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  • Muskelmasse statt Speckgürtel

    Das Zukunftsforum „Land.Schöpft.Wert“ stellt die richtigen Fragen, die Antworten aber muss der ländliche Raum selber geben Man mag zu den Bauernprotesten stehen, wie man will, mag sie kraftmeiernd und überzogen oder überfällig und angemessen nennen, eines aber hat der spektakuläre bundesweite Trecker-Protest erreicht: den ländlichen Raum abseits von der Debatte über die Agrardieselsteuer für die ganze Bevölkerung als einen Lebensraum wahrnehmbarer zu machen, um den sich Bürger und Politik mehr kümmern müssen. Im Großen wie im Kleinen. „Land.Schöpft.Wert“ heißt das Zukunftsforum Ländliche Entwicklung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, das dieser Tage zum 17. Mal stattfindet. Es ist nicht abwegig zu bilanzieren: In den zurückliegenden Jahren (unter wechselnder politischer Verantwortung) waren es in der Regel schöne Worte statt zukunftsfester Taten, die den ländlichen Raum mehr mit Sympathie ruhigstellen sollten als mit nachhaltigen Konzepten zu stärken. Dabei ist dieser Raum, schon von der Wortwahl her gegenüber den auftrumpfenden Interessen von Großstädten nachgeordnet, ein wichtiger Lebensraum, wirtschaftlich und identitätsstiftend. Letzteres, auch das gehört dazu, hier und da mit wachsenden, die Demokratie gefährdenden Wahrnehmungsproblemen. 91 Prozent der Bundesrepublik sind sehr oder überwiegend ländlich geprägt. 57 Prozent der Bevölkerung leben in diesem Raum mit seinem überwiegenden Anteil von Handwerk, Industrie und Dienstleistungen. 46 Prozent des Bruttoinlandsprodukts werden im ländlichen Raum erwirtschaftet. Nein, dieser Raum ist nicht der larmoyante Speckgürtel von Großstädten, sondern die pulsierende Muskelmasse der deutschen Wirtschaft. Wertschöpfung als Generalthema Das Zukunftsforum wird jedes Jahr unter ein Generalthema gestellt. In diesem Jahr heißt es „Regionale Wertschöpfung in ländlichen Räumen“. Die zentrale Frage lautet: Wie kann man wirtschaftlichen Mehrwert innerhalb einer bestimmten Region schaffen? Die Antworten bleiben eher unverbindlich. Viele wirken verstaubt. Es geht unter anderem um die Erzeugung lokaler Produkte, die Förderung von lokalem Unternehmertum, die Kooperation zwischen lokalen Firmen und Institutionen sowie um die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Region. Nichts Neues. Die 30 gut nachgefragten Foren zeigen: Der ländliche Raum stellt die gleichen Fragen wie viele Ballungsräume auch. Und er hat flächendeckend, weil kleinteilig organisiert, noch immer keine allgemeingültige Antwort parat. Bund und Land müssen ihrer Verantwortung im Großen gerecht werden – beim Wohnungsbau, bei Schulen und Krankenhäusern, vor allem bei einer alltagstauglichen Infrastruktur. Das fällt ihnen schon schwer genug. Die Foren-Themen zeigen aber auch den großen Anteil von Eigeninitiative, ohne die es im ländlichen Raum nicht geht. Auch deshalb, weil in vielen Rathäusern und Gemeinderäten aus parteipolitischer Sicht und falsch verstandenem Konkurrenzkampf Schwerpunkte und Prioritäten unterschiedlich (und nicht selten fahrlässig verbohrt) gesetzt werden. Vom Straßenbau bis zur Ansiedlung neuer Gewerbegebiete. „Land.Schöpft.Wert“: Es ist gut, wenn sich der ländliche Raum seiner eigenen Wirtschaftskraft und seiner gesellschaftlich sinnstiftenden Bedeutung stärker bewusst wird. Wenn er fordert, von der großen Politik ernster als bisher genommen zu werden. Fest steht aber auch: Entschlossen gehandelt werden muss vor Ort. In Baden-Württemberg werden am 9. Juni neue Kommunalparlamente gewählt. Ob nicht nur die Parteien, sondern auch die Bürger diese Herausforderung annehmen, müssen Wahlbeteiligung und Wahlergebnisse zeigen.

  • Ein weiterer Schlag gegen den ländlichen Raum

    Jetzt sind die Fischer an der Reihe – Bund plant drastische Kürzungen Nach den teilweisen Rückziehern gegenüber der Landwirtschaft nimmt die Bundesregierung nun die Fischereibetriebe ins Visier. Die Mittel sollen um rund 84 Prozent gekürzt werden. Die Küstenfischer sind außer sich. Die Branche stehe vor dem Ruin, heißt es. Ihnen fehlt die Lobby der Landwirte. Deutschlands Fischer kämpfen seit Jahren ums Überleben. Das machen sie ziemlich allein. Ihre Proteste haben nicht den Wumms der Bauernschaft, sie bleiben zumeist ungehört. Es ist ja auch leichter, mit dem Trecker gen Berlin zu fahren als auf einem alten Kahn die Bundeshauptstadt auf dem Wasserweg zu erreichen. Und doch verstärkten Hunderte von Fischer die Landwirte kürzlich bei ihrer Abschluss-Demo in Berlin. Die Kutter- und Küstenfischer hatten sich mit den Bauern und Spediteuren solidarisch erklärt. Haben sie doch allen Grund zum Protest. Die Bundesregierung will Fischereien die Ausgleichszahlungen für zukünftig wegfallende Fanggebiete angesichts von Windkraftflächen in Nord- und Ostsee kürzen. Statt 670 Millionen Euro soll die notleidende Fischerei-Branche nur noch 134 Millionen Euro erhalten. Nach der Ankündigung der Bundesregierung, einen Teil der bäuerlichen Subventionskürzungen im Agrarbereich zurückzunehmen, vermuten die Fischer einen Zusammenhang. „Die Haushaltslücke soll mit den Mitteln geschlossen werden, die für uns vorgesehen waren“, kritisiert der Fischerei-Verbandsvorsitzende Dirk Sander. Mit veralteten Kähnen Mit der Ausgleichszahlung für die Offshore-Flächen sollten eigentlich die Flotten modernisiert werden. Was auch dringend notwendig ist, schippern die Fischer zumeist mit veralteten Kähnen über Nord- und Ostsee. Jetzt aber ist dies nicht mehr möglich. Die Fischerei liegt am Boden der Meere. In Schleswig-Holstein wird die Küstenfischerei und Kleine Hochseefischerei von 758 Fischern im Haupt- und Nebenerwerb mit 486 Fischkuttern und offenen Booten ausgeübt. Bei den jüngsten Protesten im Hafen von Büsum klagten Fischerinnen und Fischer ihr Leid. Es werde befürchtet, dass die 670 Millionen Euro Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft gehen sollen, um die Bäuerinnen und Bauern zu beruhigen – und so Fischerei und Landwirtschaft gegeneinander ausgespielt werden soll. „Bei uns macht sich Untergangsstimmung breit“, heißt es in den Nordsee-Häfen von Friedrichskoog, Büsum, Husum und auch an der Ostsee in Eckernförde, Kappeln, auf Fehmarn oder an der Küste von Mecklenburg-Vorpommern. In jedem Jahr gehen 15 Fischer in den Ruhestand und nur zwei bis drei Jungfischer kommen nach. Viele von ihnen sind auf 60 bis 70 Jahre alten Kuttern unterwegs. Eine Umrüstung auf Elektromotoren, wie von den Grünen gefordert, ist für die alten Schiffe nicht sinnvoll. „Im Schnitt fehlen den Betrieben rund 150.000 Euro im Jahresumsatz, um weitermachen zu können“, sagt Lorenz Marckwardt vom Landesfischereiverband Schleswig-Holstein. Es muss in Ausbildung investiert werden Die Branche benötigt Modernisierung, es muss in die Ausbildung investiert werden. Nur mit neuen Schiffen und mit einer Wiederbelebung der Fangquote gibt es für die Fischerei eine Zukunft. Andernfalls – so die Befürchtung – stirbt der Beruf an deutschen Küsten aus. Schon heute liegt die Zahl der importierten Fische aus Skandinavien und den Niederlanden über den Fängen in deutschen Gewässern. Was auch zu höheren Preisen führt.

