Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche
Liebe Leserin, lieber Leser,
in dieser Zeit reden wir erst einmal über zwei Themen: Weihnachten und Wahlen. Beides folgt in dieser schnelllebigen Zeit nah aufeinander. Manche meinten, Wahlkämpfe passen nicht in diese festliche und besinnliche Zeit. Die Wirklichkeit ist anders. Überall werden Kandidaten aufgestellt, Programme geschrieben und Plakate gedruckt. Offiziell wird das alles in der kommenden Woche, wenn der Bundeskanzler die Vertrauensfrage gestellt hat. Wir reden also über Weihnachten und Scholz oder Merz. Das veränderte Wahlrecht ohne Überhangmandate wird Wirkung zeigen. Zum Ende dieses Wochenkommentars geht es um fressen oder gefressen werden. Mehr Kormorane und weniger Dorsche? Oder weniger Wölfe und mehr Weidetiere? Die Antworten fallen unterschiedlich aus.
Die Adventszeit rennt. Morgen wird schon die zweite Kerze auf den Kränzen angezündet. Weihnachten – und schon ist das Jahresende da. Folgend wird dann schnell der Wahltermin am 23. Februar 2025 Wirklichkeit. In allen Parteien und dabei insbesondere in deren Kreisverbänden kommt Hektik auf, weil viel Personelles, Technisches und Inhaltliches zu erledigen ist. Dabei hat der Bundeskanzler noch nicht einmal die angekündigte Vertrauensfrage gestellt. Am Mittwoch soll das nun geschehen. Das Abstimmungsverhalten im Bundestag ist unter anderem bei den Grünen noch nicht sicher absehbar. Läuft trotzdem alles nach Plan, den die Vorsitzenden der großen Fraktionen, Merz und Mützenich, auf Geheiß des Noch-Kanzlers geschmiedet haben? Erst wenn die Abstimmung so gelaufen ist wie erwartet, sind formell die Weichen für die vorzeitigen Neuwahlen gestellt.
Der Wahlkampf hat abseits aller Formalitäten gleichwohl landauf landab schon begonnen. Dabei fällt auf, dass die SPD bereits voll auf Angriff geschaltet hat, während sich die Union aus ihrer Parteizentrale heraus noch auffallend zurückhält. Keine spektakulären Meldungen in den Nachrichtensendungen und sparsame Auftritte in den Talkshows. Bei der SPD rätselte man schon, warum Merz, Söder & Dobrindt bis zur Fragestunde im Bundestag diese Woche abgetaucht schienen. Derweil müht sich Generalsekretär Carsten Linnemann um direkten Kontakt zu seiner Basis mit dem Format „CDU Live – Unsere Kampagne, unsere Ziele und Inhalte“. Da scheint zunächst erst einmal viel nach innen gerichtet zu sein.
Wirbel um einen Stammplatz für Habeck
Die Andeutung des Kanzlerkandidaten der Union, für ein Kabinett unter ihm sei vielleicht sogar ein Platz für Habeck weiter als Wirtschaftsminister frei, hat wiederum Markus Söder postwendend auf den Plan gerufen. Für viele Mittelständler gerade im ländlichen Raum wäre das ein No-Go. War das inszeniert oder der erste Streit im eigenen Lager? Es ist schon ungewöhnlich, vor Koalitionsbildungen oder gar vor Wahlen Posten zu verteilen. Der CSU-Vorsitzende hat schon Günther Felßner aus Bayern für das Amt eines möglichen Landwirtschaftsministers für die Union nominiert. Da rumort es gerade im Agrar- und Forstbereich, wie unser Autor Frank Polke in dieser Woche in unserem Blog beschrieb. Und auch um Bayerns Landwirtschaftsminister Hubert Aiwanger von den Freien Wählern, der selbst Ambitionen für Berlin zeigt.
Scholz selbst („Ich will mein eigener Nachfolger werden“) leitet seine Wahlkampfstrategie zur Titelverteidigung mit außenpolitischen Duftmarken ein. Mit seiner Reise nach Kiew kam schon der Verdacht auf, er versuche wie einst Schröder das Bild eines Kriegsvermeidungskanzlers zu malen. Und von den Grünen werden zunehmend außenpolitische Annäherungssignale an die Union gesendet, während innenpolitisch auf Bundesebene wenig Schnittmengen existieren. Das gilt insbesondere für die Themen, auf die wir mit unseren Beiträgen besonders blicken.
