Armut gibt es in der Stadt und auf dem Land. Im Dorf hat sie allerdings ein anderes, oft verdecktes Gesicht. Zudem haben Betroffene dort in ihrer Notsituation zusätzlich mit schlechter Infrastruktur und fehlender Mobilität zu kämpfen

Deutschland ist im weltweiten Vergleich wohlhabend, doch auch hierzulande gibt es Armut in unterschiedlichster Ausprägung. Während die Bedürftigkeit in der Stadt bereits Gegenstand vieler unterschiedlicher Forschungsprojekte ist, wird die Armut auf dem Land bislang kaum beleuchtet. Erst seit wenigen Jahren schauen zum Beispiel die „Landesarmutskonferenzen“ stärker in die Fläche.
Fachleute gehen unterdessen davon aus, dass die Armut-Dunkelziffer besonders in ländlichen Gebieten hoch ist und deshalb in den offiziellen Statistiken unterrepräsentiert sein könnte. Denn Betroffene versuchten dort aus eigener Kraft, mit einem Einkommen am Rande des Existenzminimums über die Runden zu kommen. Sie wollen nicht, dass man im Dorf über sie redet, und sie nutzen oft vor Scham nur selten die Hilfsangebote. Experten wie Dr. Rudolf Martens, viele Jahre Leiter einer Forschungsstelle im Paritätischen Gesamtverband, sprach schon vor Jahren davon, dass „Armut in ländlicher Idylle (…) eine spezifische und zugleich strengere Form der Armut“ darstellt.
Wachsendes Armutsproblem in strukturschwachen Landstrichen
Gerade strukturschwache Regionen, in denen die Einkommen im Vergleich niedrig sind, haben ein zunehmendes Armutsproblem. Denn hier können vielfach Kommunen und Kreise trotz mancher Fördermaßnahmen aufgrund ihrer eigenen angespannten Finanzlage die Infrastruktur kaum so gestalten, dass ärmere Bewohner dadurch spürbare Erleichterung erfahren. Eine wichtige Rolle kann zwar eine intakte und engagierte Dorfgemeinschaft übernehmen. Schafft sie es aber nicht, Menschen mit wenig Geld im Portemonnaie zu integrieren, sind die Betroffenen buchstäblich arm dran.
Erste tiefere Erkenntnisse zur Armut auf dem Land hat das Thünen-Institut in einem noch bis Ende 2025 laufenden Projekt gewonnen. Gemeinsam mit der Universität Rostock erforscht man das große Thema „Armut und soziale Teilhabe in ländlichen Räumen“.
Eine Pilotstudie zur Armut in ländlichen und städtischen Regionen von Mecklenburg-Vorpommern hat nach Institutsangaben ergeben, dass ein wichtiger Unterschied zwischen den Befragten in der Hansestadt Rostock und denen im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte die Zufriedenheit mit dem Wohnumfeld und der vorhandenen Infrastruktur ist. In der Stadt seien die Befragten im Großen und Ganzen mit dem verfügbaren Angebot von Ärztehäusern, Familienhelfern, gesetzlichen Betreuern, Stadtteilzentren, Maßnahmen der Jobcenter, Selbsthilfegruppen, Supermärkten oder kleinen Einkaufszentren zufrieden. Für die Befragten im ländlichen Raum hingegen sei Mobilität und fehlende Infrastruktur in naher oder gar fußläufiger Entfernung eines der größten Probleme. Ohne Auto sitze man dort buchstäblich fest.
Auto unverzichtbar – auch für die, die es sich nicht leisten können
Das bedeutet: Obwohl sie es sich eigentlich nicht leisten können, müssen von Armut Betroffene auf dem Land ein Auto unterhalten, um zum Beispiel zur Arbeit zu gelangen oder andere Dinge des täglichen Lebens wie den Arzt- oder Behördenbesuch zu erledigen. Das Thünen-Institut spricht von einer „Mobilitätsarmut“, die die ohnehin schwierige Lage der Betroffenen auf dem Land noch einmal verschärft.
Die Bundesregierung hat diese besondere Situation zuletzt im Dezember in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag bestätigt. Bestimmte Ausprägungen von Armut hätten in ländlichen Regionen stärkere Auswirkungen, heißt es. Und: Auch „Unterstützungsstrukturen“ wie zum Beispiel die Tafeln oder andere Sozialdienste seien in ländlichen Räumen seltener zu finden.
Bei der Frage nach Gegenmaßnahmen verweist die Bundesregierung unter anderem auf das Deutschlandticket, das bekanntermaßen gerade in den ländlichen Gebieten mit einem dünnen Nahverkehrsnetz kaum eine große Hilfe darstellt. Hier wird deutlich, dass man der „Mobilitätsarmut“, die Armut auf dem Land zweifellos verstärkt, mehr als bisher entgegensetzen muss. Es wird Zeit, dass Armut auf dem Land in der Politik stärker wahrgenommen und diskutiert wird.
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