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  • AutorenbildFrank Polke

Ostseeblick auf den Flüssiggas-Tanker

Kurz vor dem Start der Urlaubssaison geht das LNG-Terminal vor Rügen in Betrieb. Bei Einheimischen und Tourismusmanagern gehen alle Alarmstufen auf Rot


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LNG-Tanker „Golar Seal“ (Foto: Björn Lübbe/Zukunft Gas)
LNG-Tanker „Golar Seal“ (Foto: Björn Lübbe/Zukunft Gas)

Es ist wohl das umstrittenste energiepolitische Projekt der vergangenen Jahre: Um einen möglichen Engpass in der Versorgung mit Flüssiggas zu verhindern, genehmigten die Behörden vor zwei Jahren den Bau und Betrieb eines LNG-Terminals vor der Ostseeinsel Rügen. Alles musste schnell gehen, sehr schnell. „Wir benötigen diese Menge, um nach dem Angriff auf die Ukraine die ausfallenden Gasimporte aus Russland dauerhaft zu ersetzen", erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) diese Kehrtwende im Frühling 2022.

 

Rügen war nicht der einzige Standort, der damals für die LNG-Terminals ausgewählt wurde: Deutschlandweit waren und sind es fünf. Zwei davon befinden sich in Niedersachsen (in Wilhelmshaven an der Nordsee und in Stade an der Elbmündung), einer im schleswig-holsteinischen Brunsbüttel sowie zwei in Mecklenburg-Vorpommern. Während aber die Ansiedlung in Lubmin weitgehend ohne Proteste abläuft, gibt es auf Rügen bzw. Mukran erheblichen Ärger.

 

„Horrende Schäden für unsere Insel“

 

Anwohner, Politiker und Tourismusmanager fürchten um die Natur, die Schönheit der Insel. Und genau diese ist notwendig, um weiter als deutsches Reiseziel Nummer eins für Touristen zu glänzen. „Wenn die Anlage tatsächlich so gebaut wird, erwarten wir horrende Schäden für unsere Insel“, erklärte ein Sprecher der Gemeinde Binz. Meterhohe Kräne und Hafenanlagen trüben dann den Blick des erholungsbedürftigen Urlaubers aus dem Strandkorb, die Artenvielfalt wäre gefährdet. Und mit der Ruhe wäre es auch noch vorbei. Befürchtungen, die man auch Kanzler Olaf Scholz und Minister Robert Habeck bei einem sogenannten Vor-Ort-Termin zu erklärten versuchte. Vergeblich.

 

Besonders der Tourismus, von dem fast alle Menschen und Branchen auf der Insel leben, ist ein kostbares, aber zerbrechliches Gut: Jedes Jahr kommen 1,2 Millionen Gäste nach Rügen. „Rügen ist im Gegensatz zu anderen LNG-Standorten kein Industriegebiet, sondern mit 1,2 Millionen Feriengästen die meistbesuchte Insel Deutschlands“, heißt es übereinstimmend. Diese Unberührtheit sei ein absoluter Trumpf, den man angesichts der strukturschwachen Gegend in Mecklenburg-Vorpommern nicht aufs Spiel setzen wolle.

 

Ein weiteres Argument der Terminal-Gegner: Das Terminal in Mukran sei doch jetzt gar nicht mehr notwendig. Die Energieversorgung auch im Winter sei durch die vier anderen Standorte mehr als gewährleistet.

 

Deutschland beim Flüssiggas ganz vorn

 

Doch in Berlin rechnet man – wohl noch immer unter dem Schock des Gasstopps aus Russland – offenbar in anderen Dimensionen: Laut der Datenbank „Global Oil and Gas Exit List“, aus der das Handelsblatt zitiert, plant Deutschland langfristig mit Kapazitäten von 69 Milliarden Kubikmetern (bcm, von „billion cubic meters“). Das wären deutlich mehr als die von der Bundesregierung im März geschätzten 54 bcm. Gelingt diese Kapazitätserweiterung, wäre Deutschland damit unter den größten vier Baunationen von LNG-Terminals – zusammen mit China, Vietnam und Indien.

 

Und es sieht ganz danach aus, dass die Bundesregierung weiter Tempo macht. Ende April hat das Unternehmen Deutsche Regas die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für den Bau und Betrieb des LNG-Terminals erhalten. Konkret machte das zuständige Landesministerium in Schwerin den Weg frei für die Errichtung der zwei schwimmenden Anlagen zur Speicherung und Regasifizierung von verflüssigtem Erdgas, einer landseitigen Kraft-Wärme-Kopplung-Anlage und zwei Versorgungsleitungen; die Genehmigung gilt bis Ende 2043. Sie umfasst jährlich maximal 110 Anlieferungen von Flüssiggas per Schiff. Umgerechnet: Jeden dritten Tag kommt ein solches Schiff, muss entladen werden.

 

Auch von den höchsten Verwaltungsrichtern können die Protestler und Umweltaktivisten auf der Insel keinen Beistand erwarten: Das Bundesverwaltungsgericht wies zuletzt die Klagen zweier Umweltorganisationen gegen die Gaspipeline von Mukran nach Lubmin ab. Konsequenz: Mit der rund 50 Kilometer langen, bereits fertiggestellten Pipeline können die schwimmenden LNG-Terminals nun an das Gasfernleitungsnetz in Lubmin östlich von Greifswald angebunden werden. Mitte Mai soll die Anlage in Betrieb geben – sechs Wochen vor Start der heiß ersehnten Feriensaison auf Rügen.

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