  • Das Waldgesetz, die nächste Kampfansage

    Der Entwurf fürs neue Bundeswaldgesetz hat das Zeug, den ländlichen Raum endgültig in Rage zu bringen Noch sind die Traktor-Demos gegen die Agrarpolitik nicht vorbei, da zündet die Bundesregierung die nächste „Bombe“. Die Novelle zum Bundeswaldgesetz bietet alle Komponenten für Aufregung und Proteste: neue Straftatbestände und Eingriffe ins Eigentumsrecht der Waldbesitzer. Vor allem aber jede Menge Ideologie mit der Handschrift des NABU. Also von jenem Verband, der seine eigenen Naturschutzflächen nicht in den Griff bekommt. Aber als heimliche Hausmacht in den Bundesministerien der Grünen gilt. Wehe dem Waldbesitzer, der zum Beispiel die Wurzelstöcke gefällter oder sonst gefallener Bäume nicht nach den neuen Regeln versorgt. Hierzu soll es künftig sogar einen Straftatbestand geben. Wer Waldbau weiter nach eigener Erfahrung und Gutdünken betreibt, riskiert Bußgeld in noch nicht endgültig festgelegter Höhe. Originalton der beteiligten Öko-Verbände: „Das Fundament der anpassungsfähigen forstlichen Governance bilden die zwingend erforderlichen, sanktionsbewährten rechtlichen Mindeststandards der Waldbewirtschaftung, die sich aus der Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums ergeben.“ Waldbauern sollen Arten und Sorten ihrer Forstpflanzen nicht mehr nach eigenem Gusto und eigener Expertise bestimmen, sondern verpflichtende Beratung einholen. Logisch gegen Bezahlung und – im Zweifel – von staatlicher Seite. Die Forstpartie bekommt also mehr Einfluss und Betretungsrechte. Was nicht zuletzt schlimme Erinnerungen an Versuche weckt, die Jagdgesetze – wie in Rheinland-Pfalz eben im Prozess des Scheiterns – im Sinne einer Jäger-Minderheit umzukrempeln. Anweisung als altes Prinzip: Mehr Bäume pflanzen als ernten Abschaffen wollen die Reformer im Gegenzug den Begriff der „guten waldbaulichen Praxis‟. Und es ist ihnen kaum Erwähnung wert, dass das Prinzip der Nachhaltigkeit im Waldbau eine deutsche Erfindung ist: Hans Carl von Carlowitz, königlich-polnischer und kurfürstlich-sächsischer Kammer- und Bergrat, schrieb mit der „Sylvicultura oeconomica“ die erste Anweisung, mehr Bäume zu pflanzen als zu ernten. Ein Meilenstein über Europa hinaus und Grundlage des Zusammenwirkens von Ökonomie und Ökologie im Forst. Die auf Spendengenerierung spezialisierten Waldretter von NABU, Deutscher Umwelthilfe und WWF sind mit solcher Tradition nicht zufrieden. Das aktuelle Bundeswaldgesetz von 1975 kenne „keine Klimakrise und kein Artensterben‟. Es schaffe „nicht den notwendigen Rahmen, deutsche Wälder gegen die zunehmenden Extremwetter anzupassen und gegen die steigende Holznachfrage zu wappnen‟. Damit wird klar, dass es auch um weitere Eingriffe in Eigentumsrechte geht. Denn neben der Jagdpacht ist der Holzverkauf die einzig nennenswerte Einnahmequelle der Waldbesitzer. Dass Teile der Bundesregierung zugleich den vermehrten Einsatz des umweltfreundlichen Baustoffs Holz propagieren, ist nicht der einzige Stolperstein im Gesetzentwurf. Forstwirtschaftliche Erkenntnisse wie der Nachweis, dass junger Wald weit mehr Schadstoffe bindet als altehrwürdige Baumriesen, werden schlichtweg ignoriert. Dafür gilt die höchst umstrittene These, dass Bäume besser als Totholz verrotten als verbrannt zu werden. Und am Ende lauert womöglich noch der Wolf, dessen vermeintlich segensreicher Einfluss auf den Waldzustand durch Forscher der schwedischen Forst-Universität (SLU) eben erst eindrucksvoll widerlegt wird. „Allenfalls Diskussionsgrundlage mit handwerklichen Mängeln“ Die betroffenen Waldeigentümer nennen den zwischen Bundeslandwirtschafts- und Bundesumweltministerium abgestimmten Entwurf eine „allenfalls erste Diskussionsgrundlage mit vielen handwerklichen Mängeln“. „Unsere Mitgliedschaft lehnt den Entwurf in Gänze ab“, sagt Präsident Professor Andreas Bitter von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände e.V. Entsetzt hätten die privaten Waldbesitzer in Deutschland zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Holzproduktion im Entwurf als nachrangig betrachtet wird. „Dies wird der Rolle von Wald und Holz als oft einzige Erlösquelle der Forstbetriebe und als Wirtschaftsfaktor mit einer Wertschöpfung von fast 60 Milliarden Euro gerade im ländlichen Raum nicht gerecht.“ Der Entwurf zeichne sich an vielen Stellen durch „große Praxisferne“ aus, etwa bei der starren Beschränkung, dass zwischen Rückegassen mindestens 40 Meter Abstand eingehalten werden müssen. Die bereits erwähnten Straftatbestände führen laut Professor Bitter „zu einer tiefen Verunsicherung von Menschen, die sich mit Herzblut und großem Engagement für den Wald einsetzen, ihn häufig seit vielen Generationen pflegen, damit der Gesellschaft den wunderbaren Rohstoff Holz zur Verfügung stellen und wegen der Klimakrise ohnehin vor kaum zu bewältigenden Herausforderungen stehen.“ Vernichtend ist auch der Tenor des Rechtsgutachtens, das die Verbände bei der auf Verfassungs- und Umweltrecht spezialisierten Kanzlei Dombert in Potsdam beauftragt. Immerhin gibt es Schätzungen, dass von dem geplanten Gesetz rund elf Millionen Hektar Wald und 750.000 private Waldbetriebe betroffen sind. Rechtsgutachter Tobias Roß nennt den Gesetzentwurf „verfassungswidrig“ und „auch inhaltlich misslungen“. Die vorgesehene Beschränkung der Baumartenwahl, die Herabstufung der Holzproduktion und die Begrenzung anderer waldbaulich-betrieblicher Freiheiten seien Eingriffe in die Grundrechte des Eigentums (Art. 14 GG) und der Berufsfreiheit (Art. 12 GG). Die neu eingeführten Strafvorschriften wertet der Jurist als Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: „Die Strafvorschriften schießen weit über das Ziel hinaus.“ Die in diversen Neuregelungen zum Ausdruck kommende Nachrangigkeit der Holzproduktion gegenüber Klimaschutz und Biodiversität sei verfassungswidrig. „Neuordnung nicht erforderlich und unverhältnismäßig“ AGDW-Präsident Prof. Andreas Bitter ergänzte: „Der Walderhalt ist erstes Ziel aller waldbäuerlichen Anstrengungen, denn nur in einem stabilen Wald sind die Holzproduktion sowie alle anderen Ökosystemleistungen gesichert. Die Neuordnung der Waldfunktionen ist nicht erforderlich und unverhältnismäßig.“ Auch die erstmals in einem Bundeswaldgesetz vorgesehenen Straftatbestände wie die Störung der „Stille des Waldes“ im Wald seien der Versuch, Verhaltensweisen zu kriminalisieren, „die unter keinem denkbaren Gesichtspunkt strafwürdig sind“. Max von Elverfeld, der Vorsitzende der „Familienbetriebe Land und Forst“, sagte dazu bereits in einem Zeitungsinterview, dass die gegenüber dem derzeit geltenden Bundeswaldgesetz geplanten neuen Straftatbestände und Bußgeldvorschriften  Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber den Forstleuten vor Ort seien. „Die Androhung von Freiheitsstrafen setzt Waldbesitzer mit Kriminellen, die Einziehung von Tatmitteln Motorsägen mit Tatwaffen gleich.“ „Nicht Naturschutz- und Waldbehörden sind die besten Waldbewirtschafter, sondern eigenverantwortliche Waldbesitzer, die auf Bioökonomie setzen“, sagte Prof. Andreas Bitter. Max von Elverfeldt nennt den Gesetzentwurf gar „ein Demotivationsprogramm für Waldbesitzer“, er werde „den Waldumbau eher verhindern als beschleunigen“.

