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  • 20.000 Elefanten für die Lüneburger Heide?

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, nach den Osterfeiertagen heißt es überall im Land und auch im politischen Berlin: die Ärmel hochkrempeln und wieder kräftig anpacken. Die Ampelkoalition muss endlich zeigen, dass sie das Land tatsächlich nach vorne bringen will und kann. Dies wird höchste Zeit, denn vieles ist seit ihrem Amtsantritt – und nicht nur über Ostern – liegen geblieben. Oder wie es der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung so treffend beschrieb: Es waren zwei verlorene Jahre. Angesichts der weltweiten Krisen und nicht zuletzt der schwierigen wirtschaftlichen Situation in Deutschland ist dies eine bittere Zwischenbilanz. Auch im ländlichen Raum hat die Ampel vieles unbearbeitet oder vernachlässigt gelassen, was für das dortige Leben und für die Zukunft der Arbeitsplätze von zentraler Bedeutung ist. Dazu gehören Infrastrukturmaßnahmen wie bessere Straßen und Schienennetz ebenso wie die längst überfällige Versorgung mit schnellem Internet – und zwar bis an jede Milchkanne. All dies ist kein Hexenwerk. Andere Länder machen es uns vor. Apropos andere Länder. Ende März sind wir in unserem Blog unter der Überschrift „Peinliche Schüsse aus Namibia“ auf das von Bundesumweltministerin Steffi Lemke betriebene Einfuhrverbot von Jagdtrophäen und das begründete Unverständnis darüber nicht nur unter unseren Jägern eingegangen, sondern auch die heftige Reaktion aus Namibia. Umweltminister Pohamba Shifeta warf damals seiner deutschen Amtskollegin „neokoloniale Einmischung in die Souveränität Namibias“ vor. Auch ausländische Jagdgäste leisten dort in Kooperation mit dem örtlichen Jagdmanagement einen maßgeblichen Beitrag zur nachhaltigen Wildbewirtschaftung. Es geht darum, Tierpopulationen unter Kontrolle und mit dem Artenschutz in Einklang zu bringen. Letztlich werden so auch landwirtschaftliche und forstliche Schäden weitmöglichst vermieden. Mit den Einnahmen aus dem Jagdtourismus werden in afrikanischen Ländern Lebensräume angestammter Wildtierarten erhalten und für viele Einheimische Existenz und Arbeitsplätze gesichert. Zweifellos würde ein hiesiges Einfuhrverbot von Trophäen das Interesse an Jagdreisen stark vermindern. Jetzt hat der Präsident von Botswana, Mokgweetsi Masisi, angesichts der Überpopulation einzelner Tierarten den Ton noch verschärft. Deutschland könne das besonders von den Grünen vertretene Verständnis von Artenschutz bei sich selbst umsetzen. Er wolle der Bundesregierung 20.000 Elefanten mit der Auflage schenken, sie frei laufen zu lassen – wie in Afrika. In Botswana könne man sehen, wie Ernten vernichtet oder Dörfer verwüstet würden. Er meine sein Angebot übrigens ernst, wenn die deutsche Umweltministerin durch das geplante Einfuhrverbot von Trophäen Armut und Wilderei in seinem Land fördere. Botswana hat rund zwei Millionen Einwohner, ebenso viele Touristen und rund 130.000 Elefanten. In dieser Woche droht der Präsident übrigens zusätzlich den Engländern mit 10.000 Elefanten, weil sie ähnliche Einschränkungen wie Deutschland vorhaben. Die Süddeutsche Zeitung fragt schon: „Was macht man, wenn man plötzlich 20.000 Elefanten aus Botswana geschenkt bekommt? Überlässt man ihnen das Tempelhofer Feld? Die Lüneburger Heide? Oder gleich das komplette Saarland?“ Es geht letztlich um falsch verstandene Tierliebe, wie sie von der grünen Ministerin nun regierungsamtlich international umgesetzt werden soll. Und ein Kommentator der „Welt“ meint: „Die Elefanten-Blamage zeigt die Übergriffigkeit der Grünen.“ Das Thema weitet sich zum diplomatischen Eklat aus. Damit wäre dann auch das ebenfalls grün geführte Außenministerium damit befasst. Unsere Anmerkung zu dem ganzen Vorgang: Wir sind noch nicht einmal mit der kleinen Gruppe von knapp 20 freilaufender Wisenten im Rothaargebirge fertig geworden. Dort ist das Artenschutz-Projekt bekanntlich gescheitert. Deutschland fällt zurück Doch zurück zur Wirtschaftslage in Deutschland. Hier scheint oberflächlich betrachtet vieles ja noch in Ordnung zu sein. So liegt die Zahl der Arbeitslosen momentan nicht allzu hoch. Doch angesichts geburtenschwacher Jahrgänge ist dies nicht das früher übliche Zeichen für wirtschaftlich gute Zeiten. Gleiches gilt für die weiterhin hohen Gewinne großer Unternehmen. Denn wie BDI-Chef Russwurm in dem oben zitierten Interview zu Recht betont, machen viele Konzerne mittlerweile einen Großteil ihrer Geschäfte im Ausland. Und dort läuft es momentan deutlich besser. Doch viele Mittelständler und kleinere Betriebe gerade im ländlichen Raum haben nicht diese Möglichkeiten zur Internationalisierung und damit der Streuung von Risiken. Sie sind aufgrund ihres Geschäftsmodells auf den heimischen Markt fokussiert, und dort sieht es eben weit weniger positiv aus. Im Vergleich zu Wettbewerbern in der EU verlieren wir kontinuierlich Marktanteile und damit am Ende auch Wohlstand und Arbeitsplätze. „Nicht wenige große Unternehmen haben ihre Gewinne im Ausland erwirtschaftet, die Profitabilität in Deutschland war dagegen gering oder sogar negativ. Die ziehen deshalb nicht gleich hier ab, überlegen aber, ob nächste Investitionsvorhaben nicht woanders realisiert werden … Das ist ein schleichender Prozess, ein Effekt, der im allgemeinen Bewusstsein noch gar nicht angekommen ist. Noch schwerer haben es viele mittlere und kleinere Betriebe, die nur in Deutschland produzieren und sich jetzt fragen, ob das künftig noch geht. Das gab es so früher nicht.“ Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Zu viel Bürokratie, teils veraltete Infrastruktur, hohe Energiepreise und drückende Abgaben- und Steuerlasten behindern die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Hier ist ein Umdenken erforderlich. Eigentlich wäre das eine Riesenchance für die Koalition, sich zu profilieren und mit überzeugenden Reformschritten eine Wende zum Positiven einzuleiten. Doch vor allem im Kanzleramt will man vom Ernst der Lage nichts wissen, wie auch der BDI-Chef kritisiert. Dort höre man laut Russwurm aus dem Kanzleramt zuletzt nur häufig das Zitat „Die Klage ist das Lied des Kaufmanns.“ Von einem Regierungschef, der eine solche Botschaft des Desinteresses an die Wirtschaft – immerhin die wichtigste Quelle unseres Wohlstands – sendet, ist wohl kein neuer Schwung zu erwarten. Statt die wirklich großen Probleme des Landes anzugehen, verzettelt sich die Ampelkoalition in symbolträchtigen und aus Sicht vieler Bürger überflüssigen bis hin zu schädlichen Projekten. Beispiel: die begrenzte Freigabe von Cannabis. Wir haben darüber in unserem Blog mehrfach berichtet. Doch die Würfel sind jetzt gefallen. Und in Berlin trafen sich am Stichtag 1. April um Mitternacht viele hundert Menschen vor dem Brandenburger Tor zum „Ankiffen“ – ein Schauspiel, das von der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen gerade im ländlichen Raum meilenweit entfernt ist. Hier feierten Großstadtmenschen wie auf einem anderen Stern. Man mag dies als Randerscheinung abtun. Doch immerhin wird die Cannabis-Freigabe von der Koalition als einer ihrer wichtigen Erfolge gefeiert, was angesichts der zahlreichen wirtschaftlichen, militärischen und sozialen Missstände doch recht befremdlich wirkt. Aufregung beim Thema Wald Beim Thema Wald gibt es ebenfalls immer wieder Konflikte mit Menschen, die wenig Verständnis und Gespür für die ländliche Lage haben. Jüngstes Beispiel ist die Debatte über Einschränkungen für Mountainbiker. Hintergrund ist der Entwurf für ein neues Bundeswaldgesetz, der im vergangenen Dezember geleakt worden war. Dort heißt es in Paragraph 29 Absatz 4, dass die Länder entscheiden könnten, das Radfahren nur noch auf ausgewiesene Wege zu beschränken. „Sie können dann insbesondere vorsehen, unter welchen Voraussetzungen die zuständige Behörde sowie der Waldbesitzende den Wald sperren darf und wann eine Sperrung wieder aufzuheben ist.“ Angesichts von Klimawandel und Artensterben sollte es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, dass bestimmte Bereiche des Waldes vor unkontrollierten und teils rabiaten Freizeitaktivitäten geschützt werden. Und nicht zuletzt sollten Waldbesitzer, die ihre Bestände oft seit Generationen nachhaltig bewirtschaften, nicht länger in ihren Eigentumsrechten von Hobbysportlern an den Rand gedrängt werden dürfen. Stattdessen gilt es, einen pragmatischen und für alle Seiten vernünftigen Ausgleich zu finden. Genießen Sie das Wochenende vielleicht auch mit einem schönen Spaziergang im Wald, ohne dass Sie dabei von einem übermotivierten Mountainbiker fast überfahren werden. Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination

  • Streit um Deutschlandticket – Aiwanger und die Jagd – Vorurteile gegen die Wurst

