Heftige Debatten in Niedersachsen um den Boden
- Christian Urlage
- vor 18 Stunden
- 2 Min. Lesezeit
Der Entwurf für das Landesraumordnungsprogramm hat bei Landwirten, Jägern und Umweltverbänden heftige Kritik ausgelöst

Das Landesraumordnungsprogramm (LROP) in Niedersachsen, Deutschlands zweitgrößtem Flächenland, behandelt viele Themen: den Einzelhandel und den Hochwasserschutz, Gasversorgung und Windenergie, den Straßen- und Radverkehr sowie die Wiederbelebung stillgelegter Schienenstrecken. Kurz gesagt, geht es darum, wie der Boden zwischen Harz, Nordsee und Emsland genutzt wird. Die rotgrüne Landesregierung in Hannover legte dazu im Frühjahr einen Entwurf vor. Rund 200 Stellungnahmen von Städten und Gemeinden, Unternehmen und Vereinen gingen ein – mit Kritik von verschiedenen Seiten.
Die Umweltverbände Nabu und BUND kritisieren, dass der Entwurf grundlegende Anforderungen an einen zukunftsfähigen Natur- und Klimaschutz verfehlt. Sie bemängeln, der Entwurf einer EU-Verordnung von 2024, die zur Renaturierung geschädigter Ökosysteme verpflichtet, sei nicht berücksichtigt. Besonders kritisch sehen die beiden Umweltverbände, dass in alten Wäldern Südniedersachsens Windräder gebaut werden dürfen. Sie lehnen auch die geplanten Eingriffe in wieder zu vernässende Moorböden und in wertvolle Wiesenvogelgebiete wie die Leda-Jümme-Region oder in der Grafschaft Bentheim an der niederländischen Grenze ab. Sie fordern substanzielle Nachbesserungen, da nach ihrer Ansicht sogar gesetzliche Vorgaben ignoriert werden.
BUND und Nabu Niedersachsen legten eine umfassende Stellungnahme vor und holten sechs weitere Verbände mit ins Boot: die Landesjägerschaft und den Anglerverband Niedersachsen, den Landesfischereiverband Weser-Ems, den Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, den Naturschutzverband Niedersachsen und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald.
Landwirte sehen ihre Existenzgrundlage gefährdet
Auch das Niedersächsische Landvolk kritisiert in Funktion als Landesbauernverband den Entwurf, jedoch überwiegend aus anderen Gründen. Die Landwirte befürchten sogar, ihre Existenz sei gefährdet. „Wir haben Verständnis für Klimaschutz, Energiewende und Infrastruktur. Aber nicht um jeden Preis“, sagt Holger Hennis, Präsident des Niedersächsischen Landvolks. „Der Boden ist unsere Produktionsgrundlage – wenn er weg ist, ist auch unsere Zukunft weg.“ Bedroht sieht das Landvolk den Boden durch Photovoltaik-Anlagen auf Ackerflächen, durch Umspannwerke, Leitungen, Speicherflächen und Industriegebiete. „Der Verlust landwirtschaftlicher Nutzfläche muss gestoppt werden“, verlangen die Landwirte. Windenergieprojekte im Wald lehnen sie wie die Umweltverbände ab.
Das Landvolk warnt zudem vor einer „Goldgräberstimmung“ rund um erneuerbare Energien und befürchtet, dadurch gehe die heimische Agrarstruktur verloren. Photovoltaik auf wiedervernässten Moorflächen zu erlauben, finden die Bauern grundsätzlich gut. Aber sie lehnen eine pauschale Pflicht zur Wiedervernässung strikt ab, weil sie nicht jede Fläche für geeignet halten.
Landvolk befürwortet statt Konfrontation den Niedersächsischen Weg
Um zu einer Einigung mit dem Naturschutz zu kommen, sieht das Landvolk den Niedersächsischen Weg als richtig an – eine inzwischen fünf Jahre alte bundesweit einmalige Vereinbarung zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Politik. Diese Vereinbarung hat sich in der Tat bewährt. Der Niedersächsische Weg gibt einem Prozess der Abstimmung zwischen den unterschiedlichen Interessen von Landwirtschaft und Umweltverbänden den Vorrang vor einer Konfrontation. Im Mai 2020 unterschrieben Vertreter der niedersächsischen Landesregierung, der Landwirtschafts- und Umweltverbände einen Vertrag zum Natur-, Arten- und Gewässerschutz. Bauern erhielten zum Teil Bewirtschaftungsauflagen, bekamen dafür aber im Gegenzug einen finanziellen Ausgleich.
Es wäre sinnvoll, wenn die niedersächsische Landesregierung bei der Überarbeitung des LROP-Entwurfs wieder auf Dialog setzt. Im kommenden Jahr will sie einen zweiten Entwurf vorlegen und die Öffentlichkeit erneut beteiligen. Danach erhält der Landtag Gelegenheit zur Stellungnahme, bevor die Regierung die Änderungsverordnung beschließt. Bis dahin gehen die Debatten weiter. Klar ist jedoch: Die knappe Ressource Boden ist auch im Flächenland Niedersachsen endlich.
Comments