Löns und das Sakrileg der Heidewachtel-Zucht
- Christoph Boll

- 19. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Hermann Löns wird oft mit der Heidewachtel, deren korrekte Bezeichnung „Kleiner Münsterländer Vorstehhund“ ist, in Verbindung gebracht. Der Heidedichter hat zwar über diesen Jagdhund geschrieben, verdient gemacht hat sich aber der jüngere Bruder Edmund

Mal heißt er Spion, Spiönken, Magisterhündchen oder auch Pastorshund. Die Bezeichnung bezieht sich mal auf die Arbeitsweise des Hundes, mal auf den Beruf der Jäger, die sich Anfang des vergangenen Jahrhunderts gerne ein solches Tier hielten, darunter eben viele Lehrer und Geistliche. Als Edmund Löns 1922 sein Buch „Der Heidewachtel – Kleiner Münsterländer Vorstehhund oder Spion. Seine Geschichte, Abrichtung und Führung“ veröffentlicht, ist das ein frühes umfassendes Werk über diese Rasse. Fünf Jahre später, der in Osnabrück ins Leben gerufene „Verein für Kleine Münsterländer Vorstehhunde (Heidewachtel) V.K.M.“ ist gerade anderthalb Jahrzehnte alt, begeht dessen Mitbegründer und Vorstandsmitglied Löns stillschweigend ein Sakrileg gegen die Vorschriften der Reinzucht. In seinem Zwinger wölft „Kesselflickers Flora“ zwei Welpen – „Becass-Löns“ und „Bingo-Löns“. Sie werden die Stammväter der gesamten KLM-Braunschimmelzucht. Das Geheimnis ihrer Abstammung hat Elisabeth Brand-Böhmer, Jagdelevin und Nachlassverwalterin von Edmund Löns, erst im Jahr 2007 in einem Anhang zur zweiten Auflage des Heidewachtel-Buches gelüftet.
„Mit der Größe steigt nicht die Leistung“
Löns dürfte schon aus seiner Kindheit und Jugend in Münster Nachfahren jener mit hoher Nase suchenden und stöbernden langhaarigen Vogelhunde gekannt haben, die später auch als „Wachtelhunde“ bezeichnet wurden. Doch sterben diese kleinen Vierläufer gegen Ende des 19. Jahrhunderts fast aus, weil die Jäger größere und kräftigere Hunde fordern. Eine Diskussion, die auch später bei den Kleinen Münsterländern auflodert und in der Löns sich mit dem Hinweis „Mit der Größe steigt nicht die Leistung“ entschieden für die Bewahrung des kleinen Schlages eingesetzt hat. Diese Äußerung verrät, dass der Förster und Jagdaufseher vorrangig Praktiker ist und Hunde in erster Linie nach ihrer jagdlichen Brauchbarkeit beurteilt.
Das belegt auch seine Charakterisierung der Heidewachtel: „Er ist der Hund des Suchjägers, er findet schnell und sicher, sucht in mäßig schnellem Galopp in kurzer Entfernung vor dem Jäger gründlich jede Deckung ab, ohne jemals aus der Hand zu gehen. Mit dem hübschen Spiel der Fahnenrute gewährt er einen ganz reizenden Anblick. Da zieht er an, zieht nach, wird auffällig still und steht in wunderbarer Pose das Wild vor. Wer im Münsterland gejagt hat, im Lande der dornigen Wallhecken, des zerrissenen Geländes und der vielen Büsche und Heiden mit ihren Wirrnissen, der wird begreifen, dass ein todsicheres Verlorenapportieren hier die wichtigste Eigenschaft des Hundes ist, die der Spion in hervorragender Weise besitzt. Das geschossene Wild wird schnell mit festem Griff gefasst und herbeigeholt. Die Spursicherheit ist bewundernswert. Totverbeller sind sehr häufig, fast alle verweisen. Die meisten apportieren selbst schwere Hasen, denn sie haben eine stark entwickelte Nackenmuskulatur.“
Orientierung am Leistungsprinzip
Bereits für diese kleinen Vorsteh- und Stöberhunde wird immer wieder die frühe Einkreuzung von Epagneul Breton vermutet. Seit Elisabeth Brand-Böhmer im vergangenen Jahr das Zuchtgeheimnis gelüftet hat, ist die Querverbindung der gesamten Kleinen Münsterländer Braunschimmelzucht zu dieser französischen Rasse nun belegt. Danach erschien Anfang der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein Lumpensammler (Kesselflicker) aus Holland an Löns` Tür. Mit einem Strick hat er eine kleine Hündin von Braunschimmelfarbe an seinen Karren gebunden, in der Löns sofort den Epagneul Breton erkennt und das Tier kaufen will. Der Lumpensammler aber will es um keinen Preis abgeben. Löns sieht den vermuteten Wert des Tieres bestätigt, als er die beiden heimlich beobachtet. „Die Hündin saß auf dem Karren, sprang plötzlich herunter, zog mit hoher Nase weit an, um dann bombenfest vorzustehen. Dann wurde ihr ‚Herr‘ mobil, zog seine Flinte unter seinem Kram hervor und schoß.“ Mit aller Macht will nun Löns den Hund haben. Dies gelingt ihm letztlich mit Hilfe eines Wilddiebes, den Löns einmal erwischt hat und der ihm noch einen Gefallen schuldet. Wie genau der des Hundes habhaft wird, ist unklar. Auf jeden Fall wird die Hündin künftig „Kesselflickers Flora“ genannt und wölft 1927 „Becass-Löns“ und „Bingo-Löns“.
Dass das nicht abgesprochene Einbringen von „Kesselflickers Flora“ in die Münsterländer-Zucht unzulässig ist, weiß auch Löns. Es ist ihm aber relativ egal. Um den leistungsmäßig durchschlagenden Zuchterfolg zu erklären und nicht zu gefährden, spricht Löns von „Mutation“ und zieht sich auf falsche Abstammungsangaben zurück. Schon bald sickert durch, dass mit den Lönsschen Hunden „etwas nicht stimmt“, was ihm zeitlebens ausgesprochen oder auch unterschwellig den Vorwurf einbringt, ein Lump, Lügner und Betrüger zu sein. Als der Verband sich weigert, die Braunschimmel ins Zuchtbuch einzutragen, gründet Löns den Deutschen Heidewachtelclub. Bernd-Dieter Jesinghausen, früherer Präsident des Verbandes für Kleine Münsterländer Vorstehhunde, formuliert in seinem Grußwort zur Neuauflage des Löns-Buches diplomatisch, dass der Autor „im Wesen wohl nicht immer so umgänglich gewesen ist wie seine Heidewachtel“.
Ein streitbarer Geist

