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Jagd zwischen Ideologie und Auftrag

Autorenbild: Christoph BollChristoph Boll

Aktualisiert: vor 5 Tagen

Großdemonstration der Jäger in Hannover und gleichzeitig läuft in Dortmund die „Jagd und Hund“, Europas größte Jagdmesse. Zwei Pole, die den Stand des Waidwesens in Deutschland markieren.


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Foto: torstensimon
Foto: torstensimon

Hier feiert die Jagd zum 44. Mal sich selbst, in diesem Jahr mit mehr als 700 Ausstellern aus 36 Ländern. 200 Kilometer entfernt wehrt sie sich gegen erdrückende staatliche Reglementierung. Kumpelhaftes Schulterklopfen in feucht-fröhlicher Stimmung und gesellschaftspolitische Kampfbereitschaft vor dem niedersächsischen Landtag markieren das Spannungsfeld einer Zunft, die längst auch im ländlichen Raum nicht mehr selbstverständlich ist. Auch dort greifen Urbanisierungstendenzen und die damit einhergehende Entfremdung von der Jagd.


Zudem haben Tierrechtler sowie weite Teile des Natur- und Artenschutzes eine ideologische Grundstimmung geschaffen, in der jede Tötung eines Tieres nahezu als Sakrileg erscheint. Vegetarisches Leben und Veganismus sind längst nicht mehr nur Ernährungsweisen, gegen die Wildbret als gesundes Lebensmittel konkurrieren könnte, sondern Weltanschauungen. Da hilft auch nicht, dass die Jagd der einzige weitgehend in der Freizeit stattfindende Bereich ist, der auf Bundes- und Landesebene mit eigenen Gesetzen geregelt ist, was bereits ihre Sonderstellung nahelegt. Sie ist eben nicht nur Hobby, sondern – zumindest auch – staatlicher Auftrag.


Die nackten Zahlen sprechen gegen eine Jägerei auf dem absteigenden Ast und dafür, dass immer mehr Menschen diesen Auftrag gerne erfüllen möchten. Über deutschlandweit 460.771 Jägerinnen und Jäger freute sich der Deutsche Jagdverband (DJV) vor wenigen Tagen. Das ist ein neuer Höchststand und ein Anstieg um mehr als ein Drittel (41 Prozent) innerhalb von drei Jahrzehnten. Statistisch gibt es jetzt genau 5,5 Jägerinnen und Jäger pro 1.000 Einwohner in Deutschland – ein Anstieg um 38 Prozent gegenüber 1994.


Mehr als ein Fünftel (22 Prozent) der Menschen mit Jagdschein in Deutschland leben in Nordrhein-Westfalen: 101.924. Erstmals ist damit die Marke von 100.000 in einem Bundesland überschritten. Danach folgen Bayern (75.000) und Niedersachsen (70.000). Bezogen auf die Einwohnerzahl leben in Mecklenburg-Vorpommern die meisten Jagdscheininhaber, nämlich 10 pro 1.000 Menschen. Auf Platz 2 folgt Niedersachsen (9) und danach Schleswig-Holstein (8). Die vom DJV als „Rekord“ gefeierten Zahlen aus November 2024 haben gerade in den ehemaligen Niederwild-Hochburgen NRW und Niedersachsen einen wachsenden Druck auf die Fläche und damit einhergehend steigende Pachten für Reviere zur Folge.


Das Unverständnis weiter Teile der Bevölkerung wächst


Entgegen der naheliegenden Vermutung, dass mehr Jäger für eine zunehmende Akzeptanz der Jagd in der Gesellschaft sprechen, ist das Gegenteil der Fall. Mit Voranschreiten der Urbanisierung wächst das Unverständnis weiter Teile der Bevölkerung für ein archaisch anmutendes Handwerk. Das ist allein mit Neid oder schlichtem Unverständnis für das Privileg des Waffenbesitzes, die es sicher auch gibt, nicht zu erklären. Wesentlich ist vielmehr ein massives Fremdeln mit natürlichen Abläufen und Gegebenheiten. Interessant ist, dass 70 Prozent der Jägerinnen und Jäger in Deutschland in Verbänden organisiert sind. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Jagd aber ist dort am höchsten, wo der Organisationsgrad am niedrigsten ist, in den östlichen Bundesländern.


