Haushaltsdebatten, Reformversprechen und ländliche Sorgen
- Jost Springensguth
- 20. Sept.
- 6 Min. Lesezeit
Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und auf die Bundespolitik

Liebe Leserin, lieber Leser,
dieses Wochenende liegt zwischen zwei Haushaltsjahren im Bundestag. Der Nachtragshaushalt für das laufende Jahr zur Ablösung der vorläufigen Haushaltsführung liegt hinter uns. Er löst die Finanzplanung ab, über die die Ampel zerbrochen ist. In der kommenden Woche berät der Bundestag nun den Plan für 2026. Das wird begleitet von viel Kritik. Und Enttäuschungen darüber, was eigentlich durch das sogenannte Sondervermögen auf Pump finanziert werden soll. Da geht es um ausbleibende Mittel für Neubauvorhaben im Verkehrsbereich oder Streichungen zugesagter Gelder wie etwa für den Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung, wie sie die Borchert-Kommission vorgesehen hat. Unsere Redaktion hat mit Jochen Borchert dazu gesprochen. Das gehört zu den Themen dieses Newsletters mit dem wöchentlichen Blick auf den ländlichen Raum.
Der Herbst der Reformen werde nicht die letzte Jahreszeit sein, „in der wir das Land zum Besseren verändern“. Das sagte Bundeskanzler Friedrich Merz in dieser Woche im Bundestag in der Haushaltsdebatte. Bei diesem Tagesordnungspunkt geht es traditionell ums Ganze und Grundsätzliche. Diesmal haben besonders diejenigen hingeschaut und zugehört, die große Hoffnungen in seine Ankündigungen setzen, auf Aufschwung und politisches Vertrauen. Der Bundeskanzler koppelt inzwischen nach Bildung der Koalition die Aussicht auf Reformen mit dem Erhalt des Sozialstaates – ein Kernthema der SPD. Es bleibt (auch durch das Kanzler-Zitat oben) bei großen Ankündigungen. Dabei steigt allerdings die Zahl derer, die daran zweifeln, ob, wie und wann Merz das umsetzt und mit Klingbeil finanzieren kann, was er kurzfristig in Aussicht gestellt hat. So musste er jetzt einräumen, dass sich der angestrebte Prozess in der Wirtschafts- und Sozialpolitik in die Länge zieht: „Es wird sich ein Winter, ein Frühling und ein weiterer Herbst der Reformen anschließen.“
Die Töne des Kanzlers werden also im Gegensatz zu seiner Oppositionszeit zurückhaltender. Dabei wurde in dieser Haushaltswoche deutlich, dass auf der Regierungsbank ein Koalitionspartner sitzt, der nun einmal eine andere politische DNA hat, wenn es um die großen Themen geht. Und davon haben wir schon genug. Die Sehnsucht nach Lösungen ist im Lande groß. Genüsslich erinnern vor allem die Grünen an Merz-Zitate aus der Oppositionszeit – wie etwa „Wir können uns dieses System einfach nicht mehr leisten“. Die Töne sind sowohl bei ihm als auch bei der SPD-Spitze etwas leiser geworden. So wurde endlich der Haushalt für das laufende Jahr beschlossen, worauf sich die erste Lesung für den Etat 2026 anschließt.
Parole von oben: Verstärkte Suche nach Gemeinsamkeiten
Nach dem Betriebsunfall bei der Wahl der Verfassungsrichter und den Misstönen wie „Bullshit“ als sozialdemokratisches Echo auf die Kanzler-Äußerung, dass wir uns den Sozialstaat in dieser Form nicht leisten können, wird in Berlin von oben offensichtlich auf mehr Disziplin gesetzt. In Würzburg war die gemeinsame Sitzung der Fraktionsspitzen, es gab viele Einzelgespräche zur Koalitionsatmosphäre und einen gemeinsamen Grillabend in der Parlamentarischen Gesellschaft ohne Fraktionsmitarbeiter und Presse. Wie wir hören, wurde die Parole von oben aus Partei- und Fraktionsspitzen ausgegeben: „Sucht mehr das Gemeinsame.“ Das ist nach dem Stolperstart im Sommer das Signal der Koalition.
