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Weichen in Rekordtempo neu gestellt

Autorenbild: Jürgen WermserJürgen Wermser

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche


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Liebe Leserinnen und Leser,


in unserem Wochenkommentar befassen wir uns mit der überraschend schnellen Einigung von Union und SPD über riesige Sondervermögen für Verteidigung und Infrastruktur und beleuchten die damit verbundenen Herausforderungen nicht zuletzt für den ländlichen Raum, insbesondere den Agrar- und Umweltbereich. Dort führen etwa großflächige Mais-Kulturen für Biogasanlagen immer wieder zu Kritik, weil sie mit einem monotonen Landschaftsbild verbunden sind. Eine Alternative können Wildpflanzen und Blühmischungen sein, die wichtigen Lebensraum für Wildtiere bieten. Des Weiteren beschäftigen uns die von US-Präsident Trump angedrohten Zölle auf Agrarprodukte sowie die sichere Versorgung der hiesigen Bevölkerung mit Lebensmitteln. Zum Schluss gehen wir auf einen Regulierungsvorschlag der EU-Kommission ein, Blei als Munitionsbestandteil vollständig zu verbieten.


Was für eine politische Woche! Gleichsam über Nacht werfen die Spitzen von Union und SPD bislang als ehern geltende Grundsätze zu Haushalt und Staatsdefizit über Bord. Das Tor für eine massive öffentliche Verschuldung wird weit geöffnet – weiter, als sich wohl die allermeisten Bürger noch vor einer Woche haben vorstellen können. Kleinlich und wie aus einer vergangenen Welt wirkt vor diesem Hintergrund plötzlich der Haushaltsstreit, an dem die Ampelkoalition kürzlich mit viel Getöse zerbrochen ist. Da liegt der Vorwurf, es würden Wahlversprechen in rasantem Tempo gebrochen, auf der Hand. Doch andererseits gibt es überzeugende Gründe, die Weichen nun im Rekordtempo komplett neu zu stellen, selbst wenn dies die persönliche Glaubwürdigkeit vieler der Akteure beschädigt. Besser spät als gar nicht, heißt da die Devise. Denn was nützen die solidesten Staatsfinanzen, wenn auf der anderen Seite das Leben in Freiheit und Wohlstand existenziell bedroht wird. Der russische Angriff auf die Ukraine und der jüngste Kurswechsel in Washington zwingen zum Umdenken. Insofern ist es richtig, dass die mutmaßlich künftigen Berliner Regierungspartner jetzt alle finanziellen Kräfte bündeln, um das Land zu sichern.


Richtig ist aber auch, dass nun die eigentliche Arbeit erst anfängt. Entscheidend sind jetzt die ganz konkreten Entscheidungen zur Umsetzung: Bürokratieabbau, vereinfachte Genehmigungsverfahren, Sparsamkeit und wirksame Kontrolle bei allen Investitionen. Das Schlimmste wäre, wenn das zusätzliche viele Geld nicht vernünftig ausgegeben würde, sondern die gewünschte Wirkung durch Ineffizienz und Preissteigerungen verpufft. Dann blieben am Ende nur eine vertane Chance, große Gefahren und ein immenser Schuldenberg.


Niemand sollte erwarten, dass sich Union und SPD jetzt auch bei anderen zentralen Fragen in ähnlich schnellem Tempo wie in Sachen Schulden einigen können. Man denke nur an die Stichworte Asylverfahren, Migration, soziale Standards und Ankurbelung der Wirtschaft. Die Streitpunkte sind beträchtlich, so etwa im Konflikt um die von der Union geforderte Wiedereinführung der Agrardiesel-Rückerstattung. Ähnlich kontrovers sieht es beim Klima-, Umwelt- und Naturschutz aus, wo die Union – anders als die Sozialdemokraten – stärker auf eigenverantwortliche Lösungen der unmittelbar Betroffenen als auf staatliches Ordnungsrecht setzt.


Apropos Klima-, Natur- und Artenschutz. All dies wird in der Bevölkerung zwar allgemein unterstützt, aber im Einzelfall kann es dann doch zu Missstimmungen oder gar richtigem Ärger führen. Dabei geht es nicht nur um Windkraftanlagen, die das Landschaftsbild stören können, sondern auch um großflächige Monokulturen für die Biogasproduktion. Diese leistet einen wesentlichen Beitrag zu den erneuerbaren Energien und damit zur Begrenzung des Klimawandels. Derzeit erzeugen in Deutschland etwa 9.600 Biogasanlagen eine elektrische Leistung von mehr als 5.600 Megawatt. Sie liefern ausreichend Strom für mehr als neun Millionen Haushalte und decken rund 5,4 Prozent des deutschen Stromverbrauchs ab. Was klimapolitisch gut sein mag, ist aber für das Landschaftsbild und auch unsere Jagdreviere von zweifelhaftem Vorteil und für die Biodiversität sicher nachteilig. Denn gewonnen wird die Energie ganz überwiegend aus Mais. Das führt in einigen Regionen zu einem monotonen Landschaftsbild und zum Verlust von Lebensraum für Insekten und Niederwild.