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, für den ländlichen Raum mit seinen teils sehr langen Verkehrswegen stand in dieser Woche viel auf dem Spiel. So schreckte die Drohung von Bundesverkehrsminister Volker Wissing auf, wegen der Vorgaben des Klimaschutzgesetzes möglicherweise an einzelnen Tagen Fahrverbote verhängen zu müssen. Wer fernab der großen Metropolen mit ihren engen Nahverkehrsnetzen lebt, ist für viele alltägliche Dinge zwingend auf ein Auto angewiesen: vom Einkaufen im Supermarkt über den Arztbesuch bis zu sozialen Kontakten. Denn wo Busse und Bahnen nicht oder nur selten fahren, müssen Bürger zumeist auf den eigenen Pkw zurückgreifen. Dies trifft insbesondere für ältere Menschen zu, die lange Fußwege oder Fahrradstrecken nicht mehr aus eigener Kraft bewältigen können. Ob Wissing seine spektakuläre Drohung tatsächlich ernst gemeint hatte oder sie am Ende nur im koalitionsintern Verhandlungspoker in Sachen Klimaschutzgesetz einsetzen wollte, mag dahingestellt sein. Denn erfreulicherweise ist es nicht zum Äußersten gekommen. Gleichwohl bleibt die Verkehrspolitik aus Sicht des ländlichen Raums ein großes Ärgernis. Daran konnten auch die zuständigen Minister von Bund und Ländern auf ihrer jüngsten Konferenz in Münster wenig ändern. Sie lobten dort zwar ihre vermeintliche Wohltat 49-Euro-Ticket, konnten jedoch noch keine Einigung über die weitere Finanzierung erzielen. Die verbilligten Fahrscheine kosten Bund und Länder bisher immerhin jährlich je 1,5 Milliarden Euro. Und die Länder erhalten wegen der verbilligten Deutschlandtickets auch noch weniger Einnahmen aus dem Fahrkartenverkauf. Das Ganze ist also für die Steuerzahler eine recht teure Angelegenheit. Zu wenig Geld für Nahverkehr Nun soll der öffentliche Nahverkehr aus Kostengründen wohl weiter ausgedünnt werden, weil nicht genug Geld im System ist. Kein Wunder, denn die Subventionierung des Deutschlandtickets kostet viel Geld, das an anderer Stelle – sprich bei den Investitionen – fehlt. Von der viel beschworenen Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs im ländlichen Raum dürfte unter diesen Umständen wenig übrig bleiben – ein Armutszeugnis für Politiker, die gern von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sprechen, aber sie durch ihr praktisches Handeln konterkarieren. Dabei ist der Investitionsbedarf riesig. Bis zum Jahr 2031, also innerhalb der nächsten sieben Jahre, müssten laut einer Studie im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums bis zu 31 Milliarden Euro in den Nahverkehr fließen – fast dreimal so viel wie aktuell. Ein solcher Betrag scheint unter den gegenwärtigen politischen Rahmenbedingungen reines Wunschdenken zu sein. Gewiss, hier ist der Bund gefordert, aber nicht zuletzt die Länder selbst müssten einiges mehr tun. So beteiligte sich etwa Niedersachsen im vergangenen Jahr nur mit weniger als zehn Prozent an der Finanzierung seines Nahverkehrs. Eine Politik pro Schiene sieht gewiss anders aus. „Wir sind jetzt in einer Situation, dass keine Reserven mehr da sind. Ganz im Gegenteil: Überall sind die Zahlen tiefrot … Alle Bundesländer werden Verkehre reduzieren müssen.“ Oliver Krischer, grüner Verkehrsminister in NRW und Vorsitzender der deutschen Verkehrsministerkonferenz Apropos ländlicher Raum. Dort wird so manches politisch anders gesehen und bewertet als in grün-alternativen Großstadtmilieus. Das gilt etwa für das Thema Jagd. Parteien sind gut beraten, wenn sie diese Unterschiede im Blick behalten und sich nicht einseitig am vermeintlich modernen und fortschrittlichen Stadtleben orientieren. Wie dies geht, zeigt momentan Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger. Er ist seit den letzten Landtagswahlen auch für Jagd und Forst zuständig. Während sich das Satire-Fernsehen noch immer über die neue Rollenverteilung lustig macht, verbreitet der Vorsitzende der Freien Wähler bereits Angst und Schrecken – vor allem unter Öko-Förstern. Zum Beispiel mit einem Erlass, der den Unteren Jagdbehörden Schonzeitverkürzungen beim Rehwild weitestgehend untersagt. Auf dem (nichtöffentlichen) Landesjägertag wurde der Minister für solche Sätze gefeiert: „Am Ende verbeißen 30 gestresste Rehe, die sich nicht mehr auf die Grünland-Äsung raustrauen, mehr, als 50 Rehe, die diese Äsung aufgrund Jagdruhe im Frühjahr nutzen können.“ Grenzen für Rehwild-Bejagung Mittlerweile sind auch die Details der Vollzugsanordnung bekannt, mit der Aiwanger einer zunehmend schrankenlosen Rehwild-Bejagung Grenzen setzt. Anträge auf Schonzeitverkürzung dürfen ab sofort nur noch dann bearbeitet werden, wenn sie „konkret und umfassend“ begründet sind. Der pauschale Hinweis auf Wildschäden reiche nicht mehr aus. Und auch die Begründung nicht mehr, dass es nicht gelungen sei, die Abschussplanung innerhalb der Schusszeiten zu erfüllen. Beim Thema Wolf hat der neue Jagdminister den Ton der bisher zuständigen Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber deutlich verschärft. Vor allem den Druck auf das Bundesumweltministerium. Dort müsse man endlich den hinhaltenden Widerstand gegen eine Lockerung beim bisher strengsten Artenschutz der Raubtiere aufgeben. Und akzeptieren, dass auch auf diesem Feld Management und Bestandsregulierung bei den Jägern in guten Händen sind. Was einige Staatsförster ebenso wenig freut wie Aiwangers Forderung, dass sie lieber intensiver auf Füchse und Sauen jagen sollen und Reh- und Rotwild nicht nur als Schädling sehen: „Gönnen wir doch dem Reh, gönnen wir doch dem Rotwild ein paar Wochen Ruhe!“ Beim Stichwort Jagd geht es bekanntlich auch um das Thema Ernährung. Denn Wildfleisch ist ein hochwertiges Lebensmittel, wie unser Autor Michael Lehner von einer Pressekonferenz des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) für unseren Blog berichtet. BfR-Präsident Andreas Hensel stellte dort dem heimischen Wildbret ein gutes Zeugnis aus. Es sei mindestens so gesund wie andere Lebensmittel und werde gut überwacht – eine wichtige Aussage, auch wenn sie einigen Bürgern nicht passen sollte. Denn das Thema Fleisch bewegt immer wieder kontrovers die Gemüter. Das wird auch in den Medien ständig befeuert – positiv wie negativ. Da spielen Weltanschauungen eine Rolle und wir lesen das in den vielen Reaktionen von Leserinnen und Lesern unseres Blogs in voller Bandbreite zwischen Genuss-Begeisterung auf der einen Seite und totaler Fleischablehnung mit Ekel-Zitaten auf der anderen. Das teuerste Fleisch der Welt Das Gourmetmagazin Falstaff etwa schreibt euphorisch über „das teuerste Fleisch der Welt“, das aus der japanischen Präfektur Hyogu mit der Hauptstadt Kobe kommt und allerstrengsten Qualitätsregeln unterliegt. Kobe oder auch Wagyu sei einfach das Beste, was man in die Pfanne legen könne. Hier geht es um Mythen. Auf der anderen Seite stehen dann immer wieder auch Ekel-Mythen. Sie werden gern von Autoren bemüht, die offensichtlich eher auf der fleischkritischen oder gar missionarisch ablehnenden Seite zu verorten sind. Sie bekommen ihre Sendeplätze – so wie am Mittwochabend im ZDF. Da ging es für die Autoren um die Wurst. So sehr, dass sogar eine kurzfristige Programmänderung erfolgte. In Deutschland haben wir eine Lebensmittelüberwachung und Audits zur Sicherung vorgegebener Standards in der Produktion. Die werden dann gern und immer wieder investigativ infrage gestellt. So werden sogar auf dünnem Eis strafrechtliche Schuldvermutungen in die Wohnzimmer gesendet. In unserer Redaktion haben wir über das aktuell gesendete öffentlich-rechtliche Medienprodukt unter dem Titel „Wurst unter Verdacht“ und Fragen wie Seriosität der Recherche sowie Fairness in der Berichterstattung diskutiert. Grenzen sind nach unseren teils jahrzehntelangen Erfahrungen vor allem dann einzuhalten, wenn die Vorgänge im Gerichtssaal landen könnten. Das wurde uns gerade auch diese Woche an der Ahr demonstriert, wo es trotz vieler Indizien bei aller öffentlichen Meinung gegen den Ex-Landrat zur Flutzeit nicht zur Anklage kommt. Sendung soll Appetit verderben Meine Kollegen und ich sind zu dem Ergebnis gekommen, dass in dem Fall der zitierten Wurst-Sendung das Wort „Verdacht“ im Titel zutreffend ist – mehr aber auch nicht. Etwa, wenn einem seriösen und bis in den letzten Fleischwolf überprüften bekannten Wursthersteller „vorsätzlicher Betrug“ ohne vollständige Beweisführung unterstellt wird. Gerichtsfest wären die entsprechenden Behauptungen unserer Meinung nach nicht. Aber es dürfte natürlich keinem mehr schmecken, wenn da bei der angeblichen, jedoch letztlich nicht bewiesenen Zumischung einer wohl von der Lebensmittelkontrolle unbeanstandeten Fleischmasse Beschreibungen wie „Pampe“ oder „Fensterkitt“ über den Sender kommen. Mit diesen Worten eines der Öffentlichkeit unbekannten Fleischers und eines pensionierten Lebensmittelkontrolleurs soll der Appetit auf Wurst vom Discounter schlichtweg verdorben werden. Aufgefallen ist uns das Thema, weil der für die Kommunikation des betroffenen Unternehmens Verantwortliche vorab gepostet hat, was die Zuschauer wohl zu erwarten hätten. Man konnte sich dann nach der Sendung darüber ein Bild machen, was er da nach monatelanger weitgehend fertiger Produktion kurzfristig noch zu sagen hatte – ohne allerdings das ganze Filmmaterial zu kennen. Um im Geschmacksbereich zu bleiben: Dies war ein TV-Aufreger unter Zumischung von offensichtlich verschimmeltem Archivmaterial. Kultiviert wurden Vorurteile und Misstrauen gegen ein Unternehmen mit angeblich zwielichtigen Betrugsgesellen. Die Story sollte wohl denjenigen den Appetit verderben, die gern Fleisch oder Wurst essen, sich aber das nicht leisten können, was wir im Falstaff zum Thema Fleischkonsum – Stichwort Kobe – zuvor gelesen und zitiert haben … Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination

  • Ministerin drängt auf schärferes Waffenrecht – Meinungsumfrage zum Wolf – Ländlicher Raum auf Abstellgleis

