Grüne, Mainstream-Medien und der ländliche Raum: Vorurteile auf dem Prüfstand
Der Versuch, Landwirte wegen ihrer Protestaktionen in die rechte Ecke zu drängen, scheitert krachend. Stattdessen wächst das Verständnis für die Sorgen der Menschen im ländlichen Raum. Zumal bei den Grünen ist der Grundsatzstreit um die zunehmende Großstadt-Orientierung offen ausgebrochen. Und sogar in manchen Talkshows kommen Bauern zu Wort, ohne verunglimpft zu werden.
Katrin Göring-Eckardt, die mal das gutbürgerliche Gesicht der Grünen war, hat im „Stern“ zur Besinnung aufgerufen: „Wir sollten sie viel stärker vom Land her denken“, sagt die Theologin und fordert „Maßnahmen, die gezielt den Menschen in den ländlichen Räumen etwas bringen“. Besseren öffentlichen Nahverkehr in der Fläche zum Beispiel. Und den Fortbestand der Klinik-Grundversorgung außerhalb der Ballungsräume.
In Bayern hat der Richtungsstreit bereits für einen Machtwechsel gesorgt: Nach der Landtagswahl, bei der die Grünen weit hinter ihren Erwartungen zurückgeblieben sind, musste der Politologe Thomas von Sarnowski aus der Münchner Speckgürtel-Gemeinde Ebersberg sein Amt als Landesvorsitzender für die Bio-Gärtnerin Gisela Sengl aus dem Chiemgau räumen. Auch die Co-Landesvorsitzende Eva Lettenbauer kommt aus der schwäbischen Provinz und ist bekennendes Dorfkind. Vorausgegangen waren den Wahlen laute Proteste aus der ländlichen Partei-Basis. Zum Beispiel gegen den kompromisslosen Schutz der nach Bayern zugewanderten Wölfe.
Mehr Bodenhaftung gefordert
Obwohl er mit Rücksicht auf die Kabinettsdisziplin vorsichtiger formuliert, gehört auch Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zu den offenen Kritikern der Großstadt-Orientierung. Zuletzt erkennbar am Widerstand gegen die Kürzungen bei Agrardiesel-Vergünstigung und Kraftfahrzeugsteuer-Befreiung für Landmaschinen. Dem Schwaben werden Ambitionen auf die Nachfolge des Stuttgarter Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann nachgesagt, der seine Grünen permanent mit der Forderung nach mehr Bodenhaftung nervt.
Anders als die SPD haben die Grünen im ländlichen Raum einiges zu verlieren. „Unsere Mitglieder kommen zu ähnlichen Teilen aus ländlichen Räumen und aus der Stadt. Das sollte sich auch in unserer Politik widerspiegeln“, zitiert der „Stern“ Katrin Göring-Eckardt. Bundesumweltministerin Steffi Lemke, ebenfalls dem Realo-Flügel der Grünen zugerechnet, warnt öffentlich vor Überforderung, zum Beispiel durch das Heizungsgesetz ihres Parteifreunds Robert Habeck. Der galt selbst schon mal als Hoffnungsträger für ländlich-bäuerliche Interessen, bevor er sein Herz für die Großindustrie entdeckte.
Während die Grabenkämpfe in der Berliner Ampelkoalition Fahrt aufnehmen, arbeitet das schwarz-grüne Regierungsbündnis in Habecks Heimat Schleswig-Holstein nahezu geräuschlos. Mit dem Nebeneffekt, dass die AfD-Zuwächse dort höchst bescheiden bleiben. Und die Grünen den Partner CDU nur selten mit urbanen Ambitionen nerven. Kiel und Flensburg sind halt nicht Berlin oder München.
Spannend, dass der Kulturkampf auch in den Mainstream-Medien angekommen ist. Nicht nur in den Regionalprogrammen überbieten sich die Rundfunkanstalten neuerdings mit Reportagen zur wahren Situation der bäuerlichen Landwirtschaft. Zu bedrohlich waren wohl die Zuschauer-Proteste gegen die anfänglich höchst einseitige Berichterstattung über Bauern, die in Geld und Subventionen schwimmen. Sogar Markus Lanz – immer den Finger im Zeitgeist-Wind – lässt einen hervorragend argumentierenden Landwirt lange Minuten ausreden.
Comentários