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Neuer Streit um die Fangquoten: Überfischt oder nicht?

  • Jürgen Muhl
  • 21. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

Die deutsche Küstenfischerei befindet sich in der größten Krise seit der deutschen Einigung. Jetzt wollen trotz aller Einschränkungen Geomar-Forscher bereits eine Überfischung in Nord- und Ostsee festgestellt haben


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Fischkutter
Foto: Didi01 / pixelio.de

Die verbliebenen Betriebe in der Hochseefischerei Norddeutschlands stehen vor weiteren großen Herausforderungen. Der Zustand der Meeresfischerei ist jetzt bereits besorgniserregend: Fanggebiete entfallen durch den massiven Ausbau von Offshore-Windparks, die hohen Treibstoffpreise belasten zunehmend, der Nachwuchsmangel ist akut und die Öffentlichkeit nimmt die Fischerei als Stressfaktor für die Meeresumwelt wahr. Längst können die deutschen Fischer an Nord- und Ostsee nicht einmal mehr den Eigenbedarf ihrer Landsleute decken. Importe aus Dänemark und den Niederlanden sorgen für Ausgleich.


Die Zahl der Fischereibetriebe ist im vergangenen Jahr weiter zurückgegangen. Laut Landesfischereiverband gibt es aktuell in Schleswig-Holstein nur noch 153 Betriebe mit eigenem Kutter, das sind zehn weniger als im Vorjahr. In neue Boote wird kaum noch investiert. Die größten Probleme sind demnach strenge Verordnungen und Fangquoten. Und mitten in dieser Existenzkrise braut sich ein neues Sturmtief zusammen – in Richtung der Fangnetze. Das Kieler Meeresforschungsinstitut Geomar wirft jetzt in einer aktuellen Studie der Europäischen Union vor, die „Überfischung in Nord- und Ostsee zu fördern“. Danach seien die „Fangquoten teils doppelt so hoch, wie es die natürliche Bestandsentwicklung verträgt“. Der gesamte Prozess der Entscheidungsfindung zeige seit 20 Jahren „eine systematische Tendenz zu überhöhten Mengen“, kritisieren die Geomar-Analysten in der Fachzeitschrift „Science“. Zur Stimmung unter den verbliebenen Fischer fallen aus der Betroffenheit heraus Sätze wie diese: „Verfasst haben das meist grün angehauchte Bürokraten.“ Man habe bereits viele Einschränkungen hinnehmen müssen. Weitere wissenschaftliche Bewertungen und folgende politische Diskussionen in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern werden zeigen, wie belastbar die Warnungen des Instituts in Kiel sind und welche Folgen sie haben.


Von der politischen Einflussnahme entkoppeln“


Als Beispiel führt Geomar die Situation beim Dorschfang an. Im Jahr 2022 sei in der westlichen Ostsee eine Fangmenge von 489 Tonnen erlaubt worden. Höchstens 284 Tonnen seien vertretbar gewesen, ohne dass der arg dezimierte Bestand weiter schrumpfe, sagte der Autor der Studie, Rainer Froese, dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag. Froese macht dafür die EU-Kommission und den EU-Ministerrat verantwortlich. Sie allein hätten die Fangquoten „viel zu hoch“ angesetzt. Dadurch seien 70 Prozent der Fischbestände in den nördlichen EU-Gewässern „überfischt oder gar zusammengebrochen“. Froese tritt dafür ein, Fangquoten von politischer Einflussnahme zu entkoppeln. Er fordert eine neue Institution, die ähnlich unabhängig agiere wie die Europäische Zentralbank in der Währungspolitik.


Der Geomar-Vorstoß stößt in der ohnehin angeschlagenen Fischerei-Branche auf großes Unverständnis. Und auch beim Rostocker Thünen-Institut, das an der Festlegung der Fangquoten beteiligt ist. Dessen Leiter verteidigt das bisherige System der Entscheidungsfindung. „Wir versuchen, möglichst belastbare wissenschaftliche Ergebnisse vorzulegen, die nicht von Vorurteilen oder Klientelpolitik getrieben sind, weil die zukünftige Nutzbarkeit unserer Meere und die Zukunft unserer Fischerei davon abhängen“, sagte Christopher Zimmermann. Und fügte hinzu: „Diese Geomar-Autoren fallen schon seit Jahren mit umweltverbandsnahen Positionen auf. Sie liegen damit manchmal richtig, aber eben auch manchmal falsch.“ Zimmermann erinnert an die weit verbreitete Geomar-Meldung vor einigen Jahren, „die eingeschleppte Rippenqualle Mnemiopsis werde das Ende der Fischbestände einläuten. Passiert ist aber nichts.“


Wie aus einer aktuellen Urlauber-Umfrage in Schleswig-Holstein hervorgeht, wünscht sich die Gesellschaft eine vitale, zukunftsfähige Küstenfischerei. Sie soll, so heißt es bei der Zukunftskommission Fischerei (ZKF), „nicht nur den Markt mit einem gesunden und vergleichsweise umweltfreundlich erzeugten Lebensmittel versorgen, sondern auch den Tourismus und die kulturelle Identität fördern“.

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