  • Das Zwischen-Ende der Bauernproteste – die Themen bleiben

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, die Umstände, unter denen die Menschen auf dem Lande leben und arbeiten, sind auch in den Köpfen vieler angekommen, die in den Städten einfach eine andere Lebenswelt haben. Das bekommt man dieser Tage in vielen Gesprächen mit, wenn es etwa um die Einkommen der Bauern geht. So nehme ich es auch in meinem privaten Umfeld wahr. Das Ganze ist schon differenziert zu betrachten – etwa nach Produkten, Hofgrößen, Investitionsfinanzierungen, Familienleistung und -einkommen. Das sind Parameter, die keine Pauschalurteile zulassen. Schon gar nicht, wenn man nicht so richtig weiß, wie ein bäuerliches Familienunternehmen in Ställen, auf Feldern und am Schreibtisch funktioniert. Statistiken haben generellen Charakter. Der Gesamtumsatz im Agrarbusiness ist nach einer EY-Studie im letzten Jahr um 12,2 Prozent gestiegen, die Kosten aber sind es auch. Die Autoren äußern auf der Kostenseite weiter „trübe Erwartungen“. Mal sehen, was 2024 mit den klimabedingten Folgen in den Statistiken bringen wird. Der Agrardiesel wird auch als Einzelposten in den Hofbilanzen zu sehen sein. Es geht aber um mehr als nur darum. Das sind unter anderem die erlebten und zu erwartenden politischen Vorgaben – mit Auflagen, Verordnungen, verpflichtenden Stilllegungen und dem, was Bauernpräsident Rukwied meint, wenn er sagt, dass „Ökoregeln an die Praxis“ angepasst werden müssen. Das, was die Frauen und Männer aus der Landwirtschaft auf die Beine oder besser die Räder ihrer Traktoren gebracht haben, hat in Summe die Anliegen und Zukunftssorgen eines riesigen Berufsstandes zum beherrschenden Thema in Deutschland gemacht. Die Medienreflexion überstrahlte alles an Schlagzeilen, Nachrichten und Meinungen, was in diesen Wochen zur üblichen täglichen Agenda gehört. Da gibt es schon Themen genug, die wir nicht loswerden, etwa weil uns nun einmal Putins festgefahrener Krieg und das, was über den Nahen Osten hereingebrochen ist, auch innenpolitisch bindet – den Bundeskanzler allemal. Er hat sich in der Aktionswoche jedenfalls auffällig zurückgehalten. Scholz wird dann die Bühne betreten, wenn er am Mittwoch die Grüne Woche besucht. Erklären sollte er sich schon detaillierter zur Finanzpolitik und zum Anteil, den der Agrarbereich bei allen Einsparungen zu leisten hat. Wenn es zur abschließenden Haushaltsberatung im Plenum kommt, wird er sich schließlich erklären müssen und vielleicht mehr sagen, als nur seine Video-Aufforderung an die Protestierenden, „Maß und Mitte zu halten“, und vor einem „toxischen Gemisch“ zu warnen. Das war etwas wenig zur Sache. Die Protestkolonnen fahren wohl weiter durchs Land Zur Vorbereitung des finalen Beschlusses über den Haushalt 2024 hat sich in dieser Woche bis Donnerstagabend zunächst der zuständige Ausschuss durch das Sparpaket des Ampel-Kabinetts gequält. Die inzwischen politisch zugesagten Korrekturen an dem umstrittenen 17-Milliarden-Kabinettsbeschluss vom 20. Dezember letzten Jahres sind nun in die Etatplanung eingearbeitet worden. Dazu gehört die bekannte halbe Weihnachtsbescherung für die Landwirte. Die Teilrücknahme beim Thema Agrardiesel und Fahrzeugsteuern lässt die Bauern offensichtlich noch nicht ruhen. Sie wollen die Protestkolonnen weiterfahren lassen. Vielleicht hängt das auch mit einem unveränderten Empfinden der Ungleichbehandlung zusammen. Jedenfalls wurde unter anderem die Streichung des Rückforderungsbeschlusses über 1,5 Milliarden gegenüber der Arbeitsagentur zurückgenommen. Sie war über den realen Bedarf hinaus mit Corona-Zuschüssen bedient worden. Gegen die Rückzahlungsforderung hat nur eine Dame protestiert, dafür aber in vollem Umfange wirkungsvoll. Das war Andrea Nahles, die Chefin der Nürnberger Agentur. Für die Abgeordneten war es wohl nervenaufreibend, all das abzusegnen, was in den letzten Tagen über das Finanzministerium unter Zeit- und Gelddruck an korrigierenden Vorlagen in die parlamentarische Beratung geliefert wurde. Für die Mitglieder der Ampelfraktionen allemal, die dann mit ihren Stimmen den Haushalt beschlossen haben. Für den Chefhaushälter der Opposition, Christian Haase von der Union, war das alles „Flickschusterei“. Die am Mittwoch plötzlich aufgetauchten 6,3 Milliarden aus nicht genutzten Haushaltsrücklagen früherer Jahre haben die Lage dann doch entspannt. Erst einmal soll damit die Fluthilfe für das Ahrtal in Höhe von 2,7 Milliarden gesichert werden; der Rest stopft die verbliebenen Löcher. Das wird übrigens im Norden Daniel Günther nicht trösten. Er wird nicht müde, die Schadensbeteiligung des Bundes an den Hinterlassenschaften der jüngsten Sturmfluten an der Küste anzumahnen. Da ist aber weiter nichts zu erwarten. Ein Blick auf Countryside-Alliance Übrigens haben auch europäische Nachbarn im Auge, was in Deutschland derzeit für Unruhe sorgt. Da sind zunächst einmal die niederländischen Bauern, die mit ihren Protesten im letzten Frühjahr noch politischer geworden sind. Und über die EU hinaus stellt in Großbritannien Tim Bonner, der Sprecher der „Countryside Alliance“, in seinem Newsletter die Frage: „Will Britain follow German farmer protests?“ Wir schauen da immer wieder gerne mal rein. Er erinnert an die „geistige Heimat der Bauernproteste“ in Frankreich, auch an das, was in Holland und Spanien zu den Protesten führte. Er schreibt dann zu den notwendigen Veränderungen zur Sicherung der „Zukunft der Umwelt und des Planeten“: Bei diesen Beispielen seien die Regierungen davon ausgegangen, dass die Landwirtschaft das Problem und nicht Teil der Lösung sei. Die Leistungsschau rund um Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau Zurück zu dem, was im Blickpunkt steht: Bis Ende der kommenden Woche werden die Themen Ernährung, Landwirtschaft, Landleben und damit insgesamt die Politik für den ländlichen Raum schon kalendermäßig wieder in den Blickpunkt gerückt. Berlin lädt ein zur Grünen Woche, der internationalen Leistungsschau rund um Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau. Die Messe verspricht ihren Gästen Informationen über „moderne Land- und Ernährungswirtschaft, kulinarische Trends und nachhaltige Themen“ durch 1400 Aussteller aus 60 Ländern. Für Messechef Dr. Mario Tobias ist die Messe die „beste Plattform, um die Debatte von der Straße zu holen“. Er begründet das damit, dass Berlin jetzt und in den nächsten Tagen zum Treffpunkt und Marktplatz nicht nur für Aussteller und Gäste aus unserer Region, sondern gleichermaßen für Politik, Verbände der Landwirtschaft und Ernährung, Medien und die Zivilgesellschaft werde. Ob die als politischen Höhepunkt geplante Agrarministerkonferenz mit 70 internationalen Ministerinnen und Ministern das Demonstrationsgeschehen der letzten Tage in den Hintergrund stellen kann, bleibt fraglich. Die bekannten Themen werden wieder zur Sprache kommen, zumal wenn es vor den Toren der Messe zu weiteren Protesten kommt. Inhaltliches verspricht etwa dort die Dialogbühne der Land- und Ernährungswirtschaft, wie der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, ankündigt: „Wir werden auf der diesjährigen Grünen Woche den Menschen vermitteln, was nötig ist, um eine stabile und zuverlässige Versorgung mit hochwertigen heimischen Lebensmitteln in Deutschland zu erhalten.“ Das sind eben die Themen, die hinter Agrardiesel und Kfz-Steuern auf den Demonstrationen landesweit zur Sprache kommen. Es ist wohl zu erwarten, dass die Verbandsspitzen die Sorgen in der Agrarwirtschaft über die Grüne Woche artikulieren, solange nicht andere Signale zur Zukunft auf dem Lande aus den Ampelreihen kommen. Zunächst einmal erschien es Ressortminister Cem Özdemir wichtig, noch in dieser Woche den Beschluss über das Programm „Gutes Essen für Deutschland“ als wohlmeinenden politischen Plan durch das Kabinett zu bringen. Zur Umsetzung bleibt uns wenigstens Zeit bis 2050 (!). Spätestens dann soll sich ganz Deutschland gesund ernähren. Der Teil, dass endlich weniger Lebensmittelabfälle weggeworfen werden, ist sicher gut. Die Menschen wollen auch zu 90 % gesund essen, wie eine Studie der Techniker-Krankenkasse ergab. Ob sie sich das Wie im Detail per Regierungsbeschluss auf die Speisepläne setzen lassen möchten, bleibt eine andere Frage. Nichts gegen Aufklärung. Bei den angestrebten Werbeverboten soll es aber bleiben. Das wird wohl auch auf der zitierten Dialogbühne auf der Grünen Woche kontrovers zur Sprache kommen. Die dort beteiligten Ernährungs- und Lebensmittelverbände haben ebenfalls unverändert andere Vorstellungen. Mit diesem ausnahmsweise rein agrarorientierten Newsletter von „natur+mensch“ zu Themen der Politik und des ländlichen Raumes wünsche ich ein gutes Wochenende – insbesondere denjenigen unter den 300.000 Besuchern, die die Grüne Woche im Kalender stehen haben. In diesem Sinne verbleibe ich Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination

  • Transformation des Wohnens: Wer soll das noch bezahlen?

