Mehr Sturm im Wasserglas als Riesenwelle
- Christoph Boll
- 13. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Grundsätzlich können Grundeigentümer aus der Jagdgenossenschaft ausscheiden und die Jagd auf ihren Flächen untersagen. Das löste die Angst vor einer Zersplitterung der Reviere aus. Eine Bestandsaufnahme zeigt: Das war unbegründet

Das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) sorgte für Aufsehen. Darin ging es um die Frage, ob der Eigentümer eines kleinen Grundstücks mit seiner Fläche aus der Jagdgenossenschaft ausschieden kann, wenn er die Jagd aufgrund ethischer Überzeugungen ablehnt. Klar hatte der EGMR zunächst entschieden, dass die deutsche Regelung ausgewogen und sachlich gerechtfertigt ist, auch wenn ein Jagdgegner damit die Jagd auf seinem Grundstück hinnehmen musste. Dagegen legte der Kläger erfolgreich Beschwerde ein. Das letztinstanzliche Urteil entschied am 26. Juni 2012, dass in diesem Fall eine Verletzung der Rechte des Grundstückseigentümers vorlag.
Der Deutsche Jagdverband (DJV) und andere kritisierten dies heftig. Aber der Gesetzgeber war letztlich gezwungen, das Bundesjagdgesetz anzupassen. Dies ist im Jahr 2013 schließlich geschehen. Dabei wurde darauf geachtet, nicht über das hinauszugehen, was der EGMR gefordert hat. Schon das war schließlich nach Ansicht der Bundesregierung, des DJV, der land- und forstwirtschaftlichen Verbände, der Grundeigentümer und Jagdgenossenschaftsverbände sowie zahlreicher Rechtswissenschaftler zu viel. Die neue Regelung (§ 6a des Bundesjagdgesetzes) ist am 6. Dezember 2013 in Kraft getreten. Passend zum Jagdjahr 2014/15 konnten damit in Deutschland erste Anträge auf Jagdbefriedung gestellt werden konnten.
Manche sahen damals das deutsche Reviersystem, zumindest aber die flächendeckende Bejagung, gefährdet. Doch gut ein Jahrzehnt später ist klar: Den befürchteten Flickenteppich in Revieren und eine daraus folgende Unverpachtbarkeit gibt es nicht – und es wird ihn auch in Zukunft wohl nicht geben, wenngleich Jagdgegner jeden neuen Antrag im weltweiten Web nahezu euphorisch feiern. „Und die Welle rollt“, frohlockte etwa das Magazin „Freiheit für die Tiere“ vor zehn Jahren. Ganz ähnlich die „Initiative zur Abschaffung der Jagd“, die auf ihrer Homepage unter der Überschrift „Zwangsbejagung ade“ nur wenige und seit April 2023 überhaupt keine erfolgreichen Befriedungen mehr aufführt.
Jeder einzelne Fall ist für den betroffenen Pächter ärgerlich. Aber die an Zahlen orientierte Bilanz offenbart statt einer Riesenwelle eher einen Sturm im Wasserglas. Ganz einfach ist das nicht, denn es werden weder bundes- noch landesweite Statistiken geführt, erst recht keine, die jederzeit auf dem aktuellen Stand ist. Klar aber ist, dass es mehr ein Thema ist in den westdeutschen als in den ostdeutschen Revieren.
Hohe Hürden für Befriedungen
Geschätzt dürften bundesweit etwa 0,1 Promille der jagdbaren Fläche aufgrund des EGMR-Urteils aus der Bejagung genommen worden sein und weniger als 1000 entsprechende Anträge gestellt worden sein, die aber bei weitem nicht alle erfolgreich waren. Dass es so gekommen ist, hat seine Ursache auch in den hohen Hürden, die der Gesetzgeber errichtet hat. Unabdingbar sind ethische Gründe, aus denen der Grundstückseigentümer die Jagd ablehnt. Und die sind bei weitem nicht immer erkennbar, selbst wenn sie behauptet werden. Das musste sich auch ein Mann vom Verwaltungsgericht Düsseldorf sagen lassen. Er hatte wie vorgeschrieben die „Befriedung“, von denen manche auch nur vorübergehend bewilligt werden, dezentral bei der Unteren Jagdbehörde beantragt und erfolglos gegen eine ablehnende Entscheidung geklagt. Wie jemand die Jagd ethisch ablehnt, wenn er gut 1,5 Jahre zuvor noch die Zulassung zur Jägerprüfung beantragt hat, blieb dem Gericht schleierhaft. Der Kläger hatte zwar später die Vorbereitung auf die Jägerprüfung abgebrochen, dies aber vor Gericht nicht plausibel erklärt.
