Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche
Liebe Leserin, lieber Leser,
das Leid und die Schäden, die die Flutkatastrophe vorwiegend in unseren Nachbarländern im Südosten Europas mit sich gebracht hat, überlagern in Nachrichten und Bildern unsere politischen Themen in dieser Woche. Diese waren auch spannend genug. Die ersten Weichenstellungen zur in einem Jahr bevorstehenden Bundestagswahl sind in der Union erfolgt. Merz wird´s. Die große Frage bleibt, ob und wie die Ampel ihre verbleibende Zeit durchsteht – insbesondere gilt das für den Kanzler. Und in Brüssel sortiert sich das Personal um Ursula von der Leyen. Vielleicht erleben wir dort eine positive Überraschung beim Thema Wolf.
Das Wasser fließt ab. Die sachlichen Schäden treten erst jetzt in ihrem vollen Ausmaß zu Tage. Die inzwischen mehr als 20 Opfer der Flutkatastrophen entlang der großen Flüsse in Mittel- und Südosteuropa überstrahlen alles, was in dieser Woche vielleicht wichtig ist. Wie schon an Ahr und Erft bei uns wird es Jahre dauern, bis aufgeräumt ist und Schäden beseitigt sind. Rund zwei Millionen Menschen sollen betroffen sein. Viele Ältere dort haben wahrscheinlich nicht die mentale und wirtschaftliche Kraft, selbst zu erleben, wie alles wieder hergestellt werden kann.
Alleine sind die Folgen in den osteuropäischen Ländern nicht zu bewältigen. Es hat nun einmal strukturell und wirtschaftlich schwach entwickelte Regionen getroffen. Selbst wenn die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zehn Milliarden Hilfe aus Brüssel zugesagt hat, reicht das längst nicht aus. Es ist gut, dass es dafür in der Union einen Fonds gibt, aus dem sofort gezahlt werden kann. Die Verteilung vor Ort ist dann der zweite Teil. Hoffentlich gelingt es, dass dort die Hilfe an die Richtigen geht. Die Schäden in der Natur, auf den Feldern und in den Wäldern werden in der Gesamtbetrachtung eher an den Rand gedrückt. Es wird kaum zu beschreiben sein, in welcher Dimension auch Wildtiere betroffen sind.
Weichenstellung zur Bundestagswahl in der Union
Wechseln wir in den politischen Alltag bei uns. Geplant waren die Krönungsmessen zum Kanzlerkandidaten von CDU und CSU für kommenden Montag mit den getrennten und gleichzeitig terminierten Präsidiumstagungen – unmittelbar nach der dritten Ost-Landtagswahl. Es gab drei Namen, die als mögliche Bewerber und Herausforderer von Olaf Scholz (bleibt er das wirklich?) monatelang gehandelt wurden. Noch am letzten Sonntagabend hielt sich Hendrik Wüst diszipliniert und blieb in einem TV-Gespräch im Ungefähren und sagte nichts. Am Montag dann ließ er die Katze aus dem Sack und machte den Weg frei für Friedrich Merz. Am Dienstag unternahm er mit seinem Kabinett einen Ausflug nach Kiel und holte dort Daniel Günther mit ins Boot. Und Markus Söder war düpiert. Dieser hatte sich zuvor in Festzelten, vor Kameras und Mikrofonen und mit neuem Bart in Stellung gehalten. Auf Instagram gab es viel Zustimmung für sein Urlaubsmitbringsel im Gesicht. In der Schwesterpartei kam dagegen keine Neigung auf, ihn aufs Schild zu heben. Die vorzeitige Klärung kam doch wohl gezielt aus Nordrhein-Westfalen, dem stärksten Landesverband, dessen Chef Wüst und Nachfolger von Armin Laschet ist. Da war doch mal was vor vier Jahren…
Nun sind also die Fronten klar. Friedrich Merz tritt an und bleibt bei seiner „heutigen Sicht“, dass Schwarz-Grün im Bund keine Option ist. Da ist er sich übrigens einig mit dem CSU-Chef. Er hat sich (wie auch Söder) gegen die Grünen eingeschossen. Dagegen werden Wüst und Günther nicht müde zu betonen, dass das in Berlin ungeliebte Bündnis in ihren Ländern sehr wohl funktioniere.
