Immer wieder ein Phänomen: Wenn wilde Tiere in die Zivilisation drängen, gibt es Probleme. Wildschweine in Siedlungen, Gänse in Anlagen oder Marder in Hausdächern sind bekannte Beispiele. An der Küste werden Möwen zur Plage
Auf Deutschlands teuerster Urlaubsinsel gehen Einheimische und Touristen in Deckung. Tausende von Möwen machen Jagd auf Besucher, die sich ein Fischbrötchen, eine Eiswaffel oder ein Crepe gönnen. Die ausufernde Möwenplage hält die Insel, ganz besonders die Stadt Westerland, in den Sommermonaten in Atem. Nicht einmal die von den Rathausfraktionen angestrebte Abwahl des hauptamtlichen Bürgermeisters von Westerland in einem Bürgerentscheid am 29. September beschäftigt die Menschen so intensiv wie die auf Raubzug fliegenden Möwen.
Die Möwenplage hat zu einem Ausmaß geführt, wie es auch ältere Sylter noch nicht erlebt haben. „So viele wie noch nie“, berichtet ein älterer Geschäftsmann aus der Friedrichstraße, durch die täglich bis zu 10.000 Menschen bummeln. Ein Blick nach oben ist ratsam. Im Sturzflug machen sich die Möwen auf ihren Beutezug. Sie reißen mit dem spitzen Schnabel den Menschen alles aus der Hand, was essbar ist. Der Mieterin einer Ferienwohnung in der Innenstadt wurde das in einer verschlossenen Plastikschale abgestellte Abendessen vom Balkon stibitzt.
Bis Mitternacht geben die weißen Vögel keine Ruhe und morgens ab vier Uhr setzt der Weckprozess mit einem ohrenbetäubenden Gekreische ein. Dazu sorgt der Kot für verschmutzte Dächer, Balkone oder Gehwege. Sylt leidet wie keine zweite Nord- oder Ostseeinsel unter den Auswüchsen der Möwenplage. Warum ausgerechnet Sylt? Und warum Westerland? Weil hier eben am meisten Menschen seien, erklärt ein Sylter. Sobald die Urlaubermassen von dannen ziehen, macht sich auch der Großteil der Möwen aus dem Staub.
Abwehrerfolge halten sich in Grenzen
Die Insulaner wehren sich nach Kräften. Aber zumeist ohne Erfolg. Vor zehn Jahren machte sich ein Unbekannter mit einem Luftgewehr ans Werk. Mehrere angeschossene Tiere mussten eingeschläfert werden. Gut zehn Jahre später, im März 2024, hat die dänische Ostseestadt Sonderborg den Abschuss von Möwen erlaubt. Große Erfolge aber werden bis heute nicht gemeldet. Es sei die „letzte Hoffnung“, so heißt es in Sonderborg, um der „schreienden, scheißenden und stehlenden Tiere“ Herr zu werden. Der Abschusstest soll zunächst über zwei Jahre gehen.
Von der Küste in Mecklenburg berichtet die Ostseezeitung von gleichen Vorfällen und anderen Versuchen, der Lage Herr zu werden. Auch in Warnemünde klauen die Vögel, was das Zeug hält. Ein Bar-Besitzer zu dem Lokalblatt: „In den ersten drei Tagen nach der Eröffnung hatten wir 30 Attacken. Die Möwen haben bei uns auf dem Dach gesessen und darauf gewartet, zuschnappen zu können.“ In den Ostsee-Bädern erstatten einzelne Gastronomen den Verlust durch eine neue Portion unter der Voraussetzung, dass die Möwen auf dem betreffenden Gelände des Imbisses oder Eiscafés zu zugeschlagen haben.
Auf Sylt wie auch in anderen Seebädern gab es in den letzten Jahren viele Versuche im Kampf gegen die Möwenplage. So existiert ein Fütterungsverbot, woran sich auch die Masse hält. Die Möwen holen es sich dann eben selbst. Mit aufgespannten Netzen auf den Dächern wollte man den Tieren ihre Nistplätze nehmen. Der Erfolg hält sich in Grenzen. Die Möwen, die neben den Krähen als kluge Tiere gelten, suchen sich ihre Plätze dann woanders. Die gefräßigen Vögel lauern auf den Dächern strandnaher Gebäude. Auch die Attrappe eines riesigen schwarzen Vogeldrachens auf der Sylter Tourismuszentrale hält sie nicht vom Raubzug ab. Schreie von Greifvögeln, die über Lautsprecher ertönen, haben zwar auch die Möwen beeindruckt, aber ebenso auch viele Gäste in ihren Ferienwohnungen. Sie beschwerten sich bei den Ordnungsbehörden.
Wer auf die abseitige Idee kommt, da sollten Jäger ran, so geht das nicht, als Schädlingsbekämpfer schon gar nicht. Allein die Silbermöwe wäre in Schleswig-Holstein vom 1. Oktober bis zum 10. Februar jagdbar. Herings-, Lach-, Mantel- und Sturmmöwen sind nicht in der Liste der jagdbaren Arten. Und in besiedelten und befriedeten Gebieten wäre ohnehin nichts zu machen. Theoretisch könnte die Kommune eine(n) Stadtjäger(in) einsetzen. Der könnte beraten, aber keine Waffe dort in die Hand nehmen. Der Aufschrei der Touristen wäre wohl lauter als die Möwen, wenn jemand meint, das Problem wäre durch Abschüsse zu lösen, wie es die Dänen versuchen.
Und so bleibt wohl alles beim Alten auf Sylt. Viele Urlauber, viele Möwen, hohe Preise. Müssen doch Dächer und Straßen gereinigt werden.
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