    Das Leben in der Stadt ist ein wahrhaft teures Vergnügen. Jeder Vierte muss dort schon über 40 Prozent des Nettohaushaltseinkommens für das Wohnen ausgeben Die Zeit der neuen Preisrekorde ist offenbar nicht vorbei. Zwar gab es zwischendurch Anzeichen, dass sich Miet- und Kaufpreise auf dem Immobilienmarkt wegen der veränderten Zinslage wieder etwas beruhigen könnten, doch auf die Metropolen trifft dies nicht zu. Hier geht es auch im neuen Jahr weiter munter aufwärts. Die jüngsten Horror-Schlagzeilen lieferte München bei der Vorstellung des neuen Mietspiegels. Die durchschnittliche ortsübliche Nettomiete an der Isar liegt nun bei 14,58 Euro pro Quadratmeter. 2021 waren es 12,05 Euro – eine Steigerung um 21 Prozent. Der Deutsche Mieterbund spricht von einem „Schock“. Was bedeutet diese alarmierende Entwicklung einerseits für die Innenstädte und andererseits für den ländlichen Raum? Näheres dazu hat kürzlich die Technische Universität Darmstadt mit Unterstützung der Baufi24 Baufinanzierungs AG ermittelt. In Rahmen eines mehrteiligen Forschungsprogramms, das sich mit der „Transformation des Wohnens in Deutschland“ befasst, stellten die Verfasser der Studie eine deutliche Überbelastung der Mieter in den Städten fest. 40 Prozent vom Netto fürs Wohnen ist schlichtweg zu teuer 25 Prozent der Haushalte gaben dort bei einer Befragung an, dass sie 40 Prozent und mehr vom Nettoeinkommen für das Wohnen bezahlen müssen. Ab diesem Niveau, so die Darmstädter Wissenschaftler, gelten Haushalte als „überbelastet“. Das Wohnen ist schlichtweg zu teuer und stellt immer mehr Menschen in der Stadt vor die entscheidende Frage, ob sie sich dies auf Dauer noch leisten können oder wollen. Die Preisentwicklung auf dem Immobilienmarkt hat um den ländlichen Raum zwar keinen Bogen geschlagen, doch hier liegt die Quote der Überbelastung nicht bei 25, sondern deutlich darunter – bei zehn Prozent. Wer auf dem Dorf, am Stadtrand, in der Kleinstadt oder mitten im Grünen lebt, muss weit weniger für das Wohnen bezahlen. Entsprechend ist dort auch der Wert der Wohnzufriedenheit mit 76 Prozent ausgesprochen hoch. Innenstädte haben nicht nur, aber besonders wegen der Kostenexplosion an Attraktivität verloren, heißt es in einer Mitteilung zur Studie „Stadt-Land-Vorstadt. Wie die Neubewertung der Urbanität das Wohnen verändert“. Während in den ländlichen Regionen eine große Zufriedenheit mit der Wohnsituation vorherrscht, nimmt die Unzufriedenheit zu, je näher man dem Zentrum kommt. 38 Prozent der Bewohner in Citylagen sind laut der Befragung unglücklich mit ihrer Wohnsituation. Sprich: Sie tragen sich mit dem Gedanken, sich aus den zentralen Lagen zurückzuziehen. Ländliche Räume in der Planung stärker berücksichtigen Studienleiter Dr. Andreas Pfnür, Professor am Fachgebiet Immobilienwirtschaft und Baubetriebswirtschaftslehre an der Technischen Universität Darmstadt, sieht die Politik gefordert. Denn 43 Prozent der deutschen Haushalte dächten darüber nach, in den nächsten Jahren umzuziehen. Gleichzeitig beklagten aber 61 Prozent dieser Menschen, dass es für sie kaum passende alternative Wohnflächen gebe. Es bedürfe daher neuer Lösungen für den aktuellen Immobilienbestand. Hürden müssten dringend abgebaut werden. Pfnür rät der Politik, auch die ländlichen Räume bei der Frage des Wohnens stärker zu berücksichtigen. „Der Zuzug von Menschen in periphere Gebiete kann für eine Abkühlung der heiß gelaufenen innerstädtischen Immobilienmärkte sorgen“, sagt der Experte für Immobilienwirtschaft. Beim Mieterbund waren die jüngsten Mietspiegel-Werte erneut ein Anlass, die Bundesregierung aufzufordern, endlich alles für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum zu tun. Doch das ist schwierig, weil andererseits die Kosten für die Erstellung des neuen Wohnraums explodieren. Der Spitzenverband der deutschen Immobilienwirtschaft ZIA betonte in diesen Tagen, dass die Baukosten in Deutschland wegen staatlicher Vorgaben so hoch wie in keinem anderen Land seien. Es fehlten schon heute um eine halbe Million Wohnungen, bis zum Jahr 2027 könnten es bis zu 830.000 sein. Bis es zu einer Entspannung kommt, werden die Preise zweifellos weiter klettern. Angespanntester Mietmarkt Deutschlands ist laut ImmoScout24 Berlin. Bei Neubauwohnungen hat der Quadratmeterpreis in der Hauptstadt mittlerweile 19,45 Euro erreicht. In ländlichen Regionen sind dagegen vielfach noch Preise von unter zehn Euro üblich.

  • Verbesserungen für Hausärzte: Sinnvoll und dringend nötig

    Gesundheitsminister Lauterbach hat weniger Bürokratie und ein Ende der Budgetierung angekündigt. Damit bessern sich Arbeitsbedingungen, doch die Unterversorgung bleibt Lokführer, Landwirte und auch die Landärzte haben in jüngster Zeit protestiert, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Bei den Hausärzten, zu denen ja viele Landärzte gehören, gab es immerhin ein Ergebnis nach dem Krisengipfel mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in der vergangenen Woche: Das „Maßnahmenpaket zur Stärkung der ambulanten ärztlichen Versorgung“, wie es offiziell heißt. Das ist erst einmal gut so, auch für die Patientinnen und Patienten. Denn die Hausärzte haben eine zentrale Bedeutung für das Gesundheitswesen. Erst recht in dünn besiedelten Regionen, in denen die Wege zum nächsten Krankenhaus immer länger werden. Zum Maßnahmenpaket gehört, dass die Obergrenzen bei der Bezahlung, also der Budgetierung der ärztlichen Honorare, aufgehoben werden sollen. Bisher hatten viele Hausärzte und Hausärztinnen oft noch vor Monatsende ihr Behandlungsbudget ausgeschöpft. Daher konnten sie für weitere Patientinnen und Patienten nicht mehr bezahlt werden. Das Ende der Budgetierung stand schon im Koalitionsvertrag Ganz überraschend kommt die Entscheidung Lauterbachs nicht, denn der Gesundheitsminister setzt damit jetzt lediglich um, was die Ampel bereits in ihrem am 7. Dezember 2021 unterzeichneten Koalitionsvertrag beschlossen hat. Wie sich die Streichung der Budgetierung auswirkt, ist allerdings unklar – Lauterbach selbst rechnet mit Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe für die gesetzlichen Krankenkassen. Das könnte langfristig steigende Zusatzbeiträge für die Beitragszahler bedeuten. Lange war die Obergrenze ein Streitpunkt zwischen Medizinern und Kassen; sie wurde eingeführt, um die Kosten der ärztlichen Versorgung zu begrenzen. Die Kassen hatten Bedenken, dass Patientinnen und Patienten unnötige Leistungen angeboten bekommen würden. Doch diese Befürchtung ist aktuell nicht mehr realistisch in Zeiten überfüllter Wartezimmer. Hilfreiche Schritte zum Abbau von Bürokratie Sinnvoll sind auch Schritte zum Bürokratieabbau, etwa der Wechsel von der Quartalspauschale für Erwachsene mit chronischen Erkrankungen und ständigem Bedarf an Arzneimitteln hin zu einer jährlichen Versorgungspauschale. Auch die Förderung von Hausbesuchen bei einer Mindestzahl an Versicherten ist ein hilfreicher Schritt, ebenso die telefonisch mögliche Rezeptverlängerung und Krankschreibung. Das gilt auch für die Zulassung der Telemedizin und die Einführung bei Bagatellgrenzen, bis zu denen es keine Wirtschaftlichkeitsprüfung geben soll. So müssen sich die Praxen vielfach nicht mehr mit leidigen Regress-Fällen herumplagen. Wenn Lauterbach diese Maßnahmen tatsächlich umsetzt, trägt das zu weniger Bürokratie bei und ermöglicht den stark belasteten Hausärztinnen und Hausärzten, sich stärker auf die medizinische Behandlung zu konzentrieren. Es sind erste Schritte, um ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das ist auch dringend nötig, denn seit langem wird beklagt, dass die Grundversorgung gefährdet ist. Zum Beispiel in Niedersachsen: 17 unbesetzte Hausarztpraxen gibt es in den Kreisstädten Meppen und Syke, jeweils 15 in Cloppenburg und Nordhorn – landesweit sind es insgesamt 523 unbesetzte Landarzt-Sitze, wie die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen kürzlich mitteilte. Das heißt für die Patienten: Sie müssen längere Wartezeiten und längere Anfahrtswege in Kauf nehmen. Um dem viel und schon lange beklagten Mangel an Medizinern in der Fläche zu begegnen, ist Nachwuchsförderung dringend nötig. Die Landarztquote, die alle Bundesländer auf verschiedene Art und Weise eingeführt haben, ist der richtige Schritt. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass sie sich erst langfristig auswirkt. Und dass gleichzeitig in den nächsten Jahren zahlreiche Ärzte der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen werden. Daher ist es angebracht, die Zahl der Studienplätze im Fach Medizin deutlich zu erhöhen.

