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  • „Plietsches Dörp“ mit Rathaus auf Rädern

    Die Stadt Geestland bei Bremerhaven kommt mit einem Rathaus auf Rädern auf seine Bürgerinnen und Bürger zu und hat dafür einen Preis des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes erhalten Fast 32.000 Einwohner in 16 Ortschaften zählt die nordniedersächsische Stadt Geestland – eine Kleinstadt in der Nähe zur Nordsee, die mit 357 Quadratkilometern eine der flächengrößten Städte in Deutschland ist, größer als München (311 Quadratkilometer) oder Frankfurt am Main (248 Quadratkilometer). Angesichts der Entfernungen haben es viele Bürgerinnen und Bürger in Geestland schwer, ihre Verwaltung zu erreichen. Darüber jammert die Kommune an der Wesermündung aber nicht, sondern schlägt den umgekehrten Weg ein und kommt zu den Menschen: Ein elektrisch betriebener VW-Bus, bunt bemalt im Graffiti-Stil, fährt einmal im Monat eine Ortschaft an: mal den Supermarkt Tante Enso in Sievern, die Wochenmärkte in Bad Bederkesa oder Langen, die Dorfgemeinschaftshäuser in Imsum, Köhlen und Krempel oder eine Grundschule. Ein serviceorientiertes Vorgehen. Bürgermeisterin will Sorge und Nöte der Menschen erfahren In dem farbenfrohen Fahrzeug lassen sich zum Beispiel Personalausweise und Reisepässe beantragen. Gerade für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist das hilfreich, denn es erspart ihnen weite Wege für Behördengänge. „Die Bürgerinnen und Bürger müssen nicht mehr zu uns kommen – sondern wir kommen zu ihnen“, wird Projektleiterin Britta Murawski in einer Pressemitteilung zitiert. Zugleich nutzt die Kommune das auffällige Gefährt, um zu erfahren, welche Sorgen und Nöte die Bewohner gerade bewegen. Auch Bürgermeisterin Gabi Kasten (CDU) ist regelmäßig mit dem Bus unterwegs. Der Bus trägt die Aufschrift „Von der Zukunft angetrieben“ auf der Schiebetür und dient ausdrücklich dazu, ins Gespräch zu kommen. An seinen Haltestationen will die Verwaltung für das Modellprojekt „Smart Cities“ werben, einem Konzept der Städtebauentwicklung, um den Alltag zu erleichtern. Dazu soll digitale Technik beitragen. So arbeitet man in Geestland an einem Funknetzwerk für Schulen, Kindergärten und andere Gebäude der Stadt. Mithilfe dieses Netzwerkes werden die von Sensoren gemessenen Verbrauchswerte von Strom, Wasser und Wärme an die Stadtverwaltung übertragen. Englischsprachigen Begriff durch plattdeutschen Ausdruck ersetzt Der Begriff „Smart Cities“ kam in der Kleinstadt in der Nähe der Nordseeküste allerdings nicht überall gut an. Daher wurde er umgetauft in „Dat plietsche Dörp“, wie Bürgermeisterin Kasten in einem Bericht für das Portal www.butenunbinnen.de  von Radio Bremen erklärte. Der plattdeutsche Ausdruck steht für das schlaue, intelligente Dorf – und ist eindeutig besser vermittelbar. Für das Rathaus auf Rädern nahm Geestlands Bürgermeisterin kürzlich den mit 5.000 Euro dotieren Thorsten-Bullerdiek-Zukunftspreis des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes entgegen, der benannt ist nach dem 2021 verstorbenen ehemaligen Sprecher des Verbandes. Warnung vor einem Ungleichgewicht zu Lasten der ländlichen Räume Der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund sieht das „Rathaus auf Rädern“ als zukunftsweisend an. Das Projekt zeige, dass auch große Flächenkommunen Lösungen für eine gute Erreichbarkeit der Verwaltungsdienstleistungen finden könnten und „Smart Cities“ nicht allein ein Modell für Großstädte seien. Ausdrücklich warnt der Dachverband der niedersächsischen Kommunen vor einem Ungleichgewicht zu Lasten der ländlichen Räume. Sie würden mit dem Anlagen- und Leitungsbau die Hauptlasten der Energiewende tragen, könnten aber vom 49-Euro-Ticket aufgrund fehlender Vernetzung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nur bedingt profitieren . Positionspapier zu vielen Themen auf dem Land Erforderlich sei eine ganze Reihe von Maßnahmen, um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen herzustellen, heißt es in einem 28-seitigen Positionspapier . „Ländliche Räume sind das Rückgrat unseres Landes – die Politik muss sie stärker in den Fokus nehmen!“, ist der Text überschrieben. Angesprochen wird eine ganze Reihe von Themen, die auch in diesem Blog immer wieder zur Sprache kommen. Dazu gehören die Gesundheitsversorgung und die Energiewende, der Breitbandausbau und die Digitalisierung , Tourismus, Zuwanderung und Integration, Fragen der Mobilität und kindlichen Bildung sowie das Thema Verwaltung und Ehrenamt .

  • PV-Freiflächenanlagen – Fluch oder Segen?

    Der Ausbau der erneuerbaren Energien wird massiv vorangetrieben. Agri-PV-Anlagen auf aufgeständerten Solarpanelen – ein Eingriff mit Folgen für das Wild und die Jagd. Klimawandel und Biodiversität sind zwei politische Schlagworte, die gesellschaftliche Herausforderungen benennen. Bis spätestens 2025 soll Deutschland klimaneutral sein. Deshalb wird der Ausbau der erneuerbaren Energien massiv vorangetrieben. Neben der Windkraft hat dabei die Solarenergie besondere Bedeutung. Das reformierte Erneuerbare-Energien-Gesetz der Bundesregierung sieht vor, dass die installierte Photovoltaik-Leistung bis zum Jahr 2030 von derzeit etwa 90 auf 215 Gigawatt steigt. Das geht nur mit großen Photovoltaik-Freiflächenanlagen (PV-FFA), seien es konventionelle oder sogenannte Agri-PV-Anlagen, also aufgeständerten Solarpanelen, unter denen das Land weiterhin landwirtschaftlich genutzt wird (siehe unseren Blog-Beitrag vom 19. August). Die Rede ist von einem Flächenbedarf von bis zu 70.000 Hektar, wobei Einzelanlagen von bis zu 300 Hektar vorgesehen sind.   Der Solar-Boom geht also einher mit enormen Eingriffen in die Natur und das Landschaftsbild. Denn längst werden die Anlagen nicht mehr, wie ursprünglich vorgesehen, vorrangig entlang von Autobahnen, Bundesstraßen, Bahntrassen und auf Konversionsflächen wie vormaligen Militärgeländen und Flugplätzen geplant. Das hat auch bei der naturverträglichsten Standortwahl massive Auswirkungen auf Wildlebensräume. Äsungs- und Einstandsflächen werden entzogen, wandernde Arten stoßen auf neue Hindernisse, die althergebrachte Routen blockieren. Denn die Areale sind in aller Regel aus versicherungsrechtlichen Gründen eingezäunt, um ein Betreten durch Menschen zu verhindern. Da geht es um den Schutz vor Stromschlägen oder vor Vandalismus und Diebstahl ebenso wie um Zwecke der Nutztierhaltung. Das bedeutet letztlich auch fast immer ein Schrumpfen der bejagbaren Fläche des jeweiligen Reviers.   Hohe Pachtpreise lösen Goldgräberstimmung aus Die größten PV-Parks entstehen derzeit in den östlichen Bundesländern, weil dort deutlich größere zusammenhängende Flächen verfügbar sind. Die Rede ist von einer „Goldgräberstimmung“. Den Landeigentümern werden Pachtpreise geboten, die weit über den mit Landwirtschaft erzielbaren Erlösen liegen. Sie sollen zwischen 1.000 und 3.000 Euro je Hektar liegen. Eine regelrechte Antragsflut gibt es in Brandenburg, wo der Landesbauernverband den Flächenfraß als „lukrative zusätzliche Einnahmequelle für Landwirte“ sieht und daher „deren Bestrebungen der Diversifizierung als Bestandteil unternehmerischen Handelns“ goutiert.   Vögel können von oben in die PV-FFA einfliegen, und Kleintiere wie Igel und Hasen können unter den meist mit einigem Bodenabstand installierten Zäunen passieren. Deshalb sind mit den Anlagen durchaus Hoffnungen auf positive Effekte für die Niederwildhege, speziell bei Fasan und Rebhuhn, verbunden. Doch ist bislang nur wenig über das Meideverhalten bestimmter Arten, wie etwa von Bodenbrütern, bekannt. Da liegt noch ein weites Forschungsfeld brach. Für unsere kleinsten Cerviden gibt es inzwischen Rehschlupfe, aber man sieht sie nur selten eingebaut. Für alle anderen Hirsche bleibt der Zaun eine unüberwindliche Barriere.   Energiewende und Folgen für unser Wild Der Deutsche Jagdverband (DJV) hat bereits vor gut zwei Jahren angesichts der Bedeutung und der Konfliktträchtigkeit der Handlungsfelder gefordert, die Energiewende dürfe nicht einseitig zu Lasten des Wildes vorangetrieben werden. Natur- und Klimaschutz müssten vielmehr in der Form vereinbart werden, dass Politik, Planungs- und Genehmigungsbehörden die PV-FFA wildtierfreundlich planen, errichten und gestalten. Dies schließt auch den Rückbau mit ein. „Naturschutzfachlich sinnvoll gestaltet können PV-FFA zur Sicherung der biologischen Vielfalt in der Kulturlandschaft beitragen. Letztlich bedarf es der Einführung gesetzlicher Standards für die Planung und Genehmigung großflächiger PV-FFA. Diese sollten auch eine wildbiologische Begleitplanung beinhalten. Entsprechende Standards führen zu mehr Planungssicherheit und zu einer Vereinfachung der Verwaltungspraxis. Die dadurch erzielte Verfahrensbeschleunigung darf jedoch nicht zu Lasten des Artenschutzes sowie des Biotopverbundes gehen“, heißt es in der Erklärung des DJV-Präsidiums.   Zwingend ist die Erhaltung von Fernwechseln, also den Routen für weite Wanderungen des Wildes, um den genetischen Austausch nicht zu behindern. Dazu sollen sie auf einer Breite von mindestens 300 Metern von PV-FFA freigehalten werden. Große Solarparks sollten mindestens alle 500 Meter von 50 bis 60 Meter breiten Querungskorridoren mit Gehölzbestand durchzogen sein. Sie dürfen zudem nicht als Wander-, Reit- oder Fahrradweg genutzt werden. Insgesamt gilt es, Lebensraumkorridore als Achsen des Biotopverbunds sowie deren Funktion bundes-, landesweit und regional zu ermitteln und zu sichern.   Bejagung sollte möglich bleiben Zahlreich sind auch die Vorschläge zur inneren wildtierfreundlichen Gestaltung der PV-FFA, die aus DJV-Sicht stets in Absprache mit dem jeweiligen Jagdausübungsberechtigten erfolgen sollte. Dabei geht es darum, die überbaute Gesamtfläche des Solarparks auf höchstens 70 Prozent zu begrenzen und die Anlagen unter den Aspekten Form, Farbe und reflektierende Eigenschaften bestmöglich in das Landschaftsbild einzubinden. Wichtig ist ein ausreichender Abstand von mindestens drei Metern zwischen den Modulreihen. Zu einer naturschutzfachlich angemessenen Gestaltung können zudem die Einfriedung mittels standortgerechter Niederhecken, die Förderung eines artenreichen Unterwuchses, die Anlage von Feuchtbiotopen mit Freiwasserzone oder Refugien für Reptilien, Vögel und Insekten beitragen. „Zudem sollte der Ausgleich des Eingriffs entweder auf der Fläche selber oder im unmittelbaren Umfeld stattfinden, z.B. durch zusätzliche Strukturen oder mehrjährige Blühbrachen, um die Funktionalität der Maßnahmen im Solarpark zu gewährleisten. Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität, der ökologischen Umfeldgestaltung sowie ein Pflegekonzept (u.a. Vermeidung von Stoffeinträgen, standortangepasstes Mahd- oder Beweidungsmanagement) müssen verbindlich in die Plangenehmigung aufgenommen werden“, fordert der DJV.   Letztlich müsse eine ordnungsgemäße, auch der Landeskultur dienende Bejagung der Reviere möglich bleiben. Deshalb seien entsprechende Abstände von PV-FFA vom Waldrand einzuhalten und Wechselmöglichkeiten für Wildtiere zu erhalten. Eine durch den Bau der PV-FFA potentiell erhebliche Minderung des Jagdwertes und die erschwerte Bejagbarkeit der Flächen müsse in angemessener Weise ausgeglichen werden.

