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Gemüseanbau in Gefahr?

  • Autorenbild: Wolfgang Kleideiter
    Wolfgang Kleideiter
  • 10. Juni
  • 2 Min. Lesezeit

Die Schilf-Glasflügelzikade überträgt zunehmend ein schädigendes Bakterium auf Zuckerrüben, Kartoffeln, Karotten, Rote Beete und andere Pflanzen. Anbauverbände und Wirtschaft sehen die Versorgung mit heimischen Nahrungsmitteln bedroht


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Foto: Michael F. Schönitzer, Pentastiridius leporinus, CC BY-SA 4.0
Foto: Michael F. Schönitzer, Pentastiridius leporinus, CC BY-SA 4.0

Kartoffelknollen sehen aus wie zerdrückte Gummibälle, Karotten sind missgebildet, Rüben enthalten bis zu 40 Prozent weniger Zucker. Die Schilf-Glasflügelzikade, die sich immer weiter nördlich auf Ackerbau- und Gemüseflächen in Deutschland ausbreitet, schädigt inzwischen massiv die Kulturen


Parallel zu zahlreichen laufenden Forschungsprojekten reagiert das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat aktuell bereits mit sogenannten Notfallzulassungen für Pflanzenschutzmittel. Für einen Zeitraum von 120 Tagen können mehrere regulär zugelassene Produkte in betroffenen Gebieten jetzt auch kontrolliert gegen die Zikade eingesetzt werden. Für drei der Mittel muss ein amtlicher Warndienstaufruf erfolgen. Verwendet werden dürfen sie nur nach einem genau festgelegten Verfahren.


Eine Dauerlösung ist dies nicht, sind sich Landwirte und Experten einig. Doch bisher weiß niemand, wie nachhaltig verhindert werden kann, dass Pflanzen nach dem „Besuch“ der Zikade an SBR (Syndrome-Basses-Richesses) oder der von den Folgen ebenso schweren Stolbur erkranken.


Begünstigt durch Klimawandel und trockene Sommer


Zum ersten Mal festgestellt wurde SBR (Bakterienbefall der Zuckerrübe) 1991 im französischen Burgund. 2007 gab es in Heilbronn den ersten Fall. Seitdem wandert die Schilf-Glasflügelzikade, offenbar begünstigt durch Klimawandel und trockene Sommer, immer weiter nach Norden und überträgt die Krankheit auf regionales Gemüse. Für den Menschen ist der Befall gesundheitlich ungefährlich, doch auf dem Wochenmarkt lässt sich ein so geschädigtes Gemüse kaum absetzen. Das Fatale: Die Zikade sucht sich stets neue Wirte. Das Bakterium wurde in der vergangenen Zeit an immer wieder anderen Gemüsesorten festgestellt.


Auch bei einer industriellen Weiterverarbeitung gibt es Probleme. Bei Roter Bete zum Beispiel herrscht nach jüngsten Berichten bereits ein deutlicher Mangel an gesunder Ware. Durch die Krankheit verschlechtert sich der Geschmack, die Lagerfähigkeit wird geringer. Bei der Kartoffel weiß niemand, wie die in Deutschland erzeugten Kartoffeln bei der Herstellung werthaltiger Lebensmittel ersetzt werden könnten.


Existenzgefährdungen für Erzeuger und Verarbeiter


Dr. Christian Lang, Geschäftsführer des Verbandes der Hessisch-Pfälzischen Zuckerrübenanbauer, sieht viele kleine Erzeuger und Verarbeiter von regionalem Gemüse durch die Schilf-Glasflügelzikade in ihrer Existenz gefährdet. Die Konsequenzen seien bisher kaum überschaubar, da sowohl Zuckerrüben als auch Kartoffeln, Rote Bete und Karotten oftmals in den gleichen Betrieben und auf den gleichen Flächen in der Fruchtfolge wüchsen und oft nur durch Wintergetreide unterbrochen würden. Doch gerade der Weizen dient den Nymphen der Zikade im Boden als Nahrungspflanze. Helfen könnten vegetationsfrei gehaltene Schwarzbrachen. Der lange Flugzeitraum des Insekts, das von Ende Mai bis Anfang September ausschwirrt, erschwert eine Bekämpfung mit Insektiziden.


In den Ministerien steht das Thema inzwischen oben auf der Tagesordnung. Auch die Agrarministerkonferenz hat sich schon mit der Zikade befasst. Peter Hauk (CDU), Minister für Ernährung, ländlichen Raum und Verbraucherschutz in Baden-Württemberg, hält die wiederholten Notfallzulassungen von Pflanzenschutzmitteln nach EU-Recht für keine gute Lösung. Er plädiert für die reguläre Zulassung der Mittel, um eine Ausbreitung der Erkrankung zu verhindern. Auf viele Wirkstoffe könne man inzwischen leider nicht mehr zurückgreifen.


In der gut vernetzten Agrarforschung bemüht man sich länderübergreifend darum, der Rüben- und Kartoffelbranche zu helfen. So arbeiten Wissenschaftler daran, das Ausmaß der Schädigungen genau zu erfassen, Gegenmaßnahmen zu entwickeln und Sorten zu finden, die weniger anfällig gegenüber den Erregern sind. Die drohenden massiven Ertrags-, Qualitäts- und Lagerverluste sollen verhindert werden.

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