Einen wesentlichen Anteil an den steigenden Jägerzahlen haben die privaten Jagdschulen. Dort kann in kürzester Zeit, manchmal innerhalb von zwei Wochen inklusive Prüfungstagen, der Jagdschein erworben werden. Das hat zwar seinen Preis. Doch dafür gibt es quasi eine Bestehensgarantie, während insgesamt knapp ein Viertel der Jagdschüler beim ersten Anlauf durchfällt. Kaum vorstellbar, dass dabei das gleiche Wissen erworben werden kann wie in einem traditionell fast ein Jahr dauernden Kursus der Kreisjägerschaften. So ist der fast immer deutlich teurere „Jagdschein to go“ zwar ein attraktives Angebot für Menschen mit wenig Zeit und gut gefülltem Bankkonto. Er hat aber auch die allgemeine Wertschätzung für das sogenannte grüne Abitur merklich reduziert.


Wissenschaftliche Erkenntnisse verstärken diesen Trend. So kommt Prof. Dr. Werner Beutelmeyer in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass das ehrenamtliche Handwerk immer mehr verflacht und die Jagd von einer Lebenseinstellung zu einem reinem Freizeitvergnügen unter etlichen anderen verkommt. „Die Zukunftsjäger 2030 sind in nahezu allen abgefragten Themenfeldern weniger informiert als der derzeitige Durchschnittsjäger. Der Megatrend zur Oberflächlichkeit dürfte bis 2030 damit auch die Jagd erfassen“, lauten die Analyse-Ergebnisse des Wissenschaftlers (siehe den Blog-Beitrag vom 2. Dezember 2024 Jagd: „Megatrend zur Oberflächlichkeit“).


Vor dem Hintergrund dieser Trends ist das Bild vom kauzigen Lodenjockel auf dem Hochsitz zwar ironisch verschroben, aber vielleicht noch amüsant. Denn für Jagdgegner gipfelt die Summe dieser Entwicklungen in ihrer irrigen Lieblingsthese vom Jäger als triebgesteuerten Lusttöter, der entwaffnet gehört. Da ist jedes erlegte Stück Wild eine hinterrücks gemeuchelte Kreatur, ein ermordetes Mitgeschöpf.


Während aus dieser Perspektive die Jäger zu viel schießen, gibt es auch den gegenteiligen Vorwurf, dass Jäger eigentlich mehrheitlich Bambi-Streichler sind, die das wiederkäuende Schalenwild zu oft pardonieren und deshalb ihren Beitrag zum Umbau des Waldes zu klimastabilen Mischwäldern nicht leisten. Diese Sicht ist in der Forstpartie weit verbreitet und deutet darauf hin, dass die Einheit von Forst und Jagd längst zerbrochen ist. Die Forstpartie bemüht sich daher, die Deutungshoheit über die Jagd zu gewinnen. Da scheint der Waldumbau mit der Büchse unter Zuhilfenahme massiver Schonzeitaufhebungen das probate Mittel. Das reicht bis zum Infragestellen des Muttertierschutzes. Kurioserweise kann die Forstpartie dabei sogar vergessen machen, dass die heute verteufelten Fichtenplantagen ein Produkt eben ihres Berufsstandes sind.


Die Jagdverbände reagieren auf die allseitige Kritik verhalten. Der DJV etwa erklärt: „Zahlreiche Aufgaben sind gesetzlich verankert. Jägerinnen und Jäger sorgen beispielsweise für Artenvielfalt, helfen Tierseuchen einzudämmen und Wildschäden zu reduzieren. Bei Wildunfällen stellen sie Bescheinigungen für die Versicherung aus und suchen mit speziell ausgebildeten Hunden nach verletzten Wildtieren.“ Stets geht es also um den gesellschaftlichen Nutzen, allenfalls noch um die Jungwildrettung, etwa bei der Rehkitzsuche mit Drohnen. Fast nie und wenn, dann nur verschämt am Rande, wird darauf hingewiesen, was Jagd als erstes ist: ein bürgerliches Freiheits- und Eigentumsrecht.

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