  • Zwischen politischem Umbruch und Energiewende: Auswirkungen auf den ländlichen Raum

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, in dieser Woche können wir, trotz unserer Themenschwerpunkte für den ländlichen Raum mit seinen Zusammenhängen, nicht umhin, zunächst allgemein auf die politische Landschaft zu blicken. Sie hat sich am Wochenende gravierend verändert. Am Ende machen wir einen kleinen Ausflug zur EU mit Erwartungen an die Agrarpolitik in der neuen Legislaturperiode. Wir schließen mit einem besonderen Aspekt beim Ausbau der erneuerbaren Energien und wie sich dies auf Wildlebensräume im Zusammenhang mit der Photovoltaik auswirken könnte.   Nach einer relativ klaren Prognoselage in den Umfragen der Wochen und Monate zuvor war es dann nicht mehr überraschend, mit welchen Wahlergebnissen am Sonntagabend die politische Landschaft in Deutschland durchgeschüttelt wurde . Nicht nur in Thüringen und Sachsen hat sich offensichtlich die politische Enttäuschung in großem Maße aufgestaut, sondern wir müssen mit weiteren Entwicklungen rechnen. Das wird dann wohl in zwei Wochen in Brandenburg, nach der nächsten Landtagswahl, noch sichtbarer werden. Gestern veröffentlichte die Bild-Zeitung eine Insa-Umfrage, wonach sich der Trend mit dem Zulauf zur AfD (27 Prozent) und BSW (15 Prozent) bestätigt. Zur Vollständigkeit: SPD 23 Prozent und CDU 18 Prozent. Damit wird dies der dritte Problemfall für unsere demokratische Stabilität. Es lässt vermuten, wie sich dieser Trend auch über die östlichen Bundesländer hinaus fortsetzen könnte.   In Thüringen jedenfalls scheint es ein Drittel der Wählerinnen und Wähler relativ wenig zu kümmern, dass die AfD vom Verfassungsschutz „als erwiesen rechtsextremistisch“ eingestuft wird. In Sachsen ist das nicht viel anders, und warum sollte sich der Blick auf die anstehende dritte Landtagswahl im September gravierend ändern?   In unserem Blog hat gestern unser Autor Michael Lehner darauf hingewiesen, dass der Rechtspopulismus in den inzwischen nicht mehr ganz so neuen Bundesländern längst nicht mehr nur von enttäuschten älteren Männern ausgeht. Auch die Jungen wählen AfD und Wagenknecht. Ein Thema, das uns seit längerem beschäftigt, ist die Offensichtlichkeit, mit der in der großen Politik die Provinz abgehängt wird. Da lassen sich genügend Beispiele anführen, wie tief sich die zitierte Kluft zwischen großstädtischen Strukturen und ländlichen Räumen in Herzen und Köpfen verfestigt. (Siehe den Beitrag in der unten aufgeführten Themenliste unseres Blogs).   Versuche der Regierungsbildung auch als Horrorszenarien?   Eine Betrachtung, die wenig oder nur hinter vorgehaltener Hand in den etablierten demokratischen Parteien diskutiert wird, wäre die gewohnte Übung, wonach die stärkste Partei den Auftrag zur Regierungsbildung hätte.  Immerhin scheint es der Wählerwille zu sein, dass dies auf die AfD zufallen könnte. Für alle überzeugten Demokraten wäre das mit guten Gründen ein Horrorszenario. Was wäre, wenn? Höcke und Co. müssten in Thüringen auf Partnersuche gehen. Nach den Erklärungen aller anderen in den Landtag gewählten Parteien müsste dies für ihn oder wen er vorschickt aussichtslos bleiben. Wie hitzebeständig sind die erklärten Brandmauern?  Wahrscheinlich haben diejenigen recht, die trotz aller Versicherungen der Wagenknecht-Partei dann ein Bündnis unter Extremisten befürchten. Die Schnittmengen AfD-BSW sind erschreckend: außenpolitisch (für die Landespolitik im Prinzip irrelevant) Raketen, Russland und Ukraine, und innenpolitisch Migration, Wirtschaft ohne Klimaziele. Der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt hat vielleicht in seiner Einschätzung recht, dass das BSW trotz aller Festlegungen die Option einer Zusammenarbeit mit der AfD als letzten Pfeil doch im Köcher hält.   So versuchen Voigt und Kretschmer, ohne Aussicht auf verlässliche Parlamentsmehrheiten , aus Positionen der Schwäche Regierungen zu bilden. Wenn aber schon ein Dreier-Bündnis wie in Berlin versagt, wie soll so etwas für die CDU mit dem BSW und dann den Resten von SPD und Grünen (nur in Thüringen) funktionieren? Eine leistungsfähige Regierungsarbeit ist einfach nicht zu erwarten. Da bleibt die Frage, was die Wählerinnen und Wähler eigentlich wollen. Kompetentes Personal auch für die Administration haben die Extremisten wohl kaum. Das zeigt sich schon im thüringischen Sonneberg, wo der dort gewählte AfD-Landrat gemessen an seinen Ankündigungen große Lieferschwierigkeiten hat. Als einer der letzten (!) Landkreise in Thüringen hat er die Bezahlkarte für Flüchtlinge eingeführt. Vor seiner Wahl hatte er zudem versprochen, den Euro abzuschaffen und die Grenzen dichtzumachen. Das ist selbstverständlich nicht passiert – wie auch? Trotzdem hat die AfD in Sonneberg wieder viele Stimmen bei den Europawahlen im Juni erhalten.   In Raguhn-Jeßnitz hat der erste AfD-Bürgermeister im Wahlkampf angekündigt, die Kita-Gebühren zu senken. Tatsächlich stiegen sie. Dennoch landete die AfD wieder auf Platz 1. In Umfragen werden ihr stets nur niedrige Kompetenzwerte bescheinigt. Das hält die Wählerinnen und Wähler aber offenbar nicht davon ab, sie zu wählen.   Unsere Redaktion stimmt ihre Themen wöchentlich in Video-Konferenzen ab. Nach dem letzten Wahlsonntag hat unser Autor Christian Urlage an geschichtliche Erfahrungen mit einem Zitat erinnert, das zeigt, wie schwierig auch historisch der Umgang mit Rechtsextremen und Populisten ist. Bevor Adolf Hitler an die Macht kam, gingen auch Paul von Hindenburg und Franz von Papen davon aus, Hitler zähmen zu können. Wörtlich sagte Papen: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht.“ Tatsächlich war die Demokratie dann sehr schnell am Ende. Auch wenn die AfD nicht mit Nazis gleichzusetzen ist, würde sie bei der Bildung einer Landesregierung wichtiges Personal austauschen und den Rechtsstaat aushöhlen . Solche Versuche würden also aller Voraussicht nach im Desaster enden. Nur die Wählerinnen und Wähler würden sehen, was sie gewählt haben. Das Risiko des Praxisbeispiels wäre für unser Allgemeinwohl einfach zu hoch. Wir haben es, wie Thomas de Maizière sagte, mit „demokratiegefährdenden“ Wahlergebnissen zu tun.   „Wir brauchen jetzt den großen Wurf“ – wer soll ihn liefern?   In den bundespolitischen Reaktionen blickt alles auf die Ampel. Sie steht in breiter Kritik und gilt besonders in Bezug auf die bisherige Migrationspolitik als Auslöser dessen, was wir am Wahlsonntag erlebt haben. Nach dem gestern veröffentlichten Deutschlandtrend ist die Dreier-Koalition in Berlin so „unbeliebt wie nie“ und hat kaum noch Vertrauen.   Der Chef der Deutschen Bank, Christian Sewing, sagte in dieser Woche dem Handelsblatt, er sei natürlich traurig, dass in einem Land mit unserer Vorgeschichte so etwas passieren kann. Dann seine Forderung: „Wir brauchen jetzt den großen Wurf“ . Wir erleben in diesen Zeiten allerdings das Gegenteil von Wirkungen eines Wumms oder Doppel-Wumms. Mehrere Wirtschaftsinstitute sind in Alarmstimmung. Nur: Wer soll jetzt liefern? Das Kabinett? Der Kanzler macht sich mit Erklärungen rar und sein Kabinett übt sich in „Business as usual“. Es tagte am Mittwoch und fasste folgende Beschlüsse: Ältere erhalten durch die Rentenversicherung Anreize (Heil: „Späterer Rentenbeginn soll sich lohnen, länger zu arbeiten“); eine Vereinfachung des Baurechts wurde beschlossen, um dem Ziel von 400.000 neuen Wohnungen im Jahr näherzukommen; E-Autos werden wieder gefördert, weil die politisch in diese Richtung gedrängte Autoindustrie hustet – bekommt das Land Fieber. Allein bei VW ist das mehr als ein Husten. „Business as usual“ reicht wohl nicht mehr …   Messerkriminalität und Waffengesetzgebung   Eines der untauglichen Rezepte dieser Regierung zur Bekämpfung der schon fast täglich gemeldeten Fälle der Gewaltkriminalität treibt die Innenministerin voran. Es bleibt meiner Meinung nach ein Irrglaube, das Problem durch weitere Veränderungen der Waffengesetzgebung zu lösen . Das läuft auf die immer wieder diskutierte Grundsatzfrage hinaus, ob das durch neue Gesetzgebungen oder die Anwendung vorhandener Regelungen besser wird. In Münster z.B. hat sich in diesen Tagen die Polizeipräsidentin Alexandra Dorndorf dazu geäußert, wie auf der Ebene der Exekutive die Messerkriminalität bekämpft werden kann: „Rechtsmittel ausschöpfen, Kontrolldruck erhöhen, Prävention und Fortbildung intensivieren.“ Prävention und Aufklärung seien wichtige Bausteine ihres neuen Konzepts zur Bekämpfung der Messerkriminalität. Das könnte als Praxisbeispiel Schule machen.   Blicken wir noch kurz auf die EU . In Brüssel und Straßburg beginnt nach der Europawahl und der folgenden Sommerpause wieder langsam der politische Betrieb. Unser Autor Ludwig Hintjens hat am Donnerstag im Blog (siehe unten „Weg von der Gießkanne“) beschrieben, was in der nächsten Legislaturperiode zu erwarten ist. Die wiedergewählte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will bis März ihre Vision für Landwirtschaft und Ernährung vorstellen. Dabei lässt sie sich von Experten leiten. Diese empfehlen die Abschaffung der Direktzahlungen. Unterstützungsleistungen sollen demnach nur noch diejenigen erhalten, die aktiv als Landwirte arbeiten und es wirklich nötig haben. Mal sehen, was daraus wird und wie sich dieser Bereich in der EU verändert, wenn die agrarstarke Ukraine einmal beitreten sollte.   Und am Montag werden wir uns im Blog unter www.blog-natur-und-mensch.de  wieder mit einem Thema beschäftigen, das auch im Zusammenhang der Nutzung alternativer Energiequellen und der Jagd  zu betrachten ist. Unser Autor Christoph Boll bezieht sich aktuell auf Hinweise des Deutschen Jagdverbandes (DJV) von vor gut zwei Jahren. Danach entstehen Konfliktfelder, weil die Energiewende auch zu Lasten des Wildes vorangetrieben werden kann. Diese Betrachtung konzentriert sich auf den Solar-Boom. Die Flächenauswahl für Photovoltaikanlagen in großem Ausmaß hat massive Auswirkungen auf Wildlebensräume. Jetzt geht es um Vorschläge für wildtierfreundliche Planungs- und Gestaltungsmaßnahmen. Unter anderem wird auch ein aktuell viel diskutiertes Thema aufgegriffen: die Erhaltung von Fernwechseln, also den Routen für weite Wanderungen des Wildes, um den genetischen Austausch nicht zu behindern.   Mit diesen Hinweisen, Gedanken und Lesetipps wünsche ich auch im Namen unserer Autoren ein gutes Wochenende, an dem sich noch Sommerstimmungen mit herbstlichen Aussichten mischen.   Ihr Jost Springensguth Redaktionsleitung / Koordination