  • Mächtig Rückenwind fürs Landvolk

    Der Bauernprotest ist zum Misstrauensvotum gegen die realitätsferne Politik des linken Flügels der Ampel-Koalition gewachsen 70 Prozent der Menschen unterstützen die Traktor-Sternfahrten. Im Gegensatz zu den Aktionen der Klima-Kleber nimmt auch das Großstadt-Publikum den Stau auf den Straßen ziemlich gelassen hin. Ganze Berufsgruppen schließen sich dem zivilen Ungehorsam an. Wer immer dachte, dass die Grausamkeiten gegen die Landwirtschaft allenfalls kalkulierbare Schäden an der ohnehin lädierten Regierungsmehrheit anrichten, hat sich bitter getäuscht. Das gilt nicht nur für realitätsferne Politiker in Regierungen und Parlamenten. Sondern auch für Kommentatoren, die – wie man so schön sagt – keine Ahnung haben von Ackerbau und Viehzucht. Aber davon jede Menge. Ahnungslos wird vielfach eine kurzfristige Erholung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise zum Geldsegen für alle Bauern umgedichtet. Obwohl zum Beispiel die Milch-Erlöse längst wieder am ruinösen Tiefpunkt sind. Die Frage, warum immer noch massenhaft Höfe schließen, obwohl dort angeblich prächtig verdient wird, bleibt regelmäßig unbeantwortet. Hof-Einkommen werden nicht auf die Personen umgerechnet, die tatsächlich für die Erträge arbeiten. Von den Alten, die mithelfen bis zur „Kinderarbeit“ bei der Ernte in den Sommerferien. Dass Bauern keinen Anspruch hätten, das oft millionenschwere Kapital zu verzinsen, das in den Betrieben steckt, ist ohnehin gängige Großstadt-Meinung. Dazu kommt die politische Rosstäuscherei wegen der Subventionen, die in Wahrheit meist nur Ausgleich für Zugeständnisse an den Zeitgeist sind. Etwa der Verzicht auf die Bewirtschaftung fruchtbarer Flächen. In Wahrheit wird die Agrarproduktion seit vielen Jahrzehnten schon als Experimentierfeld einer mühsam getarnten Planwirtschaft missbraucht. Und der Bauernstand gerade so bei Laune gehalten, dass die Versorgungssicherheit nicht in Gefahr gerät. Für Billig-Preise sorgt die ungebremste Marktmacht weniger Handelsketten. Keine Regierungskonstellation, die sich nicht darauf verlässt, dass der Lebensmitteleinkauf immer weniger vom Einkommen beansprucht. Zuständigkeit fürs kollektiv gute Gewissen abgewälzt Wer die Materie auch nur ein wenig kennt, muss wissen, dass im Subventionsdickicht vor allem Großbetriebe profitieren. Also jene „Agrarfabriken“, die der urbanen Linken sonst so sehr zuwider sind. Und die doch herhalten müssen, um einem ganzen Berufsstand Tierquälerei und Umwelt-Frevel anzulasten. Während der Politik zugleich klar ist, dass sich Normalverdiener Tierwohl und Bio kaum noch leisten können. Auch die Zuständigkeit fürs kollektiv gute Gewissen wird dennoch gern aufs Landvolk abgewälzt. Im schlimmsten Fall hilft der Import von Billig-Lebensmitteln aus Ländern, die es mit der Korrektheit in Öko-Fragen so ernst nicht nehmen. Dass der Unmut neuerdings auf Bevölkerungsgruppen übergreift, die von solcher Agrarpolitik nicht direkt betroffen sind, hat Logik. Die Instinktlosigkeiten betreffen nämlich längst nicht nur die Landwirtschaft. Viele Tagträume der Regierung schaden dem gesamten ländlichen Raum. Vom Rückzug der Eisenbahn aus der Fläche über das Kliniksterben bis zum Bildungsnotstand, der auch dem großstädtischen Mehrbedarf an Schulpersonal geschuldet ist. Ob sich der in Großindustrie-Projekte verliebte Bundeswirtschaftsminister noch unters Volk traut, ist in dieser Gemengelage eher eine Frage für den Boulevard. Weit mehr interessiert, ob Herr Habeck verstehen wird, dass die Menschen momentan andere Sorgen haben als die Anschaffung von Wärmepumpen, für die der „Grüne Strom“ noch sehr lange bei weitem nicht reichen wird. Weit eher geht es den Leuten – schlicht gesagt – um die Wurst. Und um den Wunsch nach Bodenhaftung einer Regierung, die endlich aufhören muss, dem rechten Rand Steilvorlagen zu liefern.

  • Sie haben sich nicht verrannt und sind nicht umgekehrt

    Knapp 10.000 Bauern haben vor dem Brandenburger Tor in ihrer Aktionswoche noch einmal zentral demonstriert Anders als zu seinen früheren Äußerungen ist es ja schon ein Fortschritt, wenn Christian Lindner am Montag gegenüber den Demonstranten bei der zentralen Kundgebung der Aktionswoche in Berlin „Verständnis für ihren Unmut“ zeigt. Und er gesteht zu, dass die Sparpläne seiner Regierung von den Bauern zu schnell und zu viel verlangt hätten. Reicht das und ist das glaubwürdig? Soviel zu den Buh-Rufen am Brandenburger Tor, über die gerade landauf, landab zu lesen ist. Vielleicht sollten beide Seiten andere und offensichtlich schon datierte Gesprächsformate konstruktiv nutzen. Auf solche Nachrichten warten wir in dieser Woche und darauf, was im Parlament am Ende daraus wird. Inzwischen hat sich ja wohl herumgesprochen, dass es bei der Beurteilung der Stimmungslage nicht nur um die Kfz-Steuer für die Landmaschinen und den sogenannten Agrardiesel geht. Es geht um mehr. Beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart rief Lindner noch – zweifellos unter dem Eindruck der zwei Tage vorher stattgefundenen unsinnigen Habeck-Blockade in Schlüttsiel – den Bauern zu: „Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um.“ Gleichzeitig bezeichnete er aber auch die bevorstehenden flächendeckenden Proteste und Blockaden als „unverhältnismäßig“ (SZ vom 7. Januar). Dabei meinte er das offensichtlich generell für alle, die sich mit ihren Treckern auf den Weg gemacht haben. Die abweisenden und vielleicht auch von dem einen oder anderen als unangemessen empfundenen Reaktionen, die Lindner am Montag vor dem Brandenburger Tor erlebte, müssen etwas mit der Haltung zu tun haben, das Problem über die Steuern hinaus wohl erkannt zu haben: Er würde zwar über alles sprechen, was der Produktivität nutze – wie etwa der Bürokratieabbau oder das Abrücken von unverhältnismäßig höheren Standards für die Tierhaltung. Er könne aber „nicht mehr staatliche Hilfe aus dem Bundeshaushalt“ versprechen. Die Betroffenen haben dazu aber eine andere Wahrnehmung, wer wem hilft, wenn es um das Stopfen von Etatlöchern geht. Inzwischen eine breite Debatte in Stadt und Land Die Schließung der 17-Milliarden-Lücke im Haushalt mit dem überproportionalen Anteil der Land- und Forstwirtschaft hat die Proteste im ganzen Lande und mit der zentralen Kundgebung in Berlin die Betroffenen auf die Beine gebracht. Darauf aufgesetzt hat sich ein breiter Strauß von Problemen, aus dem sich inzwischen eine breitgefächerte Debatte in Stadt und Land entwickelt hat. Viele Menschen haben wahrgenommen, was alles zu den Zukunftssorgen auf den überwiegend von Generation zu Generation weitergegebenen Höfen geführt hat. Dem Strukturwandel haben sich wie in anderen Wirtschaftsbereichen bäuerliche Familien nicht entzogen. Das belegen Zahlen und Statistiken. Aber: In jedem Einzelfall war und ist das schmerzlich genug. Wenn dann die Existenzprobleme durch Politik und nachgeordnete Behörden durch Beschlüsse, Auflagen, Detailvorschriften und Einflüssen außenstehender Interessenlagen aufgehäuft werden, entsteht das, was gern als aufgestaute Wut der Bauern wahrgenommen wird. Das ist dann eine nachvollziehbare Antwort auf empfundene Regelungswut. Wie in diesem Blog schon mehrfach angemerkt, geht es in einer Reihe von Einzelsituationen auch um Eigentumsfragen. Beispiel bietet eine generationengerechte Holznutzung in Forstbetrieben. Sie wird gesellschaftlich immer umstrittener. Es gibt nun einmal viele Waldbesitzer, die sich von einem freundlich erscheinenden Förster und Journalisten nicht das „Wohlleben“ ihrer Wälder durch gesellschaftlichen Druck vorschreiben lassen wollen. Sie ernten das, was Großväter gepflanzt haben und sie selbst setzen für ihre Enkel junge Bäume – übrigens überwiegend mit Blick auf Zukunftsverträglichkeit im Klimawandel. Lindner bewegt sich auf dünnem Eis Und wenn es wie hier als Beispiel um Eigentum geht, wären wir wieder bei Lindner, dem Vorsitzenden der FDP. Er ist aktuell zuständig für die Finanzen und nicht für die anderen Fragen, die Land- und Forstwirte, Jäger und Fischer und damit alle Naturnutzer bewegen. Eigentum und Selbstständigkeit sind nun einmal Schwerpunktthemen der Liberalen. Deshalb bewegt sich Christian Lindner jetzt auf dünnem Eis. Er ist Vorsitzender einer Ampel-Partei, aber auch nur einer von mehreren am Kabinettstisch. Auf den Kanzler käme es an, der sich im Prinzip bei gesellschaftlich übergreifenden Themen in dieser Breite der Aktionswoche angesprochen fühlen muss. Scholz lässt sich offensichtlich nicht ansprechen. Er überlässt seinen Fachminister, sich von Ampelabsprachen abzusetzen, wobei Özdemir wiederum betont, ebenfalls nur ein Teil des Kabinetts zu sein … Der Kanzler selbst ermahnt die Bauern nur, Maß und Mitte nicht zu verlassen und sich nicht in ein „toxisches Gemisch zu begeben“. Da kann man schon Bilanz ziehen. Der Deutsche Bauernverband (DBV) hat sich nach dem stürmischen Auftakt in einem kleinen Nordseehafen erfolgreich von rechtsradikalen Unterwanderern distanziert. Sie wurden weitgehend unsichtbar und ferngehalten. Gerade fast überall dort, wo auf Landes- und Ortsebene dezentral demonstriert und auch blockiert wurde. Jedenfalls ist es auch zum Abschluss dieser Aktionswoche überzeugend gelungen, Branchen- und Berufsstandprobleme spektakulär oben auf die Agenda zu setzen. Am Montagabend trudelte online die „Lage am Abend“ vom Spiegel ein: „Lohnt sich Erpressung? In der Politik schon“. Die ganze Geschichte heißt „Wie Lindner die Bauern umgarnen wollte – und scheiterte.“ Das Thema wird also zum Fortsetzungsroman. Die Aktionswoche ist damit wohl noch nicht beendet.

