Ob im Internet oder im Zoo – der Nachwuchs vieler Tierarten hat in unserer Welt das Zeug zum Star. Denn wenn wir Niedliches erblicken, versetzt uns das Gehirn kurzzeitig in einen Rausch

Kulleraugen, kleine Stupsnase, hohe Stirn, wackelige Bewegungen. Warum wir dies so süß und niedlich finden, hat Konrad Lorenz vor Jahrzehnten untersucht. In einer 1943 erschienen Studie nannte der österreichische Zoologe und spätere Nobelpreisträger für Physiologie und Medizin verschiedene Attribute, die er unter dem noch heute bekannten Begriff „Kindchenschema“ zusammenfasste. Die genannten Merkmale lösen bei uns fürsorgliches beziehungsweise beschützendes Verhalten aus und verbessern dadurch die Überlebenschancen einer Art.
Unser Gehirn reagiert aber nicht nur so, wenn wir Neugeborene oder kleine Kinder sehen. Auch der tapsige Nachwuchs verschiedener Tierarten löst bei vielen von uns einen nicht zu unterdrückenden Reflex aus. Diesen ordnete Lorenz als Ergebnis einer evolutionären Anpassung ein.
„Wir sind süchtig nach niedlichen Dingen, weil wir uns gut fühlen, wenn wir sie ansehen“, wird Joshua Paul Dale, Kulturwissenschaftler an der Chuo Universität in Tokyo, in einem kürzlich im Magazin National Geographic erschienenen Bericht zitiert. „Wenn wir etwas als niedlich wahrnehmen, erregt es unsere Aufmerksamkeit sehr schnell – innerhalb von einer Siebtelsekunde –, indem es den Orbitofrontalkortex (das Großhirnrindengebiet des Menschen, das sich direkt über der Augenhöhle vorne im Schädel befindet, Anm. d. Red.) aktiviert, das Genuss- und Belohnungssystem im Gehirn.“ Auf diese schnelle neuronale Aktivität, so Dale, würden langsamere Bewertungsprozesse folgen, die fürsorgliches Verhalten auslösen, Aggressionen abbauen und andere Bereiche des Gehirns aktivieren, die an Spiel und Mitgefühl beteiligt sind.
An der Universität in Münster befasst sich der Verhaltensbiologe Prof. Dr. Norbert Sachser schon seit Jahrzehnten auch mit diesem Thema. Gemeinsam mit der Neurowissenschaftlerin Melanie Glocker und US-Wissenschaftlern der Universität Pennsylvania untersuchte Sachser 2009 noch einmal intensiv das Kindchenschema in einer Testreihe. 40 Porträts von Kindern im Alter von sieben bis 13 Monaten wurden mithilfe einer „Morphing Software" mit hohen und weniger hohen Kindchenschema-Werten ausgestattet. Ergebnis: Testpersonen fanden die Gesichter mit den hohen Werten durchweg niedlicher.
Zwergflusspferd verzückt die Welt
Bei verschiedenen Tierarten funktioniert dies gleichermaßen. Beispiele gibt es zuhauf: Der kleine Eisbär Knut im Berliner Zoo löste 2006 ein internationales Medienecho aus. Zurzeit verzückt das Zwergflusspferd Moo Deng aus Thailand die Welt. Und im neuen Jahr meldet sich garantiert bald wieder ein Zoologischer Garten, der mit einem „Tierbaby“ Besucherscharen anlocken möchte. „Niedlichkeit hat sich im Laufe der Evolution schlicht als so effektiv erwiesen, dass auch andere Tiere die entsprechende Reaktion in uns auslösen“, sagt Dale.
Und dies tun wir gewissermaßen instinktiv. Das Verhaltensmuster ist angeboren und in der Regel kaum zu unterdrücken. In einem Gespräch mit der dpa erläuterte Norbert Sachser, dass vier Monate alte Babys bereits auf diese Schlüsselreize reagieren. „Die kann man natürlich noch nicht befragen, aber man kann zum Beispiel verschiedene Fotos zeigen und dann schauen: Wo gucken diese Babys wie lange hin.“ Bilder mit Kindchenschema bekämen mehr Aufmerksamkeit.
Hundewelpen, Katzenjunge, Jungvögel, Fohlen oder Küken profitieren davon. Die Niedlichkeit dieses Nachwuchses löst einen tiefsitzenden Instinkt aus. In ihrer Werbung um die Gunst des Publikums oder der Kunden setzen nicht nur Zoologische Gärten oder Futtermittelhersteller bewusst auf das Kindchenschema. Auch Tierschutz- oder Umweltschutzorganisationen nutzen den Schlüsselreiz, um Unterstützer oder Spender zu gewinnen.
Für Norbert Sachser ist es zum Beispiel kein Zufall, dass eine der größten internationalen Natur- und Umweltschutzorganisationen, der WWF, mit dem Großen Panda wirbt. Obwohl der Bär nur ein sehr kleines Verbreitungsgebiet hat, ist er weltweit bekannt. Sachser: „Zoos lösen keinen Hype damit aus, wenn sie sagen: Wir haben hier jetzt eine sehr, sehr seltene Giftschlange.“
Und es ist nicht verwunderlich, dass die Nachricht von einer Geburt im Zoo häufig zum Wochenende „verkauft“ wurde. Wenn die Medienmaschinerie einmal läuft, stehen die zahlenden Besucher Schlange.
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