  • Alarmsignal aus der Provinz

    Wie die Volksparteien den ländlichen Raum (fast) kampflos den Rechtspopulisten überlassen Über Jahre flüchteten die Volksparteien (Grüne inklusive) in den Irrglauben, dass der Rechtspopulismus ein Problem alter Männer in den neuen Bundesländern sei. Ein fataler Irrtum, wie sich spätestens seit dem Wahlsonntag in Sachsen und Thüringen zeigt. Auch die Jungen wählen AfD und Wagenknecht. Wer genauer hinschaut, muss zudem feststellen: Nicht nur der Osten ist befallen. Im Rest der Republik ist die Erosion demokratischer Strukturen ebenfalls längst zu spüren. Soziologen und sogar ein paar Kluge von SPD und Grünen sehen die Warnungen bestätigt, dass die Kluft zwischen großstädtischen Strukturen und ländlichen Räumen daran ist, die Republik zu spalten. Wohlfeile Vorurteile über den „braunroten“ Osten treffen das Problem nicht. Ein Flächenbrand droht ebenso im Westen, wenn unbeachtet bliebe, dass die Unzufriedenheit und die Ängste im ganzen Land wachsen. Massiv verstärkt wird solches Unbehagen durch politische Instinktlosigkeit. Zuletzt etwa zu studieren am Deutschlandticket , das den Bund 2,5 Milliarden Euro kostete und seine umweltpolitischen Ambitionen deutlich verfehlte. Weit überwiegend gab´s Mitnahmeeffekte, unterm Strich eine weitere Subvention und noch mehr Überlastung für den Nahverkehr der Ballungsräume. Die Menschen im ländlichen Raum sind zwar an der Finanzierung beteiligt, mangels Bus- und Bahnverbindungen aber nicht am fragwürdigen Nutzen. Bahnkunden denken verstärkt über die Alternative Auto nach Besonders fatal: Fast zeitgleich mit dem teuren Geschenk ans Großstadt-Publikum versuchte die Ampel, die Milliarden bei den Bauern hereinzuholen. Die marode Bahn erhöht ihre Güterverkehrstarife so massiv, dass Wirtschaftsunternehmen in Scharen zum klimaschädlicheren Lastwagen-Transport zurückkehren. Unpünktlichkeit und Ausdünnung der Fahrpläne nehmen weiter zu. Der klassische Bahnkunde zahlt satte Preise und denkt nach, ob das Auto nicht doch das bessere Fortbewegungsmittel wäre. Bemerkenswert, dass sich solche Denkfehler auch beim sattsam diskutierten Heizungsgesetz erkennen lassen: Dass die Kosten einer Öko-Heizung nebst Gebäudesanierung in so manchen ländlichen Regionen den Marktwert von Bestandsimmobilien übersteigen, haben die Klimaretter im Hause des Wirtschaftsministers nicht bedacht. Vielleicht war es ihnen auch nur schlicht egal. Es ist ja einfacher, die Welt in reiche Hausbesitzer und hilfsbedürftige Wohngeldempfänger zu spalten.  Die bestürzenden Folgen lassen sich an den Wahlergebnissen in Thüringen und Sachsen ablesen. In den Ballungsräumen von Dresden oder Leipzig behauptet sich weitgehend das gewohnte Parteienspektrum. In der Provinz und sogar unter jungen Leuten haben die Populisten das Sagen. Und immer mehr Menschen kein Problem damit, ihr abstruses Wahlverhalten vor laufenden Kameras zu offenbaren.   Kaum haben die Wahllokale geschlossen, setzt Berlin noch einen drauf: mit satten Abschreibungsmöglichkeiten für teure Elektroautos. Und der sicheren Aussicht, dass der notorisch klamme Staat die Steuerausfälle auch von Leuten eintreiben wird, die mit wachsender Verzweiflung fürchten, dass sie im ländlichen Raum zwar ein Auto brauchen, sich aber keines leisten können. Fehlt nur noch, dass sich Forderungen aus der linken Mottenkiste durchsetzen, die Pendlerpauschale zu streichen. Wahr ist, dass sogar in der CSU lange die These existierte, Wahlen ließen sich nur in den Großstädten gewinnen. Schlimmeres verhindern in Bayern – und bisher nur dort – die Freien Wähler mit ihrer Präsenz in den Kleinstädten und Dörfern. Anderswo bleibt die Bodenhaftung Populisten überlassen, die zwar keine Ahnung von Ackerbau und Viehzucht haben. Aber ein feines Gespür für den Volkszorn, den ihnen die etablierte Konkurrenz allzu oft auf dem Silbertablett serviert.

  • Weg von der Gießkanne  

    Der Expertenkreis zur Zukunft der EU-Landwirtschaft fordert die Abschaffung der Direktzahlungen: Unterstützungsleistung soll nur bekommen, wer aktiv als Bauer arbeitet und es wirklich nötig hat Die finanzielle Unterstützung der Landwirte durch die EU soll grundsätzlich umgestellt werden. Geld aus dem EU-Haushalt soll „zielgerichteter an aktiv arbeitende Landwirte“ gezahlt werden, „die das Geld nötig haben“. Dies ist eine zentrale Empfehlung aus dem Bericht des Strategischen Dialogs zur Zukunft der EU-Landwirtschaft . 29 Vertreter der Lebensmittelbranche, Landwirte und Nichtregierungsorganisationen hatten sieben Monate lang unter der Leitung des deutschen Hochschullehrers Peter Strohschneider beraten. Strohschneider hat Erfahrung: Er hat bereits auf nationaler deutscher Ebene die Zukunftskommission Landwirtschaft geleitet. Der 110 Seiten lange Abschlussbericht , den die Teilnehmer trotz ihrer sehr unterschiedlichen Standpunkte einvernehmlich verabschiedet haben, wurde jetzt in Brüssel vorgestellt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will in den ersten hundert Tagen ihrer neuen Amtszeit, also bis März, ihre „Vision“ für die EU-Landwirtschaft und Ernährung vorlegen. Dabei will sie sich von den Empfehlungen der Experten leiten lassen. Experten für Abschaffung der Flächenprämien Auch wenn dies nicht explizit in ihrem Bericht steht, schlagen die Experten die Abschaffung der Flächenprämie vor. Die Direktzahlungen, die die Eigentümer von landwirtschaftlicher Nutzfläche bekommen, gingen beispielsweise 2023 in Deutschland an 310.000 Begünstigte und umfassten knapp sieben Milliarden Euro. Im Schnitt bekamen deutsche Bauern 280 Euro je Hektar Land. Künftig soll also EU-Geld an die Bauern für geleistete Arbeit und nicht mehr für den reinen Besitz von Land gezahlt werden. Dies sei nicht nur nötig, „um die öffentlichen Haushalte solide“ zu halten, sondern um „ungewünschte Folgen wie höhere Pacht- und Bodenpreise“ zu verhindern. Die Empfehlung legt zudem nahe, nicht mehr an alle zu zahlen. Statt mit der Gießkanne wie heute sollte die Einkommensunterstützung „viel zielgerichteter“ fließen. Ziel müsse sein, das Höfesterben zu verhindern und ein „ordentliches Einkommen“ der Bauern sicherzustellen. Geld bekommen sollen „die Bedürftigsten, insbesondere in Gebieten mit natürlichen Einschränkungen, auf Kleinbetrieben, Junglandwirte, gemischte Betriebe und Neueinsteiger“.  Ein Umstieg von den pauschalen Flächenzahlungen zu einem „effektiven Ansatz zur Einkommensunterstützung“ wird gefordert. Die Höhe der Zahlung müsse basieren auf der „Rentabilität des Betriebes“, die anhand einer standardisierten Methode nachgewiesen werden soll. Neue GAP-Periode ab 2028 Die EU-Kommission solle ein Expertengremium beauftragen, Mechanismen und Kriterien für die Auszahlung der Gelder festzulegen. Auch Umverteilung, Deckelung, eine degressive Auszahlung sowie Verteilungskriterien aus der Sozialpolitik sollen dabei zu Hilfe genommen werden. Das Expertengremium mahnt an, dass der Abschied von der Direktzahlung mit der neuen Förderperiode in der Gemeinsamen Agrarpolitik kommen müsse. Die neue GAP-Periode soll offiziell 2028 beginnen und bis 2035 gehen. Indes gehen Brüsseler Agrarpolitiker davon aus, dass wie bei der letzten Förderperiode es auch diesmal wieder eine Übergangsphase gibt und die nächste GAP-Reform erst 2029 oder 2030 in Kraft tritt. Spätestens mit dem Beitritt der Ukraine zur EU ist eine Reform der Einkommensunterstützung ohnehin fällig. Die Ukraine verfügt in ihrem jetzigen Staatsgebiet über 33 Millionen Hektar Ackerland. Dies entspricht etwa einem Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche der EU. Die Direktzahlungen auf die Landbesitzer in der Ukraine auszudehnen wäre nicht nur teuer. Es würden auch hohe Summen an internationale Agrarkonzerne gehen, die einen Großteil der Flächen besitzen. Mit dem Beitritt des Landes wird nicht vor Mitte des nächsten Jahrzehnts gerechnet.

