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Winzer in der Demografiefalle

Ludwig Hintjens

Europa produziert die Hälfte des Weines, der weltweit getrunken wird. Die Branche ist aber in einer tiefen Strukturkrise. Eine Expertengruppe auf EU-Ebene soll nun Auswege aufzeigen


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Weinreben
Foto: Hans

Der Anbau und die Verarbeitung von Wein prägen Kulturlandschaften in vielen europäischen Ländern. Auf keinem anderen Kontinent spielt Wein eine größere Rolle als in Europa. Die Europäer konsumieren etwa die Hälfte der Weltproduktion mit 110 Millionen Hektolitern Wein jährlich. Der ausgebaute Rebensaft, ob Weiß, Rot, Rosé oder als Schaumwein, ist das drittstärkste Agrarprodukt bei den EU-Exporten. Wein machte 2023 allein acht Prozent der EU-Agrarexporte aus.  

 

Allerdings herrscht in der Branche Krisenstimmung: Der Absatz bricht ein. Heute wird in Europa ein Fünftel weniger Wein getrunken als im Jahr 2000. Auch der Anbau geht zurück: Während die EU vor 20 Jahren noch 59 Prozent der weltweiten Weinernte herstellte, sind es jetzt nur noch 49 Prozent. Die Konsumgewohnheiten ändern sich: Die Menschen leben gesundheitsbewusster, sie trinken weniger Alkohol pro Kopf.


In vielen traditionellen Weintrinkerländern wie etwa Frankreich, Spanien und Italien hat Bier als alkoholisches Getränk dem Wein massiv Marktanteile abgenommen. Allein in Frankreich etwa ist der Pro-Kopf-Konsum von Wein seit den 1960er Jahren um 65 Prozent zurückgegangen. In Frankreich, Spanien und Italien wird heute etwa ein Drittel weniger Wein getrunken als im Jahr 2000. Etwas später hat auch in Deutschland der Konsum nachgelassen. Vor allem der Rotwein verliert Anhänger. Weißwein, Rosé und Schaumweine können die Verluste zwar ein wenig kompensieren, doch die Aussichten für die Winzer sind auch auf längere Sicht nicht rosig. Vermutlich tragen der Trend zu leichteren Mahlzeiten, weniger Fleisch sowie die höheren Temperaturen durch den Klimawandel dazu bei, dass Rotwein weniger häufig getrunken wird.

 

Jüngere trinken weniger Wein


Wein hat ein handfestes Demografieproblem: Die Jüngeren trinken deutlich weniger Wein. Dazu beeindruckende Zahlen aus Italien: Dort sind 57 Prozent der Verbraucher, die täglich Wein trinken, 60 Jahre und älter. Und: Dort fiel der Anteil der Menschen unter 44, die täglich Wein trinken, von 2009 bis heute von 27 auf 16 Prozent. Auch in Frankreich und Spanien gibt es regelrecht eine Abkehr der Jungen vom Wein.

 

Auf EU-Ebene wurde jetzt eine Expertengruppe einberufen, um Reformansätze für die Branche zu erarbeiten. An einem Tisch sitzen Vertreter des Wein-Sektors, der Kommission sowie der Mitgliedstaaten.    

 

Wie kommt die Branche aus dieser Krise heraus? Produktinnovationen sind gefragt. Die Branche sollte die Abwanderung der Jungen nicht tatenlos hinnehmen, sondern sich um neue weinhaltige Getränke bemühen, die jüngere Generationen ansprechen. Vor allem aber sollte sich die Branche noch stärker als bisher auf qualitativ hochwertige Weine konzentrieren. Der Weg der Professionalisierung wurde bereits mit der EU-Weinreform 2008 beschritten und sollte weiterverfolgt werden.

 

Vom Niedergang des Absatzes sind in besonderer Weise durchschnittliche Weine betroffen. Mit Spitzenweinen kann nach wie vor gutes Geld verdient werden. Vor allem im Export: Neue wohlhabende Käuferschichten etwa in Asien, insbesondere in China, zahlen hohe Preise für Weine im Luxussegment. Bei künftigen Handelsabkommen sollten Unterhändler der Kommission den neuen Absatzmöglichkeiten Rechnung tragen.

 

Letztlich wird die EU aber nicht umhinkommen, Impulse für eine weitere Reduzierung der Anbauflächen zu setzen. Die Folgen müssen wohlbedacht werden. Die Weinberge, zumal in den mittleren Breiten wie Süddeutschland, Österreich und Elsass sind auch attraktive Gegenden für den Tourismus. Sollten die Anbauflächen künftig anders genutzt werden, könnte dies negative Folgen für Hotels und Gastronomie haben.

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