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AutorenbildChristoph Boll

Energiewende: Steuerung vom Winde verweht

Aktualisiert: 23. Okt.

Der Ausbau der Windenergie ist nicht nur ein klima- und energiepolitisches Thema, sondern auch ein emotionales. Zu den Folgen eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts NRW


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Foto: katho-kai / pixelio.de

In vielen Städten und Gemeinden des ländlichen Raums wird kräftig für die Akzeptanz der Windräder geworben. Dazu gehören Debatten darüber, ob und wie sie das Landschaftsbild teilweise massiv beeinflussen; Kritiker sagen beeinträchtigen. Vor Ort wird deshalb um Kompromisse gerungen, die von einer möglichst breiten Mehrheit getragen werden. Dieser Möglichkeit sieht sich die Stadt Berleburg jetzt nach einem Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) in Münster beraubt. Sie fürchtet gar einen Wildwuchs beim Ausbau der Windkraft und fordert deshalb in einer an die Bundesregierung um Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) gerichteten Resolution „Steuerungswerkzeuge für Länder und Kommunen zu erhalten und umgehend klare Instrumente für den Übergangszeitraum zu schaffen, statt deren Planungen zu konterkarieren“.


Hintergrund ist eine seit Juni dieses Jahres geltende neue Vorschrift im Landesplanungsgesetz NRW zur Genehmigung von Windkraftanlagen. Demnach dürfen Genehmigungsverfahren für ein Jahr ausgesetzt werden, falls die Anlage nicht in einem Bereich liegt, in dem diese laut Regionalplanentwurf bevorzugt zugelassen werden sollen. Der Kreis Soest machte davon im Fall eines im September vergangenen Jahres gestellten Antrags Gebrauch. Er setzte das Genehmigungsverfahren bis zum Juli 2025 aus. Zu Unrecht, entschied das OVG in dem Eilverfahren. Die Aussetzungsvorschrift nach Landesrecht sei rechtswidrig. Sie verstoße gegen das Bundes-Immissionsschutzgesetz. Dazu muss man wissen, dass Bundesrecht stets Vorrang vor Landesrecht hat. Letztlich aber sei dieser Punkt sogar unerheblich, weil die Voraussetzung für die Aussetzung nicht bestehe, begründeten die Richter des 22. Senats ihre Entscheidung. Denn der beantragte Bau der Einzelanlage erschwere das Regionalplanverfahren nicht und mache es auch nicht unmöglich.


Kritiker: Ausbau der Windenergie wird verzögert


Das forderte geradezu die Kritik der Opposition im Landtag an der NRW-Regierung heraus. Für den FDP-Abgeordneten Dietmar Brockes ist das OVG-Urteil sogar „ein persönlicher Rückschlag für Ministerin Mona Neubaur“ (Bündnis 90/Die Grünen). Sozialdemokrat André Stinka geht gar davon aus, der notwendige Ausbau der Windenergie sei sehenden Auges aufs Spiel gesetzt oder zumindest verzögert worden. Das Parlament werde das Landesplanungsgesetz heilen müssen. Denn das gesprochene Urteil betrifft keineswegs nur einen Einzelfall. Beim OVG waren vielmehr 17 weitere Eilverfahren eingetroffen, bei denen es um die Aussetzungsvorschrift nach Landesrecht geht. Zur Disposition stehen dabei insgesamt 50 Windkraftanlagen im Bereich der Bezirksregierungen Arnsberg und Detmold.


Aus Sicht von Bad Berleburg droht nun in vielen Kommunen „ein Wildwuchs von Windrädern“. „Einerseits die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 26. und 27. September, andererseits die geplanten Änderungen der Bundesregierung im Baugesetzbuch sorgen dafür, dass Länder und Kommunen nun keinerlei Steuerungsmöglichkeiten beim Ausbau von Windenergie haben“, heißt es aus der Stadt, die in einem zweijährigen Planungs- und Dialogprozess unter Beteiligung von Bürgern, Politik sowie Fachanwalt und Fachplaner ein Dutzend Wind-Vorrangzonen ausgewiesen hat mit einer Fläche von 2158 Hektar – das sind mehr als 3000 Fußballplätze, auf denen 120 Windräder stehen sollen.


Länder und Kommunen sorgen sich um Gestaltungsmöglichkeiten


In dem Berleburger Erklärung genannten und vom Stadtrat beschlossenen Papier wird als Ursache für die missliche Lage der Städte und Gemeinden „im Wesentlichen die Bundesgesetzgebung gesehen, welche mit den geplanten gesetzlichen Regelungen den Ländern und Kommunen jegliche Gestaltungsmöglichkeiten nimmt und damit die Akzeptanz vor Ort für den Ausbau der erneuerbaren Energie hochgradig gefährdet“. Gefordert wird deshalb „der Erhalt der Planungshoheit von Land und Kommunen bei der Ausweisung von Gebieten für den Ausbau von Windkraft-, Photovoltaik- und Energiespeicheranlagen.


Außerdem sollen umgehend bundesrechtliche Steuerungsinstrumente für die Übergangszeit geschaffen werden, „bis die Flächenbeitragswerte für Windenergie festgelegt sind, also ein Inkrafttreten der Regionalpläne erfolgt ist“. Abschließend wird gefordert, Haftungsrisiken für Länder und Kommunen auszuschließen, die sich aus Verzögerungen oder Ablehnungen von Genehmigungen für Windkraft- und Solaranlagen ergeben. „Die Entprivilegierung von Projekten, die außerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete errichtet werden sollen, muss so gestaltet sein, dass Länder und Kommunen nicht für eventuelle Schadenersatzansprüche in Millionenhöhe haftbar gemacht werden können“, heißt es in der Resolution.

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