  • Glossiert: Jedem Lachs die Flosse geschüttelt

    Das Thema bewegt viele am Rhein aufwärts bis weit in die einzelnen Zuflüsse. Es wurde viel getan, um den Fischen über Hindernisse der Zivilisation – etwa an Staumauern – zu helfen. Am Baldeneysee gibt es sogar einen Fischaufzug mit Kamerazählung Christoph Boll hat sich ein paar auch nicht ganz ernst gemeinte Gedanken über den Inhalt einer amtlichen Mitteilung zum Erfolg der zweifellos anerkennenswerten Bemühungen um die wandernden Fische gemacht: Heute müssen wir über Exaktheit sprechen. Naturwissenschaften gelten gemeinhin als genau. Da ist einfach alles quantifizier- und messbar. Da gibt es kein vages Ungefähr, Etwa, Zirka oder Rund. Daran hält sich auch das nordrhein-westfälische Umweltministerium. 5.224 Lachse seien seit 1990 in die Laichgewässer nach NRW zurückgekehrt, hat es nun die interessierte Öffentlichkeit wissen lassen. Donnerwetter, das ist eine Leistung. Nicht von den Lachsen. Die folgen einfach ihrer Natur, wenn sie bis zu 3.000 Kilometer schwimmen, um nach einigen Jahren im Meer wieder in ihre Geburtsgewässer zurückzukehren. Dort, in den Kiesgründen der Rheinzuflüsse, legen sie ihre Eier ab und begründen so die nächste Lachsgeneration. Die Jungfische ziehen nach etwa zwei Jahren als sogenannte Smolts flussabwärts und durch die Meere bis nach Grönland. Dort machen sie Jagd auf Kleinfische, wachsen schnell heran, bevor es sie quasi wieder in die Heimat zieht. Exakt 5.224 Heimkehrer waren es laut Umweltministerium seit 1990, 139 allein im vergangenen Jahr. Damit war 2023 deutlich erfolgreicher als die trockenen Vorjahre, in denen die Wasserstände oftmals zu niedrig waren und kaum Aufsteiger gezählt werden konnten. Die Ermittlung dieser exakten Zahl – nicht 5.223 oder 5.225 Lachse, nein genau 5.224 – ist eine beachtliche Leistung, die Fragen aufwirft. Wer hat die Ankömmlinge gezählt und begrüßt? Die Umweltminister der 34 Jahre – von Klaus Matthiesen über Bärbel Höhn, Eckhard Uhlenberg, Johannes Remmel, Christina Schulze Föcking, Ursula Heinen-Esser und Lutz Lienenkämper bis zu Oliver Krischer – haben bestimmt nicht persönlich jedem Heimkehrer die Flosse geschüttelt. Ist vielleicht sogar der ein oder andere Schuppenträger unbemerkt am Empfangskomitee und der Statistik vorbeigeschwommen und hat sozusagen illegal den Vater Rhein passiert? Und da es sich ja ausnahmslos um Heimkehrer handelt, könnte auch diskutiert werden, ob nicht eigentlich seit der Schaffung des Heimatministeriums im Jahr 2017 dieses hätte zuständig sein müssen. Von einem entsprechenden Ressortstreit mit der durchaus um ihren Einfluss bemühten Ina Scharrenbach war aber nie ein Wort zu hören. 1,4 Millionen Junglachse in das Rheinsystem gesetzt Es ist anzunehmen, dass den Lachsen, die durch die Verschmutzung und den Verbau der Gewässer und Überfischung im vergangenen Jahrhundert im Rheinsystem als ausgestorben galten, solche machtpolitischen Rangeleien sozusagen an den Kiemen vorbeigehen. Sie profitieren wie die weiteren Wanderfischarten Nordseeschnäpel, Maifisch und Aal von dem 1998 gestarteten Wanderfischprogramm, das eine gemeinsame Initiative des Landes und des Fischereiverbandes NRW ist. Damit sich die Lachsbestände in Nordrhein-Westfalen aus eigener Kraft erhalten können, ist es wichtig, dass die Laichgewässer in den Oberläufen für die Elterntiere erreichbar sind. Daher arbeiten das Land und die verschiedenen Partner an einer Verbesserung der Durchgängigkeit der Fischlebensräume. Beispiele sind die Kraftwerke Unkelmühle an der Sieg und Auer Kotten an der Wupper mit modernen Fischpässen und -schutzanlagen. Eingebunden in das Wanderfischprogramm ist auch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) mit seinem Standort Albaum. Dort werden Lachs-Elternfische gehalten, um junge Lachse zur Stärkung der Population im Rhein-System aufzuziehen. An diesem Punkt verlässt das Umweltministerium den tugendhaften Pfad wissenschaftlicher Exaktheit. „Rund 1,4 Millionen Junglachse“ seien im Jahr 2024 insgesamt durch alle Rheinanliegerstaaten in das Rheinsystem gesetzt worden, davon „rund 581.000“ in die nordrhein-westfälischen Lachsgewässer. Bei diesen Größenordnungen muss man wohl Nachsicht mit der zahlenmäßigen Unschärfe haben. Schließlich sind Lachse neben Uhus, Wildkatzen, Bibern oder Weißstörchen auch nur eine Art, die nach und nach wieder ihre Lebensräume im bevölkerungsreichsten Bundesland zurückerobert.

