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Zwischen Wahlkreis, Wohlstand und Wolf: Politische Schlaglichter des Sommerlochs

  • Autorenbild: Jost Springensguth
    Jost Springensguth
  • 23. Aug.
  • 7 Min. Lesezeit

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundespolitik


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Liebe Leserin, lieber Leser,


in dieser Woche blicken wir noch einmal durchs politische Sommerloch aufs Land. Der Kanzler zeigt, wie sehr die Außenpolitik zurzeit und mit weiterer Innenwirkung alles überstrahlt. Derweil pflegen viele Parlamentarier die Übung, sich dort sehen zu lassen, wo sie gewählt wurden. Besonders aufgeschlossen bei ländlichen Anliegen zeigen sich aktuell der SPD-Vorsitzende und auch sein Fraktionschef in ihren Wahlkreisen in der niedersächsischen Heimat. Matthias Miersch befasst sich mit dem, was Landwirte aktuell hier vor Ort bewegt. Das sind Themen wie Bürokratie oder auch angemessener Pflanzenschutz zur Sicherung von guten Erträgen. Weiter gehen wir wieder und ausführlicher auf den politischen Umgang mit dem Wolf ein. Ein gerade in Brandenburg drängendes Thema, das der dort zuständige Staatssekretär besonders entschlossen angeht.


Gibt es Fehlzündungen, so haben wir es früher schon beim alten Zweitakt-Moped gelernt, muss man mal eine Zündkerze rausdrehen und mit der Drahtbürste reinigen, um das Knallen und Stottern zu beenden. Dieses Bild ist im Gespräch über unsere aktuelle innenpolitische Lage mit einem vertrauten journalistischen Freund entstanden, als es um die aktuelle Innenpolitik und die Stimmung im Lande ging. Der den Schraubenschlüssel zur Hand nehmen kann, steht nicht in Reichweite und damit nicht zur Verfügung. Es wäre der Kanzler, der dafür sorgen muss, den Motor endlich rund laufen zu lassen. Notwendigerweise ist er gerade mehr anderswo beschäftigt und steckt seine Energie in seine Führungsrolle, die er für Europa übernommen hat. Das ist auch gut so für uns. Die Außenpolitik mit all ihren Verwerfungen strahlt ständig bei uns ins Innere. Allein wenn es darum geht, wer das zu bezahlen hat, was Putin mit seinem Angriffskrieg anrichtet. Damit sind wir beim Finanzminister, der in diesen Tagen abseits im eigenen ländlichen Wahlkreis Präsenz zeigt, selbst wenn es ums Sommerinterview im ZDF geht. Das wird üblicherweise in Berlin aufgezeichnet. „Herzlich willkommen in meiner Heimat!“, begrüßte Lars Klingbeil Moderatorin und Zuschauer aus Scheeßel.


Neuerdings zeigt die SPD damit auch verstärkt ländliche Nähe. Und so tut es fast gleichzeitig neben dem Parteivorsitzenden auch Matthias Miersch, ebenfalls in niedersächsisch-ländlicher Umgebung. Er spricht unter anderem über die Kraft des Dialogs. Auf die kommt es ja in einer Koalition wie dieser mit der Union nun einmal an. Für Miersch sei es beispielhaft, wie in Niedersachsen über Konflikte zwischen Landwirtschaft und Naturschutz geredet werde – mit viel Dialog und dem Ringen um Lösungen. So zitiert ihn ein in die nördliche Provinz gereister Reporter der Süddeutschen Zeitung, wo Miersch wie viele Abgeordnete aller Fraktionen den Sommer nutzt, um mit der Basis zu reden. So ist in der SZ weiter zu lesen: „Matthias Miersch steht an einem heißen Augusttag auf einem Acker in Schwüblingsen und berichtet im Kreise heimischer Landwirte von einem seiner bekanntesten Fälle als Anwalt. Die Rettung der Kartoffelsorte Linda. Ein Saatgutkonzern wollte sie vom Markt verbannen, niedersächsische Bauern klagten mit Mierschs Hilfe erfolgreich gegen Lindas Ende.“ Weitere Themen, die wir auch aus unserem Blog kennen: Vorgaben des Düngerechts und des Wasserschutzes, die Nitratkonzentration. Von hier wolle Miersch einiges für die Arbeit im Bundestag mitnehmen. Und das mit der sicher auch auf dem Lande nicht neuen Erkenntnis „Wir brauchen bitte nicht noch mehr Vorgaben und Bürokratie“. Jedenfalls zeigt er Einsicht und Nähe nicht nur zu Land und Leuten.