Das passt zur verbreiteten Stimmung in den ländlichen Regionen. Nicht erst seit den Bauern-Protesten kommt weiter zunehmend Groll gegen grüne Regierungspolitik auf. Waldgesetznovellen voller Auflagen und gegen Eigentumsrechte, Jagdgesetze von sogenannten Tierrechten her formuliert, Gewässer-Debatten mit Schuldzuweisungen gegenüber Landwirten, geradezu an den Pranger gestellte Masttierhalter und zunehmend mit bürokratischen Auflagen überzogene Agrarbetriebe haben eine antigrüne Stimmungslage auf dem Lande wachsen lassen. Dazu kommt der untaugliche Versuch, Probleme der inneren Sicherheit über die Waffengesetzgebung zu lösen. Dies in Summe hat schon politische Relevanz.
Die Grünen kommen zunehmend in die Defensive. Das zeigen die Zahlen der jüngsten Wahlen. Und das wird morgen in Brandenburg kaum anders werden als jüngst regelmäßig in der Demoskopie abgebildet. Habeck, Özdemir & Co. sind auf dem Weg in die Einstelligkeit. Nach dem neuen ZDF-Politbarometer Extra zu Brandenburg droht dort morgen sogar der Sturz unter fünf Prozent. Das muss ja Gründe haben.
Weit weg von der Ampel
Am Ende werden die Themen einer Politik für und nicht gegen den ländlichen Raum auch im Vorfeld der Bundestagswahl an Bedeutung gewinnen. In Brandenburg konzentriert sich der Wahlkampf-Endspurt auf ländlich geprägte Regionen wie zum Beispiel Oberspreewald-Lausitz, die Uckermark, Prignitz oder Elbe-Elster. Diese Landstriche kennen viele nicht, aber die Probleme werden bundesweit gerade durch die Fülle der Medienberichte präsent – trotzdem ist in vielen Köpfen alles weit weg. Wenig bekannt ist, wie sehr bisher in diesem traditionellen SPD-Land mit den bisherigen Ministerpräsidenten Stolpe, Platzeck und Woidke die Sozialdemokraten auch in der Landwirtschaft verortet waren – und zum Teil noch sind. Es muss ja einen Grund haben, warum Dietmar Woidke für seine SPD alles auf eine Karte setzt. Und das in sichtbarer Distanz zur Ampel und seinem Parteifreund Scholz.
Das Ergebnis am Sonntagabend wird über Thüringen und Sachsen hinaus bundespolitische Auswirkungen haben. In Folge wird die Frage beantwortet, wie lange Scholz noch bei seiner Bemerkung bleiben kann „…ist mir recht, wenn Herr Merz der Kanzlerkandidat der Union ist“. Oder sagt seine eigene Partei, ob es ihr recht ist, dass der Kanzler auch Kanzlerkandidat der SPD bleibt? Im Übrigen werden auch in einem Jahr im Bund am Ende Prozent- und Mandatszahlen bestimmen, wer mit wem überhaupt koalieren kann. Vielleicht braucht Merz in der Union nach einem möglichen Wahlsieg dann seine Rivalen von gestern als schwarz-grüne Steigbügelhalter. Wüst und Günther jedenfalls werden ihren schwarz-grünen Kurs weiter pflegen.
Und Söder hat sich in erster Linie erst einmal um Bayern zu kümmern. Allerdings bleibt die Frage, wo er mit seiner bundespolitischen Bedeutungskraft bleibt. Die hat er jedenfalls systematisch bis zum zitierten Imagewandel aufgebaut. Und als CSU-Vorsitzender will er auch Player in Berlin bleiben – wie auch immer. SPD und Grüne lassen dabei südlich des Mains der CSU wieder mehr Luft, weil sie übrigens auch dort zunehmend unter Druck geraten. Ebenfalls spielt da der ländliche Raum eine entscheidende Rolle. In unserem Blog hatten wir darüber berichtet, dass sich unter den bayerischen Grünen über die Berliner Politik der eigenen Freunde mit ihren urbanen Denkansätzen insbesondere unter den Veteranen Frust breit macht, wenn sie unter anderem Habecks Heizungsgesetz erklären zu müssen. Der Miesbacher Grüne und Alt-Landrat Wolfgang Rzehak wurde so zitiert: „Es ist wichtig, dass wir Grünen auch für den ländlichen Raum in Bayern wählbar sind.“
Neue EU-Kommissarin und neue Wolfspolitik?