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, viele von uns haben das schöne, frühlingshafte Wetter und den Brückentag 1. Mai für einen Ausflug oder gar einen Kurzurlaub genutzt. Wer dafür das Deutschlandticket benutzte, mag es nicht immer bequem, aber in jedem Falle günstig gehabt haben. Ziemlich genau vor einem Jahr, am 1. Mai 2023, waren die subventionierten Fahrscheine für viel Geld und mit großen politischen Lobgesängen von Bund und Ländern eingeführt worden. Anlass genug, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Doch lassen Sie mich zuvor auf ein anderes Ereignis dieser Woche zu sprechen kommen, in dessen Folge wieder einmal Vorurteile gegen Jäger und Sportschützen zutage traten. In Stuttgart hat der erste von drei geplanten Großprozessen gegen eine rechtsgerichtete Organisation begonnen, die unsere politische Ordnung gewaltsam umstürzen wollte. Der Gruppe um Heinrich Prinz Reuß wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ vorgeworfen. Einer der Angeklagten steht zudem wegen versuchten Mordes vor Gericht. Keine Frage, hier haben sich Abgründe aufgetan. Der Rechtsstaat muss sich als wehrhaft erweisen und seine Feinde mit aller Härte zur Rechenschaft ziehen. Die zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser scheint dies ähnlich zu sehen: Es müsse noch mehr getan werden, um Staatsfeindlichkeit und Rechtsextremismus auch in Zukunft effektiv zu bekämpfen, sagte die SPD-Politikerin im Deutschlandfunk. So weit, so gut und richtig. Es ist Faesers Amtspflicht als Bundesinnenministerin, hierbei ein Stück weit voranzugehen. Doch „vor allem“ eine Verschärfung des Waffenrechts, wie sie jetzt im Deutschlandfunk forderte, dürfte wohl kaum die Lösung sein. Denn nicht die Millionen Besitzer von legalen Jagd- und Sportwaffen sind das Problem. Im Zentrum der Überlegungen müssen die vielen illegalen und auf kriminellen Wegen beschafften Waffen stehen. Sie bilden die eigentliche Gefahr. Insofern bedient Faesers Vorstoß ideologische Vorurteile, statt uns in der Sache voranzubringen. Denn klar ist: Jäger und Sportschützen dürfen nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Erneute Debatte um den Wolf Stichwort Jagd. Nachdem der Kanonendonner der politischen Auseinandersetzung um den Wolf einer sachgerechten Debatte um sinnvolles Management der Raubtiere zu weichen schien, wollten wir uns und unseren Lesern eigentlich eine wolfsfreie Zeit gönnen. Nun macht uns der NABU einen Strich durch diese Rechnung. Der Umweltverband hat keine Kosten gescheut und eine groß angelegte Meinungsumfrage zur Akzeptanz des großen Spendenbringers beauftragt. Das Ergebnis überrascht nicht: 73 Prozent der Befragten finden es erfreulich, dass in Deutschland wieder Wölfe leben. Wir freuen uns natürlich auch, bedauern aber, dass der NABU nicht die Gretchenfrage stellen ließ, ob die Menschen glauben, dass es noch nicht genug Wölfe sind. Wo es doch längst amtlich ist, dass die Tiere nicht mehr zu den bedrohten und damit streng geschützten Arten zählen. Und wo sogar Bayerns Grüne zugeben, dass die alpine Weidewirtschaft und der Wolf nicht zusammenpassen. Was unvermeidlich in absehbarer Zeit zur Lockerung der EU-Schutzregeln führen wird – wenn das Bundesumweltministerium endlich offizielle Bestandszahlen nach Brüssel liefert. NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger kommentiert den Sachstand so: „Leider wird immer noch versucht, gezielt Angst mit dem Wolf zu schüren“, das werde „der tatsächlichen Situation der Wölfe in Deutschland und der Wahrnehmung der Menschen nicht gerecht“, findet Krüger: „Anstelle aufgeregter Stimmungsmache müssen wir mehr entlang der tatsächlichen Probleme und Lösungen diskutieren.“ Wir sehen das auch so und sind gespannt, wie ein gewisser Sinneswandel bei den Fans der Wölfe ankommt: „In den Ausnahmefällen, in denen ein Wolf den empfohlenen Herdenschutz überwunden hat, akzeptiert auch der NABU als letztes Mittel einen Abschuss.“ Häufig schlechter öffentlicher Nahverkehr Doch zurück zur eingangs erwähnten Ein-Jahres-Bilanz des Deutschlandtickets. Aus Sicht des ländlichen Raumes fällt sie negativ aus, wie unter Autor Michael Lehner in seinem gestrigen Beitrag in unserem Blog kritisiert und in Zusammenhang mit anderen Subventionen zum Schaden des ländlichen Raums stellt. Und in der Tat, das Grundproblem ist, dass Dörfer und Kleinstädte häufig schlecht oder gar nicht an den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen sind. Profiteure der teuren Ticketsubventionen sind die Bürger in Großstädten und in deren näherer Umgebung, den sogenannten Speckgürteln. Diese Unwucht spiegelt sich auch in den Ergebnissen des jüngsten Allensbacher Mobilitätsmonitors wider. Danach halten die Bewohner von Dörfern den Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr lediglich zu vier Prozent für sehr gut und zu 28 Prozent für gut, während die Vergleichszahlen in Großstädten 29 Prozent (sehr gut) und 55 Prozent (gut) betragen. Und eine Besserung zugunsten des ländlichen Raums ist nicht in Sicht. Ursache ist wieder mal das Geld. Viele öffentliche Nahverkehrsunternehmen klagen über sinkende Einnahmen, weil ihre Kunden vormals häufig deutlich mehr für die jeweiligen Tickets bezahlt haben. Es sind Inhaber der früheren Wochen- und Monatskarten, die jetzt auf die billigere Alternative Deutschlandticket umgestiegen sind. Die fehlenden Einnahmen können Bund und Länder nicht vollständig kompensieren. Ergebnis: „Wir waren im ÖPNV nie weiter weg von den im Zuge der Verkehrswende politisch vereinbarten Ausbauzielen als aktuell“, sagt der Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), Ingo Wortmann. Nicht nur finanziell, auch klimapolitisch ist die Bilanz düster. 11,2 Millionen Menschen sind im vergangenen Jahr für 49 Euro mit Bus und Bahn durch Deutschland gefahren, 16 Prozent von ihnen gaben in Umfragen an, das Auto jetzt häufiger stehen zu lassen. Knapp 90 Prozent aller Fahrten mit dem Deutschlandticket wären jedoch so oder so mit Bahn oder Bus zurückgelegt worden, berichtete VDV-Präsident Wortmann weiter. Es gibt lediglich acht Prozent echte Neukunden. Wortmanns Stellvertreter Knut Ringat ergänzt: „Wenn ich wirklich etwas fürs Klima erreichen will, dann brauche ich mehr als 30 Prozent Neukunden.“ Doch hohe Wachstumsraten verzeichnet das 49-Euro-Ticket nicht mehr. Die Allensbacher Meinungsforscherin Renate Köcher, die den Mobilitätsmonitor 2024 in der vergangenen Woche vorgestellt hat, berichtete, die Bevölkerung auf dem Land habe das Gefühl, wenig Optionen zu haben und auf das Auto angewiesen zu sein. Tatsächlich lebt die überwältigende Mehrheit der Deutschlandticket-Kunden in Städten, nur 21 Prozent kommen vom Land. Die Deutsche Bahn hat derweil angekündigt, in diesem Jahr ihr Schienennetz zu erneuern und rund 1.000 Bahnhöfe zu modernisieren. Insgesamt sollten mehr als 2.000 Kilometer Gleise, 2.000 Weichen und 150 Brücken erweitert, modernisiert und erneuert werden. Laut dem Vorstandsvorsitzenden der zuständigen Bahn-Tochter „DB InfraGO“, Philipp Nagl, wird es damit erstmals seit vielen Jahren gelingen, die Überalterung der Eisenbahninfrastruktur zu stoppen. Dieser Optimismus in allen Ehren, aber für eine grundlegend bessere Anbindung des ländlichen Raums an den Schienenverkehr wären viel größere Anstrengungen erforderlich. Hilfe bei Suche nach Hunden Mitte März hatten wir in unserer Kommunikation, so auch in dieser Wochenkolumne und über unsere Social-Media-Auftritte (u.a. Facebook, X), dazu aufgerufen, sich an der Suche nach zwei offensichtlich gestohlenen bzw. entführten Jagdhunden zu beteiligen. Es ging um die Deutsch Drahthaar-Hunde „Ben“ und „Lissy“. Beide vierbeinige Jagdbegleiter sind am 19. Februar dieses Jahres in Heiligenhaus bei Düsseldorf spurlos verschwunden. Wir bedanken uns zusammen mit der Hundebesitzer-Familie für die Unterstützung und für eine Reihe von Reaktionen und Hinweisen. Der Erfolgsfall ist leider ausgeblieben. Unsere Stiftung nimmt das zum Anlass, weiter die Problematik des illegalen Handels mit Hunden, die im Zusammenhang mit Hundediebstahl oder Entführungen stehen, zu thematisieren. Wir wollen mit Veröffentlichungen und Finderlöhnen verstärkend bei der Suche über unsere Netzwerke helfen. Ich wünsche Ihnen eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination

  • Zahm wie nordfriesische Lämmer 

    Die Grünen Schleswig-Holsteins haben in jüngster Zeit gegenüber Teilen der Bundesregierung angemahnt, für ihr Land umweltpolitische Ziele nicht aufzuweichen. So haben sich auch Robert Habeck ins Visier genommen. Ist jetzt wieder Ruhe? Wochenlang hatten die Grünen in Schleswig-Holstein die Bundespartei und insbesondere die grünen Teile der Bundesregierung ins Visier genommen. Vorwurf: in Berlin fehlten in der praktischen Politik, die das Land zwischen den Meeren betrifft, die Einhaltung der grünen Ausgangspositionen und Grundsätze. Dabei bezogen sie auch ihren ehemaligen Spitzenmann im Berliner Ministeramt ein. Zur Abrechnung mit Robert Habeck kam es dann jedoch beim Landesparteitag am Wochenende nicht. Für die Beobachter herrschte „Friede, Freude, Eierkuchen“ unter den Delegierten. Sie gaben sich zahm wie nordfriesische Lämmer. Nur Bauernverbands-Chef Klaus-Dieter Lucht sprach dann als Gastredner Tacheles. Was hatten sie geschimpft, die Grünen im hohen Norden. In Berlin würden die grünen Grundideen verloren gehen, in der Ampel sei kaum noch etwas von grüner Politik zu spüren. Robert Habeck weiche vom Kurs ab und lasse sich „unterbuttern“, wie es sinngemäß zwischen Pinneberg und Flensburg hieß. Jetzt aber, auf dem Landesparteitag in Neumünster, gab es Lobeshymnen statt Kritik. Landes- und Bundespolitiker lobten sich gegenseitig. Kaum ein kritischer Beitrag war von den rund 100 Delegierten zu hören. Selbst der am Koalitionspartner CDU im Landtag gescheiterte „Nationalpark Ostsee“ wurde nur am Rande zum Thema. Die Grünen im hohen Norden wagen keinen Aufstand gegen Ministerpräsident Daniel Günther. Hatte er sie doch mit seiner CDU nach der Landtagswahl mit ins Boot geholt. Dafür kassierte der vorherige Koalitionspartner, die FDP mit ihrem tüchtigen und damaligen Wirtschaftsminister Bernd Buchholz, trotz seines hohen Ansehens eine Absage. Dies wirkt in Wirtschaftskreisen des Landes bis heute nach. Inzwischen gibt es häufig Kritik - auch aus dem Unternehmensverband – an der Wirtschaftspolitik der Landesregierung. Der zuständige Minister Claus Ruhe Madsen, der aus Dänemark stammt und – abgesehen von vielen Ankündigungen – relativ wenig umsetzt. Ministerpräsident Günther, der bundespolitisch mit der CDU zur Merkel-Linie zurückkehren möchte, steht nun im eigenen Land Ärger ins Haus. Eben, weil die Wirtschaft mit ihrem Minister nicht zufrieden ist. Landwirte: Noch zu wenig Verständnis erreicht Dazu nimmt inzwischen besonders der schleswig-holsteinische Bauernpräsident Klaus-Dieter Lucht kein Blatt vor den Mund. Auch auf dem zitierten Parteitag kritisierte er die Politik der grünen Bundesminister Steffi Lemke und Cem Özdemir auf das Heftigste. Sie hätten EU-Vorgaben zu strikt durchgesetzt und zeigten „viel zu wenig Verständnis für die wirtschaftliche Situation der Landwirte.“ Die Bauern seien immer noch nicht zufrieden mit dem, was an Veränderungen eintrete oder zu erwarten sei. Viele Menschen im ländlichen Raum fühlten sich weiter abgehängt von der Politik, fügte Lucht hinzu. Unterdessen hat der in Rendsburg ansässige Bauernverband der Kieler Landesregierung einen umfangreichen Forderungskatalog mit 33 Punkten zum Abbau der Bürokratie vorgelegt. Die gesamte Wirtschaft kritisiert das Fehlen wirksamer Maßnahmen gegen überbordende Bürokratie- und Gesetzesflut. „Landwirtschaft ist einer der wichtigsten und schönsten Berufe, die es gibt – aber wir sitzen heute mehr im Büro als auf dem Schlepper. Niemand ist deshalb Bauer geworden. Wir brauchen dringend ein Signal der Erleichterung“, fordert Lucht.

  • „Die Leute auf dem Land schreiben in der Regel keine Bücher“

    In ihren Romanen geht es um Menschen, die in Dörfern leben – damit ist die Schriftstellerin Dörte Hansen bekannt geworden. Sie wohnt selbst auf dem Land und wendet sich gegen Klischees „Altes Land“, „Mittagsstunde“ und „Zur See“: Diese drei Romane haben Dörte Hansen bekannt gemacht. Alles Bücher, die in Dörfern spielen. Einen Beweggrund, sich schreibend dem Leben auf dem Land zu widmen, nannte die Autorin und Radiojournalistin aus Nordfriesland kürzlich beim FAZ-Kongress „Zwischen den Zeilen“. In einem Gespräch mit FAZ-Herausgeber Jürgen Kaube sagte sie, es gebe eine Flut von Büchern über das Landleben, die fast alle nach demselben Muster gestrickt seien: Großstadtmüder Mensch zieht auf das Land und weiß schon nach kurzer Zeit, wie das Landvolk tickt. „Ich fühlte mich in diesen Büchern immer so vollkommen falsch dargestellt als Mensch, der vom Land kommt“ – und der auch jetzt wieder auf dem Land lebt. Dörte Hansen hatte das Gefühl: Die Deutungshoheit über das Landleben liegt bei Leuten, die sich auf dem Land gar nicht besonders gut auskennen. „Denn die Leute auf dem Land schreiben in der Regel keine Bücher.“ Diese Darstellung hielt sie für einseitig; sie bereitete ihr gewissen Ärger. Und das war der Impuls, den Roman „Altes Land“ zu schreiben – ein Werk, das zum Jahresbestseller 2015 der „Spiegel“-Bestsellerliste wurde. „Das Land ist offensichtlich erklärungsbedürftig“ Bemerkenswert findet sie, dass es bei ihren Büchern jeweils heißt, sie habe einen Dorfroman geschrieben. Denn wenn jemand über Menschen in Berlin schreibt, ist das nicht so; niemand würde dann sagen: Er oder sie hat einen Stadtroman geschrieben. „Das Land ist offensichtlich erklärungsbedürftig“, stellt die Autorin dazu fest. Das war Anfang des 20. Jahrhunderts noch anders, als Schriftsteller wie Knut Hamsun das bäuerliche Leben beschrieben und dafür den Nobelpreis für Literatur erhielten. Dörte Hansen, 1964 in Husum geboren, ist selbst als Tochter eines Handwerkers in einem Dorf aufgewachsen, im 400-Einwohner-Ort Högel. Nach ihrem Studium in Kiel, Jahren in Hamburg und im Alten Land wohnt sie jetzt wieder mit ihrer Familie in Nordfriesland. Aber auch wenn sie zu Hause Plattdeutsch spricht – eine Dorfbewohnerin, wie man sie sich typischerweise vorstellt, ist sie nicht: Weder mischt sie bei den Landfrauen mit noch im Schützenverein oder bei der Freiwilligen Feuerwehr. „Letztlich schreibe ich über Verlust“ Die Dörfer haben sich verändert, ist die Autorin überzeugt. Heterogener seien sie geworden. Die Landwirtschaft spielt mittlerweile nur noch eine kleine Rolle – und im Dorf kann es genauso anonym zugehen wie in der Stadt. Es ist nicht mehr so, dass jeder jeden kennt, auch weil sich mitunter Zugezogene bewusst abschotten. In „Mittagsstunde“ beschreibt Dörte Hansen die Veränderung der Dörfer durch die Flurbereinigung, das Verschwinden der kleineren Betriebe und die Zerstörung der ländlichen Idylle. Und das formuliert sie auf eine Art und Weise, mit der sich offenbar so manche Leserin und so mancher Leser identifiziert haben. Oft sind es diejenigen, die selbst im Dorf aufgewachsen sind, die als erste in der Familie Abitur machen und dann studieren – und damit einen ganz anderen Weg gehen als ihre Klassenkameraden. Häufig sind es Menschen, die als junge Erwachsene vom eng empfundenen Dorf in die Großstadt wechseln, aber dort nicht richtig ankommen. „Wir wissen, wovon wir wegwollen, aber wir wissen nicht, wo wir hinwollen“, formuliert das Dörte Hansen im Gespräch mit FAZ-Herausgeber Kaube und bilanziert: „Letztlich schreibe ich über Verlust.“

  • Ostseeblick auf den Flüssiggas-Tanker

    Kurz vor dem Start der Urlaubssaison geht das LNG-Terminal vor Rügen in Betrieb. Bei Einheimischen und Tourismusmanagern gehen alle Alarmstufen auf Rot Es ist wohl das umstrittenste energiepolitische Projekt der vergangenen Jahre: Um einen möglichen Engpass in der Versorgung mit Flüssiggas zu verhindern, genehmigten die Behörden vor zwei Jahren den Bau und Betrieb eines LNG-Terminals vor der Ostseeinsel Rügen. Alles musste schnell gehen, sehr schnell. „Wir benötigen diese Menge, um nach dem Angriff auf die Ukraine die ausfallenden Gasimporte aus Russland dauerhaft zu ersetzen", erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diese Kehrtwende im Frühling 2022. Rügen war nicht der einzige Standort, der damals für die LNG-Terminals ausgewählt wurde: Deutschlandweit waren und sind es fünf. Zwei davon befinden sich in Niedersachsen (in Wilhelmshaven an der Nordsee und in Stade an der Elbmündung), einer im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel sowie zwei in Mecklenburg-Vorpommern. Während aber die Ansiedlung in Lubmin weitgehend ohne Proteste abläuft, gibt es auf Rügen bzw. Mukran erheblichen Ärger. „Horrende Schäden für unsere Insel“ Anwohner, Politiker und Tourismusmanager fürchten um die Natur, die Schönheit der Insel. Und genau diese ist notwendig, um weiter als deutsches Reiseziel Nummer eins für Touristen zu glänzen. „Wenn die Anlage tatsächlich so gebaut wird, erwarten wir horrende Schäden für unsere Insel“, erklärte ein Sprecher der Gemeinde Binz. Meterhohe Kräne und Hafenanlagen trüben dann den Blick des erholungsbedürftigen Urlaubers aus dem Strandkorb, die Artenvielfalt wäre gefährdet. Und mit der Ruhe wäre es auch noch vorbei. Befürchtungen, die man auch Kanzler Olaf Scholz und Minister Robert Habeck bei einem sogenannten Vor-Ort-Termin zu erklärten versuchte. Vergeblich. Besonders der Tourismus, von dem fast alle Menschen und Branchen auf der Insel leben, ist ein kostbares, aber zerbrechliches Gut: Jedes Jahr kommen 1,2 Millionen Gäste nach Rügen. „Rügen ist im Gegensatz zu anderen LNG-Standorten kein Industriegebiet, sondern mit 1,2 Millionen Feriengästen die meistbesuchte Insel Deutschlands“, heißt es übereinstimmend. Diese Unberührtheit sei ein absoluter Trumpf, den man angesichts der strukturschwachen Gegend in Mecklenburg-Vorpommern nicht aufs Spiel setzen wolle. Ein weiteres Argument der Terminal-Gegner: Das Terminal in Mukran sei doch jetzt gar nicht mehr notwendig. Die Energieversorgung auch im Winter sei durch die vier anderen Standorte mehr als gewährleistet. Deutschland beim Flüssiggas ganz vorn Doch in Berlin rechnet man – wohl noch immer unter dem Schock des Gasstopps aus Russland – offenbar in anderen Dimensionen: Laut der Datenbank „Global Oil and Gas Exit List“, aus der das Handelsblatt zitiert, plant Deutschland langfristig mit Kapazitäten von 69 Milliarden Kubikmetern (bcm, von „billion cubic meters“). Das wären deutlich mehr als die von der Bundesregierung im März geschätzten 54 bcm. Gelingt diese Kapazitätserweiterung, wäre Deutschland damit unter den größten vier Baunationen von LNG-Terminals – zusammen mit China, Vietnam und Indien. Und es sieht ganz danach aus, dass die Bundesregierung weiter Tempo macht. Ende April hat das Unternehmen Deutsche Regas die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für den Bau und Betrieb des LNG-Terminals erhalten. Konkret machte das zuständige Landesministerium in Schwerin den Weg frei für die Errichtung der zwei schwimmenden Anlagen zur Speicherung und Regasifizierung von verflüssigtem Erdgas, einer landseitigen Kraft-Wärme-Kopplung-Anlage und zwei Versorgungsleitungen; die Genehmigung gilt bis Ende 2043. Sie umfasst jährlich maximal 110 Anlieferungen von Flüssiggas per Schiff. Umgerechnet: Jeden dritten Tag kommt ein solches Schiff, muss entladen werden. Auch von den höchsten Verwaltungsrichtern können die Protestler und Umweltaktivisten auf der Insel keinen Beistand erwarten: Das Bundesverwaltungsgericht wies zuletzt die Klagen zweier Umweltorganisationen gegen die Gaspipeline von Mukran nach Lubmin ab. Konsequenz: Mit der rund 50 Kilometer langen, bereits fertiggestellten Pipeline können die schwimmenden LNG-Terminals nun an das Gasfernleitungsnetz in Lubmin östlich von Greifswald angebunden werden. Mitte Mai soll die Anlage in Betrieb geben – sechs Wochen vor Start der heiß ersehnten Feriensaison auf Rügen.