Was die Bauern auf die Straße getrieben hat, ist längst nicht erledigt
Über den ländlichen Raum, seine tragenden Wirtschaftsbereiche und die über 60 Prozent der Menschen, die auf dem Lande leben, wird mit Ausnahme von Söder unter den politisch führenden Köpfen in der Bundesrepublik derzeit wenig wahrnehmbar gesprochen. Das bleibt im Moment bei den Verbänden, die sich mit Blick auf die Formulierung von Wahlprogrammen in Stellung bringen. Was die Bauern und ihre Verbündeten auf dem Lande auf die Straße getrieben hat, ist längst noch nicht erledigt. Von Cem Özdemir und Steffi Lemke schon gar nicht. Die detaillierten Absichtserklärungen für die einzelnen Politikbereiche entstehen jetzt. Bis zur Verabschiedung auf den Parteitagen im Januar muss alles fertig sein, was am Ende eventuell in einem Koalitionsvertrag landet. Wir werden uns in unseren Blog-Beiträgen weiter mit den entsprechenden Inhalten wie Zukunft der Jagd, Landwirtschaft, Forsten oder generell Wirtschaft und Strukturpolitik auf dem Lande befassen.
Nicht jeder, der gewählt wird, bekommt einen Sitz
Zunächst stehen überall im Lande Personalfragen im Vordergrund – besonders mit Blick auf die Konsequenzen aus dem neuen Wahlrecht. Danach wird der Bundestag kleiner. Auch der eine oder andere Wahlgewinner bei der Erststimme mit ihrem lokalen Bezug wird vielleicht leer ausgehen. Die Gefahr ist nach dem entsprechenden Verfassungsgerichtsurteil da. Danach gibt es jetzt keine Überhang- und Ausgleichsmandate mehr. Taktisches Wählen durch differierende Erst- und Zweitstimmenabgaben mit Blick auf Wunsch-Koalitionspartner werden die Parteien ihren Anhängern damit nicht mehr empfehlen können.
Der zuletzt mit Überhang auf 736 Sitze gewachsene Bundestag wird künftig auf 630 Abgeordnete begrenzt. Der Wahlkreissieg garantiert nach dem neuen System kein Parlamentsmandat. An einer Musterberechnung der Bundeswahlleiterin für Baden-Württemberg mit Übertragung des letzten Wahlergebnisses von 2021 auf das neue Wahlsystem lässt sich das anschaulich darstellen: Damals hat die CDU dort 33 Wahlkreise gewonnen, würde jetzt aber mit demselben Ergebnis nur 22 direkt gewählte Abgeordnete nach Berlin schicken können. Auf der einen Seite sparen die Steuerzahler durch den verkleinerten Bundestag nach Schätzungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft dadurch zwar 125 Millionen Euro pro Jahr. Auf der anderen Seite wird es weniger Abgeordnetennähe zur Basis geben. Wie sehr das ländliche Wahlkreise treffen wird, werden wir am 24. Februar 2025 wissen.
Wirtschaftskrise und gefühlte Inflation
Inhaltlich wird sich der Wahlkampf – ob Scholz, Habeck und Heil das wollen oder nicht – auf das Thema Wirtschaftskrise konzentrieren. Deutschland wird nach einer Prognose der Industriestaaten-Organisation OECD im kommenden Jahr so langsam wachsen wie keine andere entwickelte Wirtschaftsnation. Die bekannt besorgniserregende Situation in der Automobilbranche wird sich über die Standorte in strukturschwachen Regionen zusammen mit der Schwächung der vielen mittleren und kleineren Zulieferer bis in die letzten Winkel ausbreiten.