Bleiben wir kurz in Bayern und blicken nach Europa. Mein Kollege Jürgen Wermser hat am letzten Samstag in seinem Wochenkommentar über die Riesenaufregung um die eigentlich legale „Entnahme“ einer vermeintlichen „Problemwölfin“ auf der bayerischen Rhön berichtet, wo aber das falsche Tier erlegt worden war. Nun klagt die „Gesellschaft zum Schutz der Wölfe (GzSdW)“ gegen die Regierung von Oberfranken, die die Abschussgenehmigung erteilt hatte. Es geht wohl nicht um den Fehlabschuss, sondern die Nichtbeteiligung an der behördlichen Entscheidung. Das alles hilft aber zur Problemlösung nicht weiter. Vielleicht aber die in Brüssel mit der Parlamentszustimmung noch laufende Berufung der Kommissionsmitglieder. Das hat Ludwig Hintjens in dieser Woche in unserem Blog aufgegriffen. Er hat geschildert, dass mit den Personalentscheidungen von Ursula von der Leyen drei gute Nachrichten für die ländlichen Räume in Europa gibt. Künftig wird danach Jessika Roswall EU-Umweltkommissarin. Sie kommt aus Schweden und ist dann auch unter anderem für die Wolfspolitik zuständig. Mit Blick auf das schwedische Wolfsmanagement könnte sie somit betroffenen Weidetierhaltern, aber auch Revierinhabern Hoffnung geben, dass dieses Thema dann von Brüssel aus anders angefasst wird als bisher. Bei den Rissen in den Rotwildrevieren wird übrigens beobachtet, wie radikal Wölfe in den Nachwuchs eingreifen und auf Kälber gehen. Damit wachsen die ohnehin schon bestehenden Sorgen um die Zukunft der Rotwildbestände.
Hinweis auf zwei laufende Petitionen
Das passt zu einer der beiden laufenden Petitionen, auf die wir gern hinweisen. Sie beinhalten Themen, die wir in jüngster Zeit in Blogbeiträgen kritisch beleuchtet haben. Der Wildbiologe Frank Zabel wendet sich gegen die immer weiter um sich greifende Zerschneidung von Wildlebensräumen. Seine Petition fordert „die sofortige Umsetzung der in §21 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) definierten Maßnahmen zur Herstellung eines länderübergreifenden Biotopverbunds, den Schutz der für den Biotopverbund erforderlichen Flächen und die Vernetzung bereits getrennter Biotope“. Knapp 30.000 Unterzeichner haben sich dem bereits angeschlossen. Noch erfolgreicher ist übrigens die Petition des BZL – Bundesverbandes zivile Legalwaffen gegen die geplante Verschärfung des Waffenrechts. Mehr als 65.000 Menschen haben innerhalb von vier Tagen bereits per Unterschrift ihren Unmut darüber ausgedrückt, dass die Ampelfraktionen gesetzestreue Legalwaffenbesitzer drangsaliert statt Kriminelle sowie politische und religiöse Extremisten zu entwaffnen.
Gute Ideen braucht das Land
Ideen, ländliche Regionen wieder mehr ins Bewusstsein zu rücken, gibt es zuhauf. Sie müssen nur gepflegt werden und neue Impulse erhalten. Bei uns wird immer wieder über Initiativen nachgedacht. Und darüber, Wettbewerbe wie „Unser Dorf soll schöner werden“ oder „Unser Dorf hat Zukunft“ der Zeit anzupassen. Was aber machen, wenn sich die Dörfer leeren? Oder wo sollen Jagdgesellschaften sich zu ihren traditionellen Schüsseltreiben treffen, nachdem sie jahrzehntelang diesen Teil des Brauchtums in ihrem Dorfgasthof gepflegt haben? Bei allen Versuchen, ländliche Regionen zu beleben, geht es um mehr. Beispiel könnte eine britische Initiative sein. Sie schreibt so etwas wie „ländliche Oscars“ aus, zu denen aufgerufen wird, Ideen und Aktivitäten zu nominieren, die ein ländliches Gebiet „zum blühenden, dynamischen Ort zum Leben und Arbeiten machen“. Also nicht nur das gepflegte schöne Dorf, sondern der vitale Raum mit wirtschaftlichen Chancen.
Als weiteres Beispiel des Gegenteils bei uns habe ich in dieser Woche gelesen: „Nach 334 Jahren gibt wieder eine kleine Brauerei im Süden auf.“ Schlössle-Bier aus Neu-Ulm wird ab Ende des Jahres nicht mehr produziert. Das reiht sich in eine Entwicklung ein, die uns Sorgen machen muss und weiter zum Niedergang kleinteiliger Wirtschaftsstrukturen führt.
So wünsche ich dennoch auch im Namen unserer Autoren ein sonniges Spätsommerwochenende – vielleicht für einige unserer Leserinnen und Leser mit dem Erlebnis der Rotwildbrunft.
Ihr
Jost Springensguth
Redaktionsleitung / Koordination
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