  • Das Milliarden-Ding auf dem flachen Land

    EU gibt grünes Licht für Batteriefabrik in Schleswig-Holstein: Investitionen von insgesamt rund fünf Milliarden Euro. Rund 3000 Arbeitsplätze sollen entstehen Noch in diesem Jahr rollen die Bagger an. Die Bauarbeiten für die Batteriezellenfabrik in der Nähe von Heide (Kreis Dithmarschen) stehen kurz bevor, fast alle Genehmigungen sind erteilt. Die EU hat die Fördermittel von fast einer Milliarde Euro genehmigt, jetzt fehlt nur noch die finale Invest-Zusage des schwedischen Unternehmens Northvolt. Sie gilt als sicher. An Schleswig-Holsteins Westküste macht sich so etwas wie Goldgräberstimmung breit. Anlass dafür ist die größte Industrieansiedlung in der Geschichte des nördlichsten Bundeslandes. Nicht in den Randgebieten der Großstädte Kiel, Lübeck oder Flensburg. Sondern mitten im ländlichen Raum, in der Peripherie zwischen der Kreisstadt Heide und dem Nordseebad Büsum. Hier steigen die Grundstückspreise fast im Stundentakt. Bund und Land fördern die Batteriezellenfabrik der schwedischen Unternehmensgruppe Northvolt mit über 900 Millionen Euro. „Damit verhindern wir, dass diese Investition in ein Land außerhalb Europas verlagert wird“, sagt EU-Kommissarin Margrethe Verstager. Mehrere Regionen in den USA hatten ihre Fühler nach Schweden ausgestreckt. Die Schweden haben bereits rund 100 Millionen Euro aus eigenen Mitteln für Infrastruktur-Maßnahmen rund um Heide ausgegeben. Bereits ab 2026 soll hier, rund 100 Kilometer nördlich von Hamburg, produziert werden. Bau soll schnell gehen „Mit dem Bau wird es ganz schnell gehen“, prophezeit Dirk Burmeister, der das Riesen-Projekt als Ansiedlungs-Manager betreut. Bei Burmeister stehen die Telefone nicht still. Eine große Zahl von Spekulanten ist unterwegs, um Land zu kaufen. Entweder für die Ansiedlung von Zulieferbetrieben oder für den privaten Wohnungsbau. „Hier wird jeder Stein umgedreht, jeder Quadratmeter Land bietet neue Chancen“, sagt Burmeister. Die Zusagen der zwei kleinen Gemeinden Lohe-Rickelshof und Norderwöhrden stehen noch aus. „Aber das bekommen wir hin“, gibt sich Burmeister selbstbewusst. Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen hat den weiteren Ausbau der Westküsten-Autobahn A 23 angekündigt und hält an dem Weiterbau der A 20 mit Elbquerung auf Höhe Glückstadt fest. Zudem fordert Northvolt eine Verbesserung der Zugverbindungen zwischen Hamburg und Heide, die Züge sollen im Stundentakt verkehren. Aufbruch und Investitionsbereitschaft Auch im benachbarten Kreis Steinburg mit der Kreisstadt Itzehoe stehen die Zeichen auf Aufbruch und Investitionsbereitschaft. Am Rande der A 23 werden Grundstücke gesucht, um Flächenpotenziale für Gewerbe- und Wohnentwicklungen auszuweisen. Hier sollen innovative Energie-Technologien etabliert werden. Eine Art Batterie-Campus soll rund um Itzehoe entstehen, wie es Olaf Steiner formuliert. Steiner ist seit einem Jahr als Manager des Kreises unterwegs, um interessierte Unternehmen für den Kreis Steinburg zu gewinnen. „Wir sind auf der Entwicklungsachse mit hohem Tempo unterwegs“, gibt sich Steiner optimistisch. Zunächst einmal müssen aber noch die Bürgermeister aller Gemeinden von der Offensive überzeugt werden. Steiner: „Wir müssen alle an einem Strang ziehen.“ Von großer Bedeutung für Northvolt ist auch eine von Dänemark kommende Wasserstoff-Pipeline, die bis nach Dithmarschen führen soll und Abzweiger ins Binnenland bis nach Rendsburg und Neumünster bereithält. Wie auch eine Strom-Autobahn, über die der an der Westküste erzeugte Wind-Strom bis nach Süddeutschland transportiert werden soll.