Nicht nur die Sorgen um Arbeitsplätze und mögliche Lohnkürzungen wie bei VW kommen direkt bei den Menschen an. Sondern gleichzeitig mehren sich die Meldungen, ob die Teuerungsrate zu zusätzlichen Belastungen führt. Da kommt das Thema Lebensmittel und Ernährungswirtschaft ins Spiel, wenn wir etwa lesen müssen: „Die Butter wird kurz vor den Festtagen so teuer wie nie.“ Der Preis war schon in diesem Herbst auf Rekordniveau – das hat Auswirkungen auf die Weihnachtsbäckerei. Die Erklärungen der Molkereiindustrie mögen schlüssig sein, wenn flächendeckend Milch mit geringerem Fettgehalt angeliefert wird, gibt es eben weniger Butter. Handelsexperten bezeichnen dieses Produkt als „Eckpreisartikel“ mit Signalwirkung. Ist sie teuer, werden auch andere Waren in den Lebensmittelregalen ebenfalls als teurer wahrgenommen. In geringeren Prozentraten werden die Preise für Mehl, Nudeln oder Rapsöl im Minus gemeldet.
Über die Vögel, die Dorsche fressen
Gehen wir noch einmal nach draußen. Dort herrscht auch Hunger in der Natur. Bei den Meeresfrüchten klagen die Fischer über die drastisch herabgesetzten Fangquoten. Da ist es vielleicht interessant, dass das Thünen-Institut die mögliche Rolle von Kormoranen bei der Entwicklung der Dorschbestände untersucht. Dabei geht es um die Auswirkung der wachsenden Population dieser fischfressenden Vogelart. Die Studie geht davon aus, dass der EU-weit geschützte Kormoran im Bestand stark anwächst. Allein im Ostseeraum Dänemark, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern liegt er bei 50.000 Brutpaaren. 2027 sollen wir vom Thünen-Institut mehr darüber wissen, wie viel Fisch sie fressen.
Derweil fordert der Landesverband der Binnenfischer in Mecklenburg-Vorpommern jetzt schon eine Abschussprämie für Kormorane. Das Thema wurde bereits im Bundestag Mitte des Jahres auf Antrag der CDU/CSU debattiert – ohne greifbares Ergebnis, weil die Mehrheiten eben anders sind. Dabei fällt schon auf, dass dort der Vertreter der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Schleswig-Holstein nach dem Protokoll von einem „stabilen Bestand seit 20 Jahren“ gesprochen hat und diese Zahlen nannte: Deutschland habe etwa 23.000 Paare. Entscheidend sei, dass sich das Wesentliche des Bestandes auf wenige Bundesländer konzentriere. Etwa die Hälfte des gesamten Bestandes siedele in Mecklenburg-Vorpommern mit rund 11.000 Paaren. Schleswig-Holstein habe etwa 3.000 Paare. Demnach müssen nach der Zahl des Thünen-Instituts die restlichen 36.000 ihre Nahrung allein an der dänischen Küste suchen. Oder habe ich falsch gerechnet?
Um geschönte oder realistische Zahlen geht es auch bei anderen Tieren, die die Gemüter zwischen Betroffenen und Naturschützern nach eigenem Selbstverständnis immer wieder bewegen. Auch in dieser Woche gibt es etwas Neues zum Thema Wolf. Unser Autor Christoph Boll hat für unseren Blog aufgezeichnet, was es bedeutet, wenn der Wolf nach einer Entscheidung dieser Woche künftig im Rahmen der Berner Konvention weniger geschützt ist (oder besser sein soll). Wie kompliziert das ist und wie lange es dauern kann, bis Jäger und Weidetierhalter auf aufatmen können, ist Inhalt seines Textes.
In der kommenden Woche wird er noch ein anderes Wolfs-Thema aufgreifen. Auch dabei geht es wie bei den Kormoranen um Populationsraten und verschiedene Zahlen, die hier zum Teil auf unterschiedliche Erhebungsmethoden zurückgehen. Sein Eindruck: „Der Außenstehende kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die einen versuchen, möglichst viele Exemplare der Sippe Isegrim zu belegen, während die andere Seite alles daransetzt, die Zahl kleinzurechnen. Dazu gehört offenbar auch, die Veröffentlichung der jüngsten Erhebungsergebnisse möglichst lange hinauszuzögern.“ Ich kann den Text, der in kommenden Woche in unserem Blog erscheinen wird, Ihnen nur empfehlen.
Damit wünsche ich Ihnen ein hoffentlich schönes Vor-Weihnachtswochenende,
obwohl die Prognosen auf ein wahrscheinlich schmuddeliges Novemberwetter im Dezember hinweisen.
Ihr Jost Springensguth
Redaktionsleitung / Koordination
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