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Geplanter Solarpark: Historischer Rotwildwechsel in Gefahr

  • Autorenbild: Christoph Boll
    Christoph Boll
  • 19. Juni
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 20. Juni

Die einen sprechen von einem Schildbürgerstreich, die anderen von einem wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Im Saarland droht ein Solarpark auf einer Wildbrücke einen wichtigen Rotwildwechsel zu zerstören


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Rotwild
Foto: Uwe Kunze / pixelio.de

Es geht um die einzige Wildbrücke im Saarland und gleichzeitig den einzigen Wanderkorridor für Rotwild im Südwesten der Republik mit Anschluss an Frankreich. Er verbindet die Rotwild-Lebensräume Pfälzerwald/Nordvogesen sowie das kleine saarländische Vorkommen im Landkreis Merzig-Wadern auf deutscher Seite mit dem nächstgelegenen französischen Vorkommen im Massif de la Canner. Es ist also eine Querungshilfe von nationaler Bedeutung. Sie liegt auf einer seit Jahrhunderten bestehenden Wanderroute des Rotwildes. Genau auf dieser Wildbrücke soll nun die fast 30 Hektar große Freiflächen-Photovoltaikanlage „Solarpark Wehingen“ in der Gemeinde Mettlach entstehen, umgeben von meterhohen Zäunen.


Die Front der Gegner ist breit. Da schließen Jagdverbände auf beiden Seiten der Grenze, Rotwildhegegemeinschaften, die Deutsche Wildtier Stiftung und Naturschützer die Reihen. Dem gegenüber stehen die Argumente für erneuerbare Energien als Beitrag zum Klimaschutz und wirtschaftliche Interessen. Und Mettlachs Bürgermeister Daniel Kiefer (SPD) fühlt sich mittig zwischen den Kontrahenten, hofft auf einen Kompromiss und räumt ein: „In der Sache schlagen zwei Herzen in meiner Brust.“ Schließlich ist er selbst Jäger und Mitglied im Landesjagdverband.


Andererseits sieht er sich beruflich dem Wohl seiner Gemeinde verpflichtet, die sich vom dem Solarpark jährliche Einnahmen von rund 35.000 Euro verspricht. Viel Geld für die klamme kleine Kommune mit gut 3.000 Einwohnern. Mettlach ist in dieser Frage alleiniger Inhaber des Planungsrechts und vornehmlich bekannt als Hauptsitz des Keramikunternehmens Villeroy & Boch. Der Gemeinderat hat das Vorhaben 2022 einstimmig auf den Weg gebracht.


Beide Seiten begründen ihre Position mit Gutachten. Das im Auftrag des Projektunternehmens erstellte Papier kommt zu dem Ergebnis, dass der nach dem Bau des Solarparks verbleibende Korridor keine wesentliche Beeinträchtigung ist und deshalb ausreicht. Die Vereinigung der Jäger des Saarlandes hält dem eine Expertise entgegen, die feststellt: „Der bislang im Saarland realisierte und im Planungsrecht verbindlich geschützte Biotopverbund erscheint mit Blick auf den Bebauungsplan ‚Solarpark Wehingen‘ und die aktuellen Konflikte am Pellinger Berg nicht ausreichend, um wichtige Wildtierverbindungen auf Landesebene zu schützen oder gar zu optimieren.“


Querungshilfe von nationaler Bedeutung


Im Fazit heißt es zusammenfassend: „Aufgrund nicht vorhandener weiterer, günstig gelegener und weit dimensionierter Wildtierquerungsmöglichkeiten entlang der Autobahn A8 im Saarland erscheint die ‚Wildbrücke‘ Pellinger Berg für die Verbindung von Wildtierpopulationen und wandernde Großsäugetiere von besonderer Bedeutung. Umgebende und randliche Bebauungen und Einzäunungen schränken die Funktionalität erheblich ein. 60 bis 70 Prozent der effektiven Breite der Wildtierpassage gehen nach aktuellem Planungsstand durch den Solarpark verloren. Aufgrund der Einzigartigkeit dieser Wildtierquerung ist daher jegliche Bebauung abzulehnen. Eine Einschränkung des Korridors durch Bebauung würde zudem planungsrechtlich eine enorm kostenaufwendige Kompensation durch einen Wildbrückenneubau an anderer, ebenso geeigneter Stelle bedeuten.“ Die Kosten für einen solchen Ersatz werden auf rund 18 Millionen Euro geschätzt.