  • Bauern und Jäger setzen Politiker unter Druck

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und in die kommende Woche Liebe Leserinnen und Leser, diese Woche stand politisch ganz im Zeichen des ländlichen Raums. Das ist vor allem ein Verdienst der deutschen Bauern, die bundesweit mit friedlichen Demonstrationen und Kundgebungen auf ihre Sorgen und Nöte aufmerksam machten. Entscheidend dabei: Die Landwirte konnten durch ihr in aller Regel diszipliniertes Verhalten auch bei Menschen Sympathien gewinnen, die zu Beginn der Proteste noch sehr skeptisch gewesen waren. Die unseligen Vorgänge in Schlüttsiel, als Wirtschaftsminister Robert Habeck nach einem Urlaub am Verlassen einer Nordseefähre gehindert worden war, hatten einen dunklen Schatten auf die politischen Forderungen der Bauern geworfen. Ihren Kritikern wurden Argumente frei Haus geliefert. Aber erfreulicherweise nur sehr kurzzeitig. Denn dem Deutschen Bauernverband gelang es, durch klare Worte und gute Organisation Schaden für das Ansehen und damit auch den politischen Rückhalt der Landwirte abzuwenden. Die Äußerungen führender Funktionäre, an ihrer Spitze Bauernpräsident Joachim Rukwied, ließen hier an Eindeutigkeit nichts vermissen. Sie machten klar: Die Bauern sind für die Demokratie, aber gegen die Agrarpolitik dieser Bundesregierung. Und Letzteres ist nicht nur legitim, sondern stößt auch in Parteikreisen der Koalition durchaus auf Zustimmung. Man denke nur an die Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und dem Saarland, Stephan Weil, Manuela Schwesig und Anke Rehlinger. Sie zeigten ebenso viel Verständnis für die Anliegen der protestierenden Landwirte wie Ministerpräsidenten der Union, etwa besonders prominent und prononciert NRW-Regierungschef Hendrik Wüst. Ampel muss umsteuern Ob all dies zur gewünschten Rücknahme der Kürzungen beim Agrardiesel führen wird, ist offen. Einiges spricht jedoch dafür, dass es im Laufe des parlamentarischen Verfahrens noch zu Korrekturen im Sinne der Landwirte kommen kann. Doch in jedem Falle sollten Agrarthemen künftig in der Koalition wieder ein deutlich stärkeres Gewicht bekommen. Denn wichtige politischen Akteure des ländlichen Raumes – von Bauern bis hin zu Jägern – haben in überzeugender Weise ihre große Mobilisierungs- und Konfliktfähigkeit demonstriert. Oder anders gesagt: Mit ihnen ist zu rechnen. Und das ist auch gut so. Denn in Berlin werden die Belange von Menschen, die außerhalb der Metropolen leben, nur unzureichend berücksichtigt. Wichtige soziale Erleichterungen sind vor allem den Bewohnern von Ballungsräumen zugutegekommen, während gleichzeitig die Menschen in dünner besiedelten Regionen mit dafür finanziell aufkommen müssen. Das betrifft nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch Millionen von Pendlern, die aufs Auto angewiesen sind und künftig eine noch höhere CO2-Abgabe zahlen müssen. Von den Vorteilen des hoch subventionierten Deutschland-Tickets können sie dagegen kaum profitieren. Der Grund ist einfach: Bahnhöfe und Haltestellen sind oft viel zu weit weg. Und wenn überhaupt Züge fahren, dann häufig viel zu selten – mit dem engen Taktverkehr in Ballungsräumen keineswegs zu vergleichen. Zurück zu den Landwirten und ihren jüngsten Protesten. Natürlich hängen Wohl und Wehe der deutschen Bauern nicht allein am Agrardiesel. Doch die jüngsten Kürzungen sind der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Zu lange hat sich auf den Höfen das Gefühl breit gebracht, dass den Bauern immer neue Steine in den Weg gelegt werden, während gleichzeitig immer mehr politische Ansprüche erhoben werden. Man nehme hier nur die Debatte um mehr Tierwohl. Politiker, Verbraucher, Landwirte, Tierschützer – alle sind im Prinzip dafür. Auch liegen sofort umsetzbare und allgemein begrüßte Vorschläge der Borchert-Kommission auf dem Tisch. Trotzdem geschieht nichts. Die Regierung inklusive Agrarminister Cem Özdemir ist offenkundig nicht bereit, die für eine Reform notwendigen finanziellen Rahmenbedingungen zu schaffen. Es fehlt eine langfristige Perspektive Was bleibt, ist Frust bei den Landwirten. Ihnen mangelt es offenkundig an öffentlicher Wertschätzung und wirtschaftlicher Hilfe in teils dramatischer Weise. Kein Wunder, dass viele Bauern für sich und ihre Kinder keine langfristige berufliche Perspektive mehr sehen. Das ist nicht nur für den Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern auch für die Verbraucher eine höchst unerfreuliche Entwicklung. In die Lücke könnten dann immer mehr ausländische Betriebe mit niedrigeren Standards in Sachen Umwelt und Tierwohl stoßen. Die Bundesregierung sollte daher auf die Bauern hören, mit ihnen konstruktiv reden und sie angemessen unterstützen – finanziell, aber auch durch einen verlässlichen Bürokratieabbau. Und vor allem durch eine klare Perspektive über die zukünftige Entwicklung. Immerhin wollen die Spitzen der Berliner Ampelfraktionen jetzt am Montag mit den Vorständen der landwirtschaftlichen Verbände sprechen. Auch wenn dies Gesprächsangebot natürlich viel zu spät kommt, ist es doch zumindest ein Anfang – es sei denn, die Koalitionspolitiker wollen daraus eine reine Alibi-Veranstaltung machen, um den politischen Druck zu verringern. Sollten sie dies tatsächlich versuchen, würden sie sich und dem Land jedoch ein Bärendienst erweisen. Denn die Proteste dürften dann nicht schwächer, sondern im Gegenteil noch heftiger werden. Dafür ist der Unmut im ländlichen Raum mittlerweile einfach zu groß geworden. Auch bei den Jägern rumort es im Augenblick gewaltig, wie wir in unserem Politblog bereits des Öfteren thematisiert haben. Jüngstes Beispiel sind die Proteste gegen ein neues Jagdgesetz in Mecklenburg-Vorpommern. Dort hatten sich am Mittwoch rund 1500 Jäger auch aus den Nachbarländern vor dem Landtag versammelt, um gegen das Vorhaben der rot-roten Landesregierung zu demonstrieren. Jäger in Sorge um Rot- und Damwild Im Zentrum der Kritik steht die Einführung von Mindestabschusszahlen und damit die Aufhebung der Abschussobergrenzen für Rot- und Damwild. Geringere Tierbestände sollen nach den Plänen der Landesregierung die Schäden an jungen Bäumen durch Wildverbiss mindern, um so den angestrebten Umbau zu Mischwäldern zu fördern. Die Jäger sehen in den Vorgaben aber die Kompetenzen der Hegegemeinschaften zur Abschussplanung ausgehebelt. Berechtigte Kritik gab es auch daran, dass der Wolf, anders als in anderen Bundesländern oder in Schweden, nicht ins Jagdrecht aufgenommen werden soll. Der Präsident des Landesjagdverbandes, Florian Asche, zog die Angaben zur Schadenshöhe durch Wildverbiss in Zweifel. Diese seien weit niedriger. Der Wald werde mit dem neuen Gesetz vor das Wild gestellt. Asche betonte, dass Landwirte, Jäger und Förster zur gleichen Familie gehörten. Es gehe darum, sich nicht spalten zu lassen. Der Kritik am Gesetzentwurf schloss sich der Präsident des Deutschen Jagdverbandes, Helmut Dammann-Tamke, an. Die geplanten Änderungen zeigten – wie auch die jüngsten Sparbeschlüsse des Bundes zulasten der Bauern –, dass eine urban geprägte Politik den ländlichen Raum zunehmend aus dem Blick verliere. Dammann-Tamke mahnte die Schweriner Landesregierung, dem Beispiel der Nachbarländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu folgen und den Wolf ins Jagdrecht des Landes aufzunehmen. Nicht nur für Bauern und Jäger, sondern für den ländlichen Raum insgesamt steht bei all diesen Themen viel auf dem Spiel. Die Menschen dort dürfen nicht länger den Eindruck gewinnen können, dass ihr Lebens- und Berufsumfeld zum Experimentierplatz für großstädtische Ideologen wird. Doch genug der Politik. Ungeachtet der dort schwierigen Lage wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende und guten Start in eine hoffentlich positive, erfolgreiche Woche. Mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination

  • Schulterschluss mit dem Mittelstand

    Familienunternehmen sind für die Menschen auf dem Land wichtiger denn je. Gerade in Zeiten des Umbruchs sichern sie den Wohlstand und fördern den Zusammenhalt Die Zahlen sprechen für sich: In Landkreisen mit einem hohen Anteil an Familienunternehmen liegen Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, Kaufkraft, Produktivität, kommunale Steuerkraft und Beschäftigungsentwicklung über dem Schnitt. Die Arbeitslosenquote ist geringer. Festgestellt hat dies das Institut der deutschen Wirtschaft IW, das nach 2020 jetzt zum zweiten Mal für die Stiftung Familienunternehmen die Bedeutung der von Familien geführten Betriebe für die ländlichen Räume analysiert hat. Auf rund 100 Seiten mit anschaulichen Grafiken und ausführlichen Beiträgen zeigen die Wissenschaftler, wie wichtig eine Zusammenarbeit mit den überwiegend mittelständischen Unternehmen ist. Daten aus 215 ländlich geprägten Kreisen und 71.000 Betrieben, darunter 36.000 Familienunternehmen ab 50 Mitarbeiter, sowie Interviews mit Landräten und Wirtschaftsförderern ergeben ein aussagekräftiges Gesamtbild. Die Wissenschaftler sprechen von einem „Dreiklang“: Familienunternehmen, so belegen die Zahlen, erweisen sich gleichermaßen als Arbeitsplatzmotor, Stabilisator und Transformator. Rahmenbedingungen verbessern Und das nicht nur in der Gegenwart. Die Experten kommen zu dem Schluss, dass die Familienunternehmen einen wesentlichen Anteil daran haben, die Herausforderungen im Zusammenhang mit der digitalen und ökologischen Transformation sowie dem demografischen Wandel zu bewältigen. Gerade deshalb sei es so wichtig, die regionale Wirtschaft als Grundlage für die Zukunftsfähigkeit der ländlichen Räume zu sichern und zu fördern. Vielerorts sei die Ausgangslage gut, aber zahlreiche Rahmenbedingungen müssten noch verbessert werden. Gegenüber den Städten dürften ländliche Regionen nicht weiter ins Hintertreffen geraten. Dass Familienunternehmen wichtig für den Arbeits- und Ausbildungsmarkt sind, ist inzwischen bekannt. Unterstrichen haben sie ihre Motorfunktion zuletzt noch einmal während der langen Corona-Phase. Während die Beschäftigung insgesamt und in den DAX-26-Unternehmen im Jahr 2020 zurückging, stieg sie in den 500 größten Familienunternehmen an. „Als Basis für den Wohlstand von heute und als Motor für den Wohlstand von morgen spielt die Beschäftigungsfunktion der Familienunternehmen eine wichtige Rolle“, schreiben die Wissenschaftler. Und die Unternehmen im Familienbesitz sorgen für regionale Stabilität, in dem sie zu einem höheren Bruttoinlandsprodukt je Einwohner beitragen und den Kreisen fiskalische Spielräume geben, um Herausforderungen zu begegnen. 75 Prozent der befragten Wirtschaftsförderer sprechen von einer hohen bis sehr hohen Bedeutung dieser am Standort verwurzelten Unternehmen für die wirtschaftliche Stabilität und Resilienz der Region. Hervorgehoben wurde in den Interviews auch das soziale und kulturelle Engagement. Ländliche Räume mit einem hohen Anteil an Familienunternehmen weisen zudem eine höhere Innovationskraft in Form von mehr Patentanmeldungen sowie einen höheren Anteil an MINT-Beschäftigten auf. Die Wissenschaftler sehen darin unter anderem auch einen Beleg, dass Familienunternehmen mit ihrem Unternehmergeist auch für die Transformation sehr wichtig sind. Unterstützungsmaßnahmen aus der Politik sind nötig Ohne die richtigen Rahmenbedingungen und Unterstützungsmaßnahmen aus der Politik geht es aber nicht. IW Consult nennt eine Fülle von wichtigen Aspekten. Angefangen beim Ausbau der digitalen und Verkehrsinfrastruktur über die Förderung von (Aus-)Bildungsangeboten und Forschungskooperationen bis hin zur Einbindung der Unternehmen in die Entwicklung der Region. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, bringt es auf den Punkt: „Wer seine Region voranbringen will, sollte den Schulterschluss mit den Familienunternehmen suchen.“ Den höchsten Anteil an Familienunternehmen haben übrigens die Landkreise Biberach in Baden-Württemberg und Günzburg in Bayern mit 73,1 Prozent beziehungsweise 72,9 Prozent. Den geringsten Anteil an Familienunternehmen weisen Northeim in Niedersachsen und der Altmarkkreis Salzwedel in Sachsen-Anhalt mit 31,0 Prozent beziehungsweise 30,4 Prozent auf. Die aktuelle Studie „Die Bedeutung der Familienunternehmen für ländliche Räume – Beitrag zum Wohlstand und Zusammenhalt“, erstellt vom Institut der deutschen Wirtschaft Consult GmbH, ist unter www.familienunternehmen.de erhältlich.

  • Geprägt von überwiegendem Verständnis und Zustimmung

    Die ersten Wahrnehmungen vom Auftakt der Bauernproteste sind anders geprägt als Erfahrungen mit Demonstrationen, mit denen Behörden und Polizei laufend zu tun haben Die Reaktionen und Reflexionen auf die Bauerndemonstrationen fallen für die ersten beiden Tage im Gesamtbild mit einem überwiegend positiven Echo aus. Da gab es die Ausnahme von Schlüttsiel. Sie hat die Organisatoren bundesweit sensibilisiert. Das „No Go“ als erste klare Reaktion aus dem Bauernverband hat Wirkung gezeigt. Außer den Folgen für direkt Betroffene von Verkehrsbehinderungen wurden aus den meisten Brennpunkten der Republik – abgesehen von kleinen Ausnahmen – keine Zwischenfälle wie etwa in Frisoythe mit einem von einem Pkw angefahrenen Demonstranten bekannt. Das ist bisher anders als etwa bei Straßenblockaden von Klimaklebern, wo mehrfach über aggressive Gegenattacken berichtet wurde und geringe Zustimmung offensichtlich war. In Westfalen etwa bestätigten auf ausdrückliche Nachfrage Rettungs- und Ärzteorganisationen, dass es am Montag zu keiner Beeinträchtigung bei Krankentransporten, Rettungsdienstfahrten oder der ambulanten Versorgung in der Region gekommen ist. In den Zufahrten und Zielorten von Sternfahrten und den Plätzen zentraler Kundgebungen nahmen die Menschen zu einem großen Teil wahr, worum es geht. Und da sind schon gravierende Unterschiede zu dem zu erkennen, was als Demonstrationsgeschehen in den Großstädten oder auch an symbolischen Orten von Protestaktionen zum Tagesgeschäft für die polizeilichen Einsatzkräfte im Umgang mit Protestierenden geworden ist. In einer Stadt wie Münster haben wir es inzwischen jährlich mit ca. 400 angemeldeten Demonstrationen zu tun. Die Aktionswoche der Land- und Forstwirte hat damit einen vollkommen anderen Charakter – im Ausmaß und in ihren Botschaften. Da sind jetzt schon Unterschiede zu erkennen. Mehrere Umfragen bestätigen Akzeptanz der Proteste Im Auftrag des Magazins Stern hat eine Forsa-Umfrage ergeben, dass 81 Prozent der Menschen Verständnis für die in dieser Woche laufenden Proteste haben und nur 18 Prozent die Blockade von Autobahnzufahrten und Verkehrsknotenpunkten ablehnen. In den größeren Städten über 100.000 haben immerhin 73 Prozent zustimmend reagiert und in Gemeinden mit weniger als 5000 Einwohnern 88 Prozent. Das ist auch eine Form von Stadt-Land-Gefälle. Ein ähnliches Ergebnis zeigt eine INSA-Umfrage von Bild, wonach sich 69 Prozent der Befragten hinter die Bauern-Proteste gestellt haben. 22 Prozent wären danach dagegen. Damit bestätigen sich beide Umfragen gegenseitig im Trend und spiegeln durch ihre grobe Übereinstimmung wohl ein Bild der Wirklichkeit. Das im Vorfeld in Publikumsmedien verbreitete Bild vom wütenden Bauern, der mit der Mistgabel drohend seine Rechte verteidigt und mit schwergewichtigen Traktoren scheinbar alles überrollen will, bezieht sich auf etwas, was vorher vielfach auch in Vorberichten der Publikumsmedien beschworen wurde. Die Süddeutsche Zeitung meinte noch am Tag nach dem Protest-Auftakt feststellen zu können: „Dem Bauernverband ist die Sache schon entglitten, bevor sie überhaupt losgegangen ist.“ Das war das Blitzlicht auf Schüttsiel, wonach überwiegend das Gegenteil eingetreten ist. Es geht nicht nur um Agrardiesel und Kfz-Steuern Die politisch unter Druck geratenen Bauern bieten einen scheinbar willkommenen Nährboden für rechte Umsturzphantasien, wie sie zweifellos existieren, aber auch gern als Kulisse auf dem Lande konstruiert werden. Wie jetzt. Der Begriff „Wut“ ist nach meinem Eindruck mehr in der Berichterstattung und in den sozialen Medien vor der Aktionswoche aufgetaucht, als er am Ende auf Schildern in den Treckerkorsos wirklich zu lesen war. Da lohnt sich schon ein Blick auf die Fotos mit den Transparenten vor den Treckern. Plastische Aussagen zu den Konsequenzen politischer Entscheidungen in der jüngsten Zeit bestimmen das Gesamtbild. Es geht eben nicht nur um Agrardiesel und Kfz-Steuern für Arbeitsgeräte, sondern um Auflagen, Belastungen durch Bürokratie und kostenträchtige Vorschriften zur Tierhaltung bis an die Grenzen der Existenzgefährdung. Und es geht auch um Eigentumseingriffe in der Forstwirtschaft. Da entsteht dann schon mal Wut, wenn man bei allen gesellschaftlichen Verpflichtungen irgendwann nicht mehr Herr seines Eigentums ist. Ein Beispiel bieten die Landwirte mit ihren Moorflächen, wo die politisch gewollte Vernässung viele Betriebe gefährdet. Die Begrifflichkeit wie etwa „Volkes Wut“ wird von rechten Gruppen, von völkisch-nationalistischen Bewegungen, sogenannten „Querdenkern“, den „Lebendigen Sachsen“, „Freien Schleswig-Holsteinern“, auch von Teilen der AfD bis hin zu „Reichsbürgern“ adaptiert und bei eigenen Aktionen in den Netzen und bei Auftritten als Wutbürger immer wieder transportiert. Das Gefahrenpotenzial rechter Trittbrettfahrer als untergemischte Umsturzrandalierer war im Vorfeld erkennbar. Es ist in den neuen Bundesländern bekanntlich ausgeprägter und hat sich an verschiedenen Orten bestätigt. Bestätigt ist aber auch, wie sich lokale, regionale Organisatoren und der DBV distanziert haben. Es wurden Platzverweise ausgesprochen und radikale Ausfälle in Worten und Symbole aus dem Verkehr gezogen. Mit solcher Konsequenz hätte man sich die Distanzierung von Radikalen bei vielen Aktionen und Demonstrationen in anderen Brennpunkten mit Widerstandspotenzial nur wünschen können.

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