Stadt und Land teilen sich auch bei den jüngsten Kommunalwahlen
Auf beiden Seiten sind Koalitionäre auch nach der Kommunalwahl in NRW und vor dem übernächsten Sonntag mit 147 Stichwahlen ebenfalls etwas zurückhaltender geworden. Mahnende Stimmen aus der SPD über Wirkungsdefizite und Missbrauchszustände im Sozialstaat etwa aus Duisburg, Gelsenkirchen und Hagen, also in den Ballungsregionen, gesellen sich neben grüne Warnsignale aus Städten wie Köln und Münster. Dass die CDU hier mit 33 Prozent im Gesamtergebnis damit mit einem blauen Auge davongekommen ist, hat zwei Gründe. Das sind der andere eher an Merkel erinnernde Politikstil von Hendrik Wüst und die stabilen Zahlen, die aus den ländlichen Regionen kommen. Besonders hat es in NRW bei den Ampel-Parteien von einst eingeschlagen: SPD 22,1, Grüne 13,5 und FDP 3,7 Prozent. Der Selbstfindungsprozess der Bundes-Grünen, die in NRW geräuschlos mitregieren, hat für die Zeit nach Baerbock und Habeck und in der Berliner Opposition gerade erst begonnen. Trotz der Ballungsgebiete Rheinschiene und Ruhrregion bestätigt sich in NRW, welches Gewicht die ländlichen Regionen für die politische Mitte einbringen.
Das Gewicht der Regionen hat Merz erkannt, mehrfach schon angesprochen, aber in dieser Woche eher außen vorgelassen. Das Feld der Einzelthemen mit ihren Problemen überlässt er in dieser Zeit den Kolleginnen und Kollegen im Kabinett. Im Zuständigkeitsbereich des bisher viel gelobten Ministers für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat kommen aus dem Lager der natürlich Verbündeten auch kritische Töne auf. Etwa, wenn es um die Finanzierung der breit geforderten Reform zur mehr Wohl in der Tierhaltung geht. Die breit anerkannte Arbeit der sogenannten „Borchert-Kommission“ zur zukunftsgerechten Haltung in den Nutztierställen droht entgegen der Ankündigung im neuen Koalitionsvertrag ins Leere zu laufen. Landwirtschaftsminister Alois Rainer will das Programm „Umbau der landwirtschaftlichen Tierhaltung (BUT) 2026“ vorzeitig auslaufen lassen. Es geht um den tierwohlgerechten Umbau der Ställe, der gesellschaftlicher Konsens ist. Die Investitionen und folgende Finanzierungen sind aber für die Stall-Betriebe bei den aktuellen und zu erwartenden Marktpreisen ohne staatliche Zuschüsse nicht zu stemmen. Borchert im Gespräch mit unserem Autor Wolfgang Kleideiter: „Am Markt sind die Kosten aber nicht umzusetzen.“ In der nächsten Woche ein Thema in unserer täglichen Artikelreihe im Blog.
