Unsicherheit und Enttäuschung in der Nutztierhaltung wachsen
- Wolfgang Kleideiter
- 23. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Jochen Borchert hat große Zweifel daran, dass die schwarz-rote Bundesregierung mit der Umstellung der Nutztierhaltung beginnen wird. Man kümmere sich zurzeit um andere Dinge und verdränge dabei die großen Risiken für die Betriebe

„Wir stellen die notwendigen Mittel für den tierwohlgerechten Stallbau auf Grundlage staatlicher Verträge dauerhaft bereit“, heißt es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Getroffen wurde die Vereinbarung im Mai. Vier Monate später rätselt man im Land darüber, ob diese ohnehin vage Aussage im Abschnitt „Ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung, Umwelt“ überhaupt einen harten Kern hat. Bisher sind weder Haltungsformen genau definiert noch die Mittel für die laufenden Produktionskosten bereitgestellt. Von den aus Expertensicht erforderlichen Verträgen zwischen den Landwirten und dem Staat ganz zu schweigen.
Da Landwirtschaftsminister Alois Rainer vor wenigen Tagen sogar angekündigt hat, dass er das Bundesprogramm für den Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung (BUT) 2026 vorzeitig auslaufen lassen wird, weil es eine zu geringe Nachfrage gebe, ist die Unruhe groß. Der CSU-Minister, der sich beim Deutschen Bauerntag im Juni noch „zu Gast bei Freunden“ wähnte, wurde passend zur Lage vom Deutschen Bauernverband jetzt mit einem zehn Punkte umfassenden Forderungskatalog konfrontiert. Auch „Tierwohl“ und „Stallumbau“ kommen im Brandbrief zur Sprache. „Wir haben keine Zeit zu verlieren“, stellt DBV-Präsident Joachim Rukwied mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft fest.
Ex-Agrarminister Jochen Borchert, mehrere Jahre Vorsitzender des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, blickt mit Sorge auf die jüngsten Entwicklungen. Ganz abgesehen davon, dass das Agrarministerium bis heute keinen Kontakt zum erfahrenen Politiker oder auch zu anderen Fachleuten von außen aufgenommen hat, glaubt Borchert in puncto Tierwohl und Stallumbau nicht mehr an einen Fortschritt in dieser Legislaturperiode.
Das politische Dilemma hat auch eine juristische Seite
„Dies birgt große Risiken für die nutztierhaltenden Betriebe“, warnt Borchert im Gespräch mit unserem Blog und spricht konkret die juristische Seite des Dilemmas an. Nach den früheren Urteilen zur Sauenhaltung oder zum Kükentöten muss laut Borchert nämlich damit gerechnet werden, dass sich das Bundesverwaltungsgericht über kurz oder lang aufgrund von Klagen auch mit den Haltungsformen befassen wird. Dann sind absehbar die Regierung und die Landwirtschaft zum schnellen Handeln aufgefordert. „Ich weiß nicht, wie der Staat dies dann regeln will“, fragt sich der langjährige CDU-Politiker.
„Die Unsicherheit wird dazu führen, dass sich der Strukturwandel in der Nutztierhaltung eher beschleunigt“, befürchtet der frühere Minister. Viele Betriebe, die aus verschiedenen Gründen mit dem tierwohlgerechten Stallumbau gezögert hätten, würden nach Rainers Ankündigung zum BUT-Programm ihre Pläne zur Seite legen. Hinzu komme, dass die in den Koalitionsgesprächen genannten 1,5 Milliarden Euro für die Landwirtschaft wohl nicht fließen werden. „Es besteht die Gefahr, dass die Betriebe ganz aussteigen“, so Borchert. Mit den entsprechenden Folgen für den Landwirtschaftsstandort Deutschland. „Wer investiert Millionen, ohne zu wissen, ob die laufenden Kosten weiterbezahlt werden.“
Verbraucher: Mehr Tierschutz und wenig Bereitschaft zu höheren Preisen
Die Förderung des Baus tiergerechterer Schweineställe soll in Zukunft über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ (GAK) erfolgen. Konzentrieren will man sich nach jüngsten Aussagen aus dem Agrarministerium auf die Investitionen und weniger auf die laufenden Kosten. „Am Markt sind die Kosten aber nicht umzusetzen“, weiß Jochen Borchert. Die Nachfrage nach Produkten aus höheren Haltungsstufen steige nur sehr langsam. Der Verbraucher fordere mehr Tierschutz, sei aber nicht bereit, dafür einen höheren Preis zu zahlen. Jochen Borchert sieht keine Alternative zu einer verlässlichen staatlichen Kostenübernahme.
Und noch ein Aspekt kommt hinzu. Aus Sicht des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes (WLV) lässt das Mitspracherecht der Bundesländer bei der GAK uneinheitliche Vorgaben bei der Umsetzung der Förderung des Stallumbaus erwarten. „Die Kriteriengestaltung zur Vergabe der Förderung ist bislang völlig ungewiss und verzögert den Umbau unnötig weiter. Von Planungssicherheit fehlt dabei jede Spur“, kritisiert Hubertus Beringmeier, Präsident des WLV. Er drängt darauf, dass die zugesicherte Milliarde aus dem bisherigen Fördertopf den Tierhaltern weiter uneingeschränkt zur Verfügung gestellt werden muss. DBV-Präsident Joachim Rukwied spricht von einem „herben Rückschlag für unsere Tierhalter“.
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