  • Nun Brandenburg: Hier positioniert sich der ländliche Raum

    Nach den Wahlen am Sonntag ist vor der Wahl am 22. September. Thüringen und Sachsen werden auf den Schlussspurt des Brandenburger Wahlkampfes Wirkung zeigen. Das Forum Natur meldet sich jetzt in Potsdam dazu Erste Wahlanalysen in Thüringen und Sachsen zeigen, dass die starken Gewinne der extremistischen Parteien in den ländlichen Regionen und den höheren Altersgruppen eingesammelt wurden. Ein Spezifikum mit Blick auf die AfD scheint die offensichtlich stärker verbreitete Haltung junger Menschen, weniger Angst vor einer radikalen Partei zu haben als vor sozialen Verwerfungen. Viele nehmen die AfD als Partei für wirtschaftliche, öffentliche und soziale Sicherheit wahr – und das offensichtlich besonders in den ländlich geprägten Regionen. Die Ausgangslage für die Wahl des nächsten Landtags in Potsdam ist in einigen Punkten politisch vergleichbar, in einem aber nicht: Michael Kretschmer hat vielleicht mit der CDU die Chance bewahrt, wieder eine Regierungsmehrheit zu finden. Bodo Ramelow wurde mit seiner Partei Die Linke glatt abgewählt. Nun versucht es Dietmar Woidke, mit seiner Partei, der SPD, wieder ins Amt zu kommen. Und das, obwohl gerade die Kanzlerpartei mit ihren grünen und liberalen Ampel-Partnern am Sonntag abgestraft wurde. Es wird interessant zu beobachten sein, welche Konsequenzen in der weiteren Wahlkampfführung sichtbar werden. Eins ist schon klar: Die Landespartei versucht möglichst unauffällig, Olaf Scholz weitgehend aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Er wohnt zwar im Lande und wird dort auch wohl wählen, aber kaum reden. Woidke meidet Kanzlerauftritte, die üblicherweise als besondere Höhepunkte in Wahlkämpfen gelten. Dafür positionieren sich andere, die auch der Ministerpräsident und alle landespolitischen Handelnden in den Blick nehmen muss. Das sind die Repräsentanten des ländlichen Raumes. Dieser prägt das Land. Als Landesorganisation des „Forums Natur“ haben sie sich in Potsdam zusammen zu Wort gemeldet, um „Endlich Politik fürs Land“ einzufordern. Es geht um Verbesserungen der Lebensbedingungen im ländlichen Raum Gernot Schmidt, der   Vorsitzende des Forums Natur Brandenburg (FNB), meinte, dass die Verbesserungen der Lebensbedingungen im ländlichen Raum zu den großen Aufgaben der neuen Landesregierung gehörten. Sie habe zur Aufgabe, die Konflikte zwischen Stadt und Land gezielt zu reduzieren. Die Verbände im Forum Natur würden ihren Beitrag dazu leisten. Der ländliche Raum könne nur durch den Schulterschluss der relevanten Akteure seinen Interessen Gehör verschaffen. Dies geschieht auch im Forum Natur, das auch auf Bundesebene als Aktionsbündnis die Interessen von Naturnutzern bündelt. Zurück nach Brandenburg: „Die Agrar- und Umweltpolitik der letzten fünf Jahre hat maßgeblich zur Radikalisierung von Teilen des ländlichen Raums beigetragen. Die Bauernproteste , denen sich auch viele andere Berufsgruppen angeschlossen haben, waren ein sichtbares Zeichen dafür, das nicht ignoriert werden darf. Aus fachlicher Sicht waren das in den Bereichen Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft verschenkte Jahre. Die mangelnde Beteiligung der relevanten Akteure zog sich wie ein roter Faden durch die Legislatur. Miteinander wäre mehr gegangen.“ Das sagte der stellvertretende Vorsitzende des Forums Natur Brandenburg, Dr. Dirk-Henner Wellershoff, der zugleich Präsident des Landesjagdverbandes dort ist. Die zusammengeschlossenen Verbände in Brandenburg haben gut drei Wochen vor der Landtagswahl ein Positionspapier zur Stärkung der ländlichen Räume durch Unterstützung der regionalen Landnutzung vorgestellt. Hier die wichtigsten Positionen als Dokumentation: Forderungen, an die Landespolitik gerichtet: Konflikte zwischen urbanem und ländlichem Raum gezielt reduzieren, Lebensbedingungen im ländlichen Raum verbessern Personalunion von Leitung der Forstabteilung und der Obersten Jagdbehörde beenden Entbürokratisierung der Landwirtschaft ermöglichen regionale Wertschöpfung und Selbstversorgungsgrad der Region Berlin/Brandenburg in den politischen Fokus stellen gesellschaftliche Bedeutung der Ernährungssicherheit anerkennen Transformation der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung hin zu mehr Tierwohl bei Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit fördern Zum Thema „Neuausrichtung des Natur- und Umweltschutzes“ heißt es unter anderem: Artenschutzkonflikte endlich angehen (z.B. durch Überarbeitung von Wolfs-VO, Biber-VO, Kormoran-VO) Management der Wolfspopulation an aktuelle Gegebenheiten anpassen (Bundesratsinitiative zur Absenkung des Schutzstatus des Wolfes einbringen, Wolf ins Jagdrecht aufnehmen, Bestandsregulierung ermöglichen)  FFH-Managementpläne unter Einbeziehung der Landnutzerverbände evaluieren und fortschreiben Zur Forstpolitik werden unter anderem diese Punkte genannt: Schutz der Brandenburger Wälder durch Förderung des klimaresilienten Waldumbaus und der nachhaltigen Holzproduktion Freiraum bei der Wahl klimatoleranter Baumarten zulassen, Einbringung von klimatoleranten, bereits in Deutschland seit langem bewährten fremdländischen Baumarten ermöglichen private Waldbesitzer beim klimaresilienten Waldumbau stärker unterstützen (z.B. durch Informations- und Beratungsangebote, niedrigschwellige Finanzierungsangebote ohne Vorleistung und hohen Bürokratieaufwand) Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) gemäß aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen genehmigen, um intakte Waldbestände und Waldökosysteme vor massiven Verlusten an Biodiversität und Vielfalt durch Kalamitätsereignisse zu schützen Zur Bewahrung eines funktionierenden und wertgeschätzten Jagdwesens: Aufhebung der Änderungen der Jagdgesetzdurchführungsverordnung vom 22.05.2024: Streichung der Sommerschonzeit im Juni und Juli auf Rot-, Dam- und Rehschmalwild sowie auf Rehböcke auf landwirtschaftlichen Flächen, Wiederzulassung der Jagd auf Blässgänse auf gefährdeten Ackerkulturen, Aufhebung des Verbots sogenannter Totschlagfallen Novellierung des Brandenburger Jagdrechts in konstruktiver Zusammenarbeit mit den Flächeneigentümern und -bewirtschaftern Jagdabgabe im Sinne der Jägerschaft einsetzen, Anträge zügig bearbeiten regionale Wildvermarktung stärken (z.B. durch Unterstützung von Projekten zur regionalen Wildvermarktung)

  • Das erwartbare Ostbeben

    AfD in Thüringen auf Platz eins, die links-nationalistische Wagenknecht-Truppe vor einer Regierungsbeteiligung. Die Ostwahlen haben das Zeug zum politischen Erdbeben. Wirklich überraschend ist der Wahlausgang aber nicht Die großen Überraschungen blieben aus – trotz des Messerangriffs in Solingen. In Sachsen und Thüringen dürfte die CDU versuchen, jeweils Koalitionen zu bilden. Doch die Ausgangslagen in beiden Ländern sind unterschiedlich. In Sachsen dürfte nach den Hochrechnungen die seit 1990 regierende CDU weiter den Ministerpräsidenten stellen. Michael Kretschmer könnte also versuchen, als amtierender Ministerpräsident auf seine alten Partner SPD und Grüne zuzugehen. Dann wäre der CDU-Politiker nicht auf das Bündnis Sahra Wagenknecht angewiesen. „Wir könnten dann versuchen, uns endlich wieder auf Landesthemen zu konzentrieren und diesen Wahlkampf hinter uns zu lassen“, sagt ein hochrangiger Stratege aus der Staatskanzlei in Dresden. Probleme und Herausforderungen gibt es in Sachsen trotz der wirtschaftlichen Erfolge genug. Die Ausdünnung des ländlichen Raumes, der demografische Rückgang vor allem im Bereich Osterzgebirge, die Asyl-Probleme im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien, die seit Monaten eine erhebliche Zunahme an Flüchtlingen verzeichnen – all das dürfte den Sachsen näher sein als irgendwelche außenpolitischen Russland-Schwärmereien einer ehemaligen Politikerin der kommunistischen Plattform. Denn genau mit dieser „Gebiete für Frieden“-Parole gelang es auch in Sachsen dem Bündnis Sahra Wagenknecht, die Menschen offenbar zu motivieren, wieder wählen zu gehen. Die Wahlbeteiligung lag in Sachsen deutlich über 70 Prozent und über dem Ergebnis der letzten Landtagswahl 2019. Bedeutet: Schon damals gab es offenbar im Osten viele Unzufriedene, die jedoch zu Hause geblieben waren, aber 2024 offenbar bei AfD und Wagenknecht ihre politische Heimat finden.    Unklare Lage in Thüringen   Noch schwieriger dürfte die Regierungsbildung im 250 Kilometer entfernten Erfurt sein: Die AfD gewinnt in Thüringen die Wahl – und geht damit erstmals als Sieger bei einer Landtagswahl durchs Ziel. Selbst klare Verstrickungen mit rechtsextremen Inhalten, Parolen und Personen haben der Partei um den irrlichternden Björn Höcke nicht geschadet. Sogar genutzt. Über 30 Prozent. Das bedeutet Geld für die Höcke-Truppe aus der Staatskasse, das bedeutet Posten und Einfluss in Gerichten, Behörden und Medien. Ob Höcke überhaupt noch fest in Erfurt im Sessel sitzt oder im nächsten Jahr für den Bundestag kandidiert, egal. Politik kann manchmal so irrational sein.    Als ob das noch nicht schlimm genug wäre, holte die in Jena geborene Wagenknecht in Thüringen 16 Prozent. Zusammengerechnet sind das also rund 46 Prozent für Parteien oder Bündnisse, die zwischen Identitärer Bewegung, einem klaren rechtsextremistischen Weltbild oder einer unverhohlenen Putin-Sympathie pendeln und genau aus diesem rot-braunen Giftcocktail politisches Kapital schlagen. Die CDU in Thüringen muss dennoch versuchen, eine Landesregierung auf die Beine zu stellen. Gemeinsam mit BSW und der SPD könnte das gelingen. Könnte. Aber Wagenknecht hat bereits angekündigt, in Erfurt persönlich mit verhandeln zu wollen. Ein Grauen für die Unterhändler. Denn dann geht es um Fragen der Außenpolitik, des Kriegs und der Westbindung der Bundesrepublik, nicht um Fragen des Flächenverbrauchs, der Hochschulausstattung oder gar der Entwicklung des ländlichen Raums. Eine Horrorvorstellung für Mario Voigt für sein schönes Bundesland. Aber er muss das für seine Thüringer CDU meistern, hilft ja nichts. Bei dieser schwierigen Arbeit wird er wohl von Seiten der Bundes-CDU freie Hand erhalten. Das politische Beben in der Bundespolitik wird sich in der vorhersehbaren Größenordnung halten. Friedrich Merz freut sich mit seinen sächsischen Freunden – der Sauerländer machte dort deutlich sichtbarer Wahlkampf als in Thüringen – über den wahrscheinlich hauchdünnen Vorsprung. Ein Absturz ist bei den Parteifreunden in Thüringen auch nicht eingetreten. Eine Vorentscheidung über die Kanzlerkandidatur ist am Superwahlsonntag im Osten bei der Union jedenfalls nicht gefallen. Die wird vertagt, mit Vorteil Merz gegen Markus Söder.   Grüne verlieren an Bedeutung   Auch die Kanzler-Partei SPD dürfte ganz heimlich aufatmen. Ganz heimlich. In beiden Ländern fällt die SPD nicht aus dem Landtag, sondern legt in Sachsen auf ganz, ganz niedrigem Niveau sogar zu. Die Grünen und Ostdeutschland, das wird ohnehin keine Liebesbeziehung mehr. Dennoch dürften Habeck und Co. nicht gleich in eine Untergangsstimmung verfallen und die Bundesregierung verlassen. Für das Berliner Regierungsbündnis droht das eher von den gedemütigten Liberalen. In beiden Bundesländern kaum mehr messbar, näher an der Null-Prozent-Marke als an fünf Prozent. Parteichef Lindner dürfte nun in bewährter Manier versuchen, dieses Desaster weit weg von sich zu schieben. Landesthemen, Solingen, besondere Ost-Verhältnisse – Lindner ist eloquent genug, um es zu versuchen. Gelingt ihm das nicht und seine Fraktion (da gibt es viele, die um ihren Wiedereinzug in den Bundestag fürchten) rebelliert, könnte der Super-Ostwahltag aber doch das schnelle Ende der Ampel zumindest eingeläutet haben.

