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Die AfD und die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“ in den Dörfern

  • Autorenbild: Frank Polke
    Frank Polke
  • 2. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit

Die AfD bemüht sich, im Jahr 35 der Einheit ihren offen rechtsextremen Kurs in der Öffentlichkeit zu mäßigen. Ein Kurs, der auch in den ländlichen Raum gerade im Osten zielt, könnte noch mehr Erfolg versprechen, aber die Partei auch zerreißen


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Foto: Jerzy Sawluk / pixelio.de
Foto: Jerzy Sawluk / pixelio.de

Beim Gang durch den Bundestag über die Brücke der Spree fällt Besuchern unweigerlich der große Sitzungssaal im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus auf. In Sitzungswochen tagt hier die AfD-Bundestagsfraktion. 151 Abgeordnete sind das, dazu noch viele Mitarbeiter. Ein großer Raum, damit die Fraktion ausreichend Platz findet.


Dort sitzt der Block von mehrheitlich Männern, die auch im Plenarsaal im Reichstag nicht zu übersehen sind. Im Vergleich zur vergangenen Legislaturperiode ist das Auftreten im Ton etwas gemäßigter, bei gleichbleibendem national-populistischen Gedankengut und Inhalt. Die Führung vor allem um Alice Weidel aber ist lernfähig. Sie haben längst erkannt: Der gemäßigte Ton kommt an, Meinungsumfragen sehen im Jahr 35 der deutschen Einheit die AfD in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern deutlich als stärkste Kraft. Allzu schroffes Auftreten stört da, man bemüht sich, das offene rechtsextreme Image etwas abzulegen. Das Ziel ist es, rechts neben der Union als seriöse konservative Kraft einen Platz zu erobern.


Zunehmende Spannungen in der AfD


Prominentes Opfer der gewünschten Häutung sind Politiker vom Schlage eines Björn Höcke. Rechtskräftig verurteilt wegen Verwendens einer NS-Parole, will die Parteiführung um Weidel und Chrupalla den Thüringer Politiker am liebsten kaltstellen. Da fügt es sich, dass Höcke aktuell nicht mehr gebraucht wird: Die Landtagswahl in Thüringen ist Geschichte und Ministerpräsident ist Höcke auch nicht geworden. Deswegen will man den Rechtsaußen in der rechten Partei gern wenigstens medial versenken, mitsamt seiner Entourage um den Rechtsaußen-Verleger Götz Kubitschek und die Dresdener Buchhändlerin Susanne Dagen.


Aber der scheinbar gemäßigte Kurs sorgt für Zündstoff innerhalb der Partei. Denn hinter den Kulissen gibt es mächtig Zoff. Vielen ist die glatte und kalte Alice Weidel ein Dorn im Auge. Zu abgehoben, zu sehr BWL und Schweiz, raunen viele. Gerade in den ländlichen Gebieten im Osten, dort wo die AfD fast schon die einzige Volkspartei ist, mag man Politik in der Kneipe, im Stadion, beim Dorffest. Da geht es weniger um Details der Steuergesetzgebung oder den Schlinger-Kurs bei der Wehrpflicht, sondern um Hetze gegen Westler, Ausländer und das Beschwören der guten alten Zeit. Die Vollkasko-Mentalität der DDR mit der Vor-Merkel-Zeit, in denen das Zigeuner-Schnitzel oder die Broiler noch in der heute verschwundenen Dorfkneipe in der Küche brutzelten. Und es noch einen Dorfarzt gab. Und eine Dorfschule, eine Zeitung, die jeden Tag pünktlich die Nachrichten brachte. Und eine christliche Kirche, in die man zwar nie ging, aber die doch fürs Abendland stand.


Das verfängt noch immer besonders in Regionen, aus denen viele junge Menschen in den Westen abgewandert sind und wo unter den Gebliebenen die Sehnsucht wach ist, dass es besser in vielem doch werden soll wie früher. Das ist dort, wo bei einer immer älter werdenden Bevölkerung in den Dörfern Themen des ländlichen Raumes eine große Rolle spielen. Auf diese Strukturen richten sich Teile der AfD gerade in den Flächenländern der ehemaligen DDR besonders aus. Das greift, wo u.a. jagd- und forstwirtschaftliche Interessen mehr Gewicht haben. Auf diesen Regionen ist etwa das „Jagd- und Forstpolitische Leitbild“ ausgerichtet, das schon frühzeitig von der AfD im Bundestag formuliert wurde und so u.a. unter dem Thema „Forst-Kultur-Heimat“ die Klientel verstärken soll.


All diese geschilderte Sehnsucht nach der guten alten Zeit hat die AfD mit ihren einfachen Parolen damit offensichtlich in fast allen ostdeutschen Bundesländern aufgenommen und in die Höhe getragen. Erste Kratzer sind aber nicht zu übersehen. Vielerorts sind gewählte AfD-Kommunalpolitiker in den oft schwierigen und tristen Mühen der Probleme angekommen. Wenn die Investitionen fürs Gewerbegebiet fehlen oder Firmen schließen, dann kann man nicht die Ausländer allein dafür verantwortlich machen. Wenn die örtliche Grundschule schließt, weil zu wenige Kinder eingeschult werden, ist das schlicht der Tatsache geschuldet, dass viele jungen Eltern nicht mehr da sind. Und wenn es keine Absatzmärkte für die heimischen Bauern mehr gibt, weil die USA an den Zöllen geschraubt haben, stärkt das zwar den im Osten ausgeprägte Anti-Amerikanismus. Lösungen im Rathaus kann man daraus aber nur schwerlich entwickeln.


AfD verliert Bürgermeisterwahlen


Konsequenz: In einigen Orten und Städten hat die AfD bei einzelnen Bürgermeisterwahlen mächtig verloren. Beispiel Nauen, eigentlich eine sichere Hochburg der Rechtspopulisten: Dort stürzte die Partei bzw. deren Kandidat gemessen am Bundestagswahlergebnis von 37 Prozent auf 16 Prozent ab. Oder in Meißen konnte ein Parteiloser den AfD-nahen Kandidaten spektakulär abhängen. Auch bei der Kommunalwahl im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW blieb am letzten Sonntag die AfD nach einem überraschend starken Ergebnis bei der ersten Abstimmung am Ende bei den Stichwahlen um die Chefsessel in den Rathäusern in NRW weit zurück.


Ein Hoffnungsschimmer für die demokratische Mitte allemal. Ebbt die blaue Welle tatsächlich ab? Viel wird davon abhängen, ob der ländliche Raum mit seinem Gefühl des Abgehängt-Seins mehr Beachtung erfährt. Angesichts der weltweiten Krisen und der großen strukturellen Herausforderungen der Wirtschaft, der Sozialsysteme und der Digitalisierung (inklusive der KI) könnte es allerdings sein, dass auch nach dem Einheitsfeiertag alles beim Alten bleibt.


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