Dass Löns zumindest ein streitbarer Geselle ist, für den es noch lange nicht dasselbe ist, wenn zwei das gleiche tun, zeigt sich 1947. Nachdem es im Dritten Reich zur Vereinigung beider Verbände gekommen ist, folgt wieder Streit und die Neubelebung des Wachtelclubs, für den in der Folge Elisabeth Brand-Böhmer das Zuchtbuch führt. Auslöser sind wieder Zuchtfragen, aber auch Löns´ ganz persönliche Verärgerung. Er empört sich, dass Hunde ohne Abstammungsnachweis in einen Registerband zum Zuchtbuch eingetragen und zur Zucht zugelassen werden. Als er selbst einen Wurf anmeldet, konfrontiert Zuchtbuchführer Fleddermann ihn mit einer immens hohen Geldforderung. Der Beschwerde beim Vorstand folgen die Erkenntnis, dass der Verband gar nicht ins Vereinsregister eingetragen ist, und der Bescheid, dass der Zuchtbuchführer die Eintragungsgebühren, die ihm als Aufwandsentschädigung zustehen, nach eigenem Ermessen festsetzen kann. Löns sieht darin einen Freibrief, in die eigene Tasche zu wirtschaften, und tituliert den Zuchtbuchführer als „Fleddermensch“, was ihm eine gerichtliche Auseinandersetzung einbringt. Schließlich heißt fleddern nichts anderes als einen Wehrlosen seines Hab und Gutes zu berauben. Erst 1961, drei Jahre vor Löns Tod, kommt es zur endgültigen Vereinigung beider Verbände.
Elisabeth Brand-Böhmer hingegen charakterisiert Löns gleichwohl als zwar in der Sache harten, gleichwohl menschenfreundlichen Typen, der im westfälischen Mettingen als Förster der Familie Brenninkmeyer zurückgezogen lebt, plattdeutsch spricht und mit der Landbevölkerung gut auskommt. Besonders Außenseiter unter den Kindern versteht er, an sich zu ziehen und ihnen die Natur zu erklären. Den meisten Mitbewohnern im Dorf aber bleibt er wohl stets fremd, ein Exot und Sonderling. Sein Händchen für Hunde aber ist unbestritten, schließlich heißt es schon zu Löns` Lebzeiten im Ort: „ He küert met sine Rüens at met Mensken, und se verstoaht ehm.“ (Er spricht mit seinen Hunden wie mit Menschen, und sie verstehen ihn.)
Hundeverstand führt ins Königshaus
Seinen Hundeverstand bewies Löns vielfältig. So soll er als Kind Foxterrier gehabt und später neben den KLM zeitweilig auch einen anderen langhaarigen Hundeschlag gehabt sowie Hirtenhunde gezüchtet haben. Wirklich erfolgreich aber war er neben der Zucht der Heidewachtel auch mit seinen roten Kurzhaar-Teckeln. Das hat laut Elisabeth Brand-Böhmer dazu geführt, dass es eines Tages zu einem Telefonat kam, in dem sich der Anrufer als Prinz Heinrich der Niederlande vorstellte. Er wolle einen Teckel aus der Löns-Zucht kaufen, aber stubenrein müsse der Hund schon sein. Als beide Seiten sich einig geworden waren, bat Löns den Anrufer, ihm doch nun zu sagen, wer er sei. Nach der erneuten Vorstellung als „Prinz Heinrich der Niederlande“, fühlte er sich zunächst auf den Arm genommen und war erst nach einiger Zeit davon zu überzeugen, dass er wirklich einen Hund ins holländische Königshaus bringen solle.
Mit dem jungen Tier im Rucksack trat er wenig später die Bahnreise an. Schon das äußere Erscheinungsbild des Forstmannes habe am niederländischen Hof befremdlich gewirkt. Wirklich die Nase gerümpft aber hätten seine Gastgeber, so Elisabeth Brand-Böhmer, als der junge Hund, gerade dem Rucksack entnommen, nach der langen Reise und vor lauter Aufregung als erstes auf den echten Perserteppichen sein Geschäft verrichtet habe und damit hinter die gewünschte Stubenreinheit ein großes Fragezeichen setzte.






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