  • Landtagswahlen überschattet vom Streit um Migration und den Konsequenzen aus Solingen

    Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche Liebe Leserinnen und Leser, in unserem Wochenkommentar blicken wir voraus auf die morgigen Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen, bewerten die möglichen Folgen für die Ampelkoalition und analysieren deren Reaktion auf das Attentat von Solingen. Dazu gehört die Sorge vor einer weiterhin nahezu unkontrollierten Migration und auch die geplante Änderung des Waffenrechts inklusive eines weitgehenden Verbots, Messer mit sich zu führen. Für weiteren Unmut sorgen der Umgang mit Wölfen und der Entwurf für ein neues Waldgesetz. An diesem Wochenende sind Thüringen und Sachsen bundesweit im Zentrum des politischen Interesses. Die meisten blicken mit Sorge, andere voller Erwartung auf den Ausgang der dortigen Landtagswahlen. Es steht viel auf dem Spiel, nicht nur die Zusammensetzung der jeweiligen Parlamente und dann anschließend auch der Landesregierungen. Das alleine wäre an sich schon genug, um eine große Aufmerksamkeit zu erklären. Doch der Ausgang der Wahlen ist auch ein sehr wichtiger Indikator für die Stimmung im Lande und insbesondere auch für das Ansehen sowie den Zusammenhalt der Ampel-Regierung in Berlin. Deren Koalitionsparteien drohen morgen in Thüringen und Sachsen empfindliche Einbußen bis hin zu einem teilweisen Scheitern an der Fünf-Prozent-Klausel. So sieht das gestrige ZDF-Politbarometer Extra die AfD in Thüringen bei 30 Prozent, die CDU würde danach 23 Prozent, das BSW 17, die Linke 14 und die SPD sechs Prozent erhalten. Die Grünen und alle anderen Parteien würden an der Fünf-Prozent-Klausel scheitern. In  Sachsen sind die Zahlen für die demokratischen Parteien etwas positiver, aber ebenfalls problematisch: CDU 33 Prozent, AfD wie in Thüringen 30, SPD sieben, Grüne sechs und BSW elf Prozent. Falls sich dieses Stimmungsbild am Wahltag bestätigt, ist mit schwierigen Regierungsbildungen zu rechnen , da alle demokratischen Parteien eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen haben. So hätte in Thüringen nur ein Zusammengehen von CDU, BSW und SPD eine knappe Mehrheit. In Sachsen könnte es eine Fortsetzung der Regierung aus CDU, Grünen und SPD geben. Auch eine knappe Mehrheit für ein Bündnis von CDU und BSW wäre möglich. So oder so, die Lage in Thüringen und Sachsen ist heikel und die Stimmung aufgeheizt. Am Montag werden wir uns in unserem Blog in einer ersten Analyse mit den Ergebnissen befassen. Bei einem für sie schlechten Ergebnis wird auch die Ampelkoalition im Bund in noch schwierigere Fahrwasser kommen. Die Liste der Klippen und Untiefen ist ohnehin lang. Die größte und gefährlichste bleibt auch in diesen Tagen das Thema Migration, das durch den fürchterlichen Messeranschlag in Solingen wieder einmal für heftige Aufregung sorgt. Oppositionsführer Friedrich Merz sprach jüngst davon, dem Kanzler entgleite das Land. Ob man sich diese zugespitzte Formulierung nun zu eigen machen möchte oder nicht: Klar dürfte sein,  dass viele Bürger aktuell einen gefährlichen Kontrollverlust des Staates empfinden . So etwas schürt Ängste und spielt politischen Ideologen in die Hände – siehe die Wahlkämpfe in Thüringen und Sachsen. Viele praktische Hürden Ob die jetzt von der Ampelkoalition geplanten Verschärfungen der Asyl- und Abschiebepraxis tatsächlich eine Wende bringen können, ist fraglich. Dafür sind die Zahlen mittlerweile einfach zu hoch. Viele praktische Hürden lassen sich nicht einfach über Nacht beseitigen. Nur ein Beispiel: So betonte jetzt der Deutsche Richterbund, dass man 500 zusätzliche Verwaltungsrichter brauche, um Asylklagen wie von der Politik gewünscht innerhalb weniger Monate abzuschließen. Und in den Staatsanwaltschaften würden bundesweit inzwischen rund 2000 Ermittler fehlen. Kurzum, es wird höchste Zeit für ein parteiübergreifendes und mutiges Vorgehen zugunsten von mehr innerer Sicherheit. Bei diesem ebenso existenziellen wie sensiblen Thema sollten alle demokratischen Kräfte in Deutschland an einem Strang ziehen. Im Bund, in den Ländern und nicht zuletzt in den Kommunen. Vermeintliche Patentrezepte führen in aller Regel nicht weiter. Dazu gehört auch das angesichts der Ereignisse in Solingen immer wieder geforderte und jetzt von der Koalition vorgesehene weitgehende Verbot, Messer mit sich zu führen – eine Maßnahme, die nicht zuletzt gesetzestreue Bürger wie zum Beispiel Jäger, Angler und Mitglieder von Traditionsvereinen treffen würde. Dagegen dürften sich potenzielle Attentäter gewiss nicht von einem solchen Verbot beeindrucken oder gar abschrecken lassen. Denn natürlich ist nicht das Messer das eigentliche Problem, sondern der wirre Kopf des Attentäters. Wer andere Menschen unbedingt wahllos und bestialisch töten will, kann dies leider auf vielfältige Weise tun. Nicht alle möglichen „Waffen“ lassen sich verbieten. Sonst müsste man neben Schusswaffen und Messern beispielsweise auch alle Autos und Lastkraftwagen aus dem Verkehr ziehen – eine absurde Vorstellung. In Deutschland dreht sich vieles zu lange im Kreis. Beispielhaft hierfür steht auch ein Thema, das im ländlichen Raum viele Menschen bewegt und in städtischen Regionen – wenn überhaupt – politisch nur unter ferner liefen läuft: der Umgang mit der zunehmenden Zahl von Wölfen . Nutztierhalter beklagen seit langem zunehmende Risse etwa von Schafen. Und mancherorts sorgen sich Eltern um ihre Kinder, die draußen nah am Wald spielen wollen. Die Politik hat immer wieder Verbesserungen versprochen, aber wie auch in anderen Politikbereichen wirkt hier alles festgefahren. So hat das Bundesumweltministerium zwar gemeinsam mit den Ländern neue Regelungen für Schnellabschlüsse verabredet. Aber in meiner Heimat Niedersachsen sind sie vor Verwaltungsgerichten gescheitert. Und auch bundesweit ist es zuletzt nicht mehr gelungen, einen Wolf, der mehrfach Nutztiere angegriffen hat, rechtssicher zu töten. Bei den Bürgern im ländlichen Raum verfestigt sich der Eindruck: Die Politik redet nur, aber handelt nicht. Derweil wird das Problem immer größer. Nach Angaben der Landesjägerschaft wurden allein in Niedersachsen inzwischen 56 Wolfsrudel nachgewiesen, außerdem gebe es aktuell drei Wolfspaare und zwei ständig in Niedersachsen lebende Einzelwölfe. Minister verbreitet Optimismus Gleichwohl versucht der zuständige niedersächsische Landesumweltminister Christian Meyer Optimismus zu verbreiten. Das Schnellabschlussverfahren könne weiter angewendet werden. Doch sei deutlich geworden, dass viele der zuletzt angedachten Vereinfachungen inzwischen vom Tisch seien. Die ersten Urteile hätten gezeigt, dass doch deutlich individueller begründet werden müsse, warum ein Wolf getötet werden solle, als es zunächst angedacht war, so der Grünen-Minister bei einem Treffen des Dialogforums Wolf. In dem Gremium tauschen sich Land, Kommunen, Naturschutzverbände sowie Landwirte über den Umgang mit dem Wolf aus. Niedersachsens CDU-Oppositionsführer Sebastian Lechner bringt die Situation derweil so auf den Punkt: „Längst ist deutlich geworden, dass die angeblichen Schnellabschlüsse nichts anderes als weitere grüne Nebelkerzen waren.“ Leider scheint Lechner mit dieser Diagnose richtig zu liegen. Zum Schluss lassen Sie mich noch auf ein Thema kommen, das mein Kollege Jost Springensguth bereits in der vorigen Woche in seinem Newsletter angesprochen hat: die Bemühungen um ein neues Waldgesetz . Aktuell berät die Bundesregierung nun über einen zweiten Anlauf, nachdem Landwirtschaftsminister Cem Özdemir mit seinem im vergangenen Herbst präsentierten ersten Entwurf praktisch gescheitert war. Doch auch die neue Operation gestaltet sich schwierig , wie die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch ausführlich berichtete. Der Widerstand ist groß. Auch der neue Entwurf mache ihnen das Leben nur unnötig schwer, kritisiert Max von Elverfeldt, Bundesvorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst. Und der Waldbauernverband Nordrhein-Westfalen e.V. teilte jüngst mit, dass die Kampagne „Finger weg vom Bundeswaldgesetz“ ein großer Erfolg sei. Mehr als drei Millionen Menschen hätten bisher die Kampagnen-Posts und Videos in den sozialen Netzwerken erreicht. Und auch in der Politik, bei Medien und Umweltverbänden kämen die Botschaften an. Viele Unterstützer hätten bereits Fotos, Videos und Statements veröffentlicht, um sich gegen Bürokratie und praxisferne Vorgaben einzusetzen. Man darf daher gespannt sein, ob die Ampelkoalition trotz aller Widerstände den neuen Entwurf auf Biegen und Brechen durchsetzt, oder ob sie sich nicht noch lieber anderen und drängenderen Aufgaben zuwendet. Die gibt es reichlich – siehe oben. Ihnen, liebe Leser und Leserinnen, wünsche ich eine gute, positive Woche und verbleibe mit den besten Grüßen Ihr Jürgen Wermser Redaktionsleitung/Koordination

  • Wem gehören die Agrarflächen in Deutschland?

