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AutorenbildJost Springensguth

Zwischen Verkehrskrise und Waldgesetz: Herausforderungen für den ländlichen Raum

Gedanken, Anmerkungen und Beobachtungen mit dem Blick aufs Land und zurück auf diese Woche


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Liebe Leserin, lieber Leser,


in unserem kommentierenden Wochenrückblick geht es beim Blick auf den ländlichen Raum nicht ohne das, was sich aktuell in der Politik tut. Wir erinnern uns an die Bauernproteste und fragen natürlich jetzt nach der Haushaltseinigung in der Ampel, wie viel Spielraum für die Erfüllung berechtigter Forderungen bleibt. So richtig handlungsfähig erscheint die Koalition dem Beobachter nicht mehr. Mit einer Ausnahme: Am Waldgesetz wird weitergearbeitet. Der zweite Referentenentwurf liegt vor und löst natürlich wieder kritische Reaktionen aus.


Auf dem Berliner Parkett nimmt der Betrieb wieder Fahrt auf: Rückkehr aus den Sommerferien. Im Spiegel der Medien und entsprechenden Schlagzeilen bzw. Zitaten zum Zustand der Ampel war das gefühlt keine politische Pause. Irgendwie muss sich der Bundeskanzler als Entscheider in der Vorwoche virtuell beteiligt haben, als das Haushaltsloch nach Lindners Rückzieher auf andere Art als vor den Ferien geplant zu stopfen war. Das war eher so etwas wie Kunststopfen. Jedenfalls offiziell hat Olaf Scholz in dieser Woche seine ersten Amtstermine nach den Ferien absolviert. Da war zunächst der Besuch eines Volksfestes mit ländlichem Flair, dem Stoppelmarkt in Vechta: Für seine Rede dort habe ihm, so sagte Scholz, sein Partei-Co-Vorsitzender Klingbeil mit auf den Weg gegeben „Olaf, Du musst lustig sein“. Und dann zitierte er in seiner Stoppelmarkt-Rede einen Landwirtschaftspolitiker aus seiner Fraktion zu seinem Ausflug ins Oldenburger Münsterland: „Die Landwirte haben Dich mit Treckern besucht, jetzt planst Du wohl einen Gegenbesuch in Vechta.“ Da war er am Montag wirklich „mittendrin“, wenn es um die Bauern geht. Und deren Stimmung hat sich in dieser Woche keineswegs aufgehellt. So beklagte Bauernpräsident Joachim Rukwied eine aktuell deutlich schlechtere Getreideernte. Auszugehen sei von einer Menge von 39,3 Millionen Tonnen gegenüber 42 Millionen bei der Ernte 2023. Neben extrem nassem Wetter und fehlender Sonne seien dafür auch „verfehlte gesetzgeberische Vorgaben" verantwortlich, kritisierte Rukwied. So dürfte es nicht sein, dass Qualitätsweizen nachgefragt werde, die Landwirte aber aufgrund immer neuer Vorschriften etwa bei der Düngung nur noch Futterweizen erzeugen könnten.


Mit der Stoppelmarkt-Rede des Kanzlers war's das dann wohl für diese Woche mit dem Spaß in der Politik. Den hat den Regierenden weniger die Opposition verdorben als Beiträge aus dem eigenen Ampel-Lager. Der Rede in Vechta folgte im benachbarten Bremen die Teilnahme an einer Einbürgerungsfeier für diejenigen, die in der Hansestadt in den letzten Monaten die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben. Am Mittwoch flimmerten dann die Bilder von der ersten Kabinettssitzung in Tagesschau und Heute über die Bildschirme. Und das mit dem Eindruck dokumentierter Harmonie in diesem Moment. So, als ob nichts gewesen sei. In den Berichten wurde allerdings nicht ausgeblendet, was sich da vorher abgespielt hatte.


Da war der Grünen Co-Chef Omid Nouripour. Er hatte die eigene Regierung als „Übergangskoalition nach der Ära Merkel“ bezeichnet. Das ist wohl für ihn inzwischen aus der Koalition mit ihrem zu Beginn hoffnungsvollen oder auch vielversprechenden Vertrags-Label „Fortschritt wagen“ geworden. Wir erinnern uns: Zum Ende der zitierten Ära Merkel gab es überwiegend Stimmen, wie überdrüssig man der großen Koalition zu zweit sei. Jetzt bestätigt sich langsam die Fehleinschätzung zu der damals weit verbreitet irrigen Meinung, zu dritt wäre alles einfacher. Da war weiter Robert Habeck, der sich anschickt, für die Grünen bei anhaltend zwölf Prozent in den Sonntagsfragen, die großen Stiefel als Kanzlerkandidat anzuziehen. Er steuerte als seinen Beitrag zum Koalitionsklima diese Bestätigung bei: „Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister werden.“ Und Lindner hatte zuvor umgekehrt festgestellt, dass er das ebenfalls unter einem Kanzler Habeck nicht werde. Mit dem Ernst der Themenlage hat dieses Geplänkel nicht viel zu tun.


Das sind nicht die Botschaften, die wir uns von einer Regierung wünschen, die handeln müsste. Auch bei den Bürgergesprächen, die der Kanzler absolviert, wird er neben den warnenden Stimmen aus den Verbänden „direkt von unten“ Fragen zur unklaren Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland hören. Oder zur inneren Sicherheit im Lande. Letztlich geht es auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt.


Man mag's vielleicht in Berlin nicht mehr hören, aber dieser Zusammenhalt ist nun einmal besonders in den östlichen Bundesländern nicht nur gefährdet, sondern in Teilen kaum noch existent. Das offensichtlich verbreitete Gefühl, dass die Stimmung vor den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und vor allem Thüringen bereits von einer durchgängigen Protesthaltung geprägt wird, findet keine schlüssigen Antworten. Dabei schlagen die in diesem Blog zugegebenermaßen auch wiederholten Problembeschreibungen offensichtlich durch: Es geht um die Zukunft abgehängter und dünn besiedelter Regionen. Dort, wo Feld und Wald nicht nur die Landschaften, sondern auch die Menschen mit ihrer Abhängigkeit von gegebenen Wirtschaftsstrukturen prägen, wird nach Lösungen gefragt. Es wird einfach nicht geglaubt, dass zum Beispiel das machbar ist, was in Sachsen die SPD-Spitzenkandidatin im Programm erklärt: dass der „Verkehr in ganz Sachsen einfach, bezahlbar und klimafreundlich läuft“. Deshalb braucht es mehr Bus- und Bahn-Verbindungen im ländlichen Raum.


Wie soll das gehen, wenn gleichzeitig durch den abschließenden Haushaltsbeschluss in Berlin die Bahnen in allen Sparten in weitere Nöte gedrängt werden? Am Wochenende wird die bisher kaum wahrgenommene Bahn-Tochter DB-InfraGo bekanntgeben, welche Folgen die so durch den Bund erzwungene Kapitalerhöhung haben wird. Sie betreibt das Schienennetz und die Bahnhöfe, hat alles zu sanieren und erhebt von den Bahnbetreibern entsprechende Gebühren. Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung ist zu erwarten, dass die Trassenpreise bei Fernzügen etwa um zehn Prozent, bei Güterzügen um 15 Prozent und bei S-Bahnen sowie im Regionalverkehr sogar um 23 Prozent (gerundet) steigen. Irgendwie passt da was mit den politischen Zielen nicht mehr zusammen.


Der Verkehr im ländlichen Raum vor schweren Zeiten


Die Folgen sind nicht nur dort ein Thema, wo Landtagswahlkämpfe in den Schlussspurt zum 1. September (Sachsen, Thüringen) gehen, sondern überall, wo öffentlicher Verkehr auch entlegene Regionen versorgen soll. Der grüne Verkehrsminister Oliver Krischer in NRW zeichnet schon Szenarien als Folge der Ampel-Haushaltseinigung auf, indem er bereits droht, dass im Lande viele ÖPNV-Strecken stillgelegt werden müssten. Und in Schleswig-Holstein wird der Regionalverkehr bereits eingeschränkt. Dazu kommt noch, dass die Busunternehmen Alarm schlagen, weil sie durch das Deutschlandticket zusätzliche Belastungen zu stemmen haben und die Kosten für das Personal „durch die Decke gehen“, wie aus dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen zu hören ist. Und bei der Umstellung auf die gewünschte E-Mobilität laufen die Förderungen bei wesentlich höheren Fahrzeugkosten inzwischen aus. Ein Busbetreiber im Norden: „Wir sehen nicht mehr, dass das ohne Angebotskürzungen ausgehen kann.“ Da braut sich also etwas in der gesamten Verkehrsstruktur zusammen, was am Ende mit ungedeckten Schecks der Berliner Haushaltspolitik zusammenhängt.


Waldgesetz: Der zweite Versuch


Im Frühjahr gab es ein nicht vergessenes Aufregerthema: Es ging um die während der Zeit der „Grünen Woche“ bekanntgewordene Überarbeitung des Bundeswaldgesetzes. Ich erinnere mich an eine Diskussionsveranstaltung auf dieser Messe, wo selbst Fachleute nicht zu überzeugen waren, warum es überhaupt zu der von grünen Politikern und zuzuordnenden Ministerialbeamten sowie Organisationen wie dem NABU betriebenen Gesetzesnovelle kommen soll. In unserem Blog hieß damals die Schlagzeile: „Das Waldgesetz, die nächste Kampfansage“.


Die betroffenen Waldeigentümer nannten den zwischen Bundeslandwirtschafts- und Bundesumweltministerium abgestimmten Entwurf eine „allenfalls erste Diskussionsgrundlage mit vielen handwerklichen Mängeln“. „Unsere Mitgliedschaft lehnt den Entwurf in Gänze ab“, sagte Präsident Bitter von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände e.V. und Max von Elverfeld, der Vorsitzende der „Familienbetriebe Land und Forst“, fand in dem Gesetzentwurf mit geplanten neuen Straftatbeständen und Bußgeldvorschriften den „Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber den Forstleuten vor Ort“. Jetzt liegt der zweite Entwurf und damit die zweite Diskussionsgrundlage vor. Sie wird zu weiteren Debatten über die Wald- und Forstpolitik führen.


Beim ersten Blick in die zweite Version sind Änderungen zu erkennen, wonach für den Privatwald angedrohte Sanktionen abgeschwächt wurden. Wir werden die Reaktionen der Verbände bei der weiteren Diskussion natürlich verfolgen. Kritische Töne an den Veränderungen liegen seit dieser Woche bereits vom NABU auf dem Tisch. Er gehört zu den Auslösern der Gesetzesnovelle und beklagt bereits beim zweiten Entwurf „Verwässerungen“. Notwendige Maßnahmen würden in die Freiwilligkeit geschoben. Diese Äußerung allein spricht unserer Auffassung nach für die Änderungen im zweiten Referentenentwurf für ein neues Bundeswaldgesetz – wenn es denn überhaupt sein muss. Sicher ist: Es bleibt immer noch genügend Spielraum für behördliche Eingriffe in die Entscheidungsspielräume privater Waldbesitzer. Zum Beispiel bei der Wahl von Baumarten und dem Verbot größerer Kahlschläge bis hin zum Schutz von „stehendem Totholz“.


Die Sehnsucht nach mehr „Öko“ bleibt klar erkennbar, aber es gibt auch Zugeständnisse an die Vernunft. Beispiel: „Der Wald dient – neben seiner Eigenschaft als Ökosystem und Lebensgrundlage – auch der heimischen Erzeugung und Versorgung mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz. Dies sichert die Rohstoffbasis der heimischen Holzwirtschaft und leistet einen relevanten Beitrag zur Deckung der Inlandsnachfrage nach nachhaltig erzeugtem Holz und trägt über die Speicherung von Kohlenstoff im Holz und insbesondere in langlebigen Holzprodukten zum Klimaschutz bei.“


Sachkundige Jäger dürfte es freuen, dass sogar das Freihalten von Offenland Niederschlag findet und damit „Wald vor Wild“-Ideologien Grenzen setzt. Zumindest ebenso wichtig sind klarere Vorgaben gegen den ausufernden Druck durch Freizeit-Nutzung. Die Ausweisung von Betretungsverboten und Wegegeboten wird erleichtert. Mal sehen, was davon im Gesetzgebungsverfahren Bestand hat.


Noch ein kleiner Hinweis zum Thema Jagd: In unserem Blog finden Sie in dieser Woche den dritten Teil der Serie von Christoph Boll über Jagd und Jäger, Wild und Wald im Spiegel der Literatur im jeweiligen Zeitgeist und der Wirklichkeit. Am Mittwoch erscheint der vierte und letzte Teil, den ich dann wieder zur Lektüre empfehle.


In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein erholsames Wochenende, das vielleicht auch ein wenig Zeit für die Lektüre unserer Beiträge zum Thema natur+mensch zulässt.


Ihr Jost Springensguth

Redaktionsleitung / Koordination

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