Über die Energie, die vom Lande und von See kommt
Dort hat Jürgen Muhl in dieser Woche noch über „Das große Wehklagen an der Küste“ berichtet. Dabei ging es nicht nur um die Sorgen nach der Ankündigung von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), den Ausbau des Ökostroms von Windrädern in Offshore-Parks auf See zu drosseln, sondern auch um die Zukunft der Biogasanlagen. Sie laufen für jedermann und nicht allen zur Freude sichtbar auf vielen Höfen. Und sind ein weiteres Standbein zur Zukunftssicherheit von Landwirtschaftsbetrieben. Der Bundestag hatte ein Hilfspaket beschlossen, für das bis zum 1. Oktober die Genehmigung der EU vorliegen muss. Der Informationsdienst „Table Briefings“ meldete gestern aus Brüssel, dass dort grünes Licht gegeben wurde. Es geht um die Anschlussförderung für bestehende Biogasanlagen. Ihr Betrieb soll weiter sichergestellt werden. Biomasseanlagen sollen bei der Stromversorgung flexibler einzusetzen sein. Auf dem Lande gibt es natürlich unverändert Kritik, wenn es bei der Biomasse um Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau geht. Trotz aller Regulierungen hatte der Ausbau der Biokraftwerke vielfach auf den Äckern Maismonokulturen ausgelöst. Das bleibt neben der Umweltproblematik ein kritisches Thema für die Jagd in Revieren mit diesen Kulturen. Da stoßen gewiss auch gegensätzliche Interessen in ländlichen Räumen aufeinander.
15 Landnutzerverbände sprechen für den ländlichen Raum
Um diese auszugleichen und Gemeinsamkeiten zu suchen, haben sich auf ihrer Ebene Verbände zur besseren Entwicklung und damit Stärkung der ländlichen Räume zusammengefunden. Das „Aktionsbündnis Forum Natur (AFN)“ ist eine gemeinsame Plattform von 15 Landnutzerverbänden in Deutschland. Sie bündeln so die Interessen von rund sechs Millionen Menschen, die Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Jagd, Angeln und den ländlichen Raum prägen. Das sind auch die Themen, mit denen wir uns sowohl im Blog als auch in unseren wöchentlichen Newslettern befassen.
Für den Vorsitzenden Max von Elverfeldt, der gleichzeitig Vorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst ist, steht das Ziel im Vordergrund, die Interessen der vom AFN vertretenen über zehn Millionen Landnutzer gegenüber drohenden Nutzungseinschränkungen und Pauschalverboten gemeinsam zu verteidigen. „Wir wünschen uns auf nationaler und vor allem auf europäischer Ebene mehr politische Signale, die die Leistungen des ländlichen Raums als Wirtschafts- und Kulturraum mit hoher Lebensqualität anerkennen“, erklärt Max von Elverfeldt. „Wir als Landwirte, Waldbesitzer, Fischer und Angler sowie Jäger und Reiter haben mit vielfältigen Auflagen zu kämpfen, die von uns seit Generationen betriebene nachhaltige Nutzung behindern und zum Teil unterbinden wollen.“ Als Beispiel sei hier nur die Verordnung für entwaldungsfreie Produkte (EUDR) und die Naturwiederherstellungsverordnung genannt. Über dieses Thema haben wir in dieser Woche einen erläuternden Text unseres EU-Berichterstatters Ludwig Hintjens veröffentlicht. Er schildert in seinem Beitrag, welch „absurden Regeln“ insbesondere private Besitzer auch kleinerer Wälder unterworfen werden sollen.
In München strömen am Wochenende Millionen Besucherinnen und Besucher zum 190. Oktoberfest auf die Theresienwiese. In der bayerischen Landeshauptstadt herrscht nun wieder Ausnahmezustand: „Ozapft is“. Inzwischen muss man besser sagen: „Wir reden über die Mutter der Oktoberfeste.“ Nachahmer gibt es inzwischen fast überall. Selbst in Zwickau das „Sächsisch-Bayerische Oktoberfest“ oder im schleswig-holsteinischen Kaltenkirchen „Die Wiesn“. Ob in großen oder kleinen Städten, ob auf dem Land oder in den Dörfern – fast überall stößt man auf bayerische Folklore. Nur in Bayern selbst ist sie nicht nachgemacht, sondern echt. Wer also nicht so weit reisen will, findet schnell das nächstgelegene herbstliche Zelt- und Trachtenfestvergnügen.
Das will ich nicht unbedingt als Tipp weitergeben. Gleichwohl verabschiede ich mich in ein Wochenende, das landauf und landab voller Veranstaltungen gepackt wurde.
In diesem Sinne
Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination
Kommentare