Wie in diesem Fall kommt es immer mal wieder zu gerichtlichen Auseinandersetzungen oder Anträge werden zurückgenommen. Gelegentlich finden die Jagdgegner auch eine andere Lösung – wie ein Tierschützer aus dem Kreis Harburg, der seine Wiese einfach an eine Naturschutzbehörde verkauft haben soll. Oft genug steckt hinter der Jagdablehnung nämlich nur ein Nachbarschaftsstreit oder der Ärger über das Verhalten des Revierinhabers. Ein klärendes Wort führt dann vielleicht zu einer einvernehmlichen Lösung und Befriedung der Gemüter.
Manchmal schreckt auch einfach die Gebühr, die sich auf einen durchaus vierstelligen Eurobetrag belaufen kann und die die Behörden nach eigenem Ermessen anhand des Verwaltungsaufwandes festlegen. Besonders schlagzeilenträchtig und damit politisch heftig diskutiert waren die 68.000 Euro, die der Eigentümer von 35 Parzellen Privatwald an die Untere Jagdbehörde im saarländischen St. Wendel zahlen sollte. Daran gemessen lässt sich der mit dem Ausscheiden aus der Jagdgenossenschaft zwangsläufig verbundene Fortfall des Pachtgeldes leicht verschmerzen.
Übergeordnete Kriterien entscheidend
Aber selbst Zahlungsbereitschaft, die lautersten Motive und eine jahrelange vegane Ernährungsweise erfüllen nicht immer den Wunsch, Hörnerklang und Pulverdampf vom eigenen Grundstück zu verbannen. Denn die Erhaltung eines artenreichen und gesunden Wildbestandes sowie die Pflege und Sicherung seiner Lebensgrundlagen, der Schutz vor übermäßigen Wildschäden und Tierseuchen sowie Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege müssen sichergestellt bleiben – bezogen auf den gesamten jeweiligen Jagdbezirk. Anzuhören sind dazu die Jagdgenossenschaft, der Jagdpächter, die angrenzenden Grundeigentümer, der Jagdbeirat sowie die Träger öffentlicher Belange. Eine Befriedung soll außerdem erst mit Ende des laufenden Jagdpachtvertrages erfolgen. Im Ausnahmefall kann die Jagdgenossenschaft vom Antragsteller den Ersatz des Schadens verlangen, der ihr durch die vorzeitige Befriedung entsteht.
Manchem Jäger ist das Thema ein weiterer Beleg dafür, dass die Grünröcke am Ende immer die Dummen sind: Den emotionsgeladenen Tierschützern schießen sie zu viel, fanatischen Waldschützern zu wenig. Die Revierinhaber aber können in aller Regel gut damit umgehen, wenn vereinzelt fast immer nur wenige Hektar große Areale befriedet werden. Und für den Jagdgegner geht es nicht nur um Ethik und Geld, sondern auch um soziale Folgen. So ließ sich ein regional bekannter Comedian aus dem münsterländischen Ladbergen landesweit in den Medien feiern, als er als einer der Ersten einige Hektar befrieden ließ. Er beklagte aber auch öffentlich, niemand in der Genossenschaft habe am Ende mehr neben ihm sitzen wollen: „Viele haben mich angegiftet, mich gefragt, was ich mich denn so aufspielen würde.“ Nachahmer fand er vor Ort nicht. Das dürfte auch daran liegen, dass viele Flächenbesitzer jagende Bauern sind. Bei denen stößt jeder Akt der Entsolidarisierung auf wenig Gegenliebe.
Kommentare