Seine besondere wildökologische Bedeutung bekam der Pellinger Berg durch den Bau der Autobahn 8. Nur wenige Kilometer entfernt von der luxemburgischen Grenze wurde dort 1997 ein 596 Meter langer Autobahntunnel mit zwei Röhren im Gebiet der Gemeinde Mettlach fertiggestellt. Beim Bau des Autobahnabschnittes entschied man sich in den 90er Jahren gegen einen Einschnitt in die Landschaft und für die deutlich teurere Tunnellösung.


Vor diesem Hintergrund kommt das Institut für Tierökologie und Naturbildung zu dem Schluss, die aus dem Bau einer PV-Anlage auf dem Tunneldach resultierende Verriegelung des Wanderkorridors stehe sogar „im Widerspruch zum Planfeststellungsbeschluss zum Bau der A8“. Als Grundlage für den Beschluss 1992 seien im Abschnitt Pellinger Berg Querungsmaßnahmen gefordert worden, um die durch den Autobahnbau entstehenden „Trennwirkungen für Wildtiere“ zu vermeiden. Die uneingeschränkte Wirksamkeit der Tunnellösung als Wildtierquerung für Rothirsche und weitere Großsäugetiere stehe daher in direkter Bindung zum Planfeststellungsbeschluss, dessen Rechtswirksamkeit durch eine Verbauung beschädigt werden könne, folgert das Institut.


Es verweist zudem darauf, dass die Eignung des Tunneldachs als Wildtierquerung später überprüft worden sei – mit dem Ergebnis der Vergabe des Prädikates einer vollwertigen Wildtierpassage. „Als funktionserhaltende Maßnahme einer möglichst hohen Durchlässigkeit wurde als Maßgabe festgeschrieben, im Zuführungsbereich der Tunneldecke Störungen zu unterbinden und zu vermeiden“, heißt es abschließend.


Alte Planungsunterlagen unauffindbar


Zu den Ungereimtheiten des Themas gehört, dass die alten Planungsunterlagen im saarländischen Umweltministerium nicht auffindbar sind. Das ist vielleicht ein Grund, warum der Solarpark Wehingen zwar bereits Thema im Landtag und im Fachausschuss war und es Termine vor Ort gegeben hat, jedoch das Umweltministerium mehrfach um Fristverlängerung für seine Stellungnahme zu dem geplanten Bauvorhaben gebeten hat. So ist bis heute keine endgültige Entscheidung zu dem Solarprojekt gefallen.


Das Bundesamt für Naturschutz hat bereits 2011 eine Studie in Auftrag gegeben, die darstellt, welche Wanderkorridore für Wildtiere bestehen und wie wichtig deren Erhalt für den Arterhalt wandernder Tiere in Deutschland ist. Diese Studie bezeichnet die Wildtierquerung am Pellinger Berg als eine Verbundachse von nationaler Bedeutung – das höchste Prädikat, das diese Studie benennt.


Hintergrund der gesamten Debatte ist der Verlust von Verbindungskorridoren zwischen Säugetierpopulationen als ein wesentliches Problem des Artenschutzes. Isolierte Populationen leiden an Inzuchtdepressionen und sterben im schlimmsten Fall aus. Die Deutsche Wildtier Stiftung fordert deshalb beim Bau von Solarparks mehr Rücksicht auf Wildtiere und zeigt in ihrem Positionspapier, wie Photovoltaik-Freiflächenanlagen und Artenschutz in einer Kulturlandschaft gemeinsam funktionieren können.

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