Das große Wehklagen an der Küste
- Jürgen Muhl
- 19. Sept.
- 3 Min. Lesezeit
Windkraft-Branche fürchtet die Bremse. Ankündigungen der Wirtschaftsministerin in Berlin zur Drosselung der Ökostromförderung lösen Kritik in der schwarz-grünen Kieler Regierung aus

In den norddeutschen Küstenländern geht die Angst um. Ganz besonders in Schleswig-Holstein. Die Ankündigung von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), den Ausbau des Ökostroms zu drosseln, trifft besonders dort die Investoren im ländlichen Raum. Die Ministerin will feste Einspeisevergütungen für Ökostrom-Erzeuger abschaffen. Hunderte von Millionen Euro hat die Branche damit in den letzten 20 Jahren verdient und bisher eine Art von Goldgräberstimmung auf dem flachen Land erzeugt. Kritiker sprechen von einer neuen Reichtum-Mentalität, von dem das Dorfleben besonders in Nord- und Ostfriesland sowie in Dithmarschen nicht unbedingt profitiert habe, wie in Gesprächen mit Einheimischen zu hören ist. Häufig ist die Rede von „neureichen Windmüllern“.
Die CDU-Ministerin, also die Nachfolgerin vom grünen Robert Habeck, will Tempo und Kosten beim Ausbau erneuerbarer Energien bremsen. „Verlässlichkeit, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Kostentragfähigkeit des Energiesystems müssen ins Zentrum rücken“, sagte die Ministerin bei der Vorstellung eines von ihr in Auftrag gegebenen Monitoringberichts zur Energiewende. Sie hält jedoch am Ziel fest, den Anteil erneuerbarer Energien an der deutschen Stromerzeugung bis 2030 von heute 60 Prozent auf 80 Prozent zu steigern. Sie geht dabei allerdings von einem niedrigeren Gesamtbedarf aus. Statt 750 Terrawattstunden Strom würden in fünf Jahren nur 600 bis 700 im Jahr verbraucht – und angesichts der schleppenden Nachfrage nach E-Autos und Wärmepumpen rechne sie eher mit einem Bedarf „am unteren Ende“.
Mehr Freileitungen statt teure Erdkabel
Vor allem soll der Ausbau von Windrädern auf See gedrosselt werden. Für neue Anlagen – sowohl vor der Küste als auch auf dem Land - will Reiche eine Direktvermarktung einführen. Dabei kalkuliert ein Investor seinen Angebotspreis und erhält bei niedrigeren Strompreisen einen Ausgleich vom Staat. Sobald der Investor höhere Strompreise erzielt, erhält der Staat den Zusatzerlös. Für neue Übertragungsleitungen setzt die Ministerin auf Freileitungen statt auf die weitaus teureren Erdkabel.
Die schleswig-holsteinische schwarz-grüne Regierung ist außer sich. Während Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) den offenen Konflikt vermeidet („Meine Erwartungshaltung ist, dass der erfolgreiche Weg der Energiewende fortgesetzt wird“), schießen die Nord-Grünen scharf. Energieminister Tobias Goldschmidt bezeichnet die Berliner Ministerin als „Rückwärts-Reiche“ und sagte, sein Land werde nicht akzeptieren, dass die Offshore-Ausbauziele in Frage gestellt werden. Diese Worte fielen ausgerechnet zur Eröffnung der Husumer Windkraft-Messe. Sie gilt im jährlichen Wechsel mit der Hamburger Windmesse als bedeutende Leitmesse dieser Branche, zu der Ministerpräsident Daniel Günther in dieser Woche eigens eine Kabinettssitzung nach Husum verlegte. Das ist ein anderes Signal als das aus Berlin: Ministerin Reiche hatte kurzfristig ihre Teilnahme abgesagt und sich durch ihren Parlamentarischen Staatssekretär Stefan Rouenhoff vertreten lassen.
Gerade auf dem Lande in Schleswig-Holstein gibt es für eine weitere Energiesparte akute Zukunftssorgen: Wenn Brüssel das vom Bundestag beschlossene Hilfspaket für Biogasanlagen nicht genehmigt, droht für viele der weit über 1.000 Biomasse-Kraftwerke im Lande das Aus, befürchtet der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE). Stichtag ist dafür der 1. Oktober. Wenn bis dahin das grüne Licht aus Brüssel ausbleibt, fallen viele der Anlagen aus der Förderung mit der für den LEE dann absehbaren Folge einer Stilllegungswelle.
Für Schleswig-Holstein sind daneben die Windkraft-Signale aus Berlin nach der Northvolt-Pleite ein weiterer schwerer Schlag. Die Gespräche mit Northvolt-Nachfolger Lyten zum Weiterbau der Batteriefabrik bei Heide an der Westküste sind ins Stocken geraten. Inzwischen gibt es mehr schlechte als positive Nachrichten aus dem Hause des US-Unternehmens – was den Willen zur Investition in Schleswig-Holstein angeht. Die neue politische Windkraft-Ausrichtung in Berlin dürfte nicht hilfreich sein.
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