  • Land- und Forstwirte fühlen sich politisch nicht mitgenommen

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, mit dem Rosenmontag hatte in dieser Woche vielerorts der Karneval seinen Höhepunkt erreicht. Auch das politische Leben lief in weiten Teilen der Republik in etwas gemäßigterem Tempo ab. In den Hochburgen des närrischen Treibens sollte nun nach Aschermittwoch allmählich wieder Normalität einkehren. Man kann nur hoffen, dass dies auch für die Regierenden in Berlin gilt und sie nicht ihre tollen Tage der vergangenen Wochen und Monate fortsetzen wollen. Sie hatten mit unverständlichen und als einseitig empfundenen Beschlüssen – Stichworte etwa Heizungsgesetz und zuletzt Agrardiesel – landesweit für große Aufregung und heftige Proteste gesorgt. Die Regierung bewegt sich hier weiterhin auf dünnem Eis. Entsprechend angespannt ist vielerorts die politische Stimmung im ländlichen Raum. Mit der Fröhlichkeit des Karnevals hat sie aktuell nichts mehr gemeinsam. Noch düsterer ist die Stimmung, wenn momentan der Blick nach Amerika fällt. Was der frühere US-Präsident Donald Trump dort jüngst zur Zukunft der NATO sagte, gefährdet die Grundlagen unserer äußeren Sicherheit. Wenn wahr werden sollte, was Trump angedroht hat, stehen Deutschland und Europa vor sehr unsicheren Zeiten. Auch der hiesige ländliche Raum wäre davon in hohe Maße betroffen. Denn die notwendige Ausweitung des Verteidigungsetats dürfte letztlich auch wichtige Infrastrukturmaßnahmen und andere Investitionen und Hilfen für dünner besiedelte Regionen in Mitleidenschaft ziehen. Andererseits kann eine Stärkung der Bundeswehr auch zur wirtschaftlichen (Wieder-)Belebung von Truppenstandorten beitragen. Und nicht zuletzt die Produktion von dringend benötigter zusätzlicher Munition dürfte naturgemäß eher in strukturschwächeren – sprich ländlichen – Regionen erfolgen. Leistungsbereite Arbeitskräfte gebraucht Solche Projekte lassen sich aber nur verwirklichen, wenn in den betreffenden Gegenden genügend leistungsbereite und qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, was wiederum nur in einem funktionierenden und attraktiven ländlichen Raum der Fall sein wird. Schon deshalb wäre die Politik gut beraten, alle Teile der Republik gleichermaßen im Auge zu behalten. Niemand darf sich abgehängt fühlen, so wie dies momentan in Teilen des ländlichen Raums leider der Fall ist. Die kürzlichen Proteste der Landwirte sind ein sichtbarer Ausdruck dieses Empfindens. Georg Schirmbeck, Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates, bringt den Kern des Problems in dieser Woche gegenüber der NOZ so auf den Punkt: „Wir Land- und Forstwirte werden einfach nicht mitgenommen. Klimagipfel und Biodiversitätskonferenzen laufen ohne uns Eigentümer der Flächen und Fachexperten ab. Das ist einseitig. Die Leute im ländlichen Raum werden polemisch in die Ecke gestellt. Wenn diese Spiele nicht aufhören, kriegen wir eine Spaltung der Gesellschaft.“ Ob die Politik nach den jüngsten Bauernprotesten tatsächlich hinhört, so wie Schirmbeck es fordert? Bislang sind hierfür kaum Ansätze zu erkennen. Der eigentliche Erfolg der jüngsten Demonstrationen liegt deshalb für den Präsidenten des Forstwirtschaftsrats auch woanders: in der hohen Akzeptanz der Proteste in der Bevölkerung. Das zeige laut Schirmbeck, dass es nicht um ein paar verrückte Bauern gehe, sondern dass sich die breite Masse der Bevölkerung – insbesondere im ländlichen Raum – nicht mehr von der Politik verstanden und mitgenommen, sondern bevormundet und vernachlässigt fühle. „Wir hatten noch nie so viele hoch qualifizierte Leute in der Land- und Forstwirtschaft – unsere Expertise genießt weltweit ein hohes Ansehen. Nur hier zu Hause redet man unsere Branche und die darin tätigen Menschen schlecht. Das muss aufhören – die Politik muss hinhören.“ Georg Schirmbeck, Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrates, in einem NOZ-Interview Ein weiteres Beispiel für Konflikte, die endlich gelöst werden sollten, ist das Tauziehen um mehr Tierschutz in der Nutztierhaltung. Zentral dabei: eine solide Finanzierung, die den Landwirten langfristige Sicherheit bei ihren großen Investitionen gibt. Doch die Umsetzung der Tierwohlabgabe wird nach jüngsten Meldungen wahrscheinlich eine unendliche Geschichte, bevor sie über die lädierte Staatskasse als Investitionshilfen dort ankommt, wo neue Ställe für das Mastvieh mehr Platz und Artgerechtigkeit in der Haltung bieten sollen. Wir hatten uns bereits letzte Woche mit diesem Thema befasst. Die Borchert-Kommission hat eine Abgabe von 40 Cent pro Kilo empfohlen, um jährlich auf die von den Experten errechneten 3,6 Milliarden Euro zu kommen, die notwendig seien. Der aktuelle Landwirtschaftsminister spricht vom „Tierwohl-Cent“ und muss irgendwie erreichen, dass der Finanzminister eine Abgabe für tierische Produkt wie Fleisch, Milch oder Butter erhebt. Zur Debatte stehen eine Verbrauchs- oder Mehrwertsteuer. EU-kompatibel muss das dann auch sein, was wiederum für eine Form der klassischen Verbrauchssteuer spricht – wie etwa die Kaffeesteuer für Röstkaffee mit 2,19 Euro pro Kilogramm oder 4,78 Euro für löslichen Kaffee. Würde die Tierwohlabgabe im Finanzetat versickern? Die Süddeutsche Zeitung hat sich kürzlich mit solchen Staatseinnahmen befasst. Sie kommt zu dem Schluss, dass letztlich das Geld weniger in den Umbau von Ställen fließen, sondern im Finanzhaushalt versickern würde. Eine Lösung über die Mehrwertsteuer geht auch nicht, zumal der Bundesrechnungshof gerade beim Finanzminister eine längst überfällige Reform der Mehrwertsteuer mit Beseitigung von Unterschieden in den Erhebungssätzen anmahnt. Auch die Finanzwächter nehmen das Beispiel des bereits besteuerten Kaffees. Wird er schwarz mit einem kleinen Schuss Milch serviert, werden wie beim Zusatz von Milchersatz 19 Prozent Umsatzsteuer erhoben; sind mindestens 75 Prozent „echte“ Milch in der Tasse – wie beim Cappuccino oder Latte Macchiato – kommen darauf sieben Prozent Mehrwertsteuer. Der Bundesrechnungshof mahnt den Finanzminister: „Die Liste der Ausnahmen zum ermäßigten Steuersatz wächst kontinuierlich. Schwimmbäder, Brennstoffe, Beherbergungen, Verkehrsmittel – für kaum eine Kategorie gilt ein einheitlicher Steuersatz. Die Regelungen sind kompliziert. Sie führen vielfach zu Abgrenzungsschwierigkeiten und widersprüchlichen Ergebnissen und beschäftigen seit Jahren nationale und europäische Gerichte.“ Werden die Ausnahmen gestrichen, kommen 35 Milliarden zusätzlich in die Staatskasse. Mal sehen, wie es Lindner wohl in dieser Gemengelage mit der gewünschten Tierwohlabgabe in der Praxis halten würde … Weitere Verbesserungen, die die Belange der Landwirtschaft und des Umweltschutzes sinnvoll in Einklang bringen, sind das Gebot der Stunde: Die Brüsseler EU-Kommission hat dem in dieser Woche Rechnung getragen, als sie jetzt eine umstrittene Auflage für europäische Bauern rückwirkend zum 1. Januar aussetzte, wonach die Landwirte vier Prozent des Ackerlandes brachliegen lassen oder unproduktiv nutzen müssen. Voraussetzung, um die Ausnahme in Anspruch nehmen zu können, ist nach Angaben der Kommission, dass Bauern im Gegenzug auf vier Prozent ihrer Ackerflächen stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen oder Erbsen beziehungsweise Zwischenfrüchte anbauen. Doch mit diesem Brüsseler Pragmatismus kann sich die deutsche Umweltministerin leider nicht anfreunden. Steffi Lemke (Grüne) lehnt die Entscheidung der Kommission aus Artenschutzgründen ab. Sie will sich stattdessen dafür einsetzen, dass die Ausnahmen in Deutschland nicht umgesetzt werden – eine in der aktuellen Krisenlage doch recht rigorose Haltung. Immer mehr Eile beim Essen Genug der Politik. Ich wünsche Ihnen ein erholsames und ruhiges Wochenende. Und vielleicht nehmen Sie sich ja auch mal etwas Zeit zur persönlichen Entschleunigung in der Natur und im ländlichen Raum – sofern Sie nicht ohnehin das Glück haben, dort zu wohnen. Manchmal hilft auch ein bewusster Blick zurück, um zu erkennen, was einem in der heutigen Zeit gelegentlich abhandengekommen ist. Beispiel Essen. So war es im bäuerlichen, ländlichen Leben über Jahrhunderte üblich, zwei Hauptmahlzeiten zu nehmen, eine am Morgen und eine am Mittag. Und heute? „2024 ist das Jahr des Snacks“, heißt es in der Neuen Zürcher Zeitung. Mahlzeiten seien von gestern. Statt Frühstück, Mittag- und Abendessen einzunehmen, wird gesnackt, und zwar den ganzen Tag über. Keine Frage, eine solche Flexibilität kommt dem heutigen Lebensstil insbesondere vieler Großstädter sehr entgegen. Alles muss schnell, bequem und vermeintlich cool sein. Doch passt dieses im wörtlichen Sinne Fast Food tatsächlich zu dem „guten Leben“, wie es sich die meisten von uns mehr oder minder offen wünschen? Zeit, am Wochenende vielleicht mal darüber nachzudenken … In diesem Sinne verbleibe ich mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination

  • Politische Aufregungen ohne Wirkung – Was die EU noch für die Bauern tut – Die Jagd und ihre Akzeptanz

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, die Kernaussage des ZDF-Politbarometers von gestern überrascht die Beobachter des Parlamentsbetriebes in Berlin schon. Nach allen ernsten und künstlichen Aufregungen rund um Scholz, Lindner oder Habeck – die Mehrheit in unserem Lande ist der Meinung: „Die Regierung hält - trotz Streit.“ Genau sind es 74 Prozent, die erwarten, dass die Ampel bis zum Ende der Legislaturperiode nicht auseinanderbricht. Gleichwohl wird nach Feststellung der Forschungsgruppe Wahlen die Arbeit des Kabinetts und damit der Gesamtheit der Ampel-Ministerinnen und Minister „sehr negativ“ bewertet. Im Ranking des Spitzenpersonals schneidet Boris Pistorius am besten ab. Cem Özdemir wird in der Gruppe der zehn wichtigsten Politiker nicht genannt. Das liegt vielleicht nicht direkt an ihm selbst, sondern auch daran, dass die Themen seines Fachbereichs nach der Zeit der Haushaltsberatungen und Trecker-Protesten auf der Agenda des Berliner Tagesgeschäftes erst einmal wieder nach unten gerutscht sind. Die Betroffenen in der Agrar- und Forstwirtschaft haben trotzdem unverändert die steuerliche Behandlung, steigende Kosten, bürokratische Auswüchse und branchenbezogene Zukunftssorgen besonders in den Familienbetrieben auf ihrer Agenda. Der ländliche Raum bleibt im Großen und Ganzen ein Thema am Rande Besonders auffällig war in dieser Woche, wie Repräsentanten und auch einzelne Unternehmer der Industrie den Kanzler mit ihren Praxis-Erfahrungen nahezu zur Sprachlosigkeit brachten. Knappe Worte liegen Olaf Scholz ohnehin. Zur Eröffnung der Hannover Messe geriet er wieder ins Blickfeld politischer Beobachter und internationaler Industrieplayer. Als er auf dem Stand des Metallunternehmens Rittal aus Hessen vom Aussteller als Replik auf seine Antwort auf die Kritik des BDI-Präsidenten („Das Lied des Kaufmanns ist die Klage“) die Ergänzung „… das Lied der Industrie sind die Lösungen“ hörte, wandte sich der Kanzler nach Beobachtungen von Zeitzeugen mit der schlichten Bemerkung „Jaha“ lächelnd ab. Das war dann der Folgeauftritt zu dem Spitzengespräch mit den vier wichtigsten Verbänden der deutschen Wirtschaft Anfang April. Gewöhnlich ist der ländliche Raum nicht mit vertreten, wenn der Kanzler mit BDI, BDA, ZDH und DIHK spricht – allenfalls am Rande durch die organisierte Handwerkerschaft. Auch im Zwölf-Punkte-Plan des Finanzministers und FDP-Vorsitzenden spielen die Anliegen des ländlichen Raumes höchstens indirekt eine Rolle. Mal sehen, was daraus dann nach dem Bundesparteitag der Liberalen an diesem Wochenende in Berlin wird. Da wird Europa in den Blick genommen. Die Themenauflistung der FDP dazu enthält in ca. 45 Stichpunkten unter A-Z irgendwann auch Punkte wie Klima, Umwelt und Landwirtschaft und dann Bereiche, die auch in den ländlichen Raum strahlen. So z.B. Infrastruktur, Digitalisierung, Gesundheit, Soziales oder Mobilität. Planbare EU-Entlastungen für die Bauern Bleiben wir beim Stichwort Europa. Das Parlament in Straßburg hat in dieser Woche mit der letzten Sitzung vor der Wahl in allen Mitgliedsländern vom 6. bis zum 9. Juni sein Restprogramm erledigt. Am Mittwoch hat es den Weg frei gemacht für das erwartete Agrar-Entlastungspaket. Der Vorschlag stammte von der EU-Kommission. Wichtig ist: Bisher gewährte die EU Entlastungen, die wegen der Pandemie und den hohen Energie- und Rohstoffpreisen in Folge des russischen Angriffskriegs nur befristet waren. Diesmal haben die Bauern mehr Planungssicherheit. Die Erleichterungen sollen bis zum Ende der Förderperiode der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) gelten, also mindestens bis Ende 2027. Und das wurde beschlossen: Die insbesondere bei den deutschen Bauern als „Enteignung“ verstandene Vorschrift, vier Prozent der Fläche als Maßnahme des Artenschutzes brach liegen zu lassen, wird abgeschafft. Gegen eine Prämie können die Landwirtschaftsbetriebe auf freiwilliger Basis dennoch Ackerflächen stilllegen. Auch bei anderen Vorschriften, die die Bauern einhalten müssen, um die Flächenprämie zu erhalten, hat die EU Erleichterungen beschlossen. Sie heißen im Fachjargon „GLÖZ“ und gelten als Standards für einen „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“. Es gibt neun „GLÖZ“-Standards. Der achte ist außer Kraft gesetzt worden. Vier weitere, bei denen es unter anderem um den Fruchtwechsel und die Bodenbedeckung zu sensiblen Zeiten geht, wurden entschärft. Zudem entlastet die EU die Bauern weiter bei der Bürokratie. Das Entlastungsprogramm für die Landwirtschaft ist auch eine Reaktion der Kommission auf die Bauernproteste. Es wurde im beschleunigten Verfahren beschlossen, die Zustimmung der Mitgliedstaaten steht zwar noch aus, ist aber Formsache. Es soll noch vor der Europawahl Anfang Juni in Kraft treten. In der nächsten Woche berichtet unser Autor für EU-Themen, Ludwig Hintjens, für uns, wie das Paket bei Landwirten in der Ortenau aufgenommen wurde. Norbert Lins (CDU), Chef des Agrarausschusses im Europaparlament, hat drei Betriebe besucht und mit den Bauern gesprochen. Die Jagd und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft Wenn wir schon auf dem Lande unterwegs sind, schauen wir natürlich wie auch andere darauf, wie sich sonst Feld und Wald entwickeln. In unserem Blog wird der Forstwissenschaftler Thorben Hammer als unser Gastautor zum 1. Mai beschreiben, was sich aktuell im Wald tut und dort getan wird. Dazu gehört im Idealfall ein zwischen Forstleuten und Jägern abgestimmtes Waidwerken. Der Blick auf Fakten und gewachsene Zusammenhänge ist für mich bedeutsam, wenn es um die Jagd und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft geht. Nach der gelegentlich zu vernehmenden Lautstärke ihrer organisierten Gegner ist die Jagd ein Auslaufmodell. Die Wahrheit sieht anders aus. Seit Jahren wächst bei uns die Anzahl der Jägerinnen und Jäger kontinuierlich und kräftig. Vor allem die der Waidgenossinnen. Und übrigens auch die der ehemaligen Veganer. Es hat sich herumgesprochen, dass Wildbret die fairste Art des Fleischverzehrs ist. Mehr Tierwohl geht wohl nicht, es sei denn durch Totalverzicht. Spannend, dass mitunter auch Medien außerhalb der Fachpresse gute Haare an der Jägerschaft lassen. So berichtet aktuell die Wirtschaftswoche mit Fakten unterlegt, wie sich die Jagd als „beachtlicher Wirtschaftsfaktor“ entwickele. Im Durchschnitt lässt sich bei uns in Deutschland jede oder jeder einzelne die Passion Jagd 6.309 Euro jährlich kosten. Das gilt für die 436.000 Jägerinnen und Jäger in unserem Lande. Rund ein Drittel der genannten Durchschnittssumme geht als Pacht an die meist bäuerlichen Revierbesitzer. Für Waffen und Munition beträgt der Anteil an den statistisch errechneten durchschnittlichen Jagdkosten nur gut elf Prozent. Auf Biotoppflege, Reviereinrichtungen und den Ausgleich von Wildschäden entfallen danach etwa 22 Prozent. Am Rande: In den gelobten Öko-Ländern Skandinaviens gehört die Jagd zumindest im ländlichen Raum immer noch zum Alltag. In Norwegen kommen elf Einwohner auf einen Jagdscheininhaber, in Finnland sind es 18 und in Schweden 36. Mit einem Jäger auf 193 Einwohner ist in Deutschland noch reichlich Luft nach oben. Und der letzte Platz unter den EU-Ländern wohl noch länger sicher. Was nicht an den Ausbildungs- und Prüfungskosten von durchschnittlich 2.610 Euro liegen dürfte. Sondern eher an jahrzehntelang gepflegten Vorurteilen. Die gibt es beispielsweise inzwischen auch in England, wo nach einer anderen Statistik rund 400.000 Jägerinnen und Jäger registriert sind. Damit besteht im Vergleich zu uns ein ähnliches Verhältnis zur Einwohnerzahl. Für manchen blicken wir damit auch einmal auf eines der Mutterländer von Jagdprivilegien, die natürlich nicht mehr zeitgemäß sind. Die Geschichte ist manchmal auch belastend, wenn es Verbänden und Stimmen wie uns von natur+mensch darum geht, mit sachlichen Darstellungen und faktenunterlegt um mehr gesellschaftliche Akzeptanz für die Jagd zu werben. Dabei stehen wir zur Geschichte der Jagd, wie sie historisch gewachsen und stark im ländlichen Raum ausgeprägt ist. Es ist und bleibt eine Form der Naturnutzung, zu der ich stehe. Ein kleiner Ausflug über den Kanal Gelegentlich beobachten wir, wie die „Countryside Alliance“ in Großbritannien quasi ebenfalls als „Bürgerinitiative für den ländlichen Raum“ ähnliches wie wir bei natur+mensch tun. Alliance-Sprecher Tim Bonner befasst sich in seinem aktuellen Newsletter mit der Erhaltung gefährdeter Arten durch die Bejagung von Raubwild und beschreibt, wie sich auf der Insel Erscheinungen der Tierrechtsbewegung mit verschwimmenden Grenzen zu Umwelt- und Naturschutzorganisationen angleichen. Bonner berichtet von einer zunehmenden Frustration, die viele in Großbritannien erfasse, wenn sie erleben, wie Naturschutzorganisationen beispielsweise das Töten von Füchsen anprangern. Und das obwohl durch solche Tendenzen etwa Brachvogel-Wiederherstellungsprojekte gefährdet würden. Etwas süffisant blickt er übrigens aufs Festland: Das Töten von Wölfen sei in seinem Land kein Problem, mit dem sich die „Countryside Alliance“ direkt befassen müsse, da es diese Tiere auf den Inseln seit dem 17. Jahrhundert nicht mehr gebe. Das sei eine gewisse Erleichterung, da man es im Vereinigten Königreich mit anderen Problemen gegen die Jagd zu tun habe. Die Debatte in Europa scheine, so Bonner weiter, durch den Tod eines Ponys namens Dolly, das auf einem niedersächsischen Anwesen von Wölfen getötet wurde, erheblich beeinflusst worden zu sein. Dies sei ein „gewisser Fehler der Wölfe“ gewesen, da Dolly das Kindheitspony der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war. Er verortet in diesem Zusammenhang eine neue Interpretation der Regeln rund um die Wolfsjagd in der EU. Zu Deutschland im Speziellen hat er nichts geschrieben. Dafür verweist die „Countryside Alliance“ darauf, wie anderswo auf der Welt die Argumente für die Tötung von Wölfen eher auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen. In Kanada habe so eine neu veröffentlichte Studie herausgefunden, dass die Reduzierung der Wolfszahlen für die Erholung der stark bedrohten Bergkaribu-Populationen von entscheidender Bedeutung sei. Zugegebenermaßen ist das diesmal abschließend ein weiterer Ausflug in dieser wöchentlichen Kolumne. Hoffentlich können Sie dagegen in Ihrer Nähe ein Wochenende genießen, das Zeichen und Temperaturen des Frühlings erwarten lässt. Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination

  • Umverteilung gegen die Provinz

    Nicht nur das Deutschlandticket ist eine Subvention zum Schaden des ländlichen Raums Nun haben auch die Hauptstadt-Medien erkannt, dass das hochgelobte Deutschlandticket ein weiteres Verlustgeschäft für den ländlichen Raum ist. Dort können gerade mal 21 Prozent der Menschen die Mobilität zum (Fast-)Nulltarif nützen, sind aber bei der zwei Milliarden teuren Gegenfinanzierung aus Steuergeldern voll dabei. Und das ist nicht die einzige Ungerechtigkeit zur Rettung der Metropolen mit ihrer sozialen Schieflage. Bezeichnend, dass es Politiker gibt, die 49 Euro für den Monat freie Fahrt durch Deutschland immer noch zu teuer finden. Es sind oft die gleichen Tagträumer, die immer noch glauben, dass sich Normalverdiener ein Elektroauto locker leisten können. Und die nicht begreifen können, dass Berufspendler im ländlichen Raum nicht aufs Fahrrad umsteigen können. Senioren und im Laufen eingeschränkte Menschen schon gleich gar nicht. Zugleich hat solche Ideologie nicht verhindert, dass lange Zeit auch der Kauf sündteurer und übermotorisierter Prestige-E-Gefährte satt subventioniert wurde – natürlich mit Steuergeldern aller Bürger. Weil diese Politik der Autoindustrie lange das Kopfzerbrechen über sowohl erschwingliche wie umweltverträgliche Modelle ersparte, droht nun weiterer Subventionsbedarf – diesmal für die Hersteller, die schon vernehmbar nach dem Staat rufen. Und bald werden auch die Wohnungsbaukonzerne folgen, die bei marktüblichen Großstadt-Mieten das Problem haben, Mieter zu finden, die sich solche Wohnungen leisten können. Auch die dramatisch wachsenden Sozialtransfers über Wohngeld & Co. sind Umverteilung zum Schaden der Provinz. Nachzudenken, ob Bürgergeld-Empfängern nicht auch der Wohnsitz-Wechsel in Regionen mit günstigen Mieten zuzumuten wäre, grenzt in manchen Augen schon an Menschenfeindlichkeit. Wie die Modellrechnungen, dass sich das Arbeiten für Geringverdiener in den Metropolen kaum noch lohnt. Selbst der Hinweis, dass Sozialleistungen den Wettbewerb auf dem Wohnungsmarkt verzerren, sind verpönt. Die Gutsituierten genießen ihre urbane „Blase“ hingegen ohne Gewissensbisse. Obwohl klar ist, dass Pflegekräfte oder Reinigungspersonal ohne Subventionen längst die Großstädte verlassen müssten. Gern wird dazu noch übers Prekariat und seine Nöte gejammert. Und dabei gerne übersehen, was es mit Familien macht, wenn selbst Doppel-Verdiener (und selbst Beamte) Nebenjobs brauchen, um über die Runden zu kommen. Was nützt die akademische Aufregung über die wachsenden Erziehungs- und Bildungsdefizite von Schulkindern, wenn Eltern am Limit leben müssen? Wenn ganze Stadtviertel verelenden und horrende Steuergelder für das Bemühen aufgewendet werden, durch staatliche Förderung zu ersetzen, was Familien nicht mehr leisten können? Lückenhaftes Nahverkehrsnetz als wahres Problem Die Wohlfühl-Mentalität verweigert den Blick auf die Realität. Wenn eine Lehrkraft nicht mehr reicht, um in einem Großstadt-Klassenzimmer dem Bildungsauftrag gerecht zu werden und zu ersetzen, was Elternhäuser nicht mehr leisten können – und zugleich Lehrermangel ebenso den ländlichen Raum bedroht. Wie der über Jahrzehnte geduldete Rückzug der Bahn aus der Fläche, der umweltverträgliche Mobilität weit mehr verhindert als das Festhalten am Verbrenner-Auto. Die mangelnder Affinität zum urbanen Ambiente unverdächtige „Süddeutsche Zeitung“ lässt da ein wenig hoffen: „Das wahre Problem des Deutschlandtickets ist das lückenhafte Nahverkehrsnetz. Es ist kein Zufall, dass in Großstädten bis zu 30 Prozent der Einwohner das Ticket nutzen, in vielen ländlichen Regionen hingegen gerade einmal sechs Prozent. Und es ist kein Zufall, dass die Zahl der echten Neukunden im einstelligen Prozentbereich verharrt und die der Umsteiger vom Auto kaum messbar ist. Wo keine Bahn fährt, da bringt auch ein günstiger Fahrschein wenig.“

  • Der Mangel an Landärzten – ein Dauerproblem

    Das Problem des Ärztemangels ist nicht neu, doch nachhaltig wirkende Rezepte zur Heilung fehlen weiterhin Versorgung – immer wieder Versorgung. Es bleibt ein Dauerbrenner in der Gesundheitspolitik und betrifft gerade die ländlichen Regionen. Wenn Mediziner aller Fachrichtungen vom 7. bis zum 10. Mai zum 128. Deutschen Ärztetag in Mainz zusammenkommen, wird es ebenfalls um die Versorgung gehen – und zwar um das geplante Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, kurz GVSG. Das Zehn-Silben-Wort ist derzeit bei den Fachleuten in aller Munde, bei Vertretern von Ärzteschaft und Krankenkassen ebenso wie bei Gesundheitsexperten in der Bundespolitik. Der vierte Entwurf des GVSG liegt mittlerweile vor, und hier zeigen sich, wie auch sonst in der Ampel, inhaltliche Differenzen zwischen der SPD und der FDP – unter anderem bei den umstrittenen Gesundheitskiosken und Primärversorgungszentren, die beide aus dem neuesten Gesetzesentwurf geflogen sind. In einem Grußwort, veröffentlicht im (online zugänglichen) Programmheft des Deutschen Ärztetages, schreibt Ärztepräsident Klaus Reimann, dass mit dem GVSG endlich die Entbudgetierung und ergänzende Pauschalen für die hausärztliche Versorgung kommen sollen. Für Reimann sind das Schritte in die richtige Richtung, vorausgesetzt, das Gesetz wird praxistauglich ausgestaltet. Der Verband der Ersatzkassen (vdek) sieht das anders: „Statt hier Versichertengelder mit der Gießkanne auszuschütten, brauchen wir insbesondere für ländliche Regionen zielgenaue, vernetzte Lösungen“, forderte die vdek-Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner. Da gehen im ständigen Verteilungskampf um die Gelder wieder die Meinungen der Interessengruppen in der Gesundheitspolitik auseinander. In Dörfern und Kleinstädten besonders deutlich spürbar Die Versorgung beschäftigte bereits auf dem Ärztetag 2023 die Mediziner und war in früheren Zeiten ebenfalls akut. Wer dazu im Internet recherchiert, stellt fest: Schon vor zehn, zwölf Jahren wurde das Thema klar benannt. „Der Ärztemangel auf dem Land wird immer drängender“, schrieb zum Beispiel Andreas Mihm am 24. Juni 2014 in der „Frankfurter Allgemeinen“. Und bereits am 11. Juni 2015, Bundesgesundheitsminister war damals noch Hermann Gröhe (CDU), verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung, abgekürzt GKV-VSG. Ein zentrales Ziel war es seinerzeit, die flächendeckende ambulante medizinische Versorgung zu sichern. Nachhaltig gewirkt hat es offenbar nicht. Der Mangel bleibt ein Langzeitproblem, mit dem sich die Politik nach wie vor beschäftigt. Warten, bis (k)ein Arzt kommt – dieses Problem ist längst nicht mehr ein theoretisches Szenario in ferner Zukunft. Vielmehr spüren Millionen Patientinnen und Patienten den Mangel bereits heute, wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kürzlich feststellte. Die Ursachen sind vielfältig: Immer mehr Ärztinnen und Ärzte arbeiten in Teilzeit, der Anteil angestellter Ärzte nimmt zu und zahlreiche Mediziner der geburtenstarken Jahrgänge treten jetzt und in den kommenden Jahren in den Ruhestand. In Dörfern und Kleinstädten wirkt sich das besonders deutlich aus. Patentrezepte gegen den Mangel hat bisher noch niemand gefunden. Zwar ist die Forderung völlig unstrittig, wonach die Gesundheitsversorgung nicht vom Wohnort abhängen darf. Aber in der Praxis ist eine Lösung nicht so einfach. Immerhin haben die meisten Bundesländer eine Landarztquote eingeführt, sodass nicht allein die Absolventinnen und Absolventen mit Einser-Abitur Medizin studieren können. Bayern und Rheinland-Pfalz führen die Landarzt-Quote auch für Kinderärzte ein Baden-Württemberg, das mit dem schrägen Begriff „The Ländarzt“ wirbt, meldet immerhin 390 Bewerbungen für einen von 75 Medizin-Studienplätzen. In Sachsen sind es nach Angaben des Gesundheitsministeriums 130 Bewerbungen für 40 Studienplätze. In Bayern waren es für die 188 Studienplätze bisher etwa viermal so viele Bewerber – in Niedersachsen lag die Nachfrage für das Wintersemester 2024/25 und das Sommersemester 2025 mit 278 Bewerberinnen und Bewerbern unter den Erwartungen. Große Hoffnungen, doch eine nicht so große Nachfrage – das könnte an der Verpflichtung für immerhin zehn Jahre liegen und an der drohenden Vertragsstrafe von immerhin bis zu 250.000 Euro. Und auch daran, dass die Auswahl der Fachrichtungen für die angehenden Landärzte eingeschränkt ist. Daher ist es ein passender Schritt, wenn Rheinland-Pfalz eine Landkinderarzt-Quote einführen will und auch Bayern die Landarzt-Quote auf die Kinder- und Jugendmedizin ausweitet.