    Das Thünen-Institut in Braunschweig hat in einer aufwändigen Studie die Eigentümer landwirtschaftlicher Flächen in Deutschland ermittelt. Bestimmte Befürchtungen bewahrheiten sich dabei nicht Wem gehören die landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland und wie ist deren Eigentum verteilt? Und stimmt die Vermutung, dass große Finanz- und Versicherungsunternehmen Agrarland in Deutschland aufkaufen? Antworten auf diese und weitere Fragen bietet eine aktuelle Studie des Thünen-Instituts in Braunschweig, betrieben im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. In einer methodisch komplizierten und statistisch aufwändigen Untersuchung haben die Wissenschaftler Andreas Tietz und Lena Hubertus stichprobenartig Grundbuchdaten aus den Liegenschaftskatastern von 388 Gemeinden ausgewertet. Auf der Basis von vier Prozent der Landwirtschaftsflächen in elf Bundesländern haben sie die Angaben auf ganz Deutschland hochgerechnet. Die knapp 100 Seiten umfassende, ausgefeilte Studie lässt sich hier kostenlos herunterladen und nachlesen: Thünen-Report 116 . Knapp 80 Prozent gehören natürlichen Personen Man muss dabei eine Schneise durch den Dschungel von Zahlenangaben schlagen, um die interessantesten Ergebnisse zu erfahren. 79,7 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen gehören demnach natürlichen Personen, die im Durchschnitt 62 Jahre alt und überwiegend männlich sind. 8,9 Prozent sind privaten Unternehmen zugeordnet, etwa Genossenschaften oder GmbHs. Der überwiegende Anteil davon entfällt auf Ostdeutschland. 11,4 Prozent gehören der öffentlichen Hand. Darunter sind die Kommunen mit 3,8 Prozent, die Bundesländer mit 2,9 Prozent und die Kirchen mit 2,3 Prozent; der Rest entfällt auf Verbände oder Stiftungen (1 Prozent), den Bund (0,6 Prozent) und mit 0,5 Prozent auf die BVVG, das ist die bundeseigene Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft, eine Nachfolgeorganisation der Treuhandanstalt. Naturschutzverbände, -vereine oder -stiftungen kommen auf einen Anteil von 0,4 Prozent. Ganz überwiegend ist die Agrarfläche weniger als zehn Kilometer vom Wohn- oder Unternehmenssitz entfernt. In Ostdeutschland sind es weniger Familienbetriebe und mehr Unternehmen Die größten Landeigentümer in einem Bundesland sind meistens das Land selbst und einzelne Kommunen – in den ostdeutschen Bundesländern aber auch landwirtschaftliche Unternehmen. Überhaupt zeigen sich große Unterschiede zwischen dem Osten und Westen Deutschlands: In den östlichen Bundesländern zählen meistens Genossenschaften oder GmbHs zu den Eigentümern von Landwirtschaftsfläche, weniger Familienbetriebe. Die Unternehmen sind im Durchschnitt Eigentümer einer wesentlich größeren Fläche. Dies führt dazu, dass die Agrarflächen im Osten deutlich ungleicher verteilt sind. Ein Grund für die Abweichungen sind die Enteignungen von Großbetrieben nach 1945 und die Privatisierung ehemals volkseigener Landwirtschaftsfläche nach 1989. 2,3 Millionen Menschen verfügen über mehr als einen halben Hektar Agrarfläche Insgesamt verfügen 2,3 Millionen Menschen in Deutschland über ein Eigentum von mehr als einem halben Hektar Landwirtschaftsfläche, was rund 2,7 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Nimmt man noch alle dazu, denen eine kleinere Fläche gehört, sind laut Studie sogar 5,9 Millionen Männer und Frauen als Eigentümer registriert. Das entspricht bei einer Bevölkerungszahl von 84 Millionen Menschen in Deutschland einem Anteil von rund sieben Prozent. Bemerkenswert ist, dass die meisten privaten Eigentümer von Agrarflächen nicht mehr selbst in der Landwirtschaft aktiv sind: 83 Prozent der Haushalte haben ihre Flächen verpachtet, sofern sie ihr Land nicht anders nutzen. Die meisten Eigentümer von Landwirtschaftsfläche stammen jedoch von Vorfahren ab, die eine, zwei oder drei Generationen zuvor noch selbst als Bauern tätig waren. Jetzt wird das Land vererbt, verpachtet, aber selten verkauft – und wenn, dann für andere Zwecke, etwa als Bauland. Empfehlung: Konzentration von Eigentum beobachten Im Hinblick auf eine Konzentration von Landeigentum, die zu einer übergroßen Marktmacht führt, geben die Autoren der Studie Entwarnung. Zwar gebe es Befürchtungen, dass Landeigentümer zu groß werden könnten. Und die dann, wenn sie selbst in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, ihre Geschäftsanteile verkaufen an ausländische oder andere Investoren, die nicht im Sinne des Allgemeinwohls handelten. Bisher entbehre diese Befürchtung allerdings jeder empirischen Grundlage. An anderer Stelle heißt es: „Für die häufig geäußerte Vermutung, dass überregionale Finanz- und Versicherungsunternehmen Agrarland in Deutschland aufkaufen, bietet diese Untersuchung keinen Anhaltspunkt.“ Dennoch empfehlen die Autoren, mögliche Tendenzen einer Konzentration von Eigentum zu beobachten, „da Boden eine nicht vermehrbare Ressource ist, deren Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll“. Für diese Beobachtung sollten nach ihrer Ansicht geeignete Datengrundlagen geschaffen werden.

  • Für die Grünen ist die CDU ein manchmal notwendiges Übel

    Grüne erklären die CDU im Bund für „koalitionswürdig“. Wenn plötzlich diese schwarz-grüne Melodie aus Berlin zu vernehmen ist, weiß man: Es geht den Grünen sehr schlecht Wir erleben einen neuen, am Machterhalt orientierten Pragmatismus der Öko-Partei. Es ist noch keine drei Jahre her, dass die Grünen nur ein Ziel kannten: die Verbannung der CDU/CSU im Bund auf die harten Oppositionsbänke – zum Wohle des Landes. Die Zeiten ändern sich. Plötzlich senden die Grünen ganz andere Signale aus. Sie wollen die Ampel abschalten. Schwarz und Grün sollen die Farben der neuen Saison sein. Das ist auf den ersten Blick nicht verwunderlich. Denn die rot-grün-gelbe „Übergangsregierung“ schleppt sich unter dem Motto „Wir haben fertig“ mit letzter Kraft durch den Regierungsalltag. Da kommt kaum noch Freude auf. Wenn’s um die Macht geht, sind fast alle Grünen „Realos“ Was noch wichtiger ist: Grüne und Schwarze sitzen zurzeit in fünf der 16 Landesregierungen gemeinsam am Kabinettstisch. Zudem arbeiten sie in zahllosen Kommunen und Kreisen zusammen. Freilich hat dort die Suche nach pragmatischen Lösungen häufig Vorrang vor ideologischen Beckmessereien. Gleichwohl wäre es falsch, den Grünen eine gewisse Sympathie für die Union zu unterstellen. In einem Punkt sind nämlich fast alle Grünen „Realos“: Wer ihnen zur Macht verhilft, ist willkommen. Das schließt die Linke alias PDS alias SED schon seit den frühen 1990er-Jahren ein. Im Grund ist die Union aus grüner Perspektive eher ein notwendiges Übel, sicherlich kein Wunschpartner. Annäherungsversuche wie in der schwarz-grünen „Pizza-Connection“ zu Bonner Zeiten führten zum Abbau gewisser Vorurteile auf beiden Seiten, zu mehr nicht. Rot-Grün genießt stets Priorität Die Grünen sind von ihrer Programmatik her eine Partei links der Mitte. Das gilt in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ebenso wie in der Gesellschaftspolitik. Eine gewisse Staatsgläubigkeit durchzieht Programm wie Praxis. Beim Herzensanliegen der Grünen, der Klimapolitik, wird Letzteres besonders deutlich. Deshalb genießt Rot-Grün beziehungsweise Grün-Rot in der Öko-Partei stets Priorität. Wenn nötig, nimmt man dann noch die FDP oder die Linke dazu. Aus grüner Sicht ist jede dieser Konstellationen besser als eine unter Beteiligung der CDU. In den Ländern gab und gibt es mehrere Zweier-Koalitionen unter Beteiligung der beiden Parteien, die ersten in Hamburg und Hessen. Das Hamburger Experiment endete 2011 nach nur drei Jahren durch den Auszug der Grünen aus der Regierung. In Hessen zog Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) nach der Landtagswahl 2023 eine Große Koalition mit der SPD der Fortsetzung der seit 2013 regierenden schwarz-grünen Koalition vor. In Baden-Württemberg regieren beide Parteien seit 2016 zusammen, unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann . Die CDU macht jedoch keinen Hehl aus ihrer Absicht, nach der Landtagswahl im Frühjahr 2026 sich einen anderen Koalitionspartner zu suchen. Dann wäre es ebenfalls nach zehn Jahren vorbei mit der Partnerschaft. Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg: Es waren nie Wunschkoalitionen Diese Regierungen waren keine Wunschkoalitionen. Im Hamburg kam für die CDU 2008 eine Große Koalition mit der damals völlig abgewirtschafteten SPD nicht in Frage. Also blieb nur Schwarz-Grün, ungeachtet vieler Bedenken auf Seiten der Grünen. Das Bündnis machte bald mehr durch internen Streit von sich reden als durch eine erfolgreiche Politik. In Hessen war die Ausgangslage nach der Landtagswahl 2013 schwierig. Für die von SPD und Grünen angestrebte rot-grüne Koalition reichte es bei weitem nicht. Zudem verzockte sich die SPD bei diversen Versuchen, eine rot-grüne Minderheitsregierung zustande zu bringen oder Juniorpartner bei Schwarz-Rot zu werden. So kam es zu einer schwarz-grünen Vernunftehe, die 2018 vom Wähler bestätigt wurde, wenn auch mit einem schwachen Ergebnis der CDU. Doch innerhalb der Koalition kriselte es zunehmend, nicht zuletzt bei den Themen Zuwanderung, innere Sicherheit und Verkehr. Ohne CDU ist immer besser als mit der CDU Die Grünen wollten vor der Landtagswahl im Oktober 2023 zu neuen Ufern aufbrechen – mit einem grünen Ministerpräsidenten und ohne die CDU. Doch am Wahltag gab es ein böses Erwachen. Die Wähler straften die Grünen – auch in Hessen – für ihre Politik in Berlin ab. Das Ergebnis: Die Grünen landeten auf Platz vier – hinter CDU, AfD und SPD. Und begannen alsbald laut darüber zu klagen, wie unfair die CDU sie doch behandle. Dabei haben die hessischen Grünen beispielsweise bei Oberbürgermeisterwahlen sich im Zweifelsfall mit der SPD verbündet, um einen CDU-Erfolg zu verhindern. Die Strategie ist klar: Ohne CDU ist immer besser als mit der CDU. In Baden-Württemberg war die 2016 gebildete grün-schwarze Regierung ebenfalls keine Liebesheirat. Die Grünen waren zum ersten Mal stärkste Partei geworden. Ihr bisheriger Koalitionspartner SPD war aber ebenso wie die FDP nicht zu einem Dreier-Bündnis bereit. So blieb nur noch Grün-Schwarz. Diese Regierung lebte und lebt von der guten Zusammenarbeit zwischen dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und dem schwarzen Innenminister Thomas Strobl. Kretschmann musste Fortsetzung von Schwarz-Grün erzwingen Kretschmanns Partei hingegen hätte der CDU nach der Landtagswahl 2021 am liebsten den Stuhl vor die Tür gestellt. Der Landesvorstand der Grünen plädierte für eine Ampel mit SPD und FDP. Kretschmann indes beharrte auf seinem Kurs. Vor die Wahl gestellt, auf den populären Regierungschef zu verzichten oder den Koalitionspartner CDU weiterhin akzeptieren zu müssen, gab die Partei klein bei. Man darf vermuten: mit der Faust in der Tasche. In Nordrhein-Westfalen war seit 2017 eine schwarz-gelbe Koalition an der Macht. Bei den Wahlen 2022 legte die CDU zu, die FDP verlor kräftig; die CDU/FDP-Mehrheit war dahin. Die Grünen waren schnell bereit, sich mit der CDU einzulassen. Denn für eine Wiederauflage von Rot-Grün hätte es nicht gereicht. Rechnerisch wäre eine Ampel möglich gewesen. Doch dazu war die FDP nicht bereit. Koalitionen aus der Not geboren Neben NRW und Baden-Württemberg ist Schleswig-Holstein das dritte Zweierbündnis dieser Art. Es bildet insofern einen Sonderfall, weil 2022 Schwarz-Gelb möglich gewesen. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zog allerdings die Grünen den Liberalen vor. Die nahmen diese Offerte gerne an. Dass Günther mit dieser Konstellation zugleich sein Image als „fortschrittlicher“ Unionspolitiker pflegen wollte, brauchte die Grünen nicht zu stören. Aktuell gibt es auf Länderebene noch zwei Dreier-Bündnisse, denen neben der SPD auch CDU und Grüne angehören. In Brandenburg stellt die SPD den Regierungschef, in Sachsen die CDU. Diese Koalitionen wurden aus der Not geboren. Denn angesichts der Stärke der AfD war keine andere Mehrheit unter Ausschluss der Rechtsaußenpartei möglich. Auch hier knirscht es gewaltig zwischen CDU und Grünen. Es steht schlecht um die Grünen Wenn aus Berlin nun die schwarz-grüne Melodie zu vernehmen ist, weiß man: Es geht den Grünen sehr schlecht. Eine Neuauflage der Ampel erscheint – von politischen Wundern einmal abgesehen – ausgeschlossen. Dann eben halt doch besser mit der CDU regieren als gar nicht regieren? Da erinnern die Grünen an Nichten und Neffen, die die eigentlich unausstehliche Tante plötzlich hofieren. Schließlich möchte man ja im Testament ordentlich bedacht werden. Wenn Grüne die CDU nunmehr im Bund für „koalitionswürdig“ erklären, zeugt das von einem am Machterhalt orientierten Pragmatismus. Der ist nicht an sich verwerflich. Mit der reinen Lehre kommt man in der Politik bekanntlich nicht allzu weit. Dabei kalkulieren die Grünen kühl ein, dass Avancen in Richtung CDU für die Union kontraproduktiv sind. Die Grünen lösen bei den Wählern – nach der AfD – die heftigsten negativen Reaktionen aus, nicht zuletzt in bürgerlichen Kreisen, also der CDU-Klientel. Seriöse „Eheanbahnung“ geht anders Die Union sitzt deshalb in der „Grünen-Falle“. Eine Mehrheit der Wähler lehnt die Grünen samt ihrer Belehrungs- und Verbotspolitik entschieden ab. Doch von der Ampel Enttäuschte wechseln nicht automatisch zur CDU. Wer die Grünen partout nicht in der Regierung sehen will, ist folglich auch gegen Schwarz-Grün. Niemand weiß, ob die Ampel bis zum Wahltag am 28. September 2025 durchhält. Da kann es aus grüner Perspektive nicht schaden, laut über andere Koalitionsoptionen nachzudenken. Gegen den hübschen Nebeneffekt, der CDU damit bei ihren potenziellen Wählern zu schaden, haben die Grünen sicher nichts einzuwenden. Nur: Seriöse „Eheanbahnung“ geht anders. Unser Gastautor Dr. Hugo Müller-Vogg, ehemaliger F.A.Z.-Herausgeber, zählt zu den erfahrenen Beobachtern des Berliner Politikbetriebes. Als Publizist und Autor zahlreicher Bücher analysiert und kommentiert er Politik und Gesellschaft. www.hugo-mueller-vogg.de und www.facebook.com/mueller-vogg

