top of page

Kitzrettung ist eine gemeinsame Aufgabe

  • Autorenbild: Christoph Boll
    Christoph Boll
  • 1. Mai
  • 3 Min. Lesezeit

Frühjahrsmahd der Wiesen in der Brut- und Setzzeit vieler Wildtiere: Bundesweit werden jetzt viele Teams mit Drohnen und Infrarotkameras Rehkitze, Junghasen und Gelege von Vögeln vor Verstümmelung und dem Tod durch Mähwerke bewahren


Beitrag anhören (MP3-Audio)

Foto: Hans-Jürgen Kleinohl / pixelio.de
Foto: Hans-Jürgen Kleinohl / pixelio.de

Im Mai und Juni wird der Großteil des Rehnachwuchses geboren. Leider fällt dies mit der Zeit zusammen, in der die Landwirte ihre Wiesen mähen. Die Ricken nutzen diese Flächen aber vielfach als Kinderstube, in der sie ihre Kitze ablegen. Zeitnot, Gleichgültigkeit, Unwissenheit, aber auch Unfähigkeit und fehlende Absprachen zwischen Landwirten und Revierinhabern sind dann oft die Gründe dafür, dass das junge Wild durch den Kreiselmäher verstümmelt oder getötet wird.


Jäger haben das in der Vergangenheit zu verhindern versucht, indem sie die betroffenen Flächen kurz vor der Mahd verstänkert oder mit dem Anbringen von akustischen und visuellen Scheuchen wie Knistertüten oder Flatterbändern sowie akustischer Vergrämung das Wild fernzuhalten oder zu vertreiben. Im zeitigen Frühjahr aber sind die Jungtiere noch ohne Fluchtreflex. Sie bleiben trotz solcher Maßnahmen oft in ihren Verstecken liegen. Deshalb suchen Jäger obendrein die Wiesen mit firmen Hunden ab und bringen gefundenes Jungwild in Sicherheit.


Technischer Fortschritt als Segen


Inzwischen wird dies vielfach mit Drohnen und Wärmebildgeräten erledigt. Da ist der technische Fortschritt ein wirklicher Segen. Zu der Erkenntnis ist auch das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) gekommen. Es fördert in diesem Jahr erneut die Jungwildrettung während der Frühjahrsmahd mit 1,5 Millionen Euro. Anträge können bis zum 17. Juni gestellt werden. Antragsberechtigt sind Kreisjägerschaften und Vereine, die sich die Pflege und Förderung des Jagdwesens oder die Rettung von Wildtieren bei der Wiesenmahd (sogenannte Kitzrettungsvereine) zur Aufgabe gemacht haben.


Der Aufwand, den die durchschnittlich achtköpfigen Rettungsteam investieren, ist enorm. Das belegen Ergebnisse einer gemeinsamen Umfrage von Deutscher Wildtierrettung, Deutscher Wildtier Stiftung und Deutschem Jagdverband (DJV). Allein im Hauptmonat Mai engagierten sich die Helfer drei volle Arbeitswochen ehrenamtlich. Jedes Team fliegt dabei durchschnittlich 4,5 Quadratkilometer Grünland mit der Drohne ab. Es besteht in der Regel zu zwei Dritteln aus Jägern und einem Drittel aus Landwirten. Gerettet werden neben Rehkitzen und Junghasen auch Eier und Küken von Fasanen, Rebhühnern sowie Rohr- und Wiesenweihen.


Jagdgegner mit widersinnigen Vorwürfen


Von Jagdgegnern wird die Kitzrettung immer wieder verächtlich gemacht mit der Behauptung, der Einsatz der Jäger sei schizophren, weil sie später die Rehe tot schießen. Solche Vorwürfe sind in doppelter Hinsicht widersinnig. Zum einen wird aus dem kleinen Kitz als erlegtem Reh ein wertvolles Lebensmittel. Unter diesem Gesichtspunkt verhält der Jäger sich wie jeder Viehhalter, der seine Tiere vor Krankheiten bewahrt. Zum anderen ist das Vermeiden von Verstümmelungen und dem Mähtod ein Gebot des Tierschutzes, der sogar im Grundgesetz als Staatsziel festgeschrieben ist.


Deshalb schreibt das einschlägige Gesetz den Flächenbewirtschaftern, also den Landwirten, vor, Maßnahmen zu ergreifen, wenn mit dem Tod oder der Verletzung von Wirbeltieren zu rechnen ist. Erfolgt dies nicht ausreichend, kann es durchaus zu Strafanzeigen und Gerichtsverfahren kommen. Außerdem haben auch Bauern als Inhaber des Jagdrechts eine Hegeverpflichtung. Denn die Schaffung und Bewahrung eines gesunden, artenreichen Wildbestandes ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb sind nach dem Verursacherprinzip auch in erster Linie der Landwirt und der Traktorfahrer für das Absuchen der zu mähenden Flächen zuständig. Der Jagdausübungsberechtigte, sprich der Revierpächter, aber hat eine Mitwirkungspflicht. Häufig genug wird ihm sogar die Gesamtverantwortung für die Jungwildrettung im Pachtvertrag auferlegt.


Auch Landwirte haben eine Hegepflicht


Auf ganz dünnes Eis aber begeben sich Jagdgenossen, wenn sie nicht auf eine gute Absprache mit den zuständigen Jägern setzen, sondern Außenstehenden die Jungwildrettung übertragen. Zwar sind Rehkitze süß und Maßnahmen zu ihrem Schutz lassen sich unter Tier- und Naturschutzmaßnahmen gut öffentlichkeitswirksam vermarkten. Das Nachstellen und gezielte Aufsuchen von Wild ist aber qua Definition Jagdausübung, sodass sich dann die Frage der Wilderei stellt.


Folgerichtig verweisen die Bundesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer (BAGJE), der Bundesverband Lohnunternehmen (BLU), der Bundesverband der Maschinenringe (BMR), der Deutsche Bauernverband (DBV) und der DJV darauf, dass effektiver Wildtierschutz bereits vor dem Mähen beginnt. „Entscheidend ist dabei, die anstehenden Termine für den Grünschnitt – für Silage oder Biomasseproduktion – rechtzeitig dem jeweiligen Jagdpächter mitzuteilen und die Mähweise dem Tierverhalten anzupassen“, so die Organisationen. Sie empfehlen generell, das Grünland möglichst von innen nach außen oder von einer Seite zur anderen zu mähen. Das ermögliche den Tieren, während der Mahd in die anliegenden Feldraine zu flüchten, ohne dabei den Schutz des hohen Grases verlassen zu müssen.


Zudem verweisen sie auf weitere Techniken, etwa an Schleppern und Mähwerken verbaute Infrarot-Sensortechnik mit Echtzeiterkennung, die zunehmend Eingang in die Praxis finden und ebenfalls ein Mittel der Wahl sein können. Die Organisationen sehen weiterhin einen hohen Bedarf für Forschungs- und Innovationsförderung zum Schutz von Wildtieren und fordern die zukünftige Bundesregierung auf, diesem eine hohe Priorität einzuräumen.

Comments


bottom of page