Kretschmanns Erbe oder ein Mann gegen den Trend?
- Wolfgang Molitor
- vor 2 Tagen
- 2 Min. Lesezeit
Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2026: Der grüne Spitzenkandidat Cem Özdemir will Brücken bauen – aber selbst für Joschka Fischer grenzt ein Sieg an ein Wunder

Joschka Fischer redet nicht um den grünen Brei herum. „Die Verteidigung der grünen Ministerpräsidentschaft in Stuttgart wird schwer, sehr schwer“, schreibt der frühere Bundesaußenminister in seinem Vorwort zu einer Wahlhilfe-Biografie, die die Autoren Rolf Henkel und Johanna Henkel-Waidhofer jetzt vorgelegt haben. Fischer mag später nachschieben, wenn es dennoch einem gelinge, „dann Cem“. Doch der bald 60-Jährige, der in der Staatskanzlei das Erbe des nicht mehr kandidierenden grünen Kult-Konservativen Winfried Kretschmann antreten will, weiß selbst am besten, dass seine Chancen gut vier Monate vor der Wahl besser stehen könnten.
Sicher: Sein Bekanntheitswert im Land liegt nahe an der 100-Prozent-Marke. Sein CDU-Konkurrent Manuel Hagel ist schon froh, wenn ihn gut ein Drittel der Menschen in Baden-Württemberg kennen. Doch die Zahlen, die letztlich über Sieg oder Niederlage entscheiden, lassen vermuten, dass es für Özdemir, den dialektsicheren „anatolischen Schwaben“, am 8. März nicht zum Sieg reichen dürfte. Die wiederbelebte CDU liegt ziemlich stabil um die 30 Prozent, die kretschmannlosen Grünen zehn Prozent dahinter. Schlimmer noch: Zwischen Schwarze und Grüne hat sich die AfD auf den Umfrage-Platz 2 geschoben.
Özdemirs Inszenierung: Ein Mann des Kompromisses
Ein Mann gegen den Trend: So präsentiert sich Özdemir. Weit genug weg von den Grünen, um das bürgerlich-konservative Wählerlager, das Kretschmann so genial umgarnen konnte, nicht völlig abzuschrecken. Sein Programm steht im Klappentext: „Mein Spezialgebiet ist das Brückenbauen zwischen unterschiedlichen Positionen und der Versuch, Lösungen mit Maß und Mitte zu finden. Ich will es mal so sagen: Wer mit mir keinen Kompromiss finden kann, will keinen.“
Doch Manuel Hagel, nicht nur wegen seiner 37 Jahre um viele politische Erfahrungen, raffinierte Tricks und aufrüttelnde Reden ärmer als der weltläufige Özdemir, will sich davon nicht einlullen lassen. Dass es ihm nach der Wahl lieber wäre, mit SPD und FDP eine Deutschland-Koalition zu bilden, ist kein Geheimnis. Doch eine in allen Umfragen um die zwölf Prozent dümpelnde Landes-SPD und eine sich sicher, wenn auch knapp über fünf Prozent wähnende FDP dürften am Ende nicht zum neuen Bündnis reichen. Zumal die Linkspartei zum ersten Mal mit dem Einzug in den Stuttgarter Landtag rechnen kann.
Cem, der Brückenbauer. Die Buch-Autoren führen nicht zuletzt Özdemirs Rolle als Bundeslandwirtschaftsminister während der großen Bauernproteste im Frühjahr 2024 an, als er sich mehr als ein Mal mutig zum Teil sehr aufgebrachten Demonstranten zum Disput stellte und nicht ohne positive Wirkung blieb. Aber Özdemir ist eben kein Kretschmann, mag er sich noch so ökoüberparteilich und ehrlich wirtschaftsaffin zeigen. Und laut feststellen, dass es für die Grünen die größte Gefahr sei, „wenn wir nach links abdriften“. „Meine Turmfrauen finden ihn gut, trotzdem werden sie Cem nicht wählen“, zitieren die Autoren eine auf dem Land lebende Grüne. So ist das wohl. Selbst in den Großstädten wie der Landeshauptstadt Stuttgart bröckelt das einst so stabile grüne Fundament.
Auch Manuel Hagel wird Anfang des kommenden Jahres auf den Büchertischen präsent sein. Dann soll ein Band zum 75-jährigen Jubiläum der Landes-CDU erscheinen, ein Jahr zu früh zwar, aber rechtzeitig vor der Wahl. Hagel wird dazu das Vorwort schreiben. Für eine eigene Biografie reicht es eben noch nicht.






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