Viele ökologische Vorteile


Unser Autor Christoph Boll stellt in der kommenden Woche in einem Blog-Beitrag Wildpflanzen und Blühmischungen als Alternative vor. Sie bieten eine Reihe ökologischer Vorteile und können ein wertvolles Element der Gestaltung des Jagdreviers sein. Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und andere Insekten finden darin ein vielfältiges Blüten- und damit Nahrungsangebot. Die Bereicherung des Landschaftsbildes geht zudem einher mit einem Schutz vor Bodenerosion. Vor allem aber ist die bunte Biomasse ein wichtiger Lebensraum für Wildtiere wie Hase, Fasan und Rebhuhn, denn sie bietet mit ihrem mehrjährigen Anbausystem gute Deckung vor Fressfeinden und zugleich ausreichend Futter. Um einen Einsatz jedoch in größerem Umfang zu ermöglichen, braucht es finanzielle Förderung. Denn Blühpflanzen liefern deutlich weniger Energie als Mais. Landwirte, die vom Ertrag ihrer Felder nun mal leben müssen, brauchen also einen wirtschaftlichen Ausgleich für die Differenz.


Foto: Tim Reckmann / pixelio.de
Foto: Tim Reckmann / pixelio.de

So wichtig die massiven Förderungen und Investitionen im Bereich Rüstung und Infrastruktur auch sind, ein Drittes darf nicht vernachlässigt werden: die Ernährungssicherheit. Hier geht es um einen funktionierenden ländlichen Raum mit einer an die neuen Herausforderungen angepassten Naturnutzung. Die Bürger haben sich über Jahrzehnte an gut sortierte und volle Supermärkte gewöhnt, in denen alle Dinge des täglichen Bedarfs jederzeit zur Verfügung standen. Doch auch hier könnten im Zuge der aktuellen Verwerfungen – siehe Ukrainekrieg und Trumps Kurswechsel in nahezu allen Politikfeldern – unliebsame Überraschungen drohen. So hat der US-Präsident jetzt auf seiner Online-Plattform Truth Social Zölle auf alle Agrarimporte in Aussicht gestellt.


Einzelheiten nannte er noch nicht, nur das Datum: 2. April. Zugleich rief Trump die „großartigen Landwirte der Vereinigten Staaten“ auf, ihre Produktion für den heimischen Markt ankurbeln. Zwar ist noch offen, ob die Zölle für Importe aus allen Ländern weltweit gelten sollen oder ob es Ausnahmen geben wird. Doch wie immer bei Trump heißt es, mit dem Schlimmsten zu rechnen: einen Handelskrieg auf den weltweiten Agrarmärkten.


Naturnutzer nicht über Gebühr belasten


Darauf heißt es, sich hierzulande rechtzeitig einzustellen. Denn die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist fraglos systemrelevant. Dies sollte bei der künftigen Agrarpolitik von Bund und Europäischer Union auch angemessen berücksichtigt werden. Konkret: Landwirte und andere Naturnutzer dürfen nicht über Gebühr belastet werden, damit sie ihren Part zum Wohle der Allgemeinheit auch tatsächlich erfüllen können. Dieser Grundsatz war in den vergangenen Jahren häufig vergessen oder verdrängt worden.


Vor diesem Hintergrund ist auch der Regulierungsvorschlag der EU-Kommission zu sehen, Blei als Munitionsbestandteil vollständig zu verbieten. Hiernach wäre etwa nach einer Übergangsfrist von drei Jahren Bleischrot für den jagdlichen Einsatz nicht mehr erlaubt. Betroffen wären insbesondere Schießstände, die für Jäger zum Üben unerlässlich sind. Sie müssten vielerlei Maßnahmen ergreifen, etwa Schrotfang-Vorrichtungen und die Rückgewinnung von Bleischrot sowie die Überwachung des pH-Werts im Boden. Laut Bundesverband Schießstätten wären für die entsprechenden Umrüstungen pro Schießstand zwischen ein und drei Millionen Euro notwendig. Wie der Deutsche Jagdverband (DJV) feststellt, könnten die meist gemeinnützigen, ehrenamtlich tätigen Vereine, die Schießstände betreiben, diese finanzielle Last einer Umrüstung bei weitem nicht allein stimmen.


Ohne eine finanzielle Förderung droht ihnen das Aus – eine fatale Perspektive. Denn Schießstände sind für Jäger eminent wichtig, um gut vorbereitet ihren öffentlichen Aufgaben nachzugehen. Man denke hier etwa an die Bejagung von Schwarzwild zur Eindämmung von Tierseuchen wie der Afrikanischen Schweinepest (ASP).


Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und eine gute, für Sie positive Woche.

Mit den besten Grüßen

Ihr Jürgen Wermser

Redaktionsleitung/Koordination


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