Carsten Linnemann, als Generalsekretär der CDU wie Miersch bei der SPD als Fraktionsvorsitzender nicht direkt, aber entscheidend in die Koalition eingebunden, spricht in einem Mitglieder-Brief von der „Einfach-mal-machen-Mentalität“, die wir in ganz Deutschland bräuchten. Wie recht er doch hat – aber umsetzbar? Er greift mit diesem Zitat die Initiative des hessischen Finanzministers Alexander Lorz auf. Der hat veranlasst, dass nach Ablauf der Abgabefrist zur Steuererklärung das Finanzamt Kassel die Steuererklärung für die Bürger übernimmt. Das ist zwar bei uns ein Pilotprojekt, aber in Österreich, Estland und Schweden bereits gängige Praxis. Dort kommt ein automatisierter Bescheid zum Steuerzahler. Man kann natürlich auch Einspruch einlegen. Mit diesem Beispiel in Hessen blickt Lorz wohl auf die Merz-Idee von der Steuererklärung auf dem Bierdeckel zurück. „Kein Papierkram mehr. Aus. Vorbei“, kommentiert Linnemann. Mal sehen, ob es auch bei uns so schön und fair wird, wie sich das erst einmal anhört. Jedenfalls haben Union und SPD dafür gesorgt, dass nach ihrem Koalitionsvertrag „weitreichende Steuervereinfachungen zu erwarten sind“.


Wie der Wohlstand im West-Ost-Gefälle verteilt ist


Der Wohlstand lebt nicht nur in Hamburg, München oder Frankfurt, sondern in Kleinstädten und Gemeinden. So veröffentlichte die Bild-Zeitung auf der Grundlage einer Studie von Capital eine Liste von 100 kleineren Gemeinden und Städten in Deutschland, in denen danach der meiste Wohlstand zu Hause sei. Sie geht von Achern in Baden-Württemberg bis Zülpich in Nordrhein-Westfalen. Das belegt, wie vital der ländliche Raum in seinen Kommunen sein kann, wenn die Infrastruktur stimmt. Beim Durchsehen ist mir allerdings aufgefallen, dass von den 100 aufgeführten kleineren Kommunen 97 in westdeutschen Bundesländern liegen und nur drei in den östlichen. Dieses West-Ost-Gefälle ist schon auffällig. Und weil es in den inzwischen nicht mehr „neuen“ Bundesländern so wenige sind, sollte man sie auch hier aufführen: Oranienburg, Schönefeld und Wustermark. Sie liegen ausschließlich in Brandenburg; womit es unter den statistisch erfassten Gemeinden aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nicht eine in diese Wohlstandsliste geschafft hat. Es gab für die Studie übrigens 16 Kriterien wie Kaufkraft, Steuereinnahmen, Zahl der gut ausgebildeten Menschen, Jobs pro Einwohner sowie Preise und Entwicklung am Immobilienmarkt.


Aktuell ein heftiger Streit in Brandenburg über den Umgang mit Wölfen


Bleiben wir in Brandenburg. Dort regiert eine Koalition aus SPD und BSW, die in der Jagdpolitik klare Ziele im Koalitionsvertrag vereinbart hat: „Das Jagdwesen in Brandenburg stützt sich auf das ehrenamtliche Engagement der Jägerinnen und Jäger. Dabei kommt den Jagdgenossenschaften eine besondere Bedeutung zu. Wir werden das Jagdrecht novellieren und die Jagdverordnung überarbeiten. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um ein Bestandsmanagement für den Wolf und den Biber einzuführen.“ Die Regierung Woidke ist seit Ende Dezember im Amt. Im Ministerium für Land- und Ernährungswirtschaft, Umwelt und Verbraucherschutz treibt der parteilose Staatssekretär Gregor Beyer die Umsetzung nun mit sichtbarer Energie voran.


Foto: doortjekl
Foto: doortjekl

Nachdem die Debatte über den Umgang mit dem Wolf bundesweit seit der Meldung über den Erhaltungszustand an die EU stärker in Bewegung gekommen ist, steht dieses Thema insbesondere jetzt in Brandenburg auf der Agenda. Das zeigen allein schon Schlagzeilen und Berichte der letzten Tage dort und in Berliner Medien. „Nach dem Vorstoß der Brandenburger Landesregierung, noch in diesem Jahr eine Quotenjagd auf Wölfe einzuführen, wird im Land über die gezielte Tötung der Tiere gestritten“, meldet der Regionalsender rbb24. In dem Bericht wird Beyer damit zitiert, dass Brandenburg das Bundesland mit den meisten Rudeln in Deutschland sei. Nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz lebten im Monitoringjahr 2023/24 in Brandenburg 58 Wolfsfamilien, gefolgt von Niedersachsen (48) und Sachsen (37). Im Oderbruch seien die Wölfe flächendeckend vorhanden, wird eine Jägerin aus Seelow zitiert. Dort warnen an vielen Stellen in der Region orangefarbene Bilder vor Begegnungen. Eine detaillierte Darstellung mit Fragen und Antworten hat jetzt das Potsdamer Ministerium veröffentlicht.