  • Schulterschluss im ländlichen Raum

    In den grünen Bereich im ursprünglichen Sinn kommt Bewegung – politisch und gesellschaftlich Enger Schulterschluss war das immer wieder beschworene Stichwort bei den Präsentationen und Gesprächen auf der gerade zu Ende gegangenen Grünen Woche in Berlin. Dort waren natürlich alle Interessenverbände des ländlichen Raumes nicht nur vertreten, sondern in den Spitzen sichtbar und betont gesprächsoffen. Bestes Beispiel war der Parlamentarische Abend des Deutschen Jagdverbandes (DJV) mit dem Deutschen Schützenbund (DSB) und dem Deutschen Forstwirtschaftsrat (DFWR). Was verbindet da? Es geht um gesellschaftliche Akzeptanz und den Umgang mit dem gesetzlichen Veränderungsdrang, dem sich aktuell die Betroffenen dieser Bereiche ausgesetzt sehen. Die Waffengesetzgebung ist ein ständiges Thema. Die Jagdgesetzgebung entfernt sich bundesweit – auch durch verschiedene Landesregierungen betrieben – immer weiter von Prinzipien der Waidgerechtigkeit, wie sie unsere Jagd über Generationen mit einem großen Anteil an Eigenverantwortung für die Natur geprägt hat. Und ein Entwurf für ein neues Waldgesetz mit angedachten staatlichen Neuordnungen auch für den privat betriebenen Forst mit weitgehenden Auflagen und Sanktionsüberlegungen kursiert in den Ampel-Ministerien Umwelt und Landwirtschaft. Fakten als Diskussionsgrundlagen: Es muss mehr erklärt werden Immer wieder war in den Gesprächen oder bei Statements auf Veranstaltungen zu hören, dass der ländliche Raum nicht mehr, sondern weniger bürokratische Auflagen oder gesetzliche Regelungen braucht. Was stimmt, ist die wachsende Notwendigkeit, der Politik und der Gesellschaft mehr zu erklären, Fakten als Diskussionsgrundlagen zu betonen und überhaupt bei widerstreitenden Interessen ins Gespräch zu kommen. So bezeichnete die Messe in Berlin selbst die Grüne Woche als „Dialogplattform Nummer eins für Politik und Branche“. Das scheint in diesem Jahr trotz aller politischer und medialer Auseinandersetzungen besser funktioniert zu haben als in früheren Jahren. In erster Linie standen gerade nach der Aktionswoche der Bauern natürlich die Land- und Ernährungswirtschaft besonders im Mittelpunkt. Gleichzeitig geht es um geradezu natürliche Zusammenhänge damit und das, was alle Landnutzer und alle Menschen auf dem Lande mit ihren Zukunftssorgen bewegt. Wo immer man auch die Grenze des „Städtischen“ oder „Ländlichen“ in Bevölkerungszahlen zieht: Weit mehr als die Hälfte unserer Bevölkerung ist dem ländlichen Raum zuzuordnen. Und die Themen, die in diesem Zusammenhang aktuell gesetzt wurden, werden fortgeschrieben. Die Bauern lassen nicht locker und setzen ihre Proteste in Einzelaktionen fort. Solange die Bundesregierung nicht einlenkt, rollen offensichtlich die Demotrecker, wie auch nach der offiziellen Aktionswoche des Bauernverbandes in Berlin zu erleben war. Gestern fuhren in Hamburg über 500 landwirtschaftliche Fahrzeuge aus verschiedenen Richtungen über fünf Hauptrouten in die Innenstadt. Ihr Demonstrationsmotto auf einer Kundgebung am Bahnhof Dammtor: „Gegen Steuer und Bürokratiewahn“. Unruhe im ländlichen Raum auch in Frankreich In unserem Blog haben wir schon thematisiert, dass die Unruhe im ländlichen Raum offensichtlich auch in anderen Länder Europas zunehmend zum Thema wird. Wir hatten unlängst auf Frankreich als geistige Heimat der Bauernproteste hingewiesen, indem wir auf „natur+mensch“ dazu die „Countryside Alliance“ in Großbritannien zitiert haben. Gestern war die Meldung zu lesen, dass 15.000 Polizisten die „Belagerung“ von Paris durch Bauern verhindern sollen. Sie sollen sicherstellen, dass die französische Hauptstadt, die Flughäfen und der Großmarkt Rungis erreichbar bleiben. Auch dort geht es nach der Rücknahme von Agrardiesel-Kürzungen weiter gegen „zu viel Bürokratie, sinkende Einnahmen und komplexe europäische Umweltauflagen“. Auslöser war dasselbe Thema wie in Berlin: der subventionierte Sprit zum Ackern.

  • Zollfreiheit mit Nebenwirkungen: Geflügel zu Dumpingpreisen

    Der ukrainischen Wirtschaft muss geholfen werden. Dennoch ist es keine gute Politik, wenn die EU die Zollfreiheit auch auf alle Agrarprodukte um ein Jahr verlängern will Die EU-Kommission wird in den nächsten Tagen vorschlagen, dass die Ukraine weiterhin Zollfreiheit bei Exporten in die EU in Anspruch nehmen kann. Damit soll die Wirtschaft des Landes, das seit zwei Jahren von Russland mit einem brutalen Angriffskrieg überzogen wird, entlastet werden. Die Zollfreiheit, die Anfang Juni auslaufen würde, soll zunächst um ein Jahr verlängert werden. Die Entscheidung ist auf der einen Seite nachvollziehbar. So leistet die EU neben den Waffenlieferungen und den finanziellen Unterstützungen auch über die Zollfreiheit einen Beitrag, damit sich das vom Krieg geschundene Land gegen den Aggressor aus dem Osten wehren kann. Je länger aber die Zollfreiheit gewährt wird, umso größer werden strukturelle Verwerfungen dieser Maßnahme vor allem im Bereich der landwirtschaftlichen Produkte. Die ukrainische Landwirtschaft wird auch von großen Unternehmen geprägt. Nicht wenige der Betriebe, die über unvorstellbar große Flächen verfügen, sind in der Hand von Anteilseignern und Besitzern aus dem Ausland. Gerade die großen Agrarkonzerne finden in der Ukraine gute Investitionsbedingungen vor. Die Löhne sind deutlich niedriger als in der EU. Da die Agrarflächen groß sind, ergeben sich Skaleneffekte. So hatte die ukrainische Landwirtschaft bereits vor dem russischen Angriff beträchtliche Anteile am Weltmarkt. Dies gilt vor allem für Getreide. Die Gewährung der Zollfreiheit in der EU hat dazu geführt, dass die ukrainischen Getreidehändler zunehmend Mais, Sonnenblumensaaten, Gerste und Weizen in den angrenzenden fünf EU-Ländern verkauft haben: Slowakei, Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Die Bauern in den betroffenen EU-Ländern haben seitdem mit massivem Preisdruck zu kämpfen. Zollfreiheit wirkt wie eine Subvention: Es gibt eben auch unerwünschte Effekte. Hier heißt das: International aufgestellte Agrarunternehmer, die bereits in der Ukraine aktiv sind, verlagern nun gezielt Investitionen in das Kriegsland und weiten die Produktion bei weiteren Produkten aus. So etwa jetzt bei Zucker, Geflügel- und Schweinefleisch. Sie handeln betriebswirtschaftlich sinnvoll, weil die Konditionen in der Ukraine nicht nur wegen der Löhne attraktiver sind. Kontrollen zunehmend laxer In der EU müssen die Unternehmen die hohen Umweltstandards der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) einhalten, auch beim Tierwohl gelten strengere Vorschriften. An der Grenze werden allenfalls stichprobenartig phytosanitäre Kontrollen vorgenommen. Das heißt, die Produkte werden auf Rückstände von Pflanzenschutzmitteln geprüft. Und auch diese Kontrollen sind, wie in Brüssel zu hören ist, zuletzt immer laxer ausgefallen. Die Behörden drücken bewusst ein Auge zu. Damit sind ukrainische Agrarunternehmen im Binnenmarkt deutlich wettbewerbsfähiger als EU-Unternehmen. Auch bei Geflügel, Schweinefleisch und Zucker ist wegen des größeren Angebotes ein Preisverfall in der EU zu beobachten. Die EU-Anrainer der Ukraine hatten sich bereits gewehrt. Zunächst mit Billigung der Kommission und seit Herbst ohne Billigung haben sie Importverbote für Getreide aus der Ukraine erlassen. In Polen und Rumänien gibt es bereits Bauernproteste. Sie richten sich auch gegen die ukrainischen Importe zu Dumpingpreisen. Zunehmend gibt es auch Widerstände gegen die Zollfreiheit aus den Regierungen von weiter westlich gelegenen EU-Ländern. Etwa aus Paris. Die Kommission verspricht zwar, dass sie „Vorsichtsmaßnahmen“ zum Schutz gegen den Preisverfall ergreifen will. Doch die pauschale Zollfreiheit soll weitergelten. Das wäre falsch. Die Kommission sollte stattdessen Zollkontingente für alle Agrarprodukte einführen, die anfällig sind für Marktverzerrungen. Etwa bei Geflügel sind die Margen deutlich höher als bei Getreide. Die EU kann kein Interesse daran haben, Anreize zu setzen für die Ansiedlung exportorientierter Geflügelgroßbetriebe im Nachbar- und Beitrittsland. Damit unterliefe Brüssel die eigenen Ziele in der Landwirtschaftspolitik. Niemand rechnet mit einem baldigen Ende des Krieges. Daher sind Kommission und Co-Gesetzgeber dringend gefordert, sich in der Handelspolitik mit der Ukraine von schlechten Provisorien zu verabschieden und für Regeln zu sorgen, die auch den Interessen der Bauern und Verbraucher in der EU entsprechen.

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