  • Zur Witzfigur verkommen – wie Klischees bedient werden

    Von der Antike bis zur Urbanisierung, von der höfischen Angelegenheit zu aktuellen gesellschaftlichen Konflikten: Jagd und Jäger, Wild und Wald im Spiegel der Literatur im jeweiligen Zeitgeist und der Wirklichkeit. Eine Serie für „ natur + mensch “ Teil 1 , Teil 2  und Teil 3 unserer Serie Wer Jagd vermitteln will, muss rational, reflektiert sprechen. Daraus resultiert die Aufgabe, tief empfundene Emotionen zum Wort zu verhelfen, sie also aus der Irrationalität zu lösen, zu erklären und dadurch nachvollziehbar zu machen. Das aber ist bis heute für viele Jäger schwer. Sie kennen das von Novalis formulierte empathische Empfinden, ein tiefes Gefühl, das weit über das nüchtern Handwerkliche hinausgeht und eben nicht nur rein verstandesmäßig erklär- und vermittelbar ist. Außenstehende können das kaum nachvollziehen. Dazu müssen sie nicht einmal Jagdgegner sein. Nicht nur in deren Kreisen wird gefordert, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu novellieren, weil das Waidwerk sich veränderten gesellschaftlichen Bedingungen anpassen müsse. Sie reduzieren Jagd auf eine reine Dienstleistung in einer urban geprägten Umwelt. Deshalb scheint heute nur noch die Gefährdung der Umwelt als schriftstellerisches Natur-Motiv vermittelbar. Nach dem Sündenfall hat der Mensch den Garten Eden verloren. Wer diese Entfremdung überwindet, kann doch nur ein komischer Kauz sein, einer, der nicht in die Zeit passt. Diese Erfahrung musste Ludwig Ganghofer (1855-1920) machen. Er war neben seinem Zeitgenossen Ludwig Thoma die zweite Koryphäe der bayrischen Literaturgeschichte und fand zu seiner Zeit ein breites Lesepublikum. Kitsch seien seine Heimatromane, warfen ihm die Kritiker vor, so wie spätestens seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts das mannigfach kopierte Gemälde des röhrenden Hirsches nur noch als Kitsch wahrgenommen wird. Gleiches gilt für die in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Kino boomenden Heimat-, Jagd- und Försterfilmen, die meist Literaturadaptionen sind. „Er war kein Jäger, mein Freund, aber was sich ihm so ab und zu von all dem schönen Leben zwischen Wald und Felsen erzählte, machte ihn lüstern, und da war es einer seiner Lieblingswünsche, einmal einen Hirsch ‚schreien‘ zu hören.“ So leitet Ganghofer seine kurze Erzählung „Hirschbrunft“ ein. Selbst für den Jäger ist das Leben im Revier nur noch ein Ausflug. Denn nach erfolgreicher Jagd muss auch er das Terrain wieder verlassen, „um der Stadt entgegenzureisen“. Das Waidwerk ist zum Hobby, zu Freizeitbeschäftigung und Flucht vor dem „eigentlichen Leben“ geworden. Jagd als beliebige Kulisse in Kriminalromanen In diesem eigentlichen Leben funktionieren Jagd und Natur noch als beliebige Kulisse für Kriminalromane – häufig Regionalkrimis wie Jacques Berndorfs 1998 erschienene „Eifel-Jagd“. Für die Mehrheitsgesellschaft hat sie oft einen exotischen Charakter. Oder Jagd dient der Persiflage sowie als Motiv für Sozialkritik an reichen, moralisch zweifelhaften Männern, die gemeinsam beim Waidwerken Ränke schmieden und Geschäfte machen. Es werden Klischees bedient. Diese Entfremdung hat auch die ländlichen Regionen erreicht, die längst von Stadtmenschen bewohnt sind. Wer das Töten von Tieren ablehnt, dem erscheint Jagd obszön und der beschimpft Jäger als Mörder. Nicht nur zur Reiz-, sondern sogar zur senilen Witzfigur ist der Jäger in der filmischen Satire „Halali oder Der Schuss ins Brötchen“ verkommen. Da stehen sich zwei Parallelgesellschaften gegenüber, die nichts mehr gemein haben. Moderne Jagdliteratur abseits der breiten Öffentlichkeit Häufig mischen sich Sozialkritik und tierethische Diskussionen. Selbst Jäger erliegen diesem Trend. Frühes Beispiel für diese Entwicklung ist Ernst Jüngers 1952 veröffentlichte Kurzgeschichte „Die Eberjagd“. Ganz im Sinne der heutigen Jagdgegner wandelt sich darin die jugendliche Hauptfigur Richard vom Saulus zum Paulus. Der 16-Jährige steht während einer Drückjagd ohne Büchse neben seinem Kameraden auf einer Lichtung. Er ist enttäuscht, denn er darf noch keine Waffe führen. Sein Kamerad hingegen erlegt einen Keiler. Während die Jagdgesellschaft ihm zur Erlegung gratuliert, heißt es von Richard: „Das grobe Geschrei bedrückte ihn. Und wieder schien ihm, dass ihnen der Eber hoch überlegen war.“ Am Ende schläft Richard erstmals ein, „ohne an das Gewehr gedacht zu haben. Dafür trat nun der Eber in seinen Traum.“ Da wandelt sich jemand zu einem Heiligen Hubertus, der noch gar nicht gejagt hat. Neben Erlebnisberichten als eng begrenzte Spartenliteratur gibt es fiktionale Jagdliteratur seither allenfalls noch in esoterischen Nischen, nicht aber als Bestandteil des anerkannten Kulturbetriebs. Der amerikanische Literaturwissenschaftlicher Prof. Dr. John A. McCarthy kommt zu dem Fazit: „Zwar haben Heinrich Schneider mit seinem Bestseller ‚Der Forstaufseher Moosbichler‘ (1960) Goede Gendrich (eigentlich Ludwig Dörbandt) mit etlichen Werken, darunter ‚Mit den Augen eines Jägers. Erlebtes und Erlauschtes‘ (1992), und die Initiative schreibender Jäger mit dem schönen Sammelband ‚Mit grüner Feder. Jäger von heute erzählen‘ (1998) an alte Traditionen angeknüpft. Und immerhin erhält man Anregungen durch den Dichterkreis Jagdlyrik im BJV, der 2011 ins Leben gerufen worden ist. Alle solche Unternehmen sich beachtenswert. Doch finden sie weder in der breiten Öffentlichkeit noch in der Literaturwissenschaft Resonanz.“ Teil 1 , Teil 2  und Teil 3  unserer Serie

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