Erste Duftmarken der SPD in der Regierungsarbeit
- Frank Polke
- vor 22 Stunden
- 4 Min. Lesezeit
Welche Rolle spielen die Themen des ländlichen Raumes im Einflussbereich des Koalitionspartners SPD? Bisher sind nur wenig Duftmarken gesetzt. Lars Klingbeil konzentriert sich erst einmal auf seine Rolle. Erste Eindrücke

Im Berliner Regierungsviertel wird derzeit viel geredet, werden Gerüchte herumgereicht und manchmal wird auch bösartiger Spott verbreitet, wenn es um die Rolle der SPD geht. Bis auf den Ausflug des neuen Umweltministers Carsten Schneider zum Niedrigwasser führenden Rhein bei Bonn und damit zum Thema Trockenheit zeichnen sich bisher wenig Konturen zur Regierungsarbeit des kleineren Koalitionspartners SPD ab. Für den ländlichen Raum allemal. Beobachter und Medien der Bundespressekonferenz konzentrieren sich erst mal auf die Rolle von Lars Klingbeil, wie er sich im Finanzministerium aufstellt und auch in seiner Partei für die Zukunft einrichtet.
Für das Bundesministerium für Finanzen, nur einen Kilometer vom Kanzleramt und vom Bundestag entfernt, hat die Hauptstadtpresse einen neuen Namen erfunden: Nordkorea-Ministerium. Nicht gerade schmeichelhaft für die innere und fachliche Verfasstheit des Ministeriums, auch wenn über die Finanzen des kommunistischen Hardcorelandes Nordkorea wenig bis gar nichts bekannt ist. „Es geht auch nicht um die Finanzlage, sondern um die wahnsinnige Machtfülle des neuen Ministers“, erklärt ein Insider mit spöttischem Ton. Der neue Minister heißt Lars Klingbeil. Und der hat offensichtlich als SPD-Finanzminister eine Machtfülle angefüllt, die bisher weder seinen ehrwürdigen Vorgängern im Ministerium (Steinbrück, Schäuble, Eichel) noch den sehr vielen Vorgängern auf dem Posten des SPD-Chefs zugefallen war. Wobei zugefallen die falsche Beschreibung ist. Klingbeil hat sie sich erarbeitet. Gelernt hat er das Machtspiel bei keinem geringeren als dem Alt-Kanzler Gerhard Schröder, als dessen Büroleiter zwischen 2001 und 2003 Klingbeil vieles, wenn nicht alles gelernt hat.
Schröder als Lehrmeister
Mindestens genauso wichtig für Klingbeils frühe Karriere war und ist die Niedersachsen-Connection. Er baute Kontakte auf zu Garrelt Duin, zu Frank-Walter Steinmeier, zu Hubertus Heil. Irgendwann wurde Klingbeil Bezirksvorsitzender, sicherte sich ab 2009 auch ein Mandat für den Bundestag. Sein persönliches Netzwerk, unter anderem zum einstigen SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz und zu Steffen Meyer, bislang Leiter des Referats Strategisches Zentrum der SPD und jetzt stellvertretender Regierungssprecher, sicherte seine Macht. Vor acht Jahren der Wechsel von der Parteilinken zum Seeheimer Kreis.
Sein Meisterstück: Nach den für die SPD verheerend verlaufenden Wahlen 2021 und 2025 kletterte Klingbeil weiter nach oben. Bisherige Krönung: Klingbeil gelang es, allein die unbeliebte Saskia Esken für die Niederlage der SPD bei der letzten Bundestagswahl verantwortlich aussehen zu lassen. Während Esken mit dem Trostpflaster Ausschussvorsitz Bildung im Bundestag abgefunden wird, stieg Klingbeil zum SPD-Chef und Finanzminister auf.
Doch jetzt könnte die Luft dünn werden. Fachlich wird selbst der selbstbewusste Niedersachse nicht von sich behaupten, viel Ahnung von Finanzwissenschaft oder gar Finanzpolitik zu haben. Konsequenz: Auch wenn Klingbeil von einigen Fachleuten aus der Scholz-Zeit im Ministerium unterstützt wird, sind die Zweifel groß, ob Klingbeil dieser Aufgabe wirklich gewachsen ist. Dabei ist die Dimension groß: Auf seinem Schreibtisch liegt nicht nur die politische Verantwortung für die Verwaltung des 500-Milliarden-Sonderschuldentops für die Verteidigung und die Infrastruktur, sondern er verfügt auch über eine Vetomacht gegenüber den anderen Ministern im Kabinett. Das sichert einen Informationsvorsprung, sogar vor dem Bundeskanzler.
Doch Klingbeil, und genau dies zeichnet ihn aus, hat bereits im Verlauf der Koalitionsverhandlungen bewiesen, dass er sich schnell in Details und Fakten einarbeiten kann. Oder die richtigen Berater um sich hat, die ihn vorbereiten und auf deren Expertise er vertrauen kann und vertraut. Themen des ländlichen Raums werden hier weniger auf dem Radarschirm sein, werden wohl nur dann wieder bedeutsam, wenn sich das Auseinanderklaffen der Lebenswelten Stadt und ländlicher Raum in Wahlerfolge für die rechtsextreme AfD niederschlagen wird.
Flasbarth als Fachmann zurückgekehrt
Die SPD dürfte bei der Bearbeitung der Themen Umwelt- und Naturschutz auf den neuen Minister Carsten Schneider setzen. Der ehemalige Ostbeauftragte stammt aus Thüringen, gilt als pragmatisch, ist eng mit Klingbeil befreundet. Bei seiner ersten Reise an den Rhein sprach sich Schneider angesichts des Niedrigwassers im Mai für Renaturisierung von Flüssen und ihrer Umgebung aus. Er klang dabei wohltuend pragmatisch, anders als seine Vorgängerin Steffi Lemke von den Grünen. Doch fachlich ist der 49-Jährige bisher in den Bereichen Jagd und Natur wenig aufgefallen. Sorge bereitet die Tatsache, dass der langjährige Staatssekretär Jochen Flasbarth (62) ins Umweltministerium zurückkehrt ist und dort wohl einer der mächtigsten Berater von Schneider wird. Flasbarth gilt als Ideologe und war vor seiner Zeit in verschiedenen Ministerien Präsident des Umweltbundesamtes und des Naturschutzbundes. Andere SPD-Minister dürften in ihren Häusern wenig bis keine Berührungspunkte zu den Themen ländlicher Raum, Forstwirtschaft oder gar Jagd haben.
Burgfrieden in Gefahr
Doch zurück zu Klingbeil. Viele in der SPD beäugen mit Argusaugen die Machtfülle des neuen Vorsitzenden. Zwar hat er seinen Vertrauten Matthias Miersch – natürlich auch aus Niedersachsen – an die Spitze der Fraktion wählen lassen. Und er hat einen neuen, jungen Generalsekretär als Parteimanager berufen. Aber sowohl Tim Klüssendorf (33 Jahre alt) als auch Miersch gehören eindeutig dem linken Flügel der Partei an – genauso wie Bärbel Bas. Die ehemalige Bundestagspräsidentin und jetzige Arbeits- und Sozialministerin stammt aus Duisburg, hat ihre Karriere stets in engster Abstimmung mit den Gewerkschaften und den linken Parteikreisen in NRW gepflegt und gehegt. Ob das Trio Miersch, Klüssendorf und Bas dem neuen Vizekanzler und SPD-Chef auch in Krisenzeiten folgen wird, bleibt abzuwarten. Die erste Bewährungsprobe wird bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und vor allem in Baden-Württemberg kommen.
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