Beyer spricht für die Landesregierung inzwischen von einer Abschussquote von zunächst 15 und anschließend 25 Prozent des Bestandes. Das ergebe bis zu 330 Tiere pro Jahr. Die Angabe des brandenburgischen Wolfsbestandes schwanke in der öffentlichen Darstellung zwischen 700 und über 2.000 Tieren. Das Ministerium hält einen Wolfsbestand von mindestens 1.000, wahrscheinlich aber 1.500 bis 1.600 Tieren für realistisch. Verena Harms, die im Landesamt für Umwelt Brandenburg (LfU) zuständig ist, nennt in einer Veröffentlichung auf der anderen Seite registrierte Zahlen: 1.047 Tiere waren 2024 in Brandenburg von Wolfsübergriffen betroffen, 2023 waren es 1.465. Seit 2007 habe das Land 1,2 Millionen Euro Entschädigung an betroffene Tierhalter gezahlt.


Wolfsschützer bringen sich mit ihren Argumenten auch juristisch in Stellung


Gegen die in Aussicht genommenen Abschussquoten und die „Entnahme“, wie es in der Fachsprache zur Abschussfreigabe heißt, bringen sich verschiedene und einflussreiche NGOs in Stellung. Der BUND etwa hält die zitierten Ankündigungen zur Abschussquote für „fachlich falsch und rechtlich hochriskant“. „Eine pauschale Quote, die auf einen relevanten Anteil der Population zielt, ist wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen und eröffnet erhebliche Rechtsrisiken“, erklärt Carsten Preuß, Landesvorsitzender des BUND Brandenburg. „Statt Schlagzeilenpolitik braucht es Management nach Datenlage: wirksamer Herdenschutz, konsequente Strafverfolgung illegaler Tötung und solides Monitoring.“ Der Nabu malt nach dem rbb-Bericht das Szenario, dass durch die Entnahme die Familienstruktur eines Rudels zerstört werde und junge Wölfe so erst recht zur Gefahr würden. Eine weitere These, die gerade ins Bild passt, wird dort von anderen Naturschützern zitiert: Danach schütze der Wolf Bäume vor Rehen und Wildschweinen, die gerne Blätter und Knospen junger Bäume fräßen. So solle der Wald wieder wachsen. Deshalb würden Länder ohne Wolf sogar über eine Ansiedlung nachdenken, sagte Karsten Arnold vom Artenschutzbüro Unteres Odertal dem rbb. Als Beispiel nannte er Schottland, wo viele Bäume abgeholzt worden seien und es bei einer extremen Schalenwildpopulation fast keine Waldbestände mehr gebe. So denke man dort darüber nach, den Wolf dort anzusiedeln, damit der Wald wieder wachsen könne. Für die „Allianz Wolf Brandenburg“ opfert das Land mit seiner Politik gegen den Wolf den Artenschutz aus jagdpolitischen Interessen. Wie die Erfahrung zeigt, wird dieses Thema nach ersten Verordnungen und Abschussgenehmigungen Gerichte beschäftigen. So, wie wir es mit dem Verein Naturschutzinitiative mit dem Goldschakal beim OVG Schleswig oder bei gerichtlich gestoppten Entnahmebeschlüssen im Bereich der Rhön erlebt haben.


Influencer“ und „Follower“ unter den Graugänsen


Wenden wir uns einem anderen Thema und damit der Forschung zu, die vergleichbare Verhaltensmuster von Mensch und Tier aufzeigt. Unser Autor Christoph Boll berichtet in der nächsten Woche in unserem Blog darüber, dass es auch bei Gänsen so etwas wie Social Media gibt. Er geht auf eine neue Studie unter der Leitung der Konrad Lorenz Forschungsstelle (KLF) für Verhaltens- und Kognitionsbiologie der Universität Wien ein. Sie lässt eine alte Frage der Verhaltensbiologie in neuem Licht erscheinen: Warum erlangen bestimmte Individuen innerhalb einer Gruppe mehr Einfluss als andere? Das führt zu dieser Aussage: Am und auf dem Wasser werden mutige Graugänse „Influencer“ und erkundungsfreudige „Follower“.


Schließen will ich mit einer kleinen Notiz am Rande: Die Welt hat Kenntnis genommen vom Urlaub des amerikanischen Vizepräsidenten JD Vance beim britischen Außenminister David Lammy. Beide vergnügten sich beim Karpfenangeln in Chevening House, der Residenz des Außenamtschefs. Ein Haken, nicht nur an der Schnur: Es fehlte die Angellizenz, die auch in Großbritannien dazugehört. Sie ist vorgeschrieben für jeden, der in Süßwasser angelt und bringt dem Staat jährlich 22,5 Millionen Pfund ein. Ein Fall, den die Umweltbehörde in der Regel strafrechtlich verfolgt. Nun wird in Kent darüber diskutiert, ob man den Schein in diesem diplomatischen Ausnahmefall auch ohne Strafe nachträglich ausstellen kann.


Für jeden, der bei uns das Wochenende vielleicht einmal zum Angeln nutzt, dient damit der Hinweis: Den Schein nicht vergessen. Das gilt auch für die Jagd im eigenen oder Gast-Revier. Mit diesem kleinen Hinweis mit der vielleicht unterhaltsamen Meldung zum Schluss dieses Wochenkommentars – auch als E-Mail-Newsletter – wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ein gutes Wochenende


Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination


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