjens in unserem Blog mit fast täglich erscheinenden Meldungen.
Goldschakal und Wolf als „Never Ending Stories“
Zu unseren Blog-Texten unter der Woche gehörte am Donnerstag auch unsere Nachricht darüber, dass die „artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung“ zum Abschuss des inzwischen nicht mehr gesichteten Goldschakal auf Sylt zum 1. August abgelaufen ist. Das Landesamt für Umwelt in Schleswig-Holstein ist damit erst einmal das Thema los, die Gerichte vielleicht und die Weidetierhalter aber noch nicht. Das ist eine „Never Ending Story“ und ein Beispiel dafür, wie politisch und juristisch ein Handlungsstau aufläuft und Betroffene weiter im Regen stehen. Das gilt natürlich auch im streitigen Umgang mit dem Wolf. In dieses Thema kommt nun allerdings langsam Bewegung.
Während wir in dieser Woche das zitierte Ablaufdatum für den Sylter Goldschakal gemeldet haben, war am 31. Juli noch ein anderer Stichtag: Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat pünktlich seinen Bericht zum Erhaltungszustand der EU-weit geschützten Arten und Lebensräume fristgemäß an die Europäische Kommission übermittelt. Darunter befindet sich der Wolf, dessen Erhaltungszustand für den „atlantischen Teil“ der Bundesrepublik neu bewertet wurde. (Der andere und im Bericht noch nicht so bewertete Teil unseres Landes heißt übrigens im Behördendeutsch „kontinentale biogeografische Regionen“.) Damit gilt jetzt für die Nordseeküste und Schleswig-Holstein, Niedersachsen sowie Nordrhein-Westfalen der amtliche Begriff „Günstiger Erhaltungszustand“ für die Population von Wölfen. Einfach übersetzt heißt das wohl: Inzwischen sind genug da. Also ein erster Schritt zu einer veränderten FFH-Einordnung und damit dem politischen Umgang mit dem Wolf. Die letzte, 2019 vorgenommene Einstufung der Wolfspopulation lautete übrigens noch „ungünstig“.
Rainer will Änderung des Bundesjagdgesetzes einleiten
Durch die neue Einstufung sieht sich Landwirtschaftsminister Alois Rainer veranlasst, die angekündigte Änderung des Bundesjagdgesetzes nun einzuleiten. „Ich will den Schutz der Weidetiere verbessern – auf dieses zentrale Vorhaben hat sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verständigt, hierzu soll auch der Herdenschutz gestärkt werden“, wird Rainer dazu aktuell in einer Pressemitteilung seines Hauses zitiert. „Gut Ding braucht Weile“, möchte man da anfügen. So wird es noch etwas dauern, bis die von der EU nun angestrebte Herabstufung in das nationale Recht übernommen wird. Der Nabu feiert die Entwicklung der Wolfspopulation seit der Geburt der ersten Wolfswelpen in freier Natur im Jahr 2000 als großen Erfolg aus Naturschutzsicht. Wenn die Meldung stimmt, dass in Deutschland ungefähr 1.600 Wölfe in gut 200 Rudeln leben, gibt es aus anderer Sicht inzwischen nun einmal ein großes Problem. Dazu muss bemerkt werden, dass es für die Erfassung dieser Zahlen kein einheitliches Bild gibt. Umweltminister Carsten Schneider geht den Weg mit und will, dass den Interessen sowohl des Naturschutzes als auch der Tierhalter entsprochen werden kann.
Derweil scheint das näher zu rücken, was schon vielfach befürchtet wurde. Das sind Wolfsattacken auf Menschen. So wurde aus Holland gestern gemeldet, dass bei Utrecht ein Kind angegriffen worden sei. Im niederländischen Sender NOS wurde die Mutter des sechsjährigen Jungen so zitiert: „Ich dachte erst, es wäre ein verspielter Hund.“ Danach stellte sich heraus, dass es offiziellen Behördenangaben zufolge ein Wolf war, der das Kind in den Rücken griff und in das Unterholz eines Waldes in der Gemeinde Woudenberg zerrte. Dann wären die Eltern entschlossen dazwischengegangen und hätten das Tier mit Stockschlägen vertrieben. Experten haben den Verdacht, dass es sich um einen dort bekannten Problemwolf handelte.
Zum Schluss dieser regelmäßig erscheinenden Wochenkolumne wünsche ich Ihnen nun, liebe Leserinnen und Leser, ein problemfreies Wochenende
Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination







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