Die Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen Automobilzulieferer steht massiv infrage – mit gravierenden Auswirkungen gerade in bisher wirtschaftlich stabilen ländlichen Regionen
Die Schreckensmeldungen werden immer lauter. Doch die Politik will sie nicht hören. Sie setzt aufs Schönreden statt auf kühle Analyse. Eine Analyse, die nach schnellen und tiefgreifenden Konsequenzen geradezu schreit. Worum es geht? Um die immer schmerzhafter zu spürende Abwanderung von mittelständischen Automobilzulieferern ins Ausland etwa. Gerade für ein weltweit agierendes Zuliefererland wie Baden-Württemberg ist das ein Alarmsignal. Und nicht erst seit jetzt. Aber die ampelflackernde Bundes- und die verträumt grün-schwarze Landespolitik sehen noch immer keinen Anlass, von Grund auf bessere Bedingungen für die einheimischen Unternehmen, darunter viele schwäbische Traditionsbetriebe mit einem für nicht wenige ländliche Regionen überlebenswichtigen Steueraufkommen, zu schaffen.
Wenn in kleinen Städten und Gemeinden die Steuer des größten Steuerzahlers wegfällt, fehlt Geld für den Erhalt von Schwimmbädern und Schulen, für den Ausbau von Kitas und infrastrukturellen Maßnahmen, kurzum für alles, was die Gemeinden in Eigenverantwortung leisten und schultern müssen. Oft heißt es dann: Es müssen Gewerbe- und Grundsteuer erhöht werden, was alle Betriebe trifft und die Bürger obendrein. Verloren gehen nicht nur Arbeitsplätze, sondern verloren geht auch das Vertrauen in die Politik generell. Für manche schmutzig braunen Wahlergebnisse ist da nicht immer eine offene Ausländerfeindlichkeit verantwortlich, sondern eine nachvollziehbare persönliche Unzufriedenheit.
Deprimierende Zahlen
In einer Umfrage des Verbands der Automobilindustrie (VDA) gaben 37 Prozent von den 143 im Mai befragten Unternehmen an, eine Investitionsverlagerung ins Ausland zu planen. Das ist ein Höchstwert seit Januar 2023. 32 Prozent der Betriebe wollen der Umfrage zufolge ihre Investitionen verschieben, 13 Prozent geplante Investitionen streichen. Nur 17 Prozent der befragten Automobilzulieferer gaben an, bei ihren Investitionsplänen zu bleiben. Und lediglich ein Prozent will mehr am Standort Deutschland investieren.
Diese Entwicklung ist ein Warn- und Weckruf. Sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Fragt sich nur, der wievielte? Denn den deprimierenden Zahlen folgen seit Jahren dieselben runtergenudelten Forderungen und Vorschläge. Die Bundesregierung müsse die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland stärken, sagt Müller. Banales in bitteren Zeiten. Die Liste ist seit langem dieselbe, die Maßnahmen sind die noch länger unterlassenen. Die alte Leier also, kraft- und mutlos: Wettbewerbsfähige Energiepreise, schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren und ein wettbewerbsfähiges Steuer- und Abgabensystem müssen her. Doch die Politik in Bund und Land hat sich von einem alten Spruch verabschiedet, der heißt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Als Hauptgrund für die geringe Investitionsneigung im Inland geben die Unternehmen vor allem zu geringe Absatzerwartungen an. Was im Prinzip heißt: Das Leben und Arbeiten in Deutschland ist steuerbelastet zu teuer, der Automobilmarkt politisch gewollt ausgehungert. Vor allem aber plagt die Unternehmen die Last der Bürokratie: 83 Prozent der Zulieferer nennen die überbordende Bürokratie als größte Herausforderung am Standort Deutschland. Und die letzte Hoffnung auf Korrektur schwindet. 86 Prozent der Automobilzulieferer erwarten durch das geplante neue Bürokratieentlastungsgesetz der Bundesregierung keine positive Wirkung. Das nennt man Resignation. Einen Abmarsch auf leisen Sohlen. Einen politischen Offenbarungseid.
Anzeichen einer schrittweisen Deindustrialisierung
Die Folgen sind direkt vor unserer Haustür zu spüren. In Polen betreiben mittlerweile 9500 deutsche Firmen eigene Standorte. Der Hausgerätehersteller Miele will bis 2027 die Produktion von Haushaltswaschmaschinen von Gütersloh nach Ksawerow verlagert haben. Mercedes-Benz will im niederschlesischen Standort Jawor sein weltweit erstes reines Elektrowerk aufbauen und dort den E-Sprinter fertigen. Investitionen insgesamt: rund 1,5 Milliarden Euro. Bosch investiert rund 255 Millionen Euro in einen Fertigungsstandort für Wärmepumpen in Dobromierz. In Polen sind an fünf Standorten bereits rund 9600 Menschen bei Bosch beschäftigt. Investitionen 2023: rund 150 Millionen Euro.
Die deutsche Wirtschaft zieht ihre Konsequenzen aus der politischen Lethargie. DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben sieht sogar Anzeichen einer „schrittweisen Deindustrialisierung“. Das scheint rhetorisch ein wenig zu hoch gegriffen. Fest steht aber: Die deutsche Elektro- und Metallindustrie ist beim Wachstum der Industrieproduktion Schlusslicht in Europa. 2023 lag diese in Deutschland um 5,4 Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2018. Polen dagegen hat sie in diesem Zeitraum um 45,5 Prozent übertroffen.
In den ländlichen Regionen geht die Angst um. Oft ist ein einziger mittelständischer Autozulieferer der finanzielle Garant für eine finanziell handlungsfähige Rathauspolitik. Gerade in vielen kleineren Städten Württembergs beschäftigen Weltmarktführer der Zulieferindustrie viele gut verdienende Menschen. Wandert ein Betrieb ab, schließen sich nicht nur die Werkstore. In Stuttgart und Berlin werden Krokodilstränen dann vergossen. Doch der Standort Deutschland lebt nicht nur von konjunktureller Stabilität, sondern zunehmend von guten politischen Rahmenbedingungen im internationalen Wettbewerb. Wenn da die Wirtschaft immer öfter mit den Füßen abstimmt, wandert stets ein Stück Vertrauen in die Tatkraft und den Gestaltungswillen unserer Demokratie mit ab.
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