Der niedliche Bioladen um die Ecke, der kleine Schweinehof in malerischer Kulturlandschaft, auf dem drei Generationen fleißig arbeiten: eine Vorstellung, die gern in den Innenstädten von Berlin, Hamburg und Leipzig gepflegt wird. Oft nur noch eine Illusion. Denn das Höfesterben setzt sich dramatisch fort.
Die Bauernproteste gegen die geplanten Kürzungen beim Agrardiesel und der Kfz-Steuer haben die Öffentlichkeit vor drei Monaten aufgewühlt. Traktoren mit Landwirten, die aus allen Teilen der Bundesrepublik nach Berlin gefahren sind, Demonstrationen in den Städten, Gemeinden und Kreisen, zentrale Kundgebungen mit politischen Botschaften – die Bilder sind noch allen gegenwärtig. Es gab größtenteils Zustimmung in der Bevölkerung. Daumen hoch, auch wenn die Staus manchmal genervt haben.
„Erst stirbt der Bauern, dann stirbt das Land“ – dieser auf vielen Schildern gemalte Slogan setzte sich in Kopf und Herz der Öffentlichkeit fest. Und steigerte die Erkenntnis, dass Kartoffeln eben nicht im Supermarkt wachsen und die meisten Äpfel eben nicht aus dem Alten Land oder dem Allgäu stammen, sondern dass heimische Produkte gegen Konkurrenz aus Südtirol, Argentinien oder China bestehen müssen.
Und genau dieser harte Wettbewerb sorgt dafür, dass der Strukturwandel seit Jahrzehnten gerade den ländlichen Raum verändert hat. Vor allem jüngere Bauern fragen sich, ob sie angesichts des hohen Investitionsbedarfs, der teuren Auflagen und des sich verschärfenden Wettbewerbs im inländischen und ausländischen Markt noch eine Zukunft haben in ihrem Beruf, auf ihren Höfen. Heißt die Antwort nein, geht wieder ein Stück Lebensvielfalt zwischen der Uckermark, der Sächsischen Schweiz und dem Ostharz verloren.
Höfesterben geht ungebremst weiter
Besonders im Osten geht das Höfesterben aktuell ungebremst weiter. Eine These, die in der vergangenen Woche durch aktuelle Zahlen des Thüringer Landesamts für Statistik untermauert wurde. Allein in diesem Bundesland ist die Zahl der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen innerhalb von zwei Jahren von 18.200 um 2400 auf 15.800 zurückgegangen. Im Jahr 2000 gab es noch 26.000 Betriebe in Thüringen. Dabei geht es bei dem Verlust von Jobs in der Landwirtschaft – ähnlich in anderen östlichen Bundesländern zu beobachten – nicht in erster Linie um Saisonkräfte oder angestellte Mitarbeiter, sondern um hauptberufliche Landwirte, die den Hof mindestens seit 1990 betrieben haben. Gab es im Jahr 2022 in Thüringen noch 3.590 Betriebe, die in Familienbesitz standen, sank die Zahl um 350 auf 3.240 – so wenige wie nie zuvor seit der Wende. Viele drehen jetzt den Schlüssel zu ihrem Betrieb endgültig um. Zurück bleiben aufgegebene Höfe, nicht mehr bewirtschaftete Felder und Äcker.
Transformation überfordert Familien
Dabei ist die negative Entwicklung noch längst nicht zu Ende. Ganz im Gegenteil: Nach einer aktuellen Studie der DZ-Bank wird die jetzt anstehende Transformation der Betriebe vor allem familiengeführte Höfe überfordern. Finanziell und logistisch, emotional und personell. Die Digitalisierung, der Kostendruck in den Lieferketten und der Produktion, die zunehmenden Umweltschutz- und Tierschutzanforderungen sorgen dafür, dass laut DZ-Analyst Claus Niegsch vor allem kleinere Betriebe vom Markt verschwinden werden. „Landwirtschaftliche Betriebe werden sich angesichts des gestiegenen Wettbewerbs und der zunehmenden Abhängigkeit von Weltmarktpreisen für heimische Agrarprodukte von kleinen Höfen, die zumeist im Nebenerwerb bewirtschaftet wurden, immer mehr zu mittelständischen Wirtschaftsunternehmen entwickeln müssen. Bis 2040 wird sich die Durchschnittsgröße eines Betriebs von 64,8 Hektar auf 160 Hektar vergrößern“, schreibt der Experte der DZ-Bank in seiner Studie. Konsequenz: Gerade im strukturschwachen Osten des Landes, aber auch im Norden, werden bald ähnlich große Einheiten entstehen, die an die Größe Landwirtschaftlicher Produktionsgemeinschaften erinnern.
Kein Wunder also, dass angesichts dieser Erwartungen ein weiteres, bisher in der eher wortkargen Branche gern verschwiegenes Problem in den Vordergrund rückt. Fast die Hälfte aller älteren Landwirte haben nämlich Sorge, dass sie in ein paar Jahren keinen Nachfolger mehr finden und so den Betrieb aufgeben müssen. „Wer will diesen Job denn schon machen. 24/7 arbeiten, dazu kaum Urlaub. Und immer wieder gibt es einen auf die Mütze“, schimpft ein Landwirt aus dem Weimarer Land, der kurz vor der 65-Jahre-Altersmauer steht. Ein paar Jahre wird es schon noch klappen. „Aber danach ist hier Schluss. Das macht doch keiner mehr.“
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