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  • AutorenbildFrank Polke

Das stille Glück am Angelhaken

Angeln ist in und erlebt gerade jenseits der Großstädte einen Boom. Die Gründe dafür sind überraschend


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Angler sitzt am See
Foto: andreas160578

Das Paradies ist manchmal nur 30 Kilometer entfernt. Große Seen liegen in einer fast intakten ländlichen Idylle. Der Flakensee und der Liepnitzsee, der Scharmützelsee oder der Stolpsee – wunderschöne Gewässer, die nur eine halbe Stunde vom lauten und urbanen Berlin-Mitte-Getöse entfernt liegen. Und die jede Menge Freizeitspaß bieten.

Ganz oben im Trend ist dabei nicht das Baden oder der Boots-Tourismus. Ganz oben im Trend liegt das Angeln. „Diese Beschäftigung erfreut sich gerade bei uns im wasserreichen Brandenburg immer größerer Beliebtheit“, erklärt ein Sprecher des Landesanglerverbandes Brandenburg. „Wir sind in den vergangenen fünf Jahren enorm gewachsen und spüren auch jetzt noch einen großen Zuwachs. Das macht uns sehr viel Freude.“ In Zahlen ausgedrückt: Im Jahr 2019 waren in Brandenburg offiziell rund 85.000 Menschen als Angler organisiert. Fünf Jahre später waren es bereits 10.000 mehr. Also 95.000 Menschen jeden Alters, unabhängig vom sozialen Status.

 

Mehr Angler als Fußballspieler

 

Mit dieser Mitgliederzahl – und darauf ist man beim Verband in Potsdam echt stolz – habe man den Fußballlandesverband Brandenburg e.V. überflügelt, dem offiziell rund 93.000 Jungen und Mädchen, Frauen und Männer angehören. Angeln anstatt Fußball, das als mediale Ware längst zum unerreichbaren FIFA- oder UEFA-Erlebnis verkommt. Auch in anderen Bundesländern, die in vergleichsweise dünnbesiedelten Regionen wie zum Beispiel Sachsen, Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern tolle natürliche Fluss- und Seenlandschaften bieten, registrieren Anglervereine eine ähnliche Entwicklung. So richtig ging der Boom 2020 los.

 

Das Jahr, in dem Corona von China über Bergamo bis in den letzten Winkel der Welt seinen Schrecken entfaltete. „Ja, die Corona-Pandemie mit den Einschränkungen und Kontaktverboten hat wohl bei vielen Menschen einen Bewusstseinswandel eingeleitet. Damals haben viele diesen Sport und diese Freizeitaktivität für sich entdeckt. Angeln, das konnte man zu der Zeit allein machen. Da brauchte man keine Angst haben, gegen Auflagen zu verstoßen oder sich anzustecken. Das hat unserem Sport einen extremen Schub gegeben, auch und gerade bei den jüngeren Menschen.“

 

Nach der Corona-Pandemie – und das ist der zweite Grund für den unerwarteten Boom – kam die Inflation. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten in fast allen Bereichen sorgten bei vielen Familien dafür, dass die Kosten für Freizeitaktivitäten auf den Prüfstand gestellt werden mussten. Ergebnis: Angeln ist relativ kostengünstig, man kann es nach den abgelegten Prüfungen einfach ausüben. In vielen ostdeutschen Bundesländern gibt es zudem eine relativ hohe Zahl an Anglervereinen. In Brandenburg sind es beispielsweise aktuell 1200 Vereine, die Lehrgänge, Prüfungen und gute Tipps für den richtigen Angelplatz anbieten. Mitglieder können hier auf etwa 16.000 Hektar die gut 20 Hauptfischarten wie Hecht, Zander und Barsch angeln.

 

Die Sehnsucht nach der Stille, der Natur

 

Fast noch wichtiger ist noch ein weiterer Punkt, der in Zeiten von Twitter, TikTok, in Zeiten von Konflikten und Kriegen immer bedeutsamer wird. Viele Menschen verspüren das Bedürfnis, zur Natur zurückzukehren. Die Stille genießen, sich auf sich und die Schönheit der Natur besinnen. „Angeln entschleunigt und ist vielleicht das letzte große Naturabenteuer in unserer Zivilisation“, bringt dies der Sprecher des Landesanglervereins in Potsdam auf den Punkt. 

 

Doch um diesen positiven Boom auf eine solide Basis zu stellen und ihn dauerhaft erlebbar auch für die nächste Generation zu machen, bedarf es einiger Anstrengungen. Die zunehmende Urbanisierung und der Flächenverbrauch durch Verkehr, Wirtschaft und Wohnraum bedrohen auch die schönsten Angelparadiese. Als mahnendes Beispiel steht hier der Spreewald. Durch den Wegfall des Bergbaus und den Wasserdurst der Städte wie Berlin, Dresden oder Potsdam werden in wenigen Jahren die Wasserpegel stark sinken. Genau dies soll aber nicht passieren im Seen-Paradies Brandenburg. Denn dann ist es schnell wieder vorbei mit dem stillen Glück am Angelhaken.

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