Küstenfischerei mitten in großer Krise
- Jürgen Muhl
- 23. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Die Küstenfischerei in schweren Gewässern. Das beschreibt sprichwörtlich die aktuellen Sorgen an der See. Kleine Familienbetriebe mit ihren Kuttern, Handel, Gastronomie und Verbraucher spüren die Auswirkungen

„Angesichts der Krise der Fischerei in der Ostsee, aber auch in Anbetracht der Entwicklungen in der Nordsee, stellt sich die Frage nach einer Langfristperspektive der deutschen Küstenfischerei.“ So beschreibt das Thünen-Institut die Probleme direkt und indirekt Betroffener. Klimawandel, Fangverbote, Brexit, ausufernde Bürokratie, eine überalterte Flotte, Corona-bedingte Absatzprobleme und zunehmende Konkurrenz in der Flächennutzung: Die Küstenfischerei an Nord- und Ostsee stelle sich großen, teils existenzgefährdenden Herausforderungen. Umgekehrt würden viele Menschen gerade mit der Küstenfischerei positive Eigenschaften verbinden; etwa weil sie mit ihrer nachhaltig wirkenden und handwerklichen Tätigkeit frischen, regional gefangenen Fisch aus den Gewässern hole.
Die Auswirkungen sind direkt an der Küste für Händler, Gastronomie und Verbraucher zu spüren sowie auch im Geldbeutel bzw. den Urlaubskassen der Gäste auf den Inseln oder an der Küste von Nord- und Ostsee. Damit inzwischen auch dort, wo der Tourismus seit einigen Jahren ein größerer Wirtschaftsfaktor ist als die Fischerei, die hier über Jahrhunderte betrieben wird.
Beispiel von Gegensätzen: die Insel Sylt
Im und vor dem nördlichsten Fischrestaurant Deutschlands pulsiert das Leben. Und der Umsatz. Bei „Gosch“ in List auf Sylt läuft das Geschäft. Touristen-Ansturm über die Oster-Feiertage. „Jönne“ Gosch, der hier Anfang der 70er-Jahre mit einer Fischbude begann und heute mit einem deutschlandweiten Imperium die Branche anführt, mischt sich fast jeden Tag unter die Gäste und geht keinem Gespräch aus dem Weg. Die großen Sorgen der Fischerei sind ihm nicht fremd, gesprochen aber wird darüber kaum. Bei „Gosch“ wird gefeiert, tagaus tagein.
Wenige hundert Meter weiter, im Hafen von List, herrscht grauer Alltag. Die Fischbestände gehen zurück, was in diesem Jahr besonders die Krabben betrifft. Ein Krabbenbrötchen kostet zwischen sieben und zehn Euro. Auf dem gerade eingelaufenen und in die Jahre gekommenen Kutter sind die Netze nicht einmal halbvoll. So geht es jetzt schon seit mehreren Jahren. Krabben und Heringe sind besonders knapp.
In der größten Krise seit der deutschen Einigung
Die deutsche Küstenfischerei befindet sich in der größten Krise seit der deutschen Einigung. Die verbliebenen Betriebe stehen vor großen Herausforderungen. Der Zustand der Meeresfischerei ist schlecht, Fanggebiete entfallen durch den massiven Ausbau von Offshore-Windparks, die hohen Treibstoffpreise belasten zunehmend, der Nachwuchsmangel ist akut und die Öffentlichkeit nimmt die Fischerei als Stressfaktor für die Meeresumwelt wahr.
Gleichzeitig aber wünscht sich die Gesellschaft eine vitale, zukunftsfähige Küstenfischerei. Sie soll, so heißt es bei der Zukunftskommission Fischerei (ZKF), „nicht nur den Markt mit einem gesunden und vergleichsweise umweltfreundlich erzeugten Lebensmittel versorgen, sondern auch den Tourismus und die kulturelle Identität fördern“. Auf Sylt funktioniert diese Symbiose.
Die Norddeutschen verzehren im bundesweiten Vergleich den meisten Fisch. An der Spitze steht Bremen mit 6,6 Kilogramm vor den Nordlichtern aus Schleswig-Holstein, die rund 6,5 Kilogramm vertilgen. Leicht darunter liegen Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die von der alten Bundesregierung ins Leben gerufene „Zukunftskommission“ hat rund 120 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die größten Sorgen zu lindern. So gibt es Abwrackprämien für die Kutter, dafür sind 20 Millionen Euro vorgesehen.
Für ein Zusatzeinkommen
Die Vorsitzende Ulrike Rodust, eine frühere schleswig-holsteinische SPD-Europaabgeordnete, macht sich inzwischen für ein Zusatzeinkommen der Fischer stark. Diese könnten sich mit neuen Kuttern als Meeresforscher ein Zubrot verdienen, wie sie jetzt in einem Interview mit dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag (sh:z) sagte. Die modernen Kutter seien mit einem Klein-Labor ausgestattet, um auf dem Meer Daten einzusammeln. Der Fischer soll so eine Perspektive in neuer Doppel-Funktion erhalten. Rodust nimmt die Branche in Schutz. Es gebe seit 2013 in der Ostsee keine Überfischung mehr. Die Ostsee sei mittlerweile zwei Grad zu warm für den Hering und den Dorsch, sagt die Politikerin, die mit ihrer Zukunftskommission deshalb an weiteren Lösungen für die Fischerei arbeitet.
Am Ende finden sich die Fischer gleichwohl in einem veränderten Konkurrenzwettbewerb um alte Fischbestände und neue Nutzer der See wie etwa Energiegewinnung, Militär und Zunahme der Schifffahrt mit neuen Abgrenzungen von